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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_822/2010 
 
Urteil vom 7. März 2011 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann, 
Gerichtsschreiber Schmutz. 
 
Verfahrensbeteiligte 
H.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Pierre Heusser, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 24. August 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
A.a Im August 2002 meldete sich H.________, geboren 1962, bei der IV-Stelle des Kantons Zürich zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an. 
A.b Die IV-Stelle sprach H.________ mit Verfügung vom 15. Oktober 2004 ab 1. März 2002 eine ganze Invalidenrente (bei einem Invaliditätsgrad von 100 %) zu. Obwohl sie den Leistungsanspruch bis Ende Juli 2003 befristete, richtete sie über den 1. August 2003 hinaus Zahlungen aus. 
A.c Mit Verfügung vom 14. März 2005 forderte die IV-Stelle mit der Begründung, die Rente sei befristet zugesprochen worden, die über den 1. August 2003 hinaus ausgerichteten Rentenzahlungen (inkl. Vergütungszinse) zurück. 
A.d Die dagegen erhobene Einsprache vom 11. April 2005 wies die Ausgleichskasse des Kantons Zürich mit Entscheid vom 30. September 2005 ab. 
A.e Auf die hiegegen erhobene Beschwerde trat das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid IV.2005.01233 vom 15. November 2005 nicht ein, weil die Ausgleichskasse zum Erlass des Einspracheentscheides sachlich nicht zuständig und dieser darum nichtig sei. 
A.f Mit Einspracheentscheid vom 30. März 2006 wies nunmehr die IV-Stelle die Einsprache vom 11. April 2005 ab. 
A.g Die dagegen eingereichte Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid IV.2006.00489 vom 17. Dezember 2007 in dem Sinne gut, dass es den Einspracheentscheid vom 30. März 2006 aufhob und die Sache an die IV-Stelle zurückwies, damit sie im Sinne der Erwägungen weiter vorgehe. Es begründete dies vorab damit, die IV-Stelle habe zu Unrecht eine Rückforderung ex tunc verfügt und zudem den Einspracheentscheid (wie auch die Verfügungen vom 14. März 2005 und schon vom 15. Oktober 2004) unter Verletzung des rechtlichen Gehörs gefällt. Die Rechtmässigkeit der Befristung lasse sich aufgrund der Prozessakten nicht beurteilen. 
A.h Mit Vorbescheiden vom 4. November 2008 und 13. Januar 2009 sowie Verfügung vom 13. August 2009 hielt die IV-Stelle daran fest, dass der Anspruch auf eine ganze Rente lediglich für die Zeit vom 1. März 2002 bis 31. Oktober 2003 (ursprünglich noch: 31. Juli 2003) gegeben gewesen sei; es bestehe somit Anspruch auf Rückforderung des Betrages von Fr. 31'135.- für Zahlungen (inkl. Zinsen), die vom 1. November 2003 bis 31. März 2005 zu Unrecht erfolgt seien. 
 
B. 
B.a H.________ erhob Beschwerde beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich; sie beantragte die Aufhebung der Verfügung vom 13. August 2009 und die Feststellung, dass kein Anspruch auf Rückforderung bestehe; die IV-Stelle sei zu verpflichten, ihr für den Aufwand im Vorbescheidverfahren eine angemessene Parteientschädigung auszurichten. Die Verwaltung habe den kantonalen Rückweisungsentscheid IV.2006.00489 ignoriert und dessen Vorgaben für das Verfahren nicht beachtet. 
B.b Mit Entscheid IV.2009.00841 vom 24. August 2010 wies das Sozialversicherungsgericht die Beschwerde ab, weil das rechtliche Gehör dieses Mal nicht verletzt und die Rückforderung ex tunc gerechtfertigt sei. Dem stehe nicht entgegen, dass im Rückweisungsentscheid IV.2006.00489 die Auffassung vertreten worden sei, ein allfälliger Rückerstattungsanspruch bestehe (gegebenenfalls) nur ex nunc. 
 
C. 
H.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides; das Verfahren sei mit der Auflage an die IV-Stelle zurückzuweisen, eine Verfügung im Sinne der Erwägung 4 des kantonalen Entscheides IV.2006.00489 zu erlassen; die Verwaltung sei anzuweisen, ihr für den Aufwand im Vorbescheidverfahren eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen. 
Vorinstanz, Verwaltung und Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Streitig ist, ob die IV-Stelle gemäss angefochtenem Entscheid die ab 1. November 2003 ausgerichteten Rentenzahlungen und Vergütungszinse zurückfordern darf. 
 
2. 
In Erwägung 4.5 (mit Verweis auf die Erwägungen 4.3 in fine und 4.4 Abs. 2) des Rückweisungsentscheides IV.2006.00489 vom 17. Dezember 2007 hatte die Vorinstanz festgestellt, die IV-Stelle habe zu Unrecht eine Rückforderung ex tunc verfügt, und der Einspracheentscheid vom 30. März 2006 und die Verfügungen vom 14. März und 15. Oktober 2004 seien unter Verletzung des rechtlichen Gehörs ergangen. Sie wies die Sache an die Verwaltung zurück, damit sie unter Wahrung des rechtlichen Gehörs über den Rentenanspruch und ("wenn überhaupt noch notwendig") die Rückforderung bereits ausgerichteter Zahlungen neu befinde. Dabei hielt sie fest, es gebe keine Rechtsgrundlage für eine Rückforderung ex tunc. Der Rückerstattungsanspruch bestehe nur ex nunc und damit frühestens ab dem 1. Mai 2005, und selbst dann unter der Voraussetzung, dass eine Befristung der Rente materiell korrekt sei. So sei nie eine hinreichende Erklärung abgegeben worden, warum ab dem 1. August 2003 nicht mehr vom Bestehen eines rentenbegründenden Invaliditätsgrades auszugehen sei. Wegen der Gehörsverletzung habe die Versicherte die Rentenbefristung gar nicht in fundierter Weise anfechten können. Die Rechtmässigkeit der Begrenzung lasse sich aufgrund der Prozessakten nicht beurteilen. 
 
3. 
3.1 Die Vorinstanz begründete den hier angefochtenen Entscheid IV.2009.00841 vorab damit, die Rückforderung ex tunc sei gerechtfertigt, da die ursprüngliche Verfügung vom 15. Oktober 2004 einen besonders schweren Mangel aufgewiesen habe ("innerer Widerspruch zwischen den Verfügungsteilen 1 und 2") und darum als nichtig zu betrachten sei. Die spätere Verfügung vom 14. März 2005 beziehungsweise der sie bestätigende Einspracheentscheid vom 30. September 2005 seien durch das Sozialversicherungsgericht mit dem Entscheid IV.2006.00489 aufgehoben worden. Ein der Leistungsanpassung ex tunc entgegenstehender rechtskräftiger Rentenentscheid habe daher nicht vorgelegen. Es sei darum nicht zu beanstanden, dass die IV-Stelle die über den 1. November 2003 hinaus erbrachten Leistungen mit Verfügung vom 13. August 2009 zurückforderte. Dem stehe auch nicht entgegen, dass das Sozialversicherungsgericht im erwähnten Rückweisungsentscheid noch die Auffassung vertreten habe, ein allfälliger Rückerstattungsanspruch bestehe nur ex nunc; es habe sich bei dem fraglichen Entscheid lediglich um einen Zwischen- und nicht etwa um einen Teilentscheid gehandelt, dem hinsichtlich des neuen Prozesses Bindungswirkung zukäme. Dazu verwies das kantonale Gericht auf BGE 133 V 477 E. 4.2 und damit indirekt auf die Art. 91 lit. a und 93 Abs. 1 BGG
Wie die Beschwerdeführerin mit Recht vorbringt, wäre es der IV-Stelle unbenommen gewesen, den erwähnten Rückweisungsentscheid und die darin enthaltenen materiellrechtlichen Anordnungen zur Rückforderung der Invalidenrente beim Bundesgericht anzufechten, wenn sie nicht damit einverstanden war. Sie hat dies nicht getan und war nun an die Vorgaben des Entscheids gebunden. Die Rüge, Verwaltung und Vorinstanz hätten mit der Verfügung vom 13. August 2009 und dem Entscheid vom 24. August 2010 den rechtskräftigen und damit für sie bindenden Rückweisungsentscheid der Vorinstanz vom 17. Dezember 2007 ignoriert, ist begründet. 
Die vorinstanzliche Rechtfertigung für das Abweichen vom eigenen Entscheid IV.2006.00489 dringt nicht durch: Die indirekt angerufene BGG-Regelung und die dazu ergangene Rechtsprechung beschlagen nicht die Frage der Rechtskraft eines kantonalen Entscheides, sondern die Problematik, ob trotz Rechtskraft eines kantonalen Rückweisungsentscheides eine spätere Rüge vor Bundesgericht zu einer bestimmten Frage aufgrund des BGG-Prozessrechts noch zulässig ist. Eine solche Aufschiebung bundesgerichtlicher Überprüfung war hier nicht möglich, da der vorinstanzliche Entscheid der Verwaltung in diesem Punkt keinerlei Handlungsspielraum über den Zeitpunkt des 1. Mai 2005 rückwirkend offen liess, sondern lediglich ("gegebenenfalls") ex nunc, also nur ab diesem Datum. Durch die Verpflichtung der Verwaltung im Dispositiv auf das in den Erwägungen vorgezeichnete Verhalten und die Verkoppelung der Erwägung 4.5 mit den Erwägungen 4.3 in fine und 4.4 Abs. 2 war der Spielraum der Verwaltung zum Neuentscheid klar definiert: Sie hatte - dieses Mal unter Wahrung des rechtlichen Gehörs - eine neue Rentenverfügung zu erlassen, die allenfalls eine Befristung vorsah, aber keinesfalls eine Rückforderung von für den Zeitraum vor Ende April 2005 ausgerichteten Leistungen. Dieser Verpflichtung hätte die Verwaltung nur entgehen können, wenn sie den kantonalen Entscheid vom 17. Dezember 2007 beim Bundesgericht angefochten und dabei obsiegt hätte; nach der zitierten Rechtsprechung (BGE 133 V 477) wäre auf die Beschwerde einzutreten gewesen. Die Verwaltung hat auf eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten verzichtet und sich damit der vorinstanzlich materiell rechtskräftig vorgezeichneten Lösung unterworfen. Von Nichtigkeit dieses erstinstanzlichen Erkenntnisses kann nicht gesprochen werden. 
 
3.2 Nach dem Gesagten ist die Beschwerde offensichtlich begründet und der angefochtene Entscheid vollumfänglich aufzuheben; die Sache wird an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen, damit sie so vorgehe, wie es ihr der kantonale Entscheid IV.2006.00489 vom 17. Dezember 2007 verpflichtend auferlegt. Bei dieser Gelegenheit wird sie auch über den Anspruch auf Parteientschädigung im Vorbescheidverfahren befinden, worüber sie bisher noch gar nicht ordnungsgemäss verfügt hat. Insoweit kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden, woran nichts ändert, dass die Vorinstanz diesen Punkt beurteilt hat. 
 
4. 
Die Gerichtskosten werden der Beschwerdegegnerin als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie hat der Beschwerdeführerin überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 24. August 2010 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 13. August 2009 werden aufgehoben. Es wird die Sache an die IV-Stelle des Kantons Zürich zurückgewiesen, damit sie über den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Invalidenrente im Sinne der Erwägungen neu verfüge. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen. 
 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 7. März 2011 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Meyer Schmutz