Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 357/02 
 
Urteil vom 7. Mai 2003 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Bundesrichter Rüedi, Bundesrichter Ferrari und Frésard; Gerichtsschreiberin Keel Baumann 
 
Parteien 
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Z.________, 1955, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans Hurter, Habsburgerstrasse 20, 6003 Luzern 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern 
 
(Entscheid vom 15. April 2002) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1955 in Montenegro geborene Z.________ war seit August 1985 als Hilfsarbeiter bei der K.________ AG tätig, welche ihm mit Wirkung auf den 31. Januar 1999 kündigte, wobei letzter effektiver Arbeitstag der 24. April 1998 war. Der Hausarzt des Versicherten, Dr. med. U.________, Spezialarzt FMH für Innere Medizin, attestierte dem Versicherten ab 27. April 1998 aufgrund unklar generalisierter Myalgien und Arthralgien mit vegetativer Begleitsymptomatik eine Arbeitsunfähigkeit von 100 % und ab 1. Februar 1999 eine solche von 50 % (Bericht vom 18. Februar 1999). 
 
Am 17. August 1998 meldete sich Z.________ zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung (Berufsberatung, Umschulung, Wiedereinschulung, Arbeitsvermittlung) an. Die IV-Stelle Luzern nahm verschiedene medizinische Berichte zu den Akten, unter anderem Beurteilungen durch den Hausarzt Dr. med. U.________ vom 18. Februar 1999 und 24. November 1999, durch die Klinik Q.________ vom 7. Dezember 1998, durch Dr. med. B.________, Innere Medizin und Rheumatologie FMH, vom 19. Juni 2000 und durch Dr. med. F.________, Neurologie FMH, vom 15. September 2000. Im Weitern holte sie bei Dr. med. M.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, ein Gutachten ein, welches am 15. August 1999 erstattet wurde. Gestützt darauf verneinte sie mit Verfügung vom 24. Januar 2001 einen Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung mit der Begründung, es sei kein Gesundheitsschaden festgestellt worden, der eine dauernde Arbeitsunfähigkeit von mindestens 20 % begründen würde. 
B. 
Z.________ liess hiegegen Beschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, die Verfügung der IV-Stelle sei aufzuheben. Es seien bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA), bei einem Psychiater, bei der Medizinischen Abklärungsstelle der Invalidenversicherung (MEDAS) Zentralschweiz und beim Neurologen Dr. med. F.________ Gutachten einzuholen. Die Akten der SUVA seien zu edieren. Gestützt hierauf habe die IV-Stelle über die Rente oder Wiedereingliederung neu zu verfügen. Gleichzeitig ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung. 
 
Pendente lite hob die IV-Stelle die Verfügung vom 24. Januar 2001 auf und stellte zu gegebener Zeit eine neue Verfügung in Aussicht. Diese erliess sie am 27. Juli 2001, wobei sie das Leistungsbegehren erneut ablehnte. Die von Z.________ hierauf eingereichte Beschwerdeschrift wurde vom angerufenen Verwaltungsgericht des Kantons Luzern als Stellungnahme zur Verfügung vom 27. Juli 2001 entgegengenommen, und es wurde der IV-Stelle Gelegenheit zur Duplik eingeräumt. Nach Abschluss des Schriftenwechsels reichte der Rechtsvertreter des Versicherten ein Begehren um Sistierung des Verfahrens bis zum Vorliegen der Abklärungsresultate der SUVA, weitere Beweisanträge und einen Antrag auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung ein. Mit Entscheid vom 15. April 2002 hiess das Verwaltungsgericht die Beschwerde gut, hob die Verfügung vom 27. Juli 2001 auf und wies die Sache an die IV-Stelle zurück, damit diese nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen neu verfüge. Im Weitern sprach es Z.________ eine Parteientschädigung von Fr. 5003.40 (einschliesslich Auslagen und Mehrwertsteuer) zu. 
C. 
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der kantonale Entscheid sei aufzuheben und es sei die Richtigkeit der Verfügung vom 24. Januar 2001 zu bestätigen. 
 
Z.________ schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, eventualiter auf Nichteintreten mangels genügender Begründung. Im Weitern lässt er das Rechtsbegehren stellen, die Verfügung sei mit zusätzlicher Begründung aufzuheben und die IV-Stelle sei im Dispositiv anzuweisen, nebst der im Beisein eines Dolmetschers wiederholten psychiatrischen Begutachtung zumindest auch eine Untersuchung des Beschwerdegegners betreffend eine Vergiftung mit den in den verwendeten Leimen und Putzmitteln der Giftklasse 3 und 4 enthaltenen toxischen Substanzen anzuordnen. Er macht eine Rechtsverweigerung durch Unterlassung eines Entscheides betreffend die unentgeltliche Rechtspflege im vorinstanzlichen Verfahren geltend und rügt, die zugesprochene Parteientschädigung sei willkürlich tief. Er beantragt die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung. Im Weitern ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung. 
D. 
Mit Schreiben vom 30. Oktober 2002 reichte der Rechtsvertreter des Versicherten einen Untersuchungsbericht des Spitals X.________ vom 3. September 2002 sowie seine Kostennote (Honorar von 12,5 Std. à Fr. 240.- sowie Auslagen von Fr. 27.50, zuzüglich Mehrwertsteuer) ein. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Soweit der Beschwerdegegner die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 30 Abs. 3 der am 1. Januar 2000 in Kraft getretenen neuen Bundesverfassung vom 18. April 1999 verlangt, gilt es zu beachten, dass die Öffentlichkeit der Verhandlung primär im erstinstanzlichen Rechtsmittelverfahren zu gewährleisten ist. Dabei setzt die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung nach der Rechtsprechung im Sozialversicherungsprozess einen - im erstinstanzlichen Verfahren zu stellenden - klaren und unmissverständlichen Parteiantrag voraus (BGE 122 V 55 Erw. 3a mit weiteren Hinweisen; vgl. auch BGE 125 V 38 Erw. 2). Versäumt eine Partei die rechtzeitige Geltendmachung des Anspruchs auf öffentliche Verhandlung, ist dieser verwirkt. In diesem Sinne hat es das Eidgenössische Versicherungsgericht abgelehnt, einer ausserhalb des ordentlichen Schriftenwechsels erfolgten Antragstellung Folge zu leisten (BGE 122 V 56 Erw. 3b/bb). 
 
Da der Beschwerdegegner die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung zwar bereits im vorinstanzlichen Verfahren, aber erst nach Abschluss des Schriftenwechsels anbegehrt hat, ist sein Antrag zu spät erfolgt und damit verwirkt, wie bereits die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat. 
2. 
Im angefochtenen Entscheid werden die Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG), den Anspruch auf berufliche Eingliederungsmassnahmen (Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 15 ff. IVG), die Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG) sowie die Aufgabe der Ärzte im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4, 115 V 134 Erw. 2, 114 V 314 3c, 105 V 158 Erw. 1) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 27. Juli 2001) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b). 
3. 
3.1 Die Vorinstanz hat die den Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung ablehnende Verwaltungsverfügung aufgehoben und die Sache an die IV-Stelle zu weiterer Abklärung und erneuter Verfügung zurückgewiesen mit der Begründung, dass auf das psychiatrische Gutachten des Dr. med. M.________ vom 15. August 1999 nicht abgestellt werden könne, da die Deutschkenntnisse des Versicherten für die Durchführung einer psychiatrischen Begutachtung ohne Dolmetscher nicht ausreichend gewesen seien. 
3.2 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (welche - entgegen der vom Versicherten vertretenen Auffassung - mit einer ausreichenden Begründung versehen ist und damit den an eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde gestellten Anforderungen im Sinne von Art. 108 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 132 OG genügt, so dass auf sie ohne weiteres eingetreten werden kann [vgl. dazu BGE 123 V 336 Erw. 1a]) wird geltend gemacht, der von der Vorinstanz geforderte Beizug eines Dolmetschers sei für die psychiatrische Begutachtung nicht erforderlich gewesen. Dr. med. M.________ habe die Sprachkenntnisse des Beschwerdegegners ausdrücklich als genügend bezeichnet; die Vorinstanz greife in den Kompetenzbereich des Gutachters ein, wenn sie nachträglich ohne überzeugende Begründung Mängel in der Kommunikation feststelle. Im Übrigen habe der Beschwerdegegner erst mit Stellungnahme vom 27. August 2001 und damit viel zu spät geltend gemacht, dass es ein Sprachproblem zwischen ihm und Dr. med. M.________ gegeben habe. 
3.3 Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Es trifft zwar zu, dass Dr. med. M.________ die Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers im Gutachten vom 15. August 1999 als "genügend" bezeichnete. Gleichzeitig aber wies er darauf hin, dass mit einem Dolmetscher kaum mehr Informationen herausschauen würden, womit er seine erste Aussage bereits etwas relativierte. Dass Dr. med. M.________ - entgegen der Auffassung der IV-Stelle - damit nicht zum Ausdruck bringen wollte, der Versicherte könnte schon sprechen, wolle aber nicht, ergibt sich deutlich aus dem an die IV-Stelle gerichteten Schreiben vom 28. März 2000, in welchem Dr. med. M.________ seine Bereitschaft erklärte, den Versicherten allenfalls im Beisein der Ehefrau und mit einem Dolmetscher erneut zu untersuchen. Denn damit bestätigte er die bereits im Gutachten vom 15. August 1999 andeutungsweise geäusserten Zweifel am Ausreichen der Sprachkenntnisse des Versicherten. Unter diesen Umständen verletzte die psychiatrische Exploration ohne Beizug eines Dolmetschers das rechtliche Gehör des Versicherten (vgl. BGE 127 V 226 Erw. 2b/bb) und hat die Vorinstanz die Sache zu Recht an die IV-Stelle zurückgewiesen, damit sie eine erneute psychiatrische Begutachtung unter Beizug eines der Muttersprache des Beschwerdegegners mächtigen Dolmetschers durchführe. 
4. 
Was den beschwerdegegnerischen Antrag auf Anordnung weiterer Abklärungen betreffend die Auswirkung allfälliger toxischer Substanzen auf seinen Gesundheitszustand sowie die beschwerdegegnerische Rüge, die Parteientschädigung sei willkürlich tief festgesetzt worden, anbelangt, ist zu berücksichtigen, dass das verwaltungsgerichtliche Verfahren, von spezialgesetzlichen Ausnahmen abgesehen, das Institut der Anschlussbeschwerde nicht kennt, weshalb der Beschwerdegegner als nicht selber beschwerdeführende Partei kein selbstständiges Begehren im Sinne eines Antrages stellen kann, das über den durch die Verwaltungsgerichtsbeschwerde bestimmten Streitgegenstand (vgl. dazu BGE 125 V 413) hinausgeht (BGE 124 V 155 Erw. 1 mit Hinweis). 
4.1 Da der Antrag auf Anordnung weiterer Abklärungen in somatischer Hinsicht zum Streitgegenstand gehört, ist auf ihn ohne weiteres einzutreten. Diesbezüglich hat bereits die Vorinstanz mit einlässlicher Begründung dargetan, dass der physische Gesundheitszustand des Beschwerdegegners umfassend abgeklärt worden ist und sich weitere Untersuchungen erübrigen. Insbesondere hat sie zu Recht darauf hingewiesen, dass im Bericht der Klinik Q.________ vom 7. Dezember 1998 ausgeführt wird, dass eine berufliche Exposition des Beschwerdegegners gegenüber toxischen Substanzen überprüft und als praktisch ausgeschlossen beurteilt worden sei. Diesen Ausführungen hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nichts beizufügen. 
 
Daran vermag auch der letztinstanzlich eingereichte Bericht der Rheumaklinik des Spitals X.________ vom 3. September 2002 nichts zu ändern. Da diese Eingabe nach Abschluss des Schriftenwechsels erfolgte, wäre sie nur beachtlich, soweit sie neue erhebliche Tatsachen oder entscheidende Beweismittel im Sinne von Art. 137 lit. b OG enthielte und als solche eine Revision des Gerichtsurteils rechtfertigen könnte (BGE 127 V 353). Dies ist schon deshalb nicht der Fall, weil sich das nachgereichte Aktenstück nicht auf den hier massgebenden Sachverhalt zur Zeit des Verfügungserlasses (27. Juli 2001; BGE 121 V 366 Erw. 1b mit Hinweisen) bezieht. 
4.2 Nicht eingetreten werden kann auf die Rüge der willkürlich tiefen Parteientschädigung, da diese ausserhalb des Streitgegenstandes liegt. 
5. 
Bleibt es mithin beim angefochtenen Entscheid, erweist sich der Antrag betreffend die unentgeltliche Verbeiständung für das vorinstanzliche Verfahren als gegenstandslos. 
6. 
6.1 Da es um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine Gerichtskosten zu erheben. 
6.2 Entsprechend dem Prozessausgang steht dem in der Hauptsache obsiegenden Beschwerdegegner eine Parteientschädigung zu (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 OG), welche nach Massgabe des Obsiegens und unter Berücksichtigung der eingereichten Kostennote auf Fr. 2000.- festzusetzen ist, in welchem Umfang das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung, welches mit Entscheid vom 13. August 2002 für die Einreichung einer Vernehmlassung gutgeheissen wurde, gegenstandslos ist. 
 
Soweit der Beschwerdegegner unterliegt, kann ihm die unentgeltliche Verbeiständung nicht gewährt werden, weil die von ihm gestellten Anträge betreffend Parteientschädigung und die Anordnung somatischer Abklärungen als aussichtslos zu bezeichnen waren (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
Der Antrag auf öffentliche Verhandlung wird abgewiesen. 
2. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
3. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
4. 
Die IV-Stelle Luzern hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
5. 
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird, soweit es nicht gegenstandslos geworden ist, abgewiesen. 
6. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
 
Luzern, 7. Mai 2003 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Vorsitzende der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: 
i.V.