Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess {T 7} 
I 35/06 
 
Urteil vom 3. Juli 2006 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ursprung, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiberin Kopp Käch 
 
Parteien 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
S.________, 1998, Beschwerdegegner, 
vertreten durch seine Eltern 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen 
 
(Entscheid vom 1. Dezember 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1998 geborene S.________ leidet seit Geburt an einer hochgradigen Schwerhörigkeit. In Anerkennung des Geburtsgebrechens Ziff. 446 des Anhangs zur Verordnung über Geburtsgebrechen (GgV Anhang) gewährte die Invalidenversicherung dem Versicherten diverse Leistungen, u.a. übernahm sie die Kosten für Ergotherapie bis Ende des Schuljahres 2003/2004 (Verfügungen vom 27. Februar und 26. Juni 2003). 
Mit Verfügung vom 28. September 2004 lehnte die IV-Stelle des Kantons St. Gallen eine weitere Verlängerung der Kostengutsprache für die Ergotherapie ab. Auf Einsprache hin widerrief sie ihre Verfügung am 24. November 2004, um weitere Abklärungen zu treffen. Nach Einholung eines Arztberichts der Frau Dr. med. Z.________, Pädiatrie FMH, vom 6. Januar 2005 sowie einer Stellungnahme vom 28. Januar 2005 des Prof. Dr. med. B.________ und des Dr. med. W.________, beide vom Regionalen Ärztlichen Dienst, wies die IV-Stelle das Gesuch um Kostenübernahme der Ergotherapie mit Verfügung vom 9. Februar 2005 erneut ab. An ihrem Standpunkt hielt sie mit Einspracheentscheid vom 15. März 2005 fest. 
B. 
In Gutheissung der hiegegen erhobenen Beschwerde hob das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 1. Dezember 2005 den Einspracheentscheid vom 15. März 2005 auf und stellte fest, dass S.________ Anspruch auf Übernahme der Kosten der Ergotherapie hat. Es wies die Sache an die IV-Stelle zurück, damit diese über die Kostenübernahme im Sinne der Erwägungen neu verfüge. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die IV-Stelle die Aufhebung des Entscheids des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 1. Dezember 2005 und die Bestätigung ihrer Verfügung vom 9. Februar 2005. 
Das Versicherungsgericht schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die Eltern von S.________ beantragen unter Beilegung eines Schreibens der Frau Dr. med. Z.________ vom 6. Februar 2006 ebenfalls die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen zum Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung im Allgemeinen (Art. 12 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 IVV) und bei Personen vor dem vollendeten 20. Altersjahr im Speziellen (Art. 8 Abs. 2 ATSG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 IVG) sowie die Verwaltungsweisungen im Zusammenhang mit der Übernahme von Ergotherapie (Randziffer 1014, 1015, 1017 und 1043.7 des Kreisschreibens des Bundesamtes für Sozialversicherung über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen [KSME]) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
2. 
Die Vorinstanz hat die Frage, ob die Kosten der Ergotherapie gestützt auf Art. 13 IVG als Teil der Behandlung des Geburtsgebrechens Nr. 446 (angeborene Schwerhörigkeit) durch die Invalidenversicherung zu übernehmen seien, ausdrücklich offen gelassen. Die Leistungszusprechung erfolgte vielmehr als medizinische Massnahme gemäss Art. 12 Abs. 1 IVG. Danach haben Versicherte Anspruch auf medizinische Massnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die Eingliederung ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich gerichtet und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit und die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, dauernd und wesentlich zu verbessern oder vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren. Die Massnahmen müssen nach bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft angezeigt sein und den Eingliederungserfolg in einfacher und zweckmässiger Weise anstreben. Bei Personen, die das 20. Altersjahr noch nicht vollendet haben, kann die Invalidenversicherung die medizinische Eingliederungsmassnahmen ausnahmsweise auch übernehmen, wenn noch nicht stabile oder relativ stabilisierte Zustände bestehen, nämlich dann, wenn die auszuführenden Massnahmen mit hinlänglicher Zuverlässigkeit erwarten lassen, dass damit einem später drohenden stabilen, nur schwer korrigierbaren Defekt vorgebeugt werden kann, der sich wesentlich auf die Erwerbstätigkeit oder die Berufsbildung auswirken würde. Das kantonale Gericht hat diese genannten Voraussetzungen bejaht. 
3. 
Demgegenüber macht die IV-Stelle geltend, gemäss Bericht der Frau Dr. med. Z.________ vom 6. Januar 2005 leide der Beschwerdegegner zwar an einem motorischen Entwicklungsrückstand. Zahlreiche Angaben der genannten Ärztin wiesen indessen darauf hin, dass er nicht eingliederungsfähig sei. Es handle sich um eine erhebliche grob- und feinmotorische Störung. Dem Versicherten sei es z. B. nach fünfmonatiger Ergotherapiepause nicht mehr möglich gewesen, seine Schuhe selbst zu binden. Auch werde ein Bleistift noch mit der ganzen Faust gehalten und der Beschwerdegegner führe zittrige Zickzack- und Wellenlinien aus. Die alltäglichen Verrichtungen würden schlecht gelingen. Es bleibe daher trotz Verbesserung infolge des Besuches der an der Sprachheilschule angebotenen Rhythmik und Ergotherapie in den letzten zwei Jahren fraglich, ob eine Eingliederung möglich sei. Sobald die Ergotherapie nämlich abgesetzt worden sei, sei es zur Stagnation und zu Rückfällen gekommen. Dies deute darauf hin, dass entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht von einer guten Prognose ausgegangen werden könne. 
4. 
Die Interpretation des Berichtes der Frau Dr. med. Z.________ vom 6. Januar 2005 in der Weise, dass keine gute Prognose gestellt werden könne, widerspricht dem genannten Arztbericht. Vielmehr hat diese Ärztin ausdrücklich festgehalten, in Anbetracht der Verbesserungen infolge der Ergotherapie sowie der Stagnation und Rückfälle seit Absetzen dieser Massnahme sei die Wiederaufnahme der Ergotherapie für ein eventuell zwei Jahre dringend. Sie hat deshalb für den Versicherten die Übernahme der Kosten dieser Massnahme für ein bis eineinhalb Jahre beantragt. Etwas anderes bezüglich Eingliederungswirksamkeit der Ergotherapie ergibt sich auch nicht aus dem ergotherapeutischen Zwischenbericht vom 13. Juli 2004. Danach hat der Beschwerdegegner in allen Bereichen gute Fortschritte erzielt und sollte an den Zielsetzungen unbedingt weitergearbeitet werden. Es kann somit nicht davon gesprochen werden, das Eingliederungsziel könne nicht oder nicht mehr erreicht werden. 
5. 
Schliesslich widerspricht die Bejahung des Anspruchs auf Übernahme der Kosten der Ergotherapie auch nicht dem IV-Rundschreiben Nr. 197 vom 23. April 2004 (vgl. auch Rz 1017 und 1043.7 KSME), auf welches sich die IV-Stelle in der ursprünglichen Verfügung vom 28. September 2004 berufen hatte. Danach besteht bei Sprachheilbehandlungen kein Anspruch auf zusätzliche Unterstützung durch Ergotherapie. Aus den medizinischen Akten ergibt sich indessen, dass die Ergotherapie nicht zur Unterstützung der Sprachheilbehandlung angeordnet worden ist, sondern dass sie vielmehr als selbstständige medizinische Massnahme der Behandlung der motorischen Störungen des Beschwerdegegners dient. Mangelnde Wirksamkeit der Behandlung, welche dem IV-Rundschreiben Nr. 197 vom 23. April 2004 zugrunde liegt, kann daher nicht zur Verneinung der Leistungspflicht führen. 
6. 
Da mit der Vorinstanz der Anspruch auf Übernahme der Kosten der Ergotherapie als medizinische Massnahme gemäss Art. 12 Abs. 1 IVG zu bejahen ist, kann offen bleiben, ob die Voraussetzungen der Leistungspflicht der Invalidenversicherung auch nach Art. 13 Abs. 1 IVG erfüllt wären. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 3. Juli 2006 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: