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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
U 246/06 
 
Urteil vom 5. Januar 2007 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Lustenberger und Ferrari, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Parteien 
M.________, 1967, Beschwerdeführer, vertreten 
durch Rechtsanwältin Christine Fleisch, Langstrasse 4, 8004 Zürich, 
 
gegen 
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 22. März 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1967 geborene M.________ arbeitete seit September 1996 als Saisonnier in der Firma Q.________, einem der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unterstellten Betrieb. Nach einer Prellung am 28. August 1997 stürzte M.________ am 18. September 1997 auf das rechte Knie. Dabei zog er sich eine Patellaquerfraktur zu. Nach mehreren operativen Eingriffen, zuletzt am 16. Juni 2000 (u.a. mit Denervation der Patella), hielt sich M.________ vom 20. September bis 25. Oktober 2000 in der Rehabilitationsklinik X.________ auf, wo auch die beruflichen Eingliederungsmöglichkeiten abgeklärt wurden. Am 5. Februar 2001 wurde M.________ in der Klinik Y.________ orthopädisch und rheumatologisch untersucht. Dabei ging es u.a. um die Beurteilung der erstmals im Bericht des Hausarztes Dr. med. H.________ vom 10. September 1999 erwähnten Rückenbeschwerden. Am 22. August 2001 wurde M.________ von Kreisarzt Dr. med. L.________ untersucht. Nachdem sie zunächst den Fallabschluss in Aussicht gestellt hatte, holte die SUVA bei der Rheumatologischen Klinik des Spitals Z.________ eine Stellungnahme zu verschiedenen Expertenfragen ein, u.a. ob die geäusserten Beschwerden/Behinderungen im Zusammenhang mit dem Unfall vom 18. September 1997 stehen (Bericht vom 2. Mai/ 16. Juni 2003). Mit Verfügung vom 20. November 2003 sprach die SUVA M.________ ab 1. August 2003 eine Invalidenrente von monatlich Fr. 398.- (Erwerbsunfähigkeit: 18 %) sowie eine Integritätsentschädigung von Fr. 14'580.- (Integritätseinbusse: 15 %) zu. Mit Einspracheentscheid vom 15. April 2004 bestätigte sie die Leistungszusprechung. 
B. 
Die Beschwerde des M.________ wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich unter Berücksichtigung der von den Parteien im Rahmen des zweiten Schriftenwechsels eingereichten medizinischen Unterlagen (u.a. Gutachten Dr. med. J.________ vom 28. Januar 2005 und Prof. Dr. med. S.________ vom 21. März 2005 sowie Ärztliche Beurteilung Dr. med. K.________, Abteilung Versicherungsmedizin der SUVA, vom 27. Juni 2005) mit Entscheid vom 22. März 2006 ab. 
C. 
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Rechtsbegehren, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben und es seien ihm eine Invalidenrente und eine Integritätsentschädigung aufgrund einer Erwerbsunfähigkeit von 87 % und einer Integritätseinbusse von 24 % zuzusprechen. 
Die SUVA beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG [SR 173.110[) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 395 Erw. 1.2). 
2. 
Streitgegenstand bilden die von der SUVA zugesprochenen, vorinstanzlich bestätigten Leistungen der Unfallversicherung (Invalidenrente ab 1. August 2003, Integritätsentschädigung) für die Folgen des Sturzes auf das rechte Knie am 18. September 1997. 
3. 
Das kantonale Gericht hat aufgrund eines Vergleichs der Einkommen mit und ohne unfallbedingte Beeinträchtigung (Art. 16 ATSG sowie BGE 114 V 313 Erw. 3a in Verbindung mit BGE 130 V 343) einen Invaliditätsgrad von 18 % ermittelt. Das Invalideneinkommen hat es auf der Grundlage der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung 2002 des Bundesamtes für Statistik bestimmt (BGE 129 V 475 f. Erw. 4.2.1, 124 V 321). Die trotz der Unfallfolgen zumutbare Arbeitsfähigkeit legte es entsprechend der Beurteilung des Kreisarztes Dr. med. L.________ im Bericht vom 23. August 2001 fest. 
4. 
Gegen die vorinstanzliche Invaliditätsbemessung wird hauptsächlich vorgebracht, auf die kreisärztliche Einschätzung der Arbeitsfähigkeit könne nicht abgestellt werden. 
4.1 Dr. med. L.________ stellte aufgrund der medizinischen Akten sowie der anlässlich der Untersuchung vom 22. August 2001 erhobenen Befunde fest, es bestehe ein Status nach mehreren Operationen am Knie rechts. Verblieben sei ein vorderer Knieschmerz bei anatomisch recht schön rekonstruierter Patella und wahrscheinlicher Chondropathie im medialen Anteil des rechten Femorotibialgelenkes. Der Zustand entspreche in etwa den Befunden bei Austritt aus der Rehabilitationsklinik X.________. Das demzufolge unveränderte Zumutbarkeitsprofil umschrieb der Kreisarzt wie folgt: «Tätigkeiten in kniender oder kauernder Stellung sind nicht zumutbar. Das häufige Anheben schwerer Gewichte, das häufige Treppensteigen, Arbeiten auf Leitern sollten vermieden werden. Zumutbar aufgrund von Unfallfolgen sind sitzende Arbeiten ohne zeitliche oder qualitative Einschränkung. Auch leichte wechselbelastende Tätigkeiten sind ganztags unter Berücksichtigung der vorstehend erwähnten Einschränkungen zumutbar» (Bericht vom 23. August 2001). 
4.2 
4.2.1 Der Austrittsbericht der Rehabilitationsklinik X.________ befindet sich nicht bei den Akten. Im Kurzbericht vom 3. November 2000 über die Abklärung der beruflichen Situation des Versicherten wurde festgehalten, zumutbar seien der Behinderung angepasste berufliche Tätigkeiten ganztags mit eingeschränkter Leistung. Diese Einschätzung weicht von der kreisärztlichen ab, welche keine Verminderung der Leistung bei ganztägiger Arbeit postuliert. Sodann wird über das Ausmass der Einschränkung nichts gesagt. Ebenfalls ist unklar, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen als unfallbedingt in die Zumutbarkeitsbeurteilung eingeflossen waren. 
4.2.2 Die Rheumatologen und Orthopäden der Klinik Y.________ hielten in ihrer Beurteilung der Knie- und Rückenproblematik u.a. fest, das durch die intraartikulären und funktionellen Beschwerden am rechten Kniegelenk veränderte statisch dynamische Bewegungsmuster stelle sicherlich einen begünstigenden Faktor für das diagnostizierte lumbospondylogene Syndrom dar. Für die Beschwerden auf der linken (Knie-)Seite sei nicht eine organische Ursache, sondern eine Überbelastung wegen dem Hinken und der unharmonischen Statik zu sehen. Der Versicherte sei für eine leichte bis mittelschwere, wechselbelastende Arbeit ohne stereotype und längerdauernde Tätigkeit in der Hocke oder auf den Knien sowie wiederholtes Treppen- oder Leitersteigen ganztags zu 50 % arbeitsfähig (Berichte vom 6. Februar 2001). 
Die Ärzte der Klinik Y.________ beziehen zwar zur Frage der Unfallkausalität der Rückenbeschwerden nicht definitiv Stellung, wie die Vorinstanz insoweit richtig festhält. Ebenfalls trifft zu, dass neben dem Schonhinken auch die degenerativen Veränderungen, die muskuläre Dysbalance und die Adipositas als mögliche Ursachen einer Fehlbelastung des Rücken in Betracht fallen. Indessen werden die degenerativen Veränderungen als diskret bezeichnet. Sodann genügt, dass die Kniebeschwerden eine Teilursache für die lumbalen Rückenschmerzen darstellen (BGE 119 V 337 Erw. 1). Anderseits sehen die Orthopäden der Klinik Y.________ eindeutig und allein in der Überbelastung wegen dem Hinken und der unharmonischen Statik die Ursache für die Beschwerden im linken Knie. 
4.2.3 Zur abschliessenden Klärung der Frage der Unfallkausalität der Rückenbeschwerden holte die SUVA bei der Rheumatologischen Klinik des Spitals Z.________ eine unabhängige Stellungnahme ein. Im Bericht vom 2. Mai/16. Juni 2003 beantworteten die Fachärzte die Frage, welche der vom Versicherten geäusserten Beschwerden/Behinderungen sicher, wahrscheinlich oder nur mögliche Unfallfolgen seien, wie folgt: «Die rechtsseitigen Knieschmerzen sind sicher auf das Unfallereignis vom 18.09.97 zurückzuführen. Die lumbalen Rückenschmerzen sind wahrscheinlich indirekte Folge des Unfalls vom 18.09.97 im Sinne einer Fehlbelastung durch die Knieproblematik.» Zur Frage, bei welchen Funktionen und Tätigkeiten der Versicherte durch die objektivierbaren Unfallrestfolgen eingeschränkt sei und welche Arbeiten nicht mehr verrichtet werden können, führten die Rheumatologen aus: «(...) Bezüglich Rückenschmerzen sind Bücken, repetitive Tätigkeiten, Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, längeres Stehen/Gehen oder Sitzen ungünstig.» 
Das kantonale Gericht hat diesen fachärztlichen Aussagen deshalb keine entscheidende Bedeutung beigemessen, weil die erhobenen Befunde nicht beurteilt und lediglich die gestellten Fragen in knapper Form beantwortet würden. Diese Argumentation überzeugt nicht. Der Beschwerdeführer wurde von den Rheumatologen des Spitals Z.________ untersucht. Es standen ihnen sämtliche medizinischen Unterlagen, welche die Knieverletzung dokumentierten, einschliesslich die Röntgenbilder, zur Verfügung. Es besteht kein Anlass zur Annahme, die Abklärung sei nicht lege artis erfolgt. Dass die Befunde nicht ausführlich diskutiert wurden, mindert für sich allein genommen die Aussagekraft des Berichts vom 2. Mai/16. Juni 2003 nicht. Im Übrigen hätten die SUVA oder die Vorinstanz ohne weiteres eine ausführliche Beurteilung der Befunde nachfordern können, wenn sie eine solche für notwendig erachteten. 
4.2.4 Gemäss dem Privatgutachter Dr. med. J.________ hat die durch das rechte Knie erzwungene Schonhaltung zu einer schmerzhaften Situation an der Wirbelsäule und am linken Kniegelenk geführt (Bericht vom 18. Februar 2005). Laut Prof. Dr. med. S.________ sodann stehen die Beschwerden und Befunde des gesamten rechten Beines sowie des betont rechtsseitigen Beckengürtels einschliesslich des lumbosakralen Übergangs als reaktive Folgen der Minderbelastbarkeit des rechten Kniegelenkes überwiegend wahrscheinlich mit dem Unfall vom 18. September 1997 in einem natürlichen Kausalzusammenhang. Die genetisch bedingte Hypertrophie der Muskulatur und die Fehlform der Wirbelsäule als weitere Risikofaktoren hätten ohne die Unfallverletzungen niemals zum heutigen Befund und Beschwerdebild geführt (Bericht vom 21. März 2005). Beide privat beigezogenen Experten schätzten die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit auf 60 %. 
Dr. med. K.________ erachtete in seiner Ärztlichen Beurteilung vom 27. Juni 2005 die Feststellungen und Schlussfolgerungen der beiden Privatgutachter, soweit sie den Kausalzusammenhang zwischen den Rückenbeschwerden und dem Sturz vom 18. September 1997 bejahten, zwar als fragwürdig oder schlecht begründet. Auf dessen Kritik braucht hier indessen ebenso wenig näher eingegangen zu werden wie auf die Entgegnung des Prof. Dr. med. S.________ vom 22. September 2005. Immerhin ist festzustellen, dass die von Dr. med. K.________ zur Stützung seines Standpunktes angeführten wissenschaftlichen Studien über Rückenbeschwerden bei Personen mit Beinlängendifferenz oder Klumpfuss den streitigen Kausalzusammenhang nicht zwingend ausschliessen. Es scheint denn auch ein wesentlicher Unterschied zu bestehen zwischen Personen mit verschieden langen, aber gesunden Beinen, und Personen, bei denen eines oder sogar beide Kniegelenke (belastungsabhängige) Beschwerden verursachen. 
4.3 Aufgrund des Vorstehenden erlauben die medizinischen Akten nicht den überzeugenden Schluss, ein natürlicher Kausalzusammenhang zwischen den Rückenbeschwerden und den Kniebeschwerden rechts sei allenfalls möglich, aber nicht überwiegend wahrscheinlich. Die vorinstanzliche Feststellung, in einer Gesamtbetrachtung zeige sich, dass die geklagten Rückenschmerzen nirgends als überwiegend wahrscheinliche Unfallfolge bezeichnet würden, greift schon deshalb zu kurz, weil auch Kreisarzt Dr. med. L.________ sich nicht klar in diesem Sinne äusserte. Es kommt dazu, dass die mit der Sache befassten Fachärzte nie ausdrücklich nach dem überwiegenden Kausalzusammenhang der Rückenschmerzen und auch der Schmerzen im linken Knie zu den unbestrittenermassen unfallbedingten Kniebeschwerden rechts gefragt wurden. So waren den Ärzten des Spitals Z.________ die Beweisgrade sicher, wahrscheinlich und möglich vorgegeben worden (Erw. 4.2.3). Ausser Frage steht, dass ein schmerzbedingtes Schonhinken zumindest im Sinne einer Teilursache zu einer Fehlbelastung und dadurch bedingten Rückenbeschwerden führen kann (vgl. Urteile D. vom 26. April 2006 [U 415/05], G. vom 11. Februar 2005 [U 330/04] und M. vom 7. April 2000 [U 260/99]). Eine von der SUVA zu veranlassende orthopädische und rheumatologische Begutachtung zur Klärung der Unfallkausalität der Rückenbeschwerden und auch der Beschwerden im linken Knie sowie der dadurch bedingten Arbeitsunfähigkeit ist unabdingbar. Bei diesem Ergebnis ist auf die beanstandete Höhe des Abzuges vom Tabellenlohn nach BGE 126 V 75 nicht einzugehen. 
5. 
Aufgrund der offenen Kausalitätsfrage in Bezug auf die Rückenbeschwerden und die Beschwerden im linken Knie im dargelegten Sinne erscheint auch die nochmalige Beurteilung des Integritätsschadens angezeigt. Auf die diesbezüglichen Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde braucht somit nicht eingegangen zu werden. 
6. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG in Verbindung mit Art. 135 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 22. März 2006 und der Einspracheentscheid vom 15. April 2004 aufgehoben werden und die Sache an die SUVA zurückgewiesen wird, damit sie nach Abklärungen im Sinne der Erwägungen über die Invalidenrente und die Integritätsentschädigung für die Folgen des Unfalles vom 18. September 1997 neu verfüge. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Die SUVA hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hat die Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses festzusetzen. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt. 
Luzern, 5. Januar 2007 
 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: