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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_45/2009 
 
Urteil vom 4. März 2010 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys, 
Gerichtsschreiber Keller. 
 
Parteien 
A.X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Patrick Schaerz, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
1.A.Z.________ und B.Z.________, 
2.C.Z.________ und D.Z.________, 
3.E.Z.________, 
4.H.________, 
alle drei vertreten durch Rechtsanwalt Eugen Fritschi, 
Beschwerdegegner, 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, 8090 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Mord; Verletzung des Beschleunigungsgebots, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Zürich vom 19. September 2007 und den Zirkulationsbeschluss des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 12. November 2009. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Am 19. September 2007 verurteilte das Geschworenengericht des Kantons Zürich B.X.________ wegen Mordes zum Nachteil von G.Z.________ sowie wegen Vergehens gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von 16 Jahren unter Anrechnung von 1'130 Tagen Polizei-, Untersuchungs- und Sicherheitshaft. Sein Bruder A.X.________ als Mittäter wurde wegen Mordes sowie der groben Verletzung von Verkehrsregeln zu einer Gesamtstrafe von 12 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, unter Anrechnung von 1'129 Tagen Haft sowie unter Berücksichtigung der mit Strafbefehl vom 22. Februar 2002 durch die Bezirksanwaltschaft Hinwil ausgefällten bedingten Gefängnisstrafe von drei Monaten. 
B.X.________ und A.X.________ erhoben Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht des Kantons Zürich, das die Verfahren vereinigte und die Beschwerden mit Urteil vom 12. November 2009 abwies, soweit es darauf eintrat. 
 
B. 
B.a A.X.________ führte gegen das Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Zürich am 19. Januar 2009 Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht. Er beantragt, der angefochtene Entscheid sei bezüglich Verurteilung wegen Mordes aufzuheben und zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an das Geschworenengericht zurückzuweisen. 
Ferner sei festzustellen, dass das Geschworenengericht das Beschleunigungsgebot missachtet und die Verteidigungsrechte, mithin den Anspruch auf ein faires Verfahren, verletzt habe. Eventualiter sei ihm deswegen eine Genugtuungssumme nach richterlichem Ermessen zuzusprechen. 
Ihm sei zudem die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und Rechtsanwalt Patrick A. Schaerz als unentgeltlicher Rechtsvertreter beizugeben. 
Während des Verfahrens vor Kassationsgericht blieb das vorliegende bundesgerichtliche Verfahren sistiert. 
B.b A.X.________ reichte am 8. Januar 2010 eine Erklärung zur Beschwerde in Strafsachen gegen das Urteil des Geschworenengerichts sowie eine Beschwerde in Strafsachen gegen das Urteil des Kassationsgerichts des Kantons Zürich ein. Er erklärt den Rückzug des Rechtsbegehrens betreffend Aufhebung der Verurteilung wegen Mordes, hält an den übrigen Begehren jedoch fest. 
B.c Die von B.X.________ beim Bundesgericht eingereichte Beschwerde in Strafsachen bildet Gegenstand des Verfahrens 6B_21/2010. 
 
C. 
Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt. 
Erwägungen: 
 
1. 
Das Kassationsgericht des Kantons Zürich geht von folgendem Sachverhalt aus: 
Der Beschwerdefüher und B.X.________ entschlossen sich am 14. August 2004, G.Z.________ an dessen Arbeitsplatz in Zürich aufzusuchen. G.Z.________ war der Ehemann von F.Z.________, einer Schwester von B.X.________ und A.X.________. Die Eheleute Z.________ standen in einem Scheidungsverfahren. Im Pausenraum hielten sich zu diesem Zeitpunkt G.Z.________ sowie I.________ auf. Der Beschwerdeführer begann sofort, mit den Fäusten auf G.Z.________ einzuschlagen. B.X.________ nahm seine mitgeführte Pistole zur Hand, forderte G.Z.________ auf niederzuknien und zielte auf dessen Rücken. Der Beschwerdeführer und B.X.________ forderten I.________ auf, den Raum zu verlassen. Nachdem dieser gegangen war, schoss B.X.________ G.Z.________ aus einer Distanz von wenigen Zentimetern in den Rücken. Er durchschoss die Hauptschlagader des Opfers, worauf dieses in kurzer Zeit verblutete. 
 
2. 
2.1 Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung des Beschleunigungsgebots. Obwohl er im Jahre 2008 mit drei Schreiben unter Hinweis auf das Beschleunigungsgebot gemäss Art. 29 Abs. 1 BV und Art. 6 Abs. 1 EMRK die lange Verfahrensdauer gerügt und um schnelle Zustellung des Urteils ersucht habe, habe das Geschworenengericht 13 Monate gebraucht, bis das Urteil versandbereit gewesen sei. Zudem habe das Kassationsgericht bis zur Zustellung des Zirkulationsbeschlusses etwas mehr als zehn Monate benötigt. Das kantonale Strafverfahren habe von der Anhebung der Strafuntersuchung am 16. August 2004 bis zur Zustellung des Zirkulationsbeschlusses des Kassationsgerichts über fünf Jahre und drei Monate gedauert. Das Urteil sei folglich nicht innert angemessener Frist erfolgt. 
 
2.2 Das Kassationsgericht verweist auf verschiedene andere Verfahren, deren Behandlungsfrist mit der hier zu beurteilenden Verfahrensdauer vergleichbar sei, und in denen keine Verletzung des Beschleunigungsgebots festgestellt worden sei. Zu berücksichtigen sei ferner die Beurteilung von zwei Angeklagten, was einen grösseren zeitlichen Aufwand erfordert habe. Die Dauer liege daher durchaus im Rahmen der nicht beanstandeten vergleichbaren Verfahren. 
 
2.3 Das in Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Ziff. 3 lit. c UNO-Pakt II festgeschriebene Beschleunigungsgebot verpflichtet die Behörden, das Strafverfahren zügig voranzutreiben, um den Beschuldigten nicht unnötig über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe im Ungewissen zu lassen. Das Bundesgericht bejahte verschiedentlich Verletzungen des Beschleunigungsgebots (vgl. etwa die Übersicht im Urteil 6B_440/2008 vom 11. November 2008 E. 6.1). Eine Verletzung des Beschleunigungsgebots wurde bejaht bei einer Verfahrensdauer von sieben Jahren oder mehr (vgl. Urteile 6S.98/2003 vom 22. April 2004; 6S.335/2004 vom 23. März 2005; 6S.400/2006 vom 17. März 2007, E. 5), bei einer Verfahrensdauer von dreieinhalb Jahren vor dem Zürcher Kassationsgericht (Urteil 1P.338/2000 vom 23. Oktober 2000) sowie bei einer Dauer von vier Jahren für den Erlass der Überweisungsverfügung und der Erhebung der Anklage (Urteil 6P.128/2001 vom 18. Dezember 2001). 
Das Bundesgericht verneinte dagegen beispielsweise eine Verletzung des Beschleunigungsgebots bei einer Verfahrensdauer von rund drei Jahren (BGE 124 I 139) und einer solchen von über sechs Jahren (Urteil 6S.467/2004 vom 11. Februar 2005). Keinen Verstoss gegen das Beschleunigungsgebot begründete auch eine Dauer von drei Jahren ab Untersuchungseröffnung bis zum erstinstanzlichen Urteil (zumindest bei umfangreichen Akten und fünf Mitangeklagten in BGE 130 IV 54). 
Die hier zu beurteilende Gesamtdauer des Verfahrens von rund fünf Jahren und drei Monaten ist mit Blick auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung nicht als überlang zu betrachten. Gleiches gilt für die gerügten einzelnen Verfahrensschritte. Die Dauer von 13 Monaten zwischen der erstinstanzlichen Urteilsfällung und der Zustellung der Urteilsbegründung erscheinen zwar lang, sind aber mit dem Aufwand im vorliegenden Fall durchaus begründbar. Die Dauer von etwas mehr als zehn Monaten zwischen dem Urteil des Kassationsgerichts bis zur Zustellung des Zirkulationsbeschlusses ist hingegen an der äusseren Grenze der zulässigen Verfahrenslänge anzusiedeln, verletzt das Beschleunigungsgebot aber noch nicht. 
 
3. 
3.1 Der Beschwerdeführer macht in seiner Beschwerdeschrift vom 19. Januar 2009 gegen das erstinstanzliche Geschworenengerichtsurteil eine Verletzung der Verteidigungsrechte gemäss Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK geltend. Das begründete Urteil des Geschworenengerichts Zürich sei seinem Rechtsvertreter trotz vorgängigen Ersuchens nicht mit dem Verhandlungsprotokoll zugestellt worden. Dadurch sei er bzw. sein Rechtsvertreter nicht in der Lage gewesen, die im Urteil vorgenommenen Verweise auf das Protokoll zu überprüfen. Die zwei an das Geschworenengericht zwecks Neuansetzung des Fristenlaufs gerichteten Eingaben seien ohne Rechtsmittelbelehrung abgewiesen worden. 
In seiner als "Erklärung zur Beschwerde in Strafsachen gegen das Urteil des Geschworenengerichts" sowie als "Beschwerde in Strafsachen gegen das Urteil des Kassationsgerichts des Kantons Zürich" bezeichneten Beschwerdeschrift vom 8. Januar 2010 macht der Beschwerdeführer zur Rüge betreffend Verletzung der Verteidigungsrechte keine weiteren Ausführungen. 
 
3.2 Das Kassationsgericht, das der Beschwerdeführer ebenfalls angerufen hat, führt aus, dass dem Beschwerdeführer bzw. seinem Rechtsvertreter das begründete Urteil des Geschworenengerichts am 2. Dezember 2008 per Briefpost zugestellt und damit die Frist zur Erhebung der Nichtigkeitsbeschwerde ausgelöst worden sei. Das Verhandlungsprotokoll sei ihm am gleichen Tag, aufgrund des Umfangs per Paketpost, versandt und am 4. Dezember 2008 zugestellt worden. Die zwei Tage später erfolgte Zustellung des Protokolls liege an der postalischen Zustellung und nicht im Verantwortungsbereich des Geschworenengerichts. Die Beschwerdefrist sei eine gesetzliche Frist, die weder erstreckt noch neu angesetzt werden könne. Dem Beschwerdeführer hätte aber die Möglichkeit eines Fristwiederherstellungsgesuchs offengestanden, hätte er seine Beschwerdeschrift nicht rechtzeitig fertigstellen können. 
 
3.3 Nach Art. 80 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde in Strafsachen zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen. Der Beschwerdeführer erhob die Rüge betreffend Verletzung der Verteidigungsrechte vor Bundesgericht sowohl gegen den erstinstanzlichen Entscheid des Geschworenengerichts als auch gegen den Entscheid des Kassationsgerichts. Dieses befasste sich mit dem Vorbringen materiell und verneinte die Verletzung des angerufenen Verfahrensgrundsatzes durch das Geschworenengericht. 
Auf die Beschwerde gegen das Urteil des Geschworenengerichts ist daher mangels Letztinstanzlichkeit des Entscheids nicht einzutreten. Gleichermassen nicht einzutreten ist auf die Rüge gegen das Urteil des Kassationsgerichts. Der Beschwerdeführer setzt sich mit dessen Erwägungen weder auseinander noch liefert er sonst eine Begründung für sein Rechtsbegehren. Auf die Beschwerde ist daher mangels einer rechtsgenüglichen Begründung nicht einzutreten (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 134 II 244 E. 2.2). 
 
4. 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung ist abzuweisen, da die Beschwerde von vornherein aussichtslos war. Seiner finanziellen Lage ist mit herabgesetzten Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Geschworenengericht des Kantons Zürich und dem Kassationsgericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 4. März 2010 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Favre Keller