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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 609/02 
 
Urteil vom 6. Juni 2003 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber Ackermann 
 
Parteien 
T.________, 1963, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr. Marco Biaggi, Picassoplatz 8, 4010 Basel, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel 
 
(Entscheid vom 10. Juni 2002) 
 
Sachverhalt: 
A. 
T.________, geboren 1963, arbeitete als saisonweise angestellter Hilfsarbeiter für das Malergeschäft X.________, als er sich im Juli 1990 das Knie verletzte, was diverse Operationen notwendig machte und zu insgesamt drei Rückfällen führte. Der Unfallversicherer erbrachte jeweils die gesetzlichen Leistungen und sprach T.________ mit Verfügung vom 1. Dezember 2000 mit Wirkung ab dem 1. November 2000 eine Invalidenrente der Unfallversicherung in Höhe von 25 % sowie eine Integritätsentschädigung für eine Integritätseinbusse von 15 % zu. Dagegen wurde - soweit ersichtlich - kein Rechtsmittel ergriffen. 
 
T.________ meldete sich am 9. Oktober 1998 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an, worauf die IV-Stelle Basel-Stadt die Akten des Unfallversicherers beizog sowie je einen Bericht der Orthopädisch-Traumatologischen Abteilung des Spitals Y.________ vom 15. Oktober 1998, des Hausarztes Dr. med. K.________, FMH Allgemeine Medizin, vom 8. November 1998 und des letzten Arbeitgebers von Februar 1999 einholte. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren lehnte die IV-Stelle mit Verfügung vom 31. Juli 2001 den Anspruch auf Arbeitsvermittlung infolge Vorliegens invaliditätsfremder Faktoren ab. Mit Verfügung vom 11. Oktober 2001 sprach sie T.________ für die Zeit vom 1. August 1998 bis zum 31. Oktober 2000 eine ganze Rente der Invalidenversicherung zu; ab 1. November 2000 sei ihm jedoch eine leidensangepasste Tätigkeit zumutbar, sodass ein nicht rentenbegründender Invaliditätsgrad von 25 % (entsprechend demjenigen in der Unfallversicherung) resultiere. 
B. 
Die - nur gegen die rentenablehnende Verfügung von Oktober 2001 erhobene - Beschwerde des T.________ wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 10. Juni 2002 ab. 
C. 
T.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und unter teilweiser Aufhebung der Verwaltungsverfügung sei die Sache zu neuer Verfügung an die IV-Stelle zurückzuweisen; ferner lässt er die Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung beantragen. 
Die IV-Stelle schliesst sinngemäss auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Invalidenversicherungsbereich geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 11. Oktober 2001) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar. 
2. 
Die Vorinstanz hat den Invaliditätsbegriff (Art. 4 IVG), die Bestimmungen über die Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG) sowie die Invaliditätsbemessung bei Erwerbstätigen anhand des Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG) zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt für die Erwägungen zur Einheitlichkeit des Invaliditätsbegriffs in der Invaliden- und obligatorischen Unfallversicherung (BGE 126 V 291 Erw. 2a mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen. 
3. 
Streitig ist der Invaliditätsgrad und in diesem Zusammenhang insbesondere die Frage nach der Zumutbarkeit einer leidensangepassten Tätigkeit und der Berücksichtigung des beim Versicherten vorliegenden Analphabetismus. Nicht Streitgegenstand ist dagegen die Verneinung beruflicher Eingliederungsmassnahmen: Die diesbezügliche Verfügung der IV-Stelle vom 31. Juli 2001 ist mangels Anfechtung in Rechtskraft erwachsen, woran nichts ändert, dass die IV-Stelle die beruflichen Massnahmen in der Verfügung von Oktober 2001 nochmals erwähnt hat. 
3.1 Die Vorinstanz geht davon aus, dass der Unfallversicherer bei der Bemessung des Einkommens nach Eintritt der Invalidität (Invalideneinkommen) den Analphabetismus zu Recht nicht berücksichtigt habe, sodass für die Invalidenversicherung kein Grund bestehe, vom in der Unfallversicherung auf 25 % festgesetzten - und für die Invalidenversicherung grundsätzlich verbindlichen - Invaliditätsgrad abzuweichen. Der Versicherte ist demgegenüber der Auffassung, die Invaliditätsbemessung des Unfallversicherers habe für die Invalidenversicherung keine Bindungswirkung, weil der Analphabetismus dort nicht berücksichtigt worden sei; im Weiteren habe die IV-Stelle verfügungsweise die Zusprechung beruflicher Massnahmen verneint, was bedeute, dass gar keine zumutbare Tätigkeit im Sinne des Art. 28 Abs. 2 IVG vorliege und deshalb auch nicht berücksichtigt werden könne. Der Rentenanspruch entstehe letztlich, weil der wegen des Analphabetismus schon bei Gesundheit nur beschränkt offen stehende Arbeitsmarkt durch den eingetretenen Gesundheitsschaden nun derart eingeengt worden sei, dass die Restarbeitsfähigkeit nicht mehr verwertet werden könne. 
3.2 Die Invalidenversicherung versichert die erwerblichen Auswirkungen eingetretener Gesundheitsschäden (vgl. Art. 4 Abs. 1 IVG), nicht aber die erwerblichen Auswirkungen fehlender Schulbildung; insofern liegt ein kausales Element in der an sich finalen Invalidenversicherung vor (vgl. dazu BGE 124 V 178 Erw. 3b mit Hinweisen). Vorliegend wirkt sich der Gesundheitsschaden auf die Erwerbsfähigkeit aus, da dem Versicherten aus medizinischen Gründen nicht mehr alle, sondern nur noch dem Knieleiden angepasste Tätigkeiten möglich sind. Als weitere Ursachen der Einschränkung der Erwerbsfähigkeit bestehen aber auch die sprachlichen Defizite sowie - in weit geringerem Umfang - die fehlende Schulbildung (der Analphabetismus). Dabei handelt es sich allerdings um invaliditätsfremde Faktoren, die zwar bei der Prüfung zumutbarer Arbeiten im konkreten Fall (AHI 1999 S. 238 Erw. 1) oder - wenn nicht einzelne Stellen zur Debatte stehen - im Rahmen der leidensbedingten Abzüge vom aufgrund von Tabellenlöhnen festgesetzten Invalideneinkommen (vgl. BGE 126 V 79 Erw. 5b) berücksichtigt werden können, für sich allein jedoch keine Rente zu begründen vermögen (AHI 1999 S. 238 Erw. 1). Auch wenn die IV-Stelle in ihrer Verfügung vom 31. Juli 2001 die Arbeitsvermittlung abgelehnt hat, heisst dies - entgegen der Auffassung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde - nicht, dass für den Beschwerdeführer keine zumutbaren Stellen auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt im Sinne des Art. 28 Abs. 2 IVG existieren, worauf es für die Invaliditätsbemessung einzig ankommt (BGE 110 V 276 Erw. 4b). 
 
Es ist hier davon auszugehen, dass auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt Stellen für einen der deutschen Sprache mächtigen Analphabeten existieren, der infolge einer Schädigung des linken Knies leichtere Arbeiten durchführen kann. Denn letztlich wirken sich nicht so sehr die fehlenden Möglichkeiten des Lesens und Schreibens, sondern vielmehr die mangelnden Kenntnisse der deutschen Sprache auf die Beschäftigungsmöglichkeit aus: Für nur rudimentär deutsch sprechende Versicherte stehen jedoch auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt genügend leichte Hilfs-, Kontroll- und Überwachungstätigkeiten offen, sodass nicht von realitätsfremden und in diesem Sinne unmöglichen oder unzumutbaren Einsatzmöglichkeiten ausgegangen wird, denn die zumutbare Tätigkeit ist vorliegend nicht nur in so eingeschränkter Form möglich, dass sie der allgemeine Arbeitsmarkt praktisch nicht kennt oder nur unter nicht realistischem Entgegenkommen eines durchschnittlichen Arbeitgebers ausgeübt werden kann (ZAK 1991 S. 320 f. Erw. 3b, 1989 S. 321 f. Erw. 4a). In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Situation des Beschwerdeführers denn auch deutlich vom Urteil W. vom 4. April 2002, I 401/01, in welchem bei einem knapp 64 Jahre alten Versicherten, der für medizinisch zumutbare Verweisungstätigkeiten (erneut) einen Berufswechsel hätte vornehmen müssen, angenommen worden ist, er könne seine Resterwerbsfähigkeit nicht mehr verwerten. 
3.3 In der rentenablehnenden Verfügung von Oktober 2001 hat die IV-Stelle ab November 2000 auf ein Einkommen ohne Gesundheitsschaden (Valideneinkommen) von Fr. 49'400.- und ein Einkommen nach Eintritt der Invalidität (Invalideneinkommen) von Fr. 37'000.- abgestellt; diese Zahlen entsprechen denjenigen in der Verfügung des Unfallversicherers vom 1. Dezember 2000. Jedoch geht aus den Akten des invalidenversicherungsrechtlichen Verfahrens nicht hervor, wie diese Einkommen festgesetzt worden sind. So ist insbesondere nicht nachvollziehbar, ob beim Invalideneinkommen in Höhe von Fr. 37'000.- behinderungsbedingte Abzüge berücksichtigt worden oder gar nicht notwendig gewesen sind (indem z.B. auf die Angaben konkreter Arbeitsplätze abgestellt worden ist). Im Falle des Beschwerdeführers könnte allenfalls im Rahmen der behinderungsbedingten Abzüge seinen Sprachschwierigkeiten Rechnung getragen werden. Sollten diese Abzüge im Invalideneinkommen von Fr. 37'000.- gemäss der Verfügung von Oktober 2001 noch nicht enthalten sein, ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung (BGE 126 V 80 Erw. 5b/cc) ein rentenbegründender Invaliditätsgrad nicht schlechthin auszuschliessen. Diesfalls läge ein Grund vor, um vom - für die Invalidenversicherung grundsätzlich verbindlichen (BGE 126 V 291 Erw. 2) - Invaliditätsgrad in der Unfallversicherung abzuweichen, da die Nichtprüfung der Möglichkeit eines allfälligen behinderungsbedingten Abzuges vom statistisch festgesetzten Invalideneinkommen - resp. die fehlende diesbezügliche Begründung - eine kaum überzeugende Schlussfolgerung wäre (vgl. BGE 126 V 294 Erw. 2d in fine). In dieser Hinsicht ist jedoch die Nichtprüfung der Abzugsmöglichkeit nicht mit der Nichtvornahme eines Abzuges gleichzusetzen, da dies letztlich im Ermessen der rechtsanwendenden Behörden liegt, welches für sich allein ein Abweichen von in einem anderen Sozialversicherungsverfahren festgelegten Invaliditätsgrad nicht rechtfertigen kann, spricht doch BGE 126 V 292 Erw. 2b von einer nicht vertretbaren Ermessensausübung. 
3.4 Die IV-Stelle wird somit abzuklären haben, wie der Unfallversicherer das Invalideneinkommen festgesetzt und ob er allenfalls einen (behinderungsbedingten) Abzug vorgenommen oder begründet nicht vorgenommen hat (wobei die Begründung der Nichtvornahme des Abzuges auch implizit - z.B. durch die Verwendung der Angaben konkreter Verweisungstätigkeiten - erfolgt sein kann). Anschliessend wird sie den Invaliditätsgrad bestimmen, wobei unter Umständen und je nach Ergebnis der vorher durchgeführten Abklärung ein invaliditätsbedingter Abzug vorzunehmen oder begründet abzulehnen ist. 
4. 
Da es um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine Gerichtskosten zu erheben. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten ist deshalb gegenstandslos. 
 
Infolge Obsiegens hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 2 OG in Verbindung mit Art. 135 OG). Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung ist somit ebenfalls gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom 10. Juni 2002 und die Verfügung der IV-Stelle Basel-Stadt vom 11. Oktober 2001 insoweit aufgehoben als damit Rentenleistungen ab 1. November 2000 verweigert worden sind, und es wird die Sache an die IV-Stelle zurückgewiesen, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, neu verfüge. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Die IV-Stelle Basel-Stadt hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, der Ausgleichskasse Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 6. Juni 2003 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: