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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_579/2011 
 
Urteil vom 5. Dezember 2011 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Leuzinger, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin Niquille, Bundesrichter Maillard, 
Gerichtsschreiberin Polla. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Rechtsabteilung, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
M.________, 
vertreten durch Advokat Dieter Gysin, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid 
des Kantonsgerichts Basel-Landschaft 
vom 5. Mai 2011. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der 1976 geborene M.________ war als Angestellter der Firma E.______ bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Unfällen versichert, als am 5. April 2007 ein Lenker eines Personenwagens den herannahenden, vortrittsberechtigten Personenwagen des Versicherten übersah, worauf es zur seitlich frontalen Kollision kam. Die Ärzte am Spital B.________ diagnostizierten am Unfalltag eine Commotio cerebri und multiple Kontusionen; nach einer unauffälligen Commotioüberwachung konnte M._____ das Spital anderntags wieder verlassen. Die SUVA erbrachte die gesetzlichen Leistungen, stellte diese aber mit Verfügung vom 26. Februar 2010 und Einspracheentscheid vom 21. Juli 2010 per 28. Februar 2010 ein, da die über dieses Datum hinaus anhaltend geklagten Beschwerden nicht kausal durch das Ereignis verursacht worden seien. 
 
B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde hiess das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Entscheid vom 5. Mai 2011 gut und verpflichtete die SUVA, für das Unfallereignis vom 5. April 2007 weiterhin die gesetzlichen Leistungen zu erbringen. 
 
C. 
Die SUVA führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und der Einspracheentscheid vom 21. Juli 2010 zu bestätigen. 
M.________ lässt Abweisung der Beschwerde und die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege beantragen. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es prüft grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). 
 
2. 
Die Zusprechung von Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung setzt grundsätzlich das Vorliegen eines Berufsunfalles, eines Nichtberufsunfalles oder einer Berufskrankheit voraus (Art. 6 Abs. 1 UVG). Der Unfallversicherer haftet jedoch für einen Gesundheitsschaden nur insoweit, als dieser nicht nur in einem natürlichen, sondern auch in einem adäquaten Kausalzusammenhang zum versicherten Ereignis steht (BGE 129 V 177 E. 3 S. 181). Dabei spielt die Adäquanz als rechtliche Eingrenzung der sich aus dem natürlichen Kausalzusammenhang ergebenden Haftung des Unfallversicherers im Bereich organisch objektiv ausgewiesener Unfallfolgen praktisch keine Rolle, da sich hier die adäquate weitgehend mit der natürlichen Kausalität deckt (BGE 134 V 109 E. 2 S. 111 f.; 127 V 102 E. 5b/bb S. 103). Sind die geklagten Beschwerden natürlich unfallkausal, nicht aber objektiv ausgewiesen, so ist bei der Beurteilung der Adäquanz vom augenfälligen Geschehensablauf auszugehen, und es sind gegebenenfalls weitere unfallbezogene Kriterien einzubeziehen (BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 111 f.). Hat die versicherte Person einen Unfall erlitten, welcher die Anwendung der Schleudertrauma-Rechtsprechung rechtfertigt, so sind hierbei die durch BGE 134 V 109 E. 10 S. 126 ff. präzisierten Kriterien massgebend. Ist diese Rechtsprechung nicht anwendbar, so sind grundsätzlich die Adäquanzkriterien, welche für psychische Fehlentwicklungen nach einem Unfall entwickelt wurden (BGE 115 V 133 E. 6c/aa S. 140), anzuwenden (BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 111 f.). 
 
3. 
3.1 Streitig ist die Leistungspflicht der SUVA ab 1. März 2010. Unbestritten ist, dass der Versicherte an den typischen Symptomen eines HWS-Schleudertraumas leidet, das mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 5. April 2007 zurückzuführen ist. Es steht ebenso ausser Frage, dass das Krankheitsbild medizinisch nicht objektiviert werden kann, wie die Vorinstanz unter Hinweis auf die Rechtsprechung und mit zutreffender Würdigung der medizinischen Unterlagen weiter festgestellt hat, weshalb eine besondere Adäquanzprüfung notwendig ist. 
 
3.2 Ausgehend vom augenfälligen Geschehensablauf mit den sich dabei entwickelnden Kräften (zur diesbezüglich ausschliesslichen Relevanz bei der Prüfung der Unfallschwere: Urteile U 2/07 vom 19. November 2007 E. 5.3.1, in: SVR 2008 UV Nr. 8 S. 26, und [des Eidg. Versicherungsgerichts] U 503/05 vom 17. August 2006 E. 2.2, 3.1 und 3.2, in: SZS 2008 S. 183), namentlich in Berücksichtigung des objektiv erfassbaren Unfallhergangs (Urteile [des Eidg. Versicherungsgerichts] U 343/04 vom 10. August 2005 E. 2.2.2 und U 290/02 vom 7. August 2003 E. 4.2-4.4.3, je mit Hinweisen), ist der Verkehrsunfall vom 5. April 2007 innerhalb der Kategorisierung, wie sie gemäss BGE 115 V 133 E. 6 S. 138 ff. zu erfolgen hat, mit der Vorinstanz als mittelschweres Ereignis im mittleren Bereich zu qualifizieren (vgl. zur Kasuistik insbesondere die Urteile 8C_786/2009 vom 4. Januar 2010 E. 4.6.2 und 8C_957/2008 vom 1. Mai 2009 E. 4.3.1, je mit diversen Hinweisen und 8C_964/2009 vom 19. Februar 2010 E. 5.2 und 5.2.1). Für die Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhangs sind demnach mindestens drei nicht ausgeprägt erfüllte Kriterien erforderlich (Urteil 8C_897/2009 vom 29. Januar 2010 E. 4.5), sofern nicht (mindestens) eines der relevanten Adäquanzkriterien in besonders ausgeprägter bzw. auffallender Weise gegeben ist (SVR 2010 UV Nr. 25 S. 102, 8C_897/2009 E. 4.5 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 134 V 109 E. 10.1 S. 126 f. mit Hinweis). 
 
3.3 Das kantonale Gericht betrachtete die Kriterien der besonderen Eindrücklichkeit, der erheblichen Beschwerden sowie der erheblichen Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener Anstrengungen als in einfacher Weise erfüllt, weshalb es den adäquaten Kausalzusammenhang bejahte. 
 
3.4 Die Beschwerde der SUVA wendet sich gegen die Bejahung der besonderen Eindrücklichkeit, da weder das "unvorbereitete Anfahren und Kreuzen des vortrittsberechtigten Wegs im Sinne eines objektiven, nachvollziehbaren Schreckmoments", noch der Umstand, dass der Versicherte mit einer eigenen Geschwindigkeit von 70 bis 80 km/h gefahren sei und sich das Fahrzeug des Unfallverursachers überschlagen habe, noch die Annahme der Vorinstanz, der Versicherte habe sich aufgrund eines Verdachts auf schwere Rückenverletzungen in einer objektiv nachvollziehbaren Bedrohungslage befunden, zur Bejahung dieses Kriteriums führen könne. 
 
3.5 Zu urteilen ist hiebei objektiv und nicht aufgrund des subjektiven Empfindens bzw. Angstgefühls des Versicherten (Urteil 8C_249/2009 vom 3. August 2009 E. 8.2 mit Hinweisen), wie das kantonale Gericht bereits festhielt. Dem Verkehrsunfall vom 5. April 2007 ist zwar eine gewisse Eindrücklichkeit nicht abzusprechen (Frontalkollision bei seitens des Beschwerdegegeners ca. 70 km/h Geschwindigkeit). Der Unfall spielte sich aber weder unter besonders dramatischen Begleitumständen ab, noch war er besonders eindrücklich. Beide Unfallbeteiligten konnten das Fahrzeug selbstständig verlassen (vgl. Urteil 8C_963/2009 vom 11. März 2010 E. 5.1) und wurden bereits ärztlich versorgt, als die Polizei eintraf. Bei diesem Kriterium wird sodann nur das Unfallgeschehen an sich und nicht die dabei erlittene Verletzung betrachtet (SVR 2008 UV Nr. 8 S. 26, E. 5.3.1, U 2/07; Urteile 8C_277/2010 vom 24. September 2010 E. 9 und 8C_9/2010 vom 11. Juni 2010 E. 3.7.1), wobei sich aus dem Bericht des Spitals B.______ vom 6. April 2007 auch nicht ergibt, dass der Versicherte mit Verdacht auf schwere Rückenverletzungen eingeliefert worden wäre, wovon die Vorinstanz ausging; die Überführung vom Spital R._______ an das Spital B.________ erfolgte zur weiteren Abklärung mittels CT, da - wie dem Bericht des Spitals R.________ vom 5. April 2007 entnommen werden kann - der Verdacht auf eine schwere commotio cerebri und contusio cerebri bestand, welcher mit der Diagnose einer commotio cerebri (QFT-Klassifikation Typ II) nicht bestätigt wurde (Bericht des Spitals B.________ vom 21. Mai 2007). Der Schrecken, den der Versicherte erlitten hat, hielt sich im Rahmen des bei Unfällen Üblichen, und es waren keine relevanten Begleitumstände zu verzeichnen, welche die Bejahung des Kriteriums gestatten würden. 
 
In jüngerer Zeit bejahte das Bundesgericht dieses Kriterium etwa bei einer Massenkarambolage auf einer Autobahn (Urteil 8C_623/2007 vom 22. August 2008 E. 8.1; vgl. auch Urteil 8C_633/2007 vom 7. Mai 2008 E. 6.3), bei einem Zusammenstoss zwischen einem Personenwagen und einem Lastwagen in einem Autobahntunnel mit mehreren sich anschliessenden Kollisionen mit der Tunnelwand (Urteil 8C_257/2008 vom 4. September 2008 E. 3.3.3), bei einem Zusammenprall zwischen einem Sattelschlepper und einem Personenwagen, wobei der Fahrer des Sattelschleppers die Kollision zunächst nicht bemerkte und den Personenwagen der versicherten Person noch auf einer längeren Distanz vor sich herschob, und die Insassen des Personenwagens verzweifelt versuchten, den Unfallverursacher auf sie aufmerksam zu machen (Urteil 8C_508/2008 vom 22. Oktober 2008 E. 5.3), bei einem Unfall mit hoher Geschwindigkeit auf einer Autobahn, bei dem das Fahrzeug des Versicherten bei starkem Verkehr mehrmals über die Fahrbahn geschleudert wurde und sich dabei wiederholt überschlug (Urteil 8C_799/2008 vom 11. Februar 2009 E. 3.2.3) oder bei einem in der 29. Woche schwangeren Unfallopfer (Urteil 8C_590/2008 vom 3. Dezember 2008 E. 5.3), bei einem Skifahrer, welcher kopfüber mit einem Baum kollidierte (Urteil 8C_42/2009 vom 1. Oktober 2009 E. 5.3), oder bei einem Unfall, bei dem der beteiligte Motorradfahrer am Unfallort verstarb und der Motorraum des Autos des Versicherten in Brand geriet (Urteil 8C_692/2010 vom 10. November 2010 E. 5.1). Solche oder auch nur bloss ähnliche Umstände lagen beim Ereignis vom 5. April 2007 nicht vor, so dass das Kriterium zu verneinen ist. 
 
3.6 Das kantonale Gericht stellte fest, dass die Merkmale der Schwere oder besonderen Art der erlittenen Verletzungen, der ärztlichen Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich verschlimmert sowie des schwierigen Heilverlaufs und erheblichen Komplikationen nicht vorliegen. Das ist unbestritten und gibt zu keinen Bemerkungen Anlass. Das Kriterium der fortgesetzt spezifischen, belastenden ärztlichen Behandlung hat es offen gelassen. Aus den Akten ergeben sich keine Anhaltspunkte, welche für die Bejahung dieses Kriteriums sprächen. Es wird auch nichts Entsprechendes geltend gemacht. Von den sieben adäquanzrelevanten Kriterien sind somit höchstens zwei ausgewiesen, was bei der gegebenen Unfallschwere praxisgemäss nicht ausreicht, den adäquaten Kausalzusammenhang zu bejahen (vgl. Urteil 8C_209/2008 vom 2. Dezember 2008 E. 5.8). Dafür müsste vielmehr mindestens ein Kriterium in besonders ausgeprägter Weise erfüllt sein, was nicht zutrifft und auch seitens des Beschwerdegegners nicht eingewendet wird. Es kann somit offen bleiben, ob die Kriterien der erheblichen Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener Anstrengungen und der erheblichen Beschwerden überhaupt in der einfachen Form gegeben sind. Die Leistungseinstellung der Beschwerdeführerin auf den 28. Februar 2010 ist demnach rechtens. 
 
4. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdegegner auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen Rechtsvertretung) kann entsprochen werden, da die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 125 V 201 E. 4a S. 202). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu in der Lage ist. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, vom 5. Mai 2011 aufgehoben. 
 
2. 
Dem Beschwerdegegner wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt. 
 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt, indes vorläufig auf die Gerichtskasse genommen. 
 
4. 
Rechtsanwalt Dieter Gysin wird als unentgeltlicher Anwalt des Beschwerdegegners bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 738.45 ausgerichtet. 
 
5. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Entschädigungsfolgen des vorangegangenen Verfahrens an das Kantonsgericht Basel-Landschaft zurückgewiesen. 
 
6. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 5. Dezember 2011 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Leuzinger 
 
Die Gerichtsschreiberin: Polla