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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
9C_822/2013  
   
   
 
 
 
Urteil vom 6. Mai 2014  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kernen, Präsident, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
BVG-Sammelstiftung Swiss Life  
Vorsorgewerk der Sola Switzerland AG, 
General-Guisan-Quai 40, 8002 Zürich, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
M.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Rainer Deecke, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Berufliche Vorsorge (Vorsorgereglement; Auslegung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid 
des Kantonsgerichts Luzern 
vom 24. September 2013. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
M.________ war vom xxx bis yyy 2008 bei der Firma X.________ AG angestellt. Im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses war er über das Vorsorgewerk der Unternehmung bei der BVG-Sammelstiftung Swiss Life berufsvorsorgeversichert. Am zzz 2008 erlitt M.________ einen Heckauffahrunfall. Die obligatorische Unfallversicherung erbrachte bis 15. September 2009 Leistungen (Heilbehandlung, Taggeld). Die IV-Stelle Zug sprach ihm mit Verfügungen vom 13. September und 6. Oktober 2011 rückwirkend ab 1. März 2010 aufgrund einer Erwerbsunfähigkeit von 100 % eine ganze Rente der Invalidenversicherung zu. Nachdem die BVG-Sammelstiftung Swiss Life Rentenleistungen im Umfang des Obligatoriums erbracht hatte, womit sich M.________ nicht einverstanden erklärte, stellte sie diese mit Schreiben vom 23. Mai 2012 per sofort ein. 
 
B.   
In Gutheissung der Klage des M.________ verpflichtete das Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, mit Entscheid vom 24. September 2013 die BVG-Sammelstiftung Swiss Life, ab 1. März 2012 eine ganze Invalidenrente, zuzüglich Zins zu 5 % seit 1. Juni 2012 bzw. jeweiliger Fälligkeit des Rentenbetreffnisses, bei einem IV-Grad von 100 % auszurichten (Dispositiv-Ziffer 1). Weiter verpflichtete es den Kläger, das auf einem Freizügigkeitskonto liegende Freizügigkeitsguthaben an die Beklagte zurück zu übertragen (Dispositiv-Ziffer 2). 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die BVG-Sammelstiftung Swiss Life, der Entscheid vom 24. September 2013 sei aufzuheben und die Klage abzuweisen, eventualiter die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Das Kantonsgericht und auch M.________ ersuchen um Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat sich nicht vernehmen lassen. 
 
D.   
Mit Verfügung vom 6. Januar 2014 ist der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die von Amtes wegen zu prüfenden Sachurteilsvoraussetzungen   (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 139 III 133 E. 1 S. 133; 139 V 42 E. 1       S. 44) sind erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist somit einzutreten. 
 
2.   
Unter den Verfahrensbeteiligten ist unbestritten, dass der Beschwerdegegner keinen Anspruch auf Invalidenleistungen der obligatorischen beruflichen Vorsorge nach Art. 23 ff. BVG hat. Wie die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich, im Übrigen unwidersprochen festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG), war das invalidisierende, erstmals im März 2009 ärztlich und im Dezember 2009 fachärztlich diagnostizierte psychische Leiden während der Dauer des Vorsorgeverhältnisses nicht erkennbar in Erscheinung getreten. Es fehle daher, so das kantonale Berufsvorsorgegericht weiter, am engen sachlichen Zusammenhang zwischen der ausschliesslich somatisch bedingt eingeschränkten Arbeitsunfähigkeit als Folge des Unfalles vom 4. Juli 2008 und der später eingetretenen Invalidität (BGE 134 V 20 E. 3.2 S. 22; Urteil 9C_484/2012 vom 26. März 2013 E. 4.4 mit Hinweisen). 
Die Meinungen gehen darüber auseinander, ob der Beschwerdegegner gestützt auf Art. 26 Abs. 2 des Reglements der Beschwerdeführerin (in der seit 1. Januar 2005 gültigen Fassung) Anspruch auf Invaliditätsleistungen hat. Die Vorinstanz hat die Frage bejaht, was nach Auffassung der am Recht stehenden Vorsorgeeinrichtung Art. 18 Abs. 1 OR verletzt. 
 
3.   
Art. 26 des Reglements der Beschwerdeführerin bestimmt unter der Überschrift "Nachdeckung/Nachhaftung" Folgendes: 
 
" (1) 
Die im Zeitpunkt der Auflösung des Vorsorgeverhältnisses versicherten Leistungen bei Tod oder Invalidität bleiben bis zum Beginn eines neuen Vorsorgeverhältnisses, längstens jedoch während eines Monats, unverändert versichert (Nachdeckung). 
(2) 
Ist eine versicherte Person im Zeitpunkt der Auflösung des Vorsorgeverhältnisses bzw. bei Ablauf der Nachdeckungsfrist nicht voll arbeitsfähig und wird in der Folge innerhalb von 360 Tagen im Sinne von Art. 5 invalid erklärt, so besteht Anspruch auf Invaliditätsleistungen nach diesem Reglement. Erhöht sich der Invaliditätsgrad aus gleicher Ursache innert weiterer 90 Tage, oder erhöht sich der Invaliditätsgrad einer bei Auflösung des Vorsorgeverhältnisses bzw. bei Ablauf der Nachdeckungsfrist invaliden Person aus gleicher Ursache innert 90 Tagen, so werden auch für die Erhöhung die Invaliditätsleistungen nach diesem Reglement erbracht. 
Tritt die Invalidität oder die Erhöhung des Invaliditätsgrades nicht innerhalb der genannten Fristen ein, so richtet sich ein allfälliger Anspruch auf Invaliditätsleistungen oder höhere Invaliditätsleistungen ausschliesslich nach den Bestimmungen des BVG. Es werden höchstens die Mindestleistungen gemäss BVG erbracht." 
Art. 5 Abs. 1 des Reglements umschreibt Invalidität (Erwerbsunfähigkeit) wie folgt: 
 
"Invalidität liegt vor, wenn die versicherte Person im Sinne der IV invalid ist oder durch ärztlichen Befund objektiv nachweisbar ganz oder teilweise ihren Beruf oder eine andere ihrer sozialen Stellung, ihren Kenntnissen und Fähigkeiten angemessene Erwerbstätigkeit nicht mehr ausüben kann." 
 
4.  
 
4.1. Gemäss Art. 18 Abs. 1 OR bestimmt sich der Inhalt des Vertrags nach dem übereinstimmenden wirklichen Willen der Parteien. Die empirische oder subjektive hat gegenüber der normativen oder objektivierten Vertragsauslegung den Vorrang. Nur wenn der übereinstimmende wirkliche Wille der Parteien unbewiesen bleibt, ist deren mutmasslicher Wille zu ermitteln, indem ihre Erklärungen aufgrund des Vertrauensprinzips so auszulegen sind, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durften und mussten (zum Ganzen BGE 138 III 659 E. 4.2.1 S. 666 f. mit Hinweisen; Urteil 2C_941/2012 vom 9. November 2013 E. 3.3). Diese Grundsätze gelten auch für Statuten und Reglemente privater Vorsorgeeinrichtungen (BGE 134 V 369 E. 6.2 S. 375 mit Hinweisen). Da in Bezug auf Art. 26 des Reglements der Beschwerdeführerin kein übereinstimmender wirklicher Parteiwille festzustellen ist, muss somit nach dem objektiven Sinn des Erklärungsverhaltens der Parteien gefragt werden. Dabei sind unklare, mehrdeutige oder ungewöhnliche Wendungen im Zweifel zu Lasten der Vorsorgeeinrichtung auszulegen (Urteile 9C_88/2011 vom 15. Februar 2012 E. 4.2, 9C_1024/2010 vom 2. September 2011 E. 4.1 in: SVR 2012 BVG Nr. 3 S. 11, und 9C_177/2010 vom 25. Mai 2010 E. 2.2.1, in: SVR 2011 BVG Nr. 1 S. 1).  
Das Bundesgericht überprüft diese objektivierte Auslegung von Willenserklärungen als Rechtsfrage, wobei es an Feststellungen des kantonalen Berufsvorsorgegerichts über die äusseren Umstände sowie das Wissen und Wollen der Beteiligten grundsätzlich gebunden ist (Art. 105 Abs. 1 BGG; BGE 133 III 61 E. 2.2.1 S. 67 mit Hinweisen; Urteil 4A_235/2012 vom 26. Oktober 2012 E. 2.2; Urteil 9C_430/2012 vom 6. Dezember 2012 E. 3). 
 
4.2. Die Vorinstanz hat Art. 26 Abs. 2 des Reglements nicht explizit ausgelegt. Sie hat erwogen, aufgrund der medizinischen Akten sei das psychische Leiden, das bereits ab März 2009 aktenkundig geworden sei und ab Dezember 2009 zu einer 100%igen Arbeitsunfähigkeit (und schliesslich zur Zusprechung einer ganzen Rente der Invalidenversicherung ab 1. März 2010) geführt habe, auf den Unfall vom zzz zurückzuführen. Damit habe sich der invalidisierende Gesundheitsschaden bei noch bestehender (überobligatorischer) Versicherungsdeckung manifestiert, weshalb der sachliche Zusammenhang ohne Weiterungen zu bejahen sei.  
 
4.3. Den vorinstanzlichen Erwägungen zufolge soll unter bestimmten Voraussetzungen nach Ablauf der einmonatigen Nachdeckungsfrist gemäss Art. 26 Abs. 1 des Reglements während weiteren 360 Tagen überobligatorischer Versicherungsschutz für das Risiko Invalidität bestehen. Ein solches Verständnis lässt jedoch Art. 26 Abs. 2 zweiter Abschnitt des Reglements ausser Acht. Danach richtet sich ein allfälliger Anspruch auf Invaliditätsleistungen oder höhere Invaliditätsleistungen bei Eintritt der Invalidität oder Erhöhung des Invaliditätsgrades nicht innerhalb der (in Abschnitt 1) genannten Fristen ausschliesslich nach den Bestimmungen des BVG. Mit der Bindung an Fristen unterstellt das Reglement - auch für einen durchschnittlichen Adressaten klar ersichtlich - den Anspruch auf Invaliditätsleistungen aus reglementarischer Nachdeckung/Nachhaftung im Vergleich zum Obligatorium (Art. 23 BVG) nicht anderen, sondern zusätzlichen Voraussetzungen in zeitlicher Hinsicht. Dies entspricht auch dem Wesen der erweiterten beruflichen Vorsorge (Art. 49 BVG), weil sie betraglich höhere Leistungen als das BVG-Obligatorium gewährt.  
 
4.4. Aus dem Vorstehenden folgt, dass auch der Anspruch auf Invaliditätsleistungen nach Art. 26 Abs. 2 erster Abschnitt des Reglements voraussetzt, dass zwischen der während der Dauer des Vorsorgeverhältnisses eingetretenen Arbeitsunfähigkeit und der Invalidität ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 23 lit. a BVG bestehen muss (vgl. dazu statt vieler BGE 134 V 20). Den sachlichen Konnex hat die Vorinstanz indessen verneint (vorne E. 2). Was der Beschwerdegegner dagegen vorbringt, ist nicht geeignet, die diesbezüglichen Erwägungen im angefochtenen Entscheid als bundesrechtswidrig darzutun. Es ist somit ohne Bedeutung, dass (auch) das psychische Leiden, welches ab Dezember 2009 die Arbeitsfähigkeit zu 100 % einschränkte und schliesslich zur Zusprechung einer ganzen Rente der Invalidenversicherung ab 1. März 2010 führte, auf den Unfall vom zzz zurückzuführen ist, in welchem Zeitpunkt Versicherungsdeckung bestand.  
Die Beschwerde ist begründet. 
 
5.   
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdegegner die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die obsiegende Beschwerdeführerin hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG; Urteil 9C_767/2012 vom 22. Mai 2013 E. 4, in: SVR 2013 BVG Nr. 46 S. 197). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts Luzern, 3. Abteilung, vom 24. September 2013 wird aufgehoben und die Klage des Beschwerdegegners abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 6. Mai 2014 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kernen 
 
Der Gerichtsschreiber: Fessler