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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_231/2007 
 
Urteil vom 5. November 2007 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Lustenberger, Seiler, 
Gerichtsschreiberin Keel Baumann. 
 
Parteien 
M.________, 1969, Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Guido Brusa, Strassburgstrasse 10, 8004 Zürich, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 2. März 2007. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1969 geborene M.________ meldete sich im März 2004 zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an. Mit Verfügung vom 16. Juni 2005, bestätigt mit unangefochten in Rechtskraft erwachsenem Einspracheentscheid vom 19. Oktober 2005, verneinte die IV-Stelle des Kantons Zürich einen Leistungsanspruch. 
Im August 2006 liess die Versicherte, nunmehr anwaltlich vertreten, eine Eingabe betreffend prozessuale Revision, Wiedererwägung und Neuanmeldung bei der Verwaltung einreichen, welche sie mehrmals mit Zusendung zahlreicher Unterlagen ergänzte. 
Mit Verfügung vom 19. Dezember 2006 trat die IV-Stelle auf das von der Versicherten gestellte Gesuch um Wiedererwägung nicht ein; gleichzeitig wies sie darauf hin, dass über die Anträge betreffend prozessuale Revision und Neuanmeldung in einem separaten Verfahren entschieden werde. 
B. 
Beschwerdeweise liess M.________ beantragen, die IV-Stelle sei anzuweisen, auf das Abänderungsbegehren unter den Aspekten der prozessualen Revision und der Wiedererwägung einzutreten. Des Weitern sei die Gesetzwidrigkeit der Aktenführung festzustellen. Am 9. Februar 2007, nach Einholung einer Vernehmlassung bei der IV-Stelle, schloss das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Schriftenwechsel, worauf M.________ (am 16. Februar 2007) ein Gesuch um Wiedererwägung der entsprechenden Verfügung stellte. 
Mit Entscheid vom 2. März 2007 wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat. 
C. 
M.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, es sei der kantonale Entscheid aufzuheben und festzustellen, dass sowohl die Verwaltung als auch die Vorinstanz verpflichtet sind bzw. wären, das Wiedererwägungsgesuch vom 30. August 2006 gemeinsam bzw. gleichzeitig mit den gleichentags vorgelegten Gesuchen um prozessuale und materielle Revision zu prüfen bzw. darüber zu entscheiden bzw. es sei die Verwaltung anzuweisen, über die betreffenden Gesuche vom 30. August 2006 gemeinsam gleichzeitig zu entscheiden. Es sei die IV-Stelle zu verpflichten, die Eintretensfrage betreffend das Wiedererwägungsgesuch vom 30. August 2006 inhaltlich zu prüfen, darüber anfechtbar zu entscheiden. Eventualiter sei das Wiedererwägungsbegehren vom 30. August 2006 materiell zu prüfen. Eventualiter seien der Versicherten die gesetzlichen Leistungen zuzusprechen. 
M.________ liess ihre Beschwerdeschrift am 7. Juni 2007 ergänzen und in einer weiteren Eingabe vom 25. Juli 2007 um Durchführung eines "ausserordentlichen Schriftenwechsels" zum geltend gemachten Anspruch auf inhaltliche Prüfung des Wiedererwägungsbegehrens ersuchen. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Die Vorinstanz hat die Beschwerde abgewiesen, soweit sie darauf eingetreten ist. Wie sich den Erwägungen des angefochtenen Entscheids entnehmen lässt, hat sie das Wiedererwägungsgesuch vom 16. Februar 2007 und die von ihr als Rechtsverweigerungsbeschwerde betrachteten Anträge betreffend prozessuale Revision und Neuanmeldung abgewiesen (E. 1 und 4 des angefochtenen Entscheids), während sie auf die Anträge betreffend Aktenführung und Nichtanhandnahme des Wiedererwägungsgesuchs nicht eingetreten ist (E. 2 und 3 des angefochtenen Entscheids). Soweit die Vorinstanz nicht eingetreten ist, kann mit Beschwerde ans Bundesgericht nur das Nichteintreten gerügt werden (vgl. BGE 132 V 74 E. 1.1 S. 76). Was die Abweisung der Rechtsverweigerungsbeschwerde anbelangt, ist ein Sachentscheid angefochten und zu beurteilen. 
2. 
Streitig und zu prüfen ist vorab, wie es sich mit dem von der Beschwerdeführerin (im Wiedererwägungsgesuch vom 16. Februar 2007) geltend gemachten Anspruch auf einen zweiten Schriftenwechsel im vorinstanzlichen Verfahren verhält. 
2.1 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK den Anspruch abgeleitet, von den beim Gericht eingereichten Eingaben oder Vernehmlassungen Kenntnis zu erhalten und zu diesen Stellung zu nehmen (sog. Replikrecht; BGE 132 I 42 E. 3.3 S. 45 ff.), wobei sich diese Rechtsprechung jeweils auf die letzte nationale Instanz bezog. Die I. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat einen Anspruch auf Replik auch aus Art. 29 Abs. 2 BV abgeleitet und auf das Verfahren vor den unteren Gerichtsinstanzen ausgedehnt (BGE 133 I 98, 100). Der Anspruch ist verletzt, wenn ein Schriftenwechsel geschlossen wird, ohne dass die Parteien Gelegenheit erhielten, sich zu äussern (BGE 132 I 42 E. 3.3.2 S. 46; vgl. auch BGE 133 I 100 E. 4.7 S. 104 f.). 
Ob dieser Anspruch absolut gilt, ist jedenfalls dann fraglich, wenn die Stellungnahme der Gegenpartei sich auf einen blossen Antrag ohne materielle Äusserungen beschränkt. Denn auf gleicher Ranghöhe wie das Gebot des fairen Verfahrens steht dasjenige der Beurteilung innert angemessener Frist. Mit Rücksicht auf dieses Anliegen hat der EGMR selbst von dem in Art. 6 EMRK ausdrücklich enthaltenen Gebot einer öffentlichen Verhandlung Ausnahmen zugelassen, auch dann, wenn die Partei eine solche Verhandlung ausdrücklich verlangt hatte (vgl. die Hinweise in der in der Amtlichen Sammlung nicht publizierten E. 3.2.1 von BGE 132 V 127 [publ. in: SVR 2006 BVG Nr. 19 S. 66]). Umso mehr muss dies für den Anspruch auf Replik gelten, der in Art. 6 EMRK und Art. 29 BV nicht ausdrücklich enthalten ist und in vielen Fällen nicht ernsthaft mit dem Anliegen eines fairen Verfahrens begründet werden kann. Hinzu kommt, dass ein unbedingter Anspruch auf Replik im Ergebnis auf einen Anspruch auf einen endlosen Schriftenwechsel hinauslaufen würde, was mit dem Beschleunigungsgebot offensichtlich nicht vereinbar wäre. Wie es sich damit verhält, kann indessen aus nachstehenden Gründen offen gelassen werden. 
2.2 Nach der Rechtsprechung kann eine - nicht besonders schwerwiegende - Verletzung des rechtlichen Gehörs als geheilt gelten, wenn die betroffene Person die Möglichkeit erhält, sich vor einer Beschwerdeinstanz zu äussern, die sowohl den Sachverhalt als auch die Rechtslage frei überprüfen kann. Von einer Rückweisung der Sache ist selbst bei einer schwerwiegenden Verletzung des rechtlichen Gehörs dann abzusehen, wenn und soweit die Rückweisung zu einem formalistischen Leerlauf und damit zu unnötigen Verzögerungen führen würde, die mit dem (der Anhörung gleichgestellten) Interesse der betroffenen Partei an einer beförderlichen Beurteilung der Sache nicht zu vereinbaren wären (BGE 133 I 201 E. 2.2 S. 204 f.; 132 V 387 E. 5.1 S. 390). 
In ihrer im vorinstanzlichen Verfahren eingereichten Vernehmlassung vom 31. Januar 2007 hat die IV-Stelle mit einer kurzen rechtlichen Begründung Nichteintreten auf die Beschwerde beantragt. In Bezug auf die sich im Zusammenhang mit dem darauf erfolgten Abschluss des Schriftenwechsels (Verfügung vom 9. Februar 2007) stellenden Rechtsfragen hat das Bundesgericht freie Kognition, weshalb ein allfälliger Mangel im vorinstanzlichen Verfahren vor Bundesgericht geheilt werden kann. Die Beschwerdeführerin legt indessen auch nicht ansatzweise dar, welche entscheidrelevanten Aspekte sie in einem zweiten Schriftenwechsel vorgebracht hätte und inwiefern es ihr nicht möglich sein soll, diese Aspekte vor Bundesgericht vorzutragen. Da bei dieser Sachlage die Aufhebung des angefochtenen Entscheids einem prozessualen Leerlauf gleichkäme, ist von der Rückweisung an die Vorinstanz abzusehen. 
3. 
Die Beschwerdeführerin lässt, wie bereits im kantonalen Verfahren, geltend machen, die Aktenführung durch die IV-Stelle sei gesetzwidrig. 
3.1 Die Vorinstanz erwog, der Antrag betreffend Aktenführung beschlage Belange, die in den Zuständigkeitsbereich der Aufsichtsbehörde fielen, weshalb auf die Beschwerde insoweit nicht eingetreten werden könne. Die Beschwerdeführerin begründet nicht, inwiefern diese Auffassung unzutreffend sein soll. Sie bringt bloss vor, gemäss Art. 46 ATSG müssten Akten geführt werden, was sich aus dem Gebot des fairen Verfahrens ergebe. 
3.2 Gemäss Art. 46 ATSG sind für jedes Sozialversicherungsverfahren alle Unterlagen, die massgeblich sein können, vom Versicherungsträger systematisch zu erfassen. Dabei stellt das Gesetz keine konkreten Anforderungen an die Art und Weise, wie die Akten zu führen, paginieren, indexieren etc. sind. Die Aktenführungspflicht der Verwaltung stellt das Gegenstück zum - Bestandteil des rechtlichen Gehörs bildenden - Akteneinsichtsrecht des Versicherten dar (BGE 124 V 372 E. 3b S. 375 f., 389 E. 3a S. 390), indem die Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts durch den Versicherten eine Aktenführungspflicht der Verwaltung voraussetzt (BGE 130 II 473 E. 4.1 S. 477). 
3.3 Das dem Bundesgericht vorliegende Aktendossier der IV-Stelle ist systematisch geordnet. Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, inwiefern es unvollständig sein soll. Es ist denn auch nicht ersichtlich, inwiefern durch die Art der Aktenführung das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin verletzt worden sein könnte. Unter diesen Umständen ist der Auffassung der Vorinstanz, es handle sich bei der entsprechenden Rüge um eine allenfalls aufsichtsrechtlich zu prüfende Frage, beizupflichten. Die Vorinstanz ist auf das Rechtsbegehren insoweit zu Recht nicht eingetreten. 
4. 
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin lässt sich sodann auch nicht beanstanden, dass die IV-Stelle auf das Wiedererwägungsgesuch nicht eingetreten und die Vorinstanz mit der hiegegen erhobenen Beschwerde im selben Sinne verfahren ist. 
Gemäss Art. 53 Abs. 2 ATSG kann ein Versicherungsträger auf formell rechtskräftige Verfügungen oder Einspracheentscheide zurückkommen, wenn diese zweifellos unrichtig sind und wenn ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist. Diese Bestimmung wurde in Anlehnung an die bis zum Inkrafttreten des ATSG von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien (BGE 127 V 466 E. 2c S. 469 mit Hinweisen) erlassen. Dabei wird in Übereinstimmung mit Lehre und Rechtsprechung das Zurückkommen auf formell rechtskräftige Verfügungen oder Einspracheentscheide beim Fehlen eigentlicher Revisionsgründe weiterhin in das Ermessen des Versicherungsträgers gestellt. Die bisherige Rechtsprechung, wonach kein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Wiedererwägung besteht, gilt nach wie vor. Auf eine Beschwerde gegen ein Nichteintreten auf ein Wiedererwägungsgesuch oder allenfalls gegen einen das Nichteintreten bestätigenden Einspracheentscheid der Verwaltung kann das Gericht demzufolge auch unter dem Geltungsbereich des ATSG nicht eintreten (zum Ganzen: BGE 133 V 50 E. 4.1 S. 53 und E. 4.2.1 S. 54 f.). 
Mit diesen Grundsätzen stehen die Nichteintretensverfügung der IV-Stelle vom 19. Dezember 2006 und das teilweise Nichteintreten der Vorinstanz vom 2. März 2007 im Einklang. Soweit die Beschwerdeführerin aus dem nachgereichten Auszug aus einem Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich etwas anderes abzuleiten versucht, übersieht sie, dass die von ihr zitierte Rechtsprechung die (hier nicht vorliegende) Konstellation betrifft, dass die Verwaltung wiedererwägungsweise auf einen Einspracheentscheid zurückkommt (vgl. zur gerichtlichen Prüfung in diesem Fall: BGE 117 V 8 E. 2a S. 12 f. mit Hinweis). Auch in diesem Punkt ist der kantonale Entscheid somit nicht zu beanstanden. Ebenso wenig besteht Anlass für die von der Beschwerdeführerin beantragte Durchführung eines "ausserordentlichen Schriftenwechsels", findet doch ein weiterer Schriftenwechsel gemäss Art. 102 Abs. 3 BGG nur ausnahmsweise statt und wurde angesichts der offensichtlichen Unbegründetheit der Beschwerde selbst auf die Durchführung eines einfachen Schriftenwechsels verzichtet (vgl. dazu E. 6). Die Argumente, welche die Beschwerdeführerin in einem zweiten Schriftenwechsel vorbringen könnte, hätten ohne weiteres bereits in der Beschwerde vorgebracht werden können. 
5. 
Einer Grundlage entbehrt schliesslich auch die Auffassung der Beschwerdeführerin, das Begehren um prozessuale Revision oder Neuanmeldung dürfe - entgegen dem Vorgehen der IV-Stelle - nicht vom Wiedererwägungsverfahren getrennt werden. Denn mit Blick darauf, dass Wiedererwägung, prozessuale Revision und Neuanmeldung zwar ein ähnliches Ziel verfolgen, aber unterschiedliche Rechtsinstitute darstellen und an verschiedene Voraussetzungen geknüpft sind, ist nicht ersichtlich, weshalb darüber nicht in separaten Entscheiden befunden werden dürfte. Dass das kantonale Gericht im Vorgehen der IV-Stelle keine Rechtsverweigerung erblickt hat, ist nicht zu beanstanden. 
6. 
Die Beschwerde ist trotz ihres grossen Umfangs und der Vielzahl der erhobenen Rügen offensichtlich unbegründet, weshalb sie im Verfahren nach Art. 109 BGG, insbesondere ohne Durchführung eines Schriftenwechsels, erledigt wird. 
7. 
Als unterliegende Partei hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt. 
Luzern, 5. November 2007 
 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
 
Meyer Keel Baumann