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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
1C_32/2014  
   
   
 
 
 
Urteil vom 6. Oktober 2014  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Eusebio, 
Gerichtsschreiber Härri. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Daniel P. Candrian, 
 
gegen  
 
Amt für Gesundheit und Soziales des Kantons Schwyz, Kollegiumstrasse 28, Postfach 2161, 6431 Schwyz.  
 
Gegenstand 
Opferhilfe, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 27. November 2013 des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz, Kammer III. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ wurde 1965 geboren. Am 12. März 2012 wies ihn sein Hausarzt wegen eines Herzproblems in das Spital Schwyz ein. Am 22. März 2012 wurde er in eine Privatklinik in Zürich verlegt. Am Tag darauf wurde er am Herzen operiert. Am 1. April 2012 konnte er die Klinik verlassen. 
In der Folge wurde festgestellt, dass A.________ nebst dem Herzproblem eine Hirnblutung erlitten hatte. Er leidet deshalb an leichten bis mittelschweren neuropsychologischen Defiziten mit einer deutlich verminderten mentalen Belastbarkeit. 
Am 25. September 2012 ersuchte A.________ um Kostengutsprache für längerfristige Hilfe Dritter (Übernahme von Anwaltskosten) nach dem Bundesgesetz vom 23. März 2007 über die Hilfe an Opfer von Straftaten (Opferhilfegesetz, OHG; SR 312.5). 
Am 23. Juli 2013 wies das Amt für Gesundheit und Soziales des Kantons Schwyz (im Folgenden: Amt) das Gesuch ab. 
Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz (Kammer III) am 27. November 2013 ab. 
 
B.   
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und subsidiäre Verfassungsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben. Es seien ihm mit Wirkung ab dem 25. Juni 2012 Beiträge für die Anwalts- und Verfahrenskosten im Sinne der Gewährung längerfristiger Hilfe Dritter nach Art. 14 OHG zuzusprechen. 
 
C.   
Das Verwaltungsgericht und das Amt haben je Gegenbemerkungen eingereicht. Sie beantragen die Abweisung der Beschwerde. 
Das Bundesamt für Justiz hat auf Vernehmlassung verzichtet. 
A.________ hat eine Replik eingereicht. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 82 lit. a BGG die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegeben (Urteil 1C_348/2012 vom 8. Mai 2013 E. 1.1 mit Hinweis). 
Eine Ausnahme nach Art. 83 BGG besteht nicht. 
Bei der Opferhilfe geht es nicht um Staatshaftung (BGE 132 II 117 E. 2.2.4 S. 121; 125 II 554 E. 2a S. 556; je mit Hinweisen). Die Streitwertgrenze gemäss Art. 85 Abs. 1 lit. a BGG ist somit nicht anwendbar (Urteil 1C_348/2012 vom 8. Mai 2013 E. 1.1 mit Hinweis). 
Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist daher - unter Vorbehalt der folgenden Erwägungen - nach Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 BGG zulässig. 
Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde befugt. 
Der angefochtene Entscheid stellt einen nach Art. 90 BGG anfechtbaren Endentscheid dar (Urteil 1C_348/2012 vom 8. Mai 2013 E. 1.1 mit Hinweis). 
Da auch die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten grundsätzlich gegeben. Gemäss Art. 113 BGG scheidet die subsidiäre Verfassungsbeschwerde damit aus. 
 
2.  
 
2.1. Gemäss Art. 1 OHG hat jede Person, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, psychischen oder sexuellen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist (Opfer), Anspruch auf Unterstützung nach diesem Gesetz (Opferhilfe) (Abs. 1). Der Anspruch besteht unabhängig davon, ob der Täter oder die Täterin vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat (Abs. 3 lit. c).  
Nach Art. 2 OHG umfasst die Opferhilfe: a. Beratung und Soforthilfe; b. längerfristige Hilfe der Beratungsstellen; c. Kostenbeiträge für längerfristige Hilfe Dritter (...). 
Gemäss Art. 12 Abs. 1 OHG beraten die Beratungsstellen das Opfer und seine Angehörigen und unterstützen sie bei der Wahrnehmung ihrer Rechte. 
Nach Art. 13 OHG leisten die Beratungsstellen dem Opfer und seinen Angehörigen sofort Hilfe für die dringendsten Bedürfnisse, die als Folge der Straftat entstehen (Soforthilfe) (Abs. 1). Sie leisten dem Opfer und dessen Angehörigen soweit nötig zusätzliche Hilfe, bis sich der gesundheitliche Zustand der betroffenen Person stabilisiert hat und bis die übrigen Folgen der Straftat möglichst beseitigt oder ausgeglichen sind (längerfristige Hilfe) (Abs. 2). Die Beratungsstellen können die Soforthilfe und die längerfristige Hilfe durch Dritte erbringen lassen (Abs. 3). 
Gemäss Art. 14 Abs. 1 OHG umfassen die Leistungen insbesondere die angemessene juristische Hilfe in der Schweiz, die als Folge der Straftat notwendig geworden ist. 
Im zu beurteilenden Fall geht es um längerfristige juristische Hilfe durch einen Dritten nach Art. 13 Abs. 2 f. i.V.m. Art. 14 Abs. 1 OHG
 
2.2. Die Vorinstanz erwägt in Übereinstimmung mit dem Amt, bei der Prüfung des Anspruchs auf Kostenbeiträge für längerfristige Hilfe Dritter sei im Vergleich zum Anspruch auf Beratungs- und Soforthilfe beim Nachweis einer strafbaren Handlung ein höheres Beweismass zu verlangen. Für längerfristige Hilfe müsse eine opferhilferechtlich relevante Straftat (hier: fahrlässige Körperverletzung gemäss Art. 125 StGB infolge Sorgfaltspflichtverletzung durch die Ärzte) und damit die Opferstellung wahrscheinlicher sein als ihr Nichtvorliegen. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt.  
Der Beschwerdeführer wendet ein, die Vorinstanz stelle zu hohe Anforderungen an das Beweismass. Es genüge, wenn eine opferhilferechtlich relevante Straftat in Betracht falle. Selbst wenn der Rechtsauffassung der Vorinstanz zu folgen wäre, wäre er als Opfer anzusehen, da eine Sorgfaltspflichtverletzung der Ärzte wahrscheinlicher sei als ihr Nichtvorliegen. 
 
2.3. Wie es sich damit verhält, kann offen bleiben.  
Nach der Präzisierung des Beschwerdeführers in der Beschwerde an das Bundesgericht (S. 6 Ziff. 2.2) geht es einzig um die Übernahme von Anwaltskosten, die für das Verfahren bei der FMH-Gutachterstelle angefallen sind. 
Damit hätte der Beschwerdeführer nach der zutreffenden Auffassung des Amtes (Vernehmlassung S. 3 Ziff. 3) selbst dann keinen Anspruch auf Kostengutsprache, wenn seine Opferstellung zu bejahen wäre. 
Gemäss Art. 14 Abs. 1 OHG umfassen die Leistungen lediglich die angemessene juristische Hilfe in der Schweiz, die als Folge der Straftat  notwendig geworden ist. Kann sich das Opfer in zumutbarer Weise selber helfen, braucht es keine staatliche Opferhilfe (ebenso DOMINIK ZEHNTNER, in: Kommentar zum Opferhilfegesetz, 3. Aufl. 2009, N. 10 zu Art. 13 OHG). Dasselbe gilt, wenn die Hilfe in zumutbarer Weise von einem Angehörigen des Opfers geleistet werden kann.  
 
2.4. Der Anwalt des Beschwerdeführers hat am 14. Oktober/15. November 2013 der Gutachterstelle der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) einen Antrag auf aussergerichtliche Begutachtung gestellt.  
Gemäss der auf der Homepage der FMH einsehbaren Allgemeinen Informationen zur Gutachterstelle aus dem Jahr 2008 (S. 3) sind Patienten, denen es einigermassen leicht fällt zu schreiben, in der Lage, den Antrag auf Begutachtung mit beratender telefonischer Unterstützung der Gutachterstelle selber zu verfassen. Auf der Homepage finden sich zudem ein Musterantrag und eine Checkliste, die es dem Gesuchsteller erleichtern soll, den Antrag an die Gutachterstelle einzureichen. 
Es kann dahingestellt bleiben, ob die aufgrund der Hirnblutung erlittenen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers so schwer wiegen, dass er nicht mehr in der Lage gewesen wäre, den Begutachtungsantrag der FMH - nötigenfalls mit deren Unterstützung - selber einzureichen. Jedenfalls hätte dies seine Schwester für ihn tun können. Wie sich den Akten (act. 2.22 S. 2 unten) entnehmen lässt, ist diese von Beruf Medizinisch-technische Assistentin (MTA). Sie hat sich stark für den Beschwerdeführer eingesetzt. So fand auf ihr Ersuchen am 7. Mai 2013 beim Amt ein Gespräch statt, bei dem sie nochmals die aus ihrer Sicht für eine Sorgfaltspflichtverletzung der Ärzte sprechenden Gründe darlegte (Verfügung des Amtes vom 23. Juli 2013 S. 4 E. 5.5; act. 2.7). Sie ist mit der Angelegenheit somit vertraut. 
War die Hilfe des Anwalts demnach nicht notwendig, besteht nach Art. 14 Abs. 1 OHG kein Anspruch auf Kostengutsprache. 
 
2.5. Die Beschwerde ist im vorliegenden Punkt abzuweisen.  
Das Bundesgericht gibt eine von der Vorinstanz abweichende Begründung. Das ist zulässig, da es gemäss Art. 106 Abs. 1 BGG das Recht von Amtes wegen anwendet (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254 mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer konnte sich in der Replik dazu äussern und hatte somit Gelegenheit zur Wahrnehmung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV). 
 
3.   
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf ein unabhängiges Gericht (Art. 30 Abs. 1 BV); ebenso (in der Sache) der Rechtsgleichheit (Art. 8 BV), da das Amt eine andere Praxis verfolge als jenes des Kantons Uri, und des Grundsatzes von Treu und Glauben (Art. 9 BV). Überdies macht er eine Rechtsverzögerung durch das Amt gemäss "Art. 94 BV" (gemeint offenbar: Art. 94 BGG) geltend (Beschwerde S. 9 f.). 
Die Beschwerde dürfte insoweit den qualifizierten Begründungsanforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG nicht genügen (dazu BGE 140 IV 57 E. 2.2 S. 60 mit Hinweisen). 
Wie es sich damit verhält, kann jedoch offen bleiben. Auf die Rügen kann schon deshalb nicht eingetreten werden, weil sie der Beschwerdeführer vor Vorinstanz nicht substanziiert vorgebracht und sich diese deshalb nicht dazu geäussert hat. Letztinstanzlichkeit im Sinne von Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG bedeutet, dass der kantonale Instanzenzug für Rügen, die dem Bundesgericht vorgetragen werden, ausgeschöpft sein muss (vgl. BGE 135 III 513 E. 4.3 S. 522; 134 III 524 E. 1.3 S. 527; Urteile 1B_130/2009 vom 15. Juli 2009 E. 2.3; 6B_32/2008 vom 13. Mai 2008 E. 3.2). 
 
4.   
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
Kosten sind keine zu erheben (Art. 30 Abs. 1 OHG). 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64 BGG ist insoweit gegenstandslos. Im Übrigen ist es abzuweisen, da die Beschwerde aussichtslos war. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird, soweit es nicht gegenstandslos geworden ist, abgewiesen. 
 
3.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Amt für Gesundheit und Soziales des Kantons Schwyz, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Kammer III, und dem Bundesamt für Justiz, Direktionsbereich Öffentliches Recht, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 6. Oktober 2014 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Fonjallaz 
 
Der Gerichtsschreiber: Härri