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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
6B_640/2013  
   
   
 
 
 
Urteil vom 4. November 2013  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Mathys, Präsident, 
Bundesrichter Schneider, Denys, 
Gerichtsschreiberin Pasquini. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Dina Raewel, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
1.  Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,  
2. Y.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Götte, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Genugtuung; Verweisung auf den Zivilweg, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 5. April 2013. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Das Bezirksgericht Bülach sprach Y.________ am 20. Juni 2011 der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, des gewerbs- und bandenmässigen Diebstahls, des Raubes, des Angriffs, der gewerbsmässigen Hehlerei, der mehrfachen Sachbeschädigung und des mehrfachen Hausfriedensbruchs schuldig. Die Verfahren wegen mehrfacher Sachbeschädigung (ND 16 und ND 18-20) sowie mehrfachen Hausfriedensbruchs (ND 15 f. und ND 18-20) stellte es ein. Es verurteilte Y.________ zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten und ordnete eine ambulante Behandlung (Art. 63 StGB) an, ohne den Vollzug der Freiheitsstrafe aufzuschieben. Es beschloss die Verwertung der beschlagnahmten Gegenstände und entschied über die geltend gemachten Zivilforderungen bzw. verwies diese auf den Zivilweg. Unter anderem hiess es die Schadenersatzforderung von X.________ dem Grundsatz nach gut und verwies sie zur Bestimmung der Höhe auf den Zivilweg. Schliesslich verpflichtete es Y.________, ihr eine Genugtuung von Fr. 2'000.-- zuzüglich 5 % Zins ab 27. September 2009 zu bezahlen. 
 
B.   
Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 5. April 2013 auf Berufung von Y.________ und X.________ den erstinstanzlichen Schuldspruch wegen Angriffs. Die übrigen Schuldsprüche, die Einstellungen, die Anordnung der ambulanten Massnahme und die Verwertung erwuchsen unangefochten in Rechtskraft. Das Obergericht verurteilte Y.________ zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten. Es erhöhte die von ihm an X.________ zu leistende Genugtuung auf Fr. 5'000.-- und verwies das Genugtuungsbegehren im Mehrbetrag auf den Zivilweg. Hinsichtlich der übrigen Zivilforderungen blieb der erstinstanzliche Entscheid unangefochten. 
 
 Der Schuldspruch wegen Angriffs stützt sich auf folgenden Sachverhalt: Am 27. September 2009 schlug und trat Y.________ zusammen mit einer anderen Person X.________ derart, dass sie zu Boden stürzte. Sie erlitt eine Hirnerschütterung, einen offenen Nasenbeinbruch und Prellungen an den Ellbogen. 
 
C.   
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, Dispositiv-Ziffer 4 des Urteils des Obergerichts sei aufzuheben. Y.________ sei zu verpflichten, ihr persönlich bzw. für ihre Tochter eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 50'000.-- bzw. Fr. 10'000.--, je zuzüglich Zins von 5 % seit dem 27. September 2009, zu bezahlen. Sie ersucht um unentgeltliche Rechtspflege. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
 
1.1. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Höhe der ihr zugesprochenen Genugtuung und die Verweisung ihres Begehrens im Mehrbetrag auf den Zivilweg. Sie ist Opfer einer Straftat geworden (Art. 116 Abs. 1 StPO/Art. 1 Abs. 1 OHG) und hatte als Privatklägerin im kantonalen Verfahren Schadenersatz und Genugtuung gefordert. Sie ist zur Beschwerde in Strafsachen legitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG; siehe auch Urteil 6B_89/2009 vom 29. Oktober 2009 E. 1.2.1 2. Abschnitt mit Hinweisen).  
 
1.2. Soweit die Beschwerdeführerin die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz ergänzt bzw. ihnen ihre Sicht der Dinge gegenüberstellt, kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden. Sie erhebt keine Willkürrüge (vgl. Art. 105 Abs. 1 und Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 137 III 226 E. 4.2 S. 234 mit Hinweisen).  
 
1.3. Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten, soweit die Beschwerdeführerin auf ihre Ausführungen oder die Akten im kantonalen Verfahren verweist. Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung der Beschwerde in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Dies setzt voraus, dass sich die Beschwerdeführerin wenigstens kurz mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheids auseinandersetzt (BGE 134 II 244 E. 2.1). Die massgeblichen Ausführungen müssen in der Beschwerdeschrift selber enthalten sein. Ein Verweis auf frühere Rechtsschriften oder auf die Verfahrensakten ist unzulässig (BGE 138 IV 47 E. 2.8.1; 133 II 396 E. 3.1 S. 400; je mit Hinweisen).  
 
2.   
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 49 OR, aArt. 38 OHG und Art. 126 Abs. 3 StPO
 
2.1. Die Vorinstanz hält fest, bei der Beschwerdeführerin habe vor dem Angriff des Beschwerdegegners 2 eine psychische Grunderkrankung vorgelegen, weswegen sie sich habe stationär behandeln lassen. Das von der Beschwerdeführerin eingereichte Gutachten der A.________ bzw. die darin zitierten Akten bestätigten eine solche Grunderkrankung. Die Beschwerdeführerin habe sich seit längerem am Rande der Erschöpfung befunden und sei bereits am 16. August 2009 in der psychiatrischen Poliklinik vorstellig geworden. Sie habe Probleme am Arbeitsplatz gehabt, wo sie auch Suizidgedanken geäussert habe. Nach gutachterlicher Darstellung sei der Beschwerdeverlauf schwierig zu erfassen. Die Beschwerden der Angegriffenen würden zwar überwiegend wahrscheinlich in natürlichem Kausalzusammenhang zum Vorfall vom 27. September 2009 stehen. Dieses Ereignis müsse aber nicht die alleinige Ursache dafür sein (Urteil S. 37 f. E. 3.4). Die Vorinstanz erwägt, da die psychischen Auswirkungen der Tat bei der Beschwerdeführerin nicht geklärt seien, könne gestützt darauf auch nicht auf eine aussergewöhnliche Betroffenheit ihrer Tochter geschlossen werden (a.a.O. S. 38 f. E. 3.6). Als Folge des Angriffs auf die Beschwerdeführerin würden lediglich ihre körperlichen Leiden feststehen. Unbestritten sei, dass ein solcher Vorfall auch psychische Beeinträchtigungen hervorrufen könne, die einen Anspruch auf Genugtuung begründeten. In diesem Verfahren sei die Abklärung des Umfangs dieses Anspruchs aufgrund der medizinischen Komplexität des Beschwerdebilds der Angegriffenen nicht möglich. Dazu wäre eine umfassende ärztliche Abklärung nötig. Die Beschwerdeführerin sei ohne Vorwarnung grundlos von hinten angegriffen worden. Die Polizei habe sie blutüberströmt gefunden. Sie sei nicht ansprechbar gewesen und habe drei Tage stationär im Spital behandelt werden müssen. Dies alles zeige die Schwere des erlittenen Unrechts, was die Festsetzung einer Genugtuung in der Höhe von Fr. 5'000.-- (zuzüglich Zins) rechtfertige. Im Mehrbetrag seien die Genugtuungsansprüche auf den Zivilweg zu verweisen (a.a.O. S. 39 E. 3.8).  
 
2.2. Soweit die Beschwerdeführerin einwendet, angesichts ihrer massiven und anhaltenden körperlichen Beeinträchtigungen, wie ihrer sog. frozen shoulder, sei die zugesprochene Genugtuung von Fr. 5'000.-- viel zu tief, ergänzt sie die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz bzw. weicht sie davon ab (Beschwerde S. 7 f. Ziff. 21-25). Damit ist sie nicht zu hören (E. 1.2). Die Vorinstanz trägt bei der Festsetzung der Höhe der Genugtuung für die körperlichen Leiden der Beschwerdeführerin den wesentlichen Kriterien Rechnung (vgl. BGE 132 II 117 E. 2.2.2 f. mit Hinweisen). Dass sie von rechtlich nicht massgeblichen Gesichtspunkten ausgegangen wäre oder relevante Bemessungskriterien nicht berücksichtigt hätte, ist nicht ersichtlich.  
 
2.3. Die Beschwerdeführerin macht geltend, aufgrund der posttraumatischen Belastungsstörung wegen des Angriffs des Beschwerdegegners 2 leide sie an einer irreversiblen Persönlichkeitsveränderung. Ohne Medikamente könne sie ihren Alltag nicht bewältigen. Ihre psychische Beeinträchtigung sei sowohl durch das eingereichte interdisziplinäre Gutachten als auch durch die sie behandelnde Psychiaterin sowie die zahlreichen medizinischen Berichte belegt. Die Vorinstanz gelange daher unzutreffend zum Schluss, zur Abklärung ihres Beschwerdebildes sei aufgrund der medizinischen Komplexität eine umfassende ärztliche Abklärung nötig. Für das von ihr eingereichte Gutachten sei sie u.a. in psychosomatischer und orthopädischer Hinsicht untersucht worden. Ein weiteres Gutachten sei nicht erforderlich. Angesichts der ausgewiesenen Kausalität zwischen dem Angriff und ihrer vermutungsweise lebenslangen psychischen Beeinträchtigung sei die Beurteilung ihrer Genugtuungsforderung nicht unverhältnismässig aufwendig. Von ihrem psychischen Zustand sei auch ihre Tochter aussergewöhnlich betroffen (Beschwerde S. 8 ff. und 13 ff.).  
 
2.4.   
 
2.4.1. Das Strafgericht kann die Zivilansprüche nur dem Grundsatz nach entscheiden und das Opfer im Übrigen an das Zivilgericht verweisen, wenn die vollständige Beurteilung einen unverhältnismässigen Aufwand erfordern würde (aArt. 38 Abs. 3 Satz 1 OHG [Fassung vom 23. März 2007, AS 2008 1607], der vorliegend nach Art. 48 lit. a OHG massgebend ist, und dessen Wortlaut identisch mit Art. 9 Abs. 3 aOHG ist [Fassung vom 4. Oktober 1991, AS 1992 2465]; vgl. den geltenden Art. 126 Abs. 3 Satz 1 StPO). Das entscheidende Kriterium zur Beurteilung der Verhältnismässigkeit des Aufwands bildet die Komplexität und die erforderliche Zeit zur Abklärung der Zivilansprüche. Je komplizierter diese Forderungen sind und je mehr Zeit ihre betragsmässige Festsetzung beansprucht, desto unverhältnismässiger ist der Aufwand. Grundsätzlich hat das Strafgericht die Zivilbegehren des Opfers zu beurteilen. Das entspricht dem Zweck des OHG, wonach das Opfer seine Zivilansprüche aus der Straftat auf dem im Vergleich zum Zivilprozess einfacheren Weg des Strafverfahrens geltend machen kann (BGE 123 IV 78 E. 2b S. 82; 122 IV 37 E. 2c S. 42; je mit Hinweisen). Dem Strafgericht steht bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit ein Ermessensspielraum zu (Urteil 6B_89/2009 vom 29. Oktober 2009 E. 4.3), in den das Bundesgericht nur zurückhaltend eingreift (BGE 133 III 257 E. 3.2 mit Hinweisen).  
 
2.4.2. Die Genugtuung bezweckt den Ausgleich für erlittene Unbill. Bemessungskriterien sind v.a. die Art und Schwere der Verletzung, die Intensität und Dauer der Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Betroffenen, der Grad des Verschuldens des Haftpflichtigen sowie die Aussicht auf Linderung des Schmerzes durch die Zahlung eines Geldbetrags. Die Höhe der Summe, die als Abgeltung erlittener Unbill in Frage kommt, lässt sich naturgemäss nicht errechnen, sondern nur schätzen (BGE 132 II 117 E. 2.2.2 mit Hinweisen).  
 
 Die konstitutionelle Prädisposition der geschädigten Person - d.h. eine eigentliche Anomalie, akut oder latent vorbestehende Leiden - kann als mitwirkender Zufall zu einer Kürzung des Ersatzanspruchs führen und die Schadensberechnung (Art. 42 OR) oder die Bemessung des Schadenersatzes (Art. 43/44 OR) beeinflussen. Davon abzugrenzen sind einfache konstitutionelle Schwächen der geschädigten Person, die mangels einer allgemeinen Eignung, einen Schaden herbeizuführen, als Herabsetzungsgründe ausser Betracht fallen. Die vermögensrechtlichen Folgen vorbestehender Schwächen, die sich mit Sicherheit oder doch mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ohne das schädigende Ereignis ausgewirkt hätten, sind von der Schadensberechnung anteilsmässig auszuscheiden. Wäre der Schaden dagegen ohne den Vorfall voraussichtlich überhaupt nicht eingetreten, so bleibt der Haftpflichtige dafür voll verantwortlich, wenn der krankhafte Vorzustand den Eintritt des Schadens begünstigt oder dessen Ausmass vergrössert hat. Dem Anteil der Prädisposition kann in diesem Fall im Rahmen von Art. 44 OR Rechnung getragen werden (BGE 131 III 12 E. 4; 113 II 86 E. 1b S. 90 und E. 3b; je mit Hinweisen). 
 
2.5. Für die Vorinstanz steht eine vorbestehende psychische Erkrankung der Beschwerdeführerin fest, während die Auswirkungen der Straftat in psychischer Hinsicht noch nicht geklärt sind. Mit ihren Einwänden entfernt sich die Beschwerdeführerin grösstenteils von diesen verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz. Auf die Beschwerde kann insofern nicht eingetreten werden (E. 1.2). Steht nicht fest, in welchem Umfang psychische Leiden der Beschwerdeführerin auf die Straftat des Beschwerdegegners 2 zurückzuführen sind und ob bzw. inwiefern sich eine allfällige konstitutionelle Prädisposition darauf ausgewirkt hat, ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz eine ärztliche Abklärung als nötig erachtet, um die diesbezüglichen Genugtuungsansprüche der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter festsetzen zu können. Zusätzliche Beweismassnahmen könnten z.B. in der Einvernahme der die Beschwerdeführerin behandelnden Psychiaterin, in der Einholung eines Gutachtens durch das Gericht und im Beizug von Unterlagen zur psychischen Grunderkrankung der Beschwerdeführerin bestehen. Überdies hiess die Vorinstanz deren Schadenersatzforderung antragsgemäss dem Grundsatz nach gut und verwies sie zur Bestimmung der Höhe auf den Zivilweg. Auf diesem wird die Beschwerdeführerin somit zugleich auch ihre weiteren Genugtuungsansprüche geltend machen können. Im Lichte dieser Umstände verletzt die Vorinstanz kein Bundesrecht, weil sie die Genugtuungsforderung der Beschwerdeführerin im Fr. 5'000.-- übersteigenden Betrag auf den Zivilweg verweist.  
 
3.   
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist infolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Der finanziellen Lage der Beschwerdeführerin ist bei der Festsetzung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 4. November 2013 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Mathys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Pasquini