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[AZA 7] 
U 306/99 Vr 
 
 
IV. Kammer 
 
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Leuzinger und Bundesrichter 
Kernen; Gerichtsschreiber Signorell 
 
 
Urteil vom 6. August 2001 
 
in Sachen 
 
K.________, 1969, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt 
David Husmann, Untermüli 6, 6302 Zug, 
 
gegen 
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 
1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin, 
 
und 
 
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern 
 
 
 
A.- Der 1969 geborene K.________ (türkischer Staatsangehöriger) 
stürzte am 19. November 1990 aus ungefähr 
3,5 m von einer Leiter. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt 
(SUVA) erbrachte die gesetzlichen Leistungen. 
Mit Verfügung vom 16. März 1995 sprach sie ihm mit Wirkung 
ab 1. August 1994 eine Invalidenrente von 20 % sowie eine 
20%ige Integritätsentschädigung zu. Daran hielt sie im Einspracheentscheid 
vom 22. November 1995 fest. 
 
B.- In teilweiser Gutheissung einer dagegen erhobenen 
Beschwerde, mit welcher die Zusprechung einer ganzen Rente 
sowie eine Integritätsentschädigung von 70 % beantragt wurde, 
gewährte das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern dem 
Versicherten eine Invalidenrente von 50 % sowie eine Integritätsentschädigung 
von 35 % (Entscheid vom 28. Juni 1999). 
 
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt K.________ 
eine Invalidenrente von mindestens 70 % beantragen. Ausserdem 
ersucht er um die Gewährung eines unentgeltlichen 
Rechtsbeistandes. 
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. 
Die Vorinstanz und das Bundesamt für Sozialversicherung 
(BSV) haben auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Wird der Versicherte infolge eines Unfalles invalid, 
so hat er Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 18 
Abs. 1 UVG). Als invalid gilt, wer voraussichtlich bleibend 
oder für längere Zeit in seiner Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt 
ist (Art. 18 Abs. 2 Satz 1 UVG). Für die Bestimmung 
des Invaliditätsgrades wird das Erwerbseinkommen, das 
der Versicherte nach Eintritt der unfallbedingten Invalidität 
und nach Durchführung allfälliger Eingliederungsmassnahmen 
durch eine ihm zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener 
Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in Beziehung gesetzt 
zum Erwerbseinkommen, das er erzielen könnte, wenn er nicht 
invalid geworden wäre (Art. 18 Abs. 2 Satz 2 UVG). 
Nach der Rechtsprechung hat der Einkommensvergleich 
von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen nach 
den zu Art. 28 Abs. 2 IVG entwickelten Grundsätzen zu 
erfolgen (BGE 116 V 249 Erw. 1b, 114 V 313 Erw. 3a). 
 
Dieser hat in der Regel in der Weise zu erfolgen, dass 
die beiden hypothetischen Erwerbseinkommen ziffernmässig 
möglichst genau ermittelt und einander gegenübergestellt 
werden, worauf sich aus der Einkommensdifferenz der Invaliditätsgrad 
bestimmen lässt (allgemeine Methode des Einkommensvergleichs; 
BGE 104 V 136 Erw. 2a und b). 
 
2.- Strittig ist der Invaliditätsgrad, wobei sowohl 
die Bemessung des Validen- als auch des Invalideneinkommens 
gerügt werden. Die Integritätsentschädigung wird ausdrücklich 
nicht angefochten. 
 
3.- a) Bei der Ermittlung des hypothetischen Einkommens 
ohne Invalidität ist von dem auszugehen, was der Versicherte 
auf Grund seiner beruflichen Fähigkeiten und persönlichen 
Umstände zu erwarten gehabt hätte (ZAK 1985 
S. 635 Erw. 3a). Da die Invaliditätsbemessung der voraussichtlich 
bleibenden oder längere Zeit dauernden Erwerbsunfähigkeit 
zu entsprechen hat, ist auch die berufliche 
Weiterentwicklung mitzuberücksichtigen, die ein Versicherter 
normalerweise vollzogen hätte; dazu ist allerdings 
erforderlich, dass konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, 
dass der Versicherte einen beruflichen Aufstieg und ein 
entsprechend höheres Einkommen tatsächlich realisiert 
hätte, wenn er nicht invalid geworden wäre (BGE 96 V 30). 
Entscheidend ist letztlich immer, was der Versicherte im 
massgebenden Zeitpunkt nach dem Beweisgrad der überwiegenden 
Wahrscheinlichkeit verdienen könnte. Diese Grundsätze 
stehen mit den Bestimmungen von Art. 18 Abs. 2 UVG 
und Art. 28 Abs. 2 IVG im Einklang. Wenn die Invaliditätsbemessung 
in der Regel beim zuletzt erzielten, nötigenfalls 
der Teuerung sowie der realen Einkommensentwicklung angepassten 
Verdienst anknüpft, dann beruht dies auf der empirischen 
Feststellung, wonach die bisherige Tätigkeit im 
Gesundheitsfall in der Regel weitergeführt worden wäre; 
Ausnahmen müssen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt 
sein. 
 
b) Die Vorinstanz ist bei der Invaliditätsbemessung 
davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer ohne Invalidität 
weiterhin als Baureiniger tätig wäre und bei der letzten 
Arbeitgeberin im Jahre 1994 Fr. 41 220.-/Jahr verdient 
hätte. Der Beschwerdeführer anerkennt dies im Grundsatz, 
verlangt aber, dass als Valideneinkommen nicht der an der 
letzten Arbeitsstelle tatsächlich erzielte unterdurchschnittliche 
Lohn massgeblich sei, sondern - im Sinne der 
"Parallelität der Bemessungsfaktoren" - für dessen Festlegung 
auf die statistischen Durchschnittseinkommen abzustellen 
sei. Nach der Rechtsprechung (AHI 1999 S. 240 Erw. 3b 
mit Hinweisen) ist ein solches Vorgehen an sich möglich. 
Lag das Einkommen einer versicherten Person bereits vor 
Eintritt des Gesundheitsschadens unter dem Durchschnitt der 
Löhne für eine vergleichbare Tätigkeit und ist davon auszugehen, 
dass der Versicherte sich nicht aus freien Stücken 
mit einem bescheidenen Einkommen begnügen wollte, so kann 
angenommen werden, dass die gleichen Faktoren, welche das 
Valideneinkommen negativ beeinflusst haben, auch Einfluss 
auf das Invalideneinkommen haben dürften. Steht fest, dass 
ein Versicherter aus invaliditätsfremden Gründen ein unterdurchschnittliches 
Erwerbseinkommen erzielt hat, so muss 
auch beim Invalideneinkommen eine entsprechende Reduktion 
des bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage noch erzielbaren 
Durchschnittsverdienstes erfolgen. Zutreffend ist, dass der 
Beschwerdeführer deutlich weniger verdiente, als die Lohnerhebungen 
für den gesamten privaten Sektor ausweisen (vgl. 
Die Schweizerische Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für 
Statistik [LSE] 1994, Tabelle A 1.1.1 [Fr. 4127.- X 12 = 
Fr. 49 524.-]). Bezogen auf den Sektor 3 (Dienstleistungen) 
trifft dies immerhin nicht zu (Fr. 3735.- X 12 = 
Fr. 42 900.-). Wenn die Vorinstanz das Valideneinkommen auf 
Fr. 41 220.- festgesetzt hat, so ist dies nicht zu beanstanden, 
da sie dem Umstand, dass er in einer eher lohnschwachen 
Branche beschäftigt war, mit der Annahme eines 
unterdurchschnittlichen Invalideneinkommens ausreichend 
Rechnung getragen hat (Erw. 4a). 
 
4.- a) Mit der bestehenden Gesundheitsschädigung sind 
dem Beschwerdeführer unbestrittenermassen der Grossteil der 
einfachen Tätigkeiten weiterhin zumutbar. Entgegen den vorinstanzlichen 
Erwägungen kann es nicht als gerichtsnotorisch 
betrachtet werden, dass sich mit einer derartigen Erwerbstätigkeit 
in der Region Luzern Einkünfte zwischen 
Fr. 3500.- und Fr. 3800.- erzielen liessen. Vielmehr ist 
für die Ermittlung des Invalideneinkommens die LSE heranzuziehen. 
Abzustellen ist auf die Verdienstmöglichkeiten bei 
Arbeiten des Anforderungsniveaus 4, welches die einfachen 
und repetitiven Tätigkeiten umfasst. Mit einer solchen Tätigkeit 
konnten Männer im Jahr 1994 ein monatliches Einkommen 
von Fr. 4127.- erzielen (Tabelle A 1.1.1 der 
LSE 1994). Die LSE geht von einer Wochenarbeitszeit von 
40 Stunden aus. Gemäss den Erhebungen belief sich die betriebsübliche 
durchschnittliche Arbeitszeit jedoch auf 
41,9 Stunden (vgl. LSE 1994 S. 42). Bei der Ermittlung des 
Invalideneinkommens ist von dieser Wochenarbeitszeit auszugehen 
(BGE 124 V 321). Unerheblich ist in diesem Zusammenhang 
insbesondere, dass der Betrieb, in dem der Versicherte 
vor Eintritt des Gesundheitsschadens gearbeitet hatte, eine 
höhere Wochenarbeitszeit kannte, denn als Vergleichsgrösse 
hat stets jenes Erwerbseinkommen zu dienen, welches sich 
mit einer üblichen Arbeitszeit realisieren lässt. Entgegen 
den vorinstanzlichen Erwägungen, welche bei der Berechnung 
des Invalideneinkommens eine Wochenarbeitszeit von 44 Stunden 
zu Grunde legten, ergibt der genannte Tabellenlohn ein 
massgebliches Gehalt von monatlich Fr. 4323.- (einschliesslich 
13. Monatslohn [LSE 1994 S. 43]) und jährlich 
Fr. 51 876.-. Vorliegend erscheint unter Berücksichtigung 
des Umstandes, dass bei einer Teilzeitbeschäftigung ein 
verhältnismässig geringerer Lohn bezahlt wird (vgl. 
LSE 1994 S. 30 Tabelle 13*), ein Abzug vom Tabellenlohn von 
10 % als angemessen (AHI 1998 S. 178 Erw. 4b). Eine weitergehende 
Reduktion verbietet sich indessen, weil der Beschwerdeführer 
den Grossteil der Hilfsarbeitertätigkeiten 
noch versehen kann. Auf der Grundlage einer aus medizinischer 
Sicht auf 50 % reduzierten Arbeitsfähigkeit beläuft 
sich das ausgehend von der LSE berechnete Invalideneinkommen 
auf Fr. 23 344.- (Fr. 51 876.- abzüglich 10 % = 
Fr. 46 688.-, davon 50 %). 
Nach Eintritt des Gesundheitsschadens nahm der Beschwerdeführer 
eine - aus medizinischer Sicht - zumutbare 
Tätigkeit im Gastgewerbe auf. In diesem Wirtschaftszweig 
werden eher unterdurchschnittliche (Hilfsarbeiter)Löhne 
(vgl. die Branchenwerte in der LSE 1994, a.a.O.) bezahlt. 
Die Vorinstanz hat dem Grundsatz der "Parallelität der Bemessungsfaktoren" 
hinreichend Rechnung getragen, wenn sie 
als Invalideneinkommen lediglich den Betrag von 
Fr. 20 189.- (13 X Fr. 1553.-) annimmt. Anzufügen bleibt in 
diesem Zusammenhang, dass es vorliegend nicht anginge, auf 
die gemäss LSE ermittelten Einkommen für das Gastgewerbe 
abzustellen, denn es steht keinesfalls fest, dass der Beschwerdeführer 
nur noch in dieser Sparte zumutbare Stellen 
finden kann. 
 
b) Der Vergleich des Invalideneinkommens von 
Fr. 20 189.- mit dem Valideneinkommen von Fr. 41 220.- 
führt zu einem Invaliditätsgrad von rund 50 %, womit der 
vorinstanzliche Entscheid nicht zu beanstanden ist. 
 
5.- Nach Gesetz und Praxis sind in der Regel die Voraussetzungen 
für die Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung 
und Verbeiständung erfüllt, wenn der Prozess 
nicht aussichtslos, die Partei bedürftig und die anwaltliche 
Verbeiständung notwendig oder doch geboten ist 
(BGE 103 V 47, 100 V 62, 98 V 117). 
Der Antrag des Beschwerdeführers auf Bestellung eines 
unentgeltlichen Rechtsbeistandes ist abzuweisen, weil der 
einlässlich begründete vorinstanzliche Entscheid im Ergebnis 
richtig ist und nicht mit Aussicht auf Erfolg angefochten 
werden konnte. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
III. Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
 
IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht 
des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche 
Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung 
zugestellt. 
 
Luzern, 6. August 2001 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: 
 
 
 
 
Der Gerichtsschreiber: