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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
U 188/06 
 
Urteil vom 5. Februar 2007 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Frésard, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Parteien 
M.________, 1962, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marcel Buttliger, Kasinostrasse 32, 5000 Aarau, 
 
gegen 
 
Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft, Rechtsdienst Personen, Laupenstrasse 27, 3001 Bern, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau 
vom 15. Februar 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1962 geborene M.________ war seit 1. April 1998 stellvertretende Filialleiterin in der Firma Q.________. Sie war bei der Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Allianz) obligatorisch unfallversichert. Am 13. Juli 2003 wurde M.________ auf dem Fussgängerstreifen von einem Personenwagen erfasst und stürzte zu Boden. Noch am selben Tag wurde sie zur Überwachung und Verlaufsbeobachtung ins Spital X.________ eingeliefert. Dort wurde u.a. die erlittene Rissquetschwunde am Kinn versorgt. Am nächsten Tag konnte sie nach Hause entlassen werden. Danach war sie zu 100 % arbeitsunfähig geschrieben. Wegen eines ausgeprägten Bewegungsschmerzes im Bereich der linken Schulter mit massiver Bewegungseinschränkung wurde am 20. August 2003 ein Arthro-MR der Schulter links durchgeführt. Der beratende Orthopäde der Allianz, Dr. med. G.________, nahm in seinen Berichten vom 26. September und 29. Oktober 2003 zur Frage des natürlichen Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfall vom 13. Juli 2003 und den Schulterbeschwerden links Stellung. Am 2. Dezember 2003 wurde M.________ im Spital Y.________ unter der Diagnose «SLAP-Läsion Grad III, kleine Intervallläsion» operiert. Da Physiotherapie und Ruhigstellung zu keiner dauernden Verbesserung der Schmerzsituation führten, wurden am 16. März und 9. November 2004 zwei weitere operative Eingriffe durchgeführt. Zur Abklärung ihrer (weiteren) Leistungspflicht liess die Allianz M.________ von Dr. med. N.________, Facharzt FMH für orthopädische Chirurgie, untersuchen und begutachten (Expertise vom 2. Juni 2004 und Ergänzungsbericht vom 8. September 2004). Ferner holte der Unfallversicherer bei Dr. med. G.________ ein Aktengutachten vom 6. Dezember 2004 ein. Mit Verfügung vom 16. März 2005 stellte die Allianz die Versicherungsleistungen zum 15. Oktober 2003 ein. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 4. Mai 2005 fest. 
B. 
Die Beschwerde der M.________ wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 15. Februar 2006 ab. 
C. 
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben und die Allianz sei zu verpflichten, die ihr gemäss UVG zustehenden Versicherungsleistungen seit dem 13. Juli 2003 - abzüglich der bereits geleisteten Zahlungen - zu erbringen; eventualiter sei ein ärztliches Gutachten über die Frage des natürlichen Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfallereignis vom 13. Juli 2003 und den körperlichen Beschwerden einzuholen. 
Die Allianz schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
D. 
Die Parteien haben sich in weiteren Eingaben zur Sache geäussert. Dabei hat der Rechtsvertreter von M.________ die Erstellung einer Analyse des Unfallablaufes beantragt. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205 ff., 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 395 E. 1.2). 
2. 
Streitig und zu prüfen ist die vorinstanzlich bestätigte Einstellung der Versicherungsleistungen (Heilbehandlung, Taggeld) zum 15. Oktober 2003. Dabei stellt sich in erster Linie die Frage, ob die über diesen Zeitpunkt hinaus bestehenden Schulterbeschwerden links und die darauf zurückzuführende Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit natürlich kausale Folgen des Unfalles vom 13. Juli 2003 darstellen. 
3. 
Im angefochtenen Entscheid werden der Begriff des natürlichen Kausalzusammenhangs (BGE 129 V 181 E. 3.1 mit Hinweisen) sowie die Rechtsprechung zum Beweiswert ärztlicher Berichte (BGE 125 V 352 E. 3a) zutreffend dargelegt. Ebenfalls werden die für die Beurteilung der Kausalitätsfrage wesentlichen fachärztlichen Aussagen richtig wiedergegeben. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass der Unfallversicherer die Beweislast dafür trägt, dass spätestens im Zeitpunkt der Einstellung der Leistungen (ursprünglich) unfallbedingte Ursachen des Gesundheitsschadens ihre kausale Bedeutung für die geklagten Beschwerden verloren haben (Urteil C. vom 21. Juni 2006 [U 67/06] E. 3.2 mit Hinweisen; RKUV 2000 Nr. U 363 [U 355/98] S. 46 E. 2). 
4. 
Das kantonale Gericht hat den natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall vom 13. Juli 2003 und den im Zeitpunkt der Leistungseinstellung zum 15. Oktober 2003 bestehenden Schulterbeschwerden links aufgrund des Aktengutachtens des Dr. med. G.________ verneint. Der beratende Orthopäde der Allianz kam zum Schluss, zwischen der im MRI vom 20. August 2003 nachgewiesenen Partialläsion im Supraspinatus und dem Unfall bestehe kein Zusammenhang. Zudem erscheine eine unfallbedingte Verletzung des Bizepsankers unwahrscheinlich, weil eine Kontusion stattgefunden habe und keine rasche resp. überraschende Bewegung mit Krafteinwirkung auf das Gelenk erfolgt sei. Die vom Operateur Dr. med. P.________ im Rahmen des Eingriffes vom 2. Dezember 2003 beschriebene SLAP-Läsion dritten Grades sei ebenfalls unwahrscheinlicherweise Unfallfolge und wohl eher wie im MRI vom 20. August 2003 beschrieben als Normvariante (sublabral hole) zu interpretieren. Eine Verletzung sowohl im Muskelsehnen- als auch im Limbusbereich hätte sekundäre Zeichen einer Akutverletzung, beispielsweise ein perifokales Oedem, ein älteres Hämatom oder aber Vernarbungen gezeigt. Es sei, so die Vorinstanz, davon auszugehen, dass die feststellbaren Befunde und die subjektiven Beschwerden nicht im Zusammenhang mit dem Unfallereignis stünden, sondern degenerativer Natur seien und mit den durchgeführten operativen Massnahmen zusammenhingen. Dass die Versicherte vor dem Unfall vom 13. Juli 2003 niemals in irgendeiner Weise Beschwerden an der linken Schulter gehabt habe und mehr als wahrscheinlich erscheine, dass die linke Schulter beim Aufprall ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen worden sei, vermöge an der Aussagekraft des eingehend begründeten Aktengutachtens des Dr. med. G.________ nichts zu ändern. Die Expertise des Dr. med. N.________ vom 2. Juni 2004 mit ergänzender Stellungnahme vom 8. September 2004 sei nicht geeignet, Zweifel daran anzubringen. Die Einholung eines Obergutachtens erübrige sich daher. 
Dagegen wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zur Hauptsache vorgebracht, auf das Aktengutachten des Dr. med. G.________ vom 6. Dezember 2004 könne nicht abgestellt werden. 
5. 
5.1 Dr. med. G.________ geht bei der Beurteilung der streitigen Kausalitätsfrage von der Annahme aus, die Versicherte sei am 13. Juli 2003 als Fussgängerin von der Front des am Unfall beteiligten Personenwagens erfasst, auf die Motorhaube gehoben und danach auf die Strasse geworfen worden. Sodann habe sie erstmals am 31. Juli 2003 gegenüber ihrem Hausarzt über Beschwerden an der linken Schulter geklagt. Diese zwei Annahmen erscheinen aufgrund der Akten fraglich. 
5.1.1 Gemäss dem in diesem Verfahren eingereichten Schreiben des Prof. Dr. med. O.________ vom 3. Februar 2006 an das Untersuchungsrichteramt belegen der Unfallrapport und die Fotodokumentation des Unfalldienstes, dass die Beschwerdeführerin in die rechte Seite des von links kommenden Fahrzeuges hineingelaufen war. Stützte sie sich dabei mit der linken Hand auf der Windschutzscheibe, konnte der linke Arm in Fahrtrichtung nach rechts gedrückt worden und dabei die Innen/Hinterseite des linken Oberarmes gegen die A-Säule oder die Windschutzscheibe geprallt sein. Dieser Mechanismus könnte laut Prof. O.________ erhebliche Auswirkungen auf das Schultergelenk im Sinne einer Überdehnung oder Zerrung gehabt haben. Dr. med. G.________ bezeichnet in seiner Stellungnahme vom 22. Mai 2006 die Überlegungen des forensischen Mediziners zum Unfallmechanismus als wahrscheinlich korrekt. Er verneint aber, dass der von Prof. O.________ postulierte Unfallhergang eine Verletzung bewirken konnte. Die Begründung des Dr. med. G.________ für diese Annahme scheint zwar plausibel. Es ist dem Bundesgericht indessen nicht möglich, auch deren Schlüssigkeit ohne weiteres nachvollziehend zu bejahen, dies umso weniger, als der beratende Orthopäde der Allianz eine SLAP-Läsion Grad III (Verletzung des superioren Labrums bei weitestgehend intaktem Bizepsanker) nicht ausschliesst, «wenn die Patientin (...) frontal erfasst worden wäre (...) und diese in einer Abwehrbewegung mit der linken Hand sich an der Windschutzscheibe abstützte». Es fragt sich, ob ein reflexartiges Abstützen mit der linken Hand auf dem Fahrzeug zwingend nur bei frontaler Erfassung zu diesen Verletzungen führen kann. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die am 2. Dezember 2003 im Spital Y.________ operierte SLAP-Läsion Grad III der linken Schulter im Austrittsbericht vom 4. Dezember 2003 als traumatisch bezeichnet wurde. 
5.1.2 Im Weitern ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz davon auszugehen, dass bereits kurz nach dem Unfall vom 13. Juli 2003 Schulterbeschwerden bestanden. In der Unfallmeldung UVG vom 15. Juli 2003 wurden Prellungen, Muskelbeschwerden und Schwellungen u.a. in beiden Schultern angegeben. Es trifft zwar zu, dass das Formular von der damaligen Arbeitgeberin unterzeichnet und eingereicht worden war. Es ist indessen kein Grund ersichtlich, der zur Annahme berechtigte, diese Angaben stammten nicht von der Versicherten. Es kommt dazu, dass der behandelnde Orthopäde Dr. med. P.________ in seinem Bericht vom 19. August 2003 an den Hausarzt seit einem Monat bestehende Schmerzen erwähnte. Im Übrigen hält die Vorinstanz selber fest, auch die linke Schulter sei mehr als wahrscheinlich beim Aufprall in Mitleidenschaft gezogen worden (E. 4). 
5.2 Schliesslich kann auch aufgrund der Berichte über das Arthro-MR Schulter links vom 20. August 2003 und die Operation vom 2. Dezember 2003 die streitige Kausalitätsfrage nicht abschliessend entschieden werden. Die Beurteilung im Bericht vom 21. August 2003 lautete wie folgt: «Regelrechte MR-Arthrographie des Schultergelenkes. Die Supraspinatussehne zeigt zentral feine Konturunregelmässigkeiten der Unterfläche, die hier 10 bis 20 % der Sehnenbreite betreffen, vereinbar mit einer Partialläsion. Ein signifikanter transmuraler Riss ist nicht zu erkennen. Die Muskeln zeigen keine Atrophie. Dehiszenz des Labrum am cranio-ventralen Glenoidrand vereinbar mit einem sublabral hole (Normvariante).» Bei der Operation vom 2. Dezember 2003 wurden eine SLAP-Läsion Grad III sowie eine kleine Intervallläsion festgestellt. Die Supraspinatussehneninsertion war korrekt, die Sehne selbst zeigte keine Läsion und auch die Infraspinatussehne war völlig intakt (Austrittsbericht vom 4. Dezember 2003). 
Aufgrund dieser Unterlagen ist davon auszugehen, dass die im MRI vom 20. August 2003 nachgewiesene Partialläsion im Supraspinatus beim Eingriff vom 2. Dezember 2003 nicht mehr bestand. Sodann scheint der Unfall vom 13. Juli 2003 weder zu einem Abriss des Bizepsankers geführt noch eine partielle Ablösung des Bizepsankers bewirkt zu haben. Ob die intraoperativ festgestellte SLAP-Läsion Grad III und die darauf zurückzuführenden Schulterbeschwerden links zumindest im Sinne einer Teilursache (BGE 119 V 337 E. 1) unfallbedingt sind, kann jedoch nicht beurteilt werden. Dr. med. G.________ verneinte die Frage im Gutachten vom 6. Dezember 2004. Darauf kann indessen, wie in E. 5.1-2 dargelegt, nicht ohne weiteres abgestellt werden. Ausser Diskussion steht, dass dem den Kausalzusammenhang bejahenden Gutachten des Dr. med. N.________ vom 2. Juni/ 8. September 2004 keine Beweiskraft zukommt. 
5.3 Nach dem Gesagten wird die Allianz im Sinne des Eventualbegehrens in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde bei Prof. Dr. med. H.________ vom Schulterzentrum am Spital Z.________ ein Gutachten zur Kausalitätsfrage einzuholen haben. Danach wird sie über ihre Leistungspflicht aus dem Unfall vom 13. Juli 2003 über den 15. Oktober 2003 hinaus neu verfügen. 
6. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG in Verbindung mit Art. 135 OG). Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung ist demzufolge gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 15. Februar 2006 und der Einspracheentscheid vom 4. Mai 2005 aufgehoben werden, und die Sache an die Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft zurückgeweisen wird, damit sie im Sinne von E. 5.3 verfahre. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Die Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau hat die Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses festzusetzen. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt. 
Luzern, 5. Februar 2007 
 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: