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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_206/2012 
 
Urteil vom 7. Mai 2012 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Pfiffner Rauber, 
Gerichtsschreiberin Dormann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
P.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Zbinden, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Freiburg, 
Route du Mont-Carmel 5, 1762 Givisiez, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Einkommensvergleich), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Freiburg, Sozialversicherungsgerichtshof, vom 26. Januar 2012. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die 1963 geborene P.________ meldete sich im Juli 2007 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen und Durchführung des Vorbescheidverfahrens sprach ihr die IV-Stelle des Kantons Freiburg mit Verfügungen vom 25. November 2009 und 28. Januar 2010 eine Dreiviertelsrente ab 1. Juli 2006 zu, wobei sie einen Invaliditätsgrad von 67 % berücksichtigte. 
 
B. 
Die Beschwerden der P.________ wies das Kantonsgericht Freiburg mit Entscheid vom 26. Januar 2012 ab. 
 
C. 
P.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, unter Aufhebung des Entscheids vom 26. Januar 2012 sei festzustellen, dass sie einen Invaliditätsgrad von mindestens 70 % aufweise und daher Anspruch auf eine ganze Invalidenrente habe; subsidiär sei die Angelegenheit im Sinne der Erwägungen an das kantonale Gericht zur Fällung eines neuen Entscheids zurückzuweisen. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). 
 
2. 
Die Vorinstanz hat gestützt auf das Gutachten der Frau Dr. med. C.________ vom 12. Februar 2008 und die Stellungnahmen des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) eine Arbeitsfähigkeit der Versicherten von 50 % ohne zusätzliche Leistungsminderung festgestellt. Für den Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG) hat sie das Valideneinkommen 2006 unter Verweis auf das Schreiben des letzten Arbeitgebers vom 20. Juli 2009 auf Fr. 99'102.25 festgesetzt. Bei der Ermittlung des Invalideneinkommens von Fr. 34'890.- hat sie den Tabellenlohn der Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik (LSE 2006, Tabelle TA1, Sektor 70-74, Frauen, Anforderungsniveau 3) herangezogen und die betriebsübliche Wochenarbeitszeit sowie die um 50 % reduzierte Arbeitsfähigkeit einberechnet. Einen Abzug vom Tabellenlohn (E. 3.1.3) hat sie nicht gewährt mit der Begründung, eine Arbeit wie die bisherige Bürotätigkeit sei leidensangepasst; dabei sei eine weitere Einschränkung durch eine allfällige Chemikalienunverträglichkeit wenig wahrscheinlich. Auch andere Gründe für eine Einkommenseinbusse wie reduzierte Leistungsfähigkeit, Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Nationalität oder Beschäftigungsgrad seien nicht ersichtlich. Bei einem resultierenden Invaliditätsgrad von 64,79 % hat sie den Anspruch auf eine Dreiviertelsrente (Art. 28 Abs. 2 IVG) bestätigt. 
 
3. 
3.1 
3.1.1 Bei erwerbstätigen Versicherten ist der Invaliditätsgrad auf Grund eines Einkommensvergleichs zu bestimmen. Dazu wird das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach Eintritt der Invalidität und nach Durchführung der medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre (Art. 16 ATSG). Der Einkommensvergleich hat in der Regel in der Weise zu erfolgen, dass die beiden hypothetischen Erwerbseinkommen ziffernmässig möglichst genau ermittelt und einander gegenübergestellt werden, worauf sich aus der Einkommensdifferenz der Invaliditätsgrad bestimmen lässt (allgemeine Methode des Einkommensvergleichs; BGE 130 V 348 E. 3.4 S. 348, 128 V 30 E. 1 S. 30, 104 V 136 E. 2a und b S. 136). 
3.1.2 Was zunächst die Ermittlung des Valideneinkommens anbelangt, ist entscheidend, was die versicherte Person im Zeitpunkt des frühest möglichen Rentenbeginns nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit als Gesunde tatsächlich verdient hätte. Dabei wird in der Regel am zuletzt erzielten, nötigenfalls der Teuerung und der realen Einkommensentwicklung angepassten Verdienst angeknüpft, da es empirischer Erfahrung entspricht, dass die bisherige Tätigkeit ohne Gesundheitsschaden fortgesetzt worden wäre. Ausnahmen müssen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt sein (BGE 135 V 297 E. 5.1 S. 300 mit Hinweisen). 
3.1.3 Für die Festsetzung des Invalideneinkommens ist nach der Rechtsprechung primär von der beruflich-erwerblichen Situation auszugehen, in welcher die versicherte Person konkret steht. Hat sie nach Eintritt des Gesundheitsschadens keine oder jedenfalls keine ihr an sich zumutbare neue Erwerbstätigkeit aufgenommen hat, so können statistische Werte, insbesondere Tabellenlöhne der Lohnstrukturerhebung (LSE) des Bundesamtes für Statistik herangezogen werden (BGE 135 V 297 E. 5.2 S. 301; 129 V 472 E. 4.2.1 S. 475). 
 
Wird das Invalideneinkommen auf der Grundlage von statistischen Durchschnittswerten ermittelt, ist der entsprechende Ausgangswert (Tabellenlohn) allenfalls zu kürzen. Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass persönliche und berufliche Merkmale, wie Art und Ausmass der Behinderung, Lebensalter, Dienstjahre, Nationalität oder Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad Auswirkungen auf die Lohnhöhe haben können (BGE 124 V 321 E. 3b/aa S. 323) und je nach Ausprägung die versicherte Person deswegen die verbliebene Arbeitsfähigkeit auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nur mit unterdurchschnittlichem erwerblichem Erfolg verwerten kann (BGE 126 V 75 E. 5b/aa in fine S. 80). Der Abzug ist unter Würdigung der Umstände im Einzelfall nach pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen. Er darf 25 % nicht übersteigen (BGE 135 V 297 E. 5.2 S. 301; 126 V 75 E. 5b/bb-cc S. 80). 
 
3.2 Auf der nicht medizinischen beruflich-erwerblichen Stufe der Invaliditätsbemessung charakterisieren sich als Rechtsfragen die gesetzlichen und rechtsprechungsgemässen Regeln über die Durchführung des Einkommensvergleichs (BGE 130 V 343 E. 3.4 S. 348, 128 V 29 E. 1 S. 30, 104 V 135 E. 2a und b S. 136 f.). In dieser Sicht stellt sich die Feststellung der beiden hypothetischen Vergleichseinkommen als Tatfrage dar, soweit sie auf konkreter Beweiswürdigung beruht, hingegen als Rechtsfrage, soweit sich der Entscheid nach der allgemeinen Lebenserfahrung richtet. Letzteres betrifft etwa die Fragen, ob Tabellenlöhne anwendbar sind und welches die massgebliche Tabelle ist (BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399; Urteil 8C_255/2007 vom 12. Juni 2008 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 134 V 322) sowie die Wahl der zutreffenden Stufe (Anforderungsniveau 1 und 2, 3 oder 4; Urteile I 860/06 vom 7. November 2007 E. 3.2 und I 732/06 vom 2. Mai 2007 E. 4.2.2). Schliesslich ist die Frage, ob ein (behinderungsbedingt oder anderweitig begründeter) Abzug vorzunehmen sei, eine Rechtsfrage (BGE 137 V 71 E. 5.1 S. 72 f. mit Hinweis; Urteil 8C_652/2008 vom 8. Mai 2009 E. 4 in fine, nicht publiziert in: BGE 135 V 297). 
 
3.3 Was das Valideneinkommen anbelangt, geht auch die Versicherte davon aus, dass sie ohne Gesundheitsschaden eine Tätigkeit beim Kanton Bern als letztem Arbeitgeber weitergeführt hätte. Dieser hat mit Schreiben vom 6. Februar 2009 für das Vergleichsjahr 2006 ein Valideneinkommen in der Höhe des vom kantonalen Gericht berücksichtigten Betrags angegeben. Auf Rückfrage der IV-Stelle hin legte er im Schreiben vom 20. Juli 2009 nachvollziehbar (vgl. BGE 125 V 351 E. 3a S. 352) dar, weshalb die Versicherte nicht wie behauptet in eine höhere Gehaltsklasse eingeteilt worden wäre. Insbesondere ist nicht ersichtlich, weshalb die unterzeichnende "Co-Leiterin Personalmanagement" eine unzutreffende Funktion hätte angenommen haben sollen. Weder im Zwischenzeugnis vom 31. März 2003 noch im Protokoll des Mitarbeiterinnengesprächs vom 18. September 2003, im neu eingereichten und daher ohnehin unzulässigen (Art. 99 Abs. 1 BGG) Schreiben des Arbeitgebers vom 23. September 2005 oder in anderen Unterlagen finden sich genügend konkrete Hinweise dafür, dass die Versicherte tatsächlich ein höheres als das angerechnete Einkommen von Fr. 99'102.25 erzielt hätte. Nach dem Gesagten ist die vorinstanzliche Feststellung des Invalideneinkommens nicht offensichtlich unrichtig und beruht auch nicht auf einer Rechtsverletzung, weshalb sie für das Bundesgericht verbindlich ist (E. 1). 
3.4 
3.4.1 Es ist nicht ersichtlich und wird auch nicht vorgebracht, dass das von der Vorinstanz als beweiskräftig qualifizierte Gutachten der Frau Dr. med. C.________ in Bezug auf den medizinischen Sachverhalt den Anforderungen an die Beweiskraft (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3 S. 352 ff.) nicht genügen sollte. Darin wird eine über die attestierte Arbeitsunfähigkeit hinaus gehende Einschränkung der Leistungsfähigkeit explizit ausgeschlossen. Es rechtfertigt daher keine Reduktion des Tabellenlohnes, nur weil die Versicherte laut RAD-Arzt - welcher sie nicht selber untersuchte - bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit "anfänglich" noch "kurzer Pausen" bedarf (Stellungnahme vom 14. Februar 2008). 
3.4.2 Weiter ist auch nicht von vornherein davon auszugehen, dass dermassen hohe Ansprüche an die Ausgestaltung des Arbeitsplatzes gestellt werden müssen, dass deswegen eine Lohneinbusse in Kauf zu nehmen wäre. Solches geht weder aus den Empfehlungen des Seco vom 25. Juli 2002 noch aus dem Gutachten der Frau Dr. med. C.________ hervor. Diese berücksichtigte zudem die mit der behaupteten Chemikalienunverträglichkeit zusammenhängenden geklagten Beschwerden und wies darauf hin, dass das Leiden "wahlweise" u.a. als "multiple chemical sensitivity syndrome (...) oder als Neurasthenie bezeichnet" werden könne. 
3.4.3 Schliesslich ist nicht ersichtlich, dass die bisherige Anstellung beim Kanton mit finanziellen Nachteilen bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit verbunden sein soll. Einerseits ist der hypothetische ausgeglichene Arbeitsmarkt massgebend für die Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit (vgl. Art. 16 ATSG); anderseits kann sich frühere langjährige Betriebstreue durchaus in einem höheren Anfangslohn niederschlagen (Urteil U 420/04 vom 25. Juli 2005 E. 2.5). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin entspricht es jedenfalls nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass eine längere Anstellung in der öffentlichen Verwaltung bei einem späteren privatwirtschaftlichen Arbeitsverhältnis eine unterdurchschnittliche Entlöhnung nach sich zieht. Die mit der letzten Anstellung verbundenen Tätigkeiten und Anforderungen unterscheiden sich nicht wesentlich von jenen im privaten Sektor; ausserdem sind auch Tätigkeiten im öffentlichen Bereich - die mit einem höheren Durchschnittseinkommen verbunden sind (LSE 2006 TA2 und TA3) - nicht grundsätzlich ausgeschlossen. 
3.4.4 Andere Gründe für eine Herabsetzung des Invalideneinkommens (E. 4.1.3) sind nicht erkennbar. Im Übrigen hat die Vorinstanz das Invalideneinkommen auch unter dem Aspekt der Anforderungsstufe nicht zu hoch festgesetzt (E. 1 und 3.2): Die Höhe des Valideneinkommens (E. 3.3) liegt deutlich über dem Durchschnittslohn für Frauen im Anforderungsniveau 1 und 2, was die Berücksichtigung des entsprechenden Tabellenwertes nahelegen würde. Frau Dr. med. C.________ erachtete denn auch die bisherige Tätigkeit als "qualitativ weiter zumutbar", weshalb Ausbildung und Berufserfahrung für die Festsetzung des Invalideneinkommens grundsätzlich relevant sind (vgl. auch BGE 134 V 322 E. 4.1 S. 325). 
 
3.5 Die übrigen Faktoren der Invaliditätsbemessung werden nicht beanstandet. Insbesondere wird zu Recht nicht eine höhere als die vorinstanzlich festgestellte Einschränkung der Arbeitsfähigkeit (E. 2) geltend gemacht, zumal Frau Dr. med. C.________ (E. 3.4.1) lediglich die Diagnose einer Neurasthenie stellte (vgl. Urteile 9C_662/2009 vom 17. August 2010 E. 2.3; I 70/07 vom 14. April 2008 E. 5 und betreffend Qualifikation als Rechtsfrage BGE 130 V 352 E. 2.2.5 S. 355 f.; Urteil 9C_811/2010 vom 16. Februar 2011 E. 2.3). Diesbezüglich besteht aber - angesichts der Bindung an die Parteibegehren (Art. 107 Abs. 1 BGG) - auch kein Anlass für eine nähere Prüfung von Amtes wegen (vgl. E. 1). Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz zu Recht den Anspruch auf eine ganze Invalidenrente verneint. Die Beschwerde ist unbegründet. 
 
4. 
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Freiburg, Sozialversicherungsgerichtshof, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 7. Mai 2012 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Meyer 
 
Die Gerichtsschreiberin: Dormann