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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_320/2010 
 
Urteil vom 7. Juni 2010 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Gerichtsschreiber Faga. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, vertreten durch Rechtsanwalt Giuseppe Dell'Olivo-Wyss, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Missachtung des Vortrittsrechts; Grundsatz in dubio pro reo; Anklageprinzip, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, vom 17. Februar 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
A.________ überquerte am 26. Oktober 2007 auf einem Fussgängerstreifen die Zentralstrasse beim Verkehrskreisel Zentral- / Bahnhofstrasse in Wettingen. X.________ wird zur Last gelegt, mit seinem Personenwagen im Schritttempo auf ihn zugefahren zu sein und ihn leicht touchiert zu haben. 
 
B. 
Das Gerichtspräsidium Baden sprach X.________ mit Urteil vom 29. April 2009 schuldig der einfachen Verkehrsregelverletzung durch Nichtgewähren des Vortritts auf Fussgängerstreifen. Es bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 100.--. Die von X.________ dagegen erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 17. Februar 2010 ab. 
 
C. 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau sowie der Entscheid des Gerichtspräsidiums Baden seien aufzuheben. Er sei vom Vorwurf der einfachen Verkehrsregelverletzung freizusprechen bzw. es sei das Verfahren einzustellen. 
 
D. 
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Soweit der Beschwerdeführer die Aufhebung des Urteils des Gerichtspräsidiums Baden vom 29. April 2009 verlangt, wendet er sich nicht gegen den letztinstanzlichen Entscheid. Auf die Beschwerde ist in diesem Punkt nicht einzutreten, denn Anfechtungsobjekt bildet einzig das kantonal letztinstanzliche Urteil der Vorinstanz vom 17. Februar 2010 (Art. 80 Abs. 1 BGG). 
 
2. 
2.1 Der Beschwerdeführer sieht das Anklageprinzip verletzt. Laut Strafbefehl des Bezirksamts Baden vom 22. April 2008 werde ihm vorgeworfen, am 26. Oktober 2007 um 16.36 Uhr einem Fussgänger den Vortritt auf einem Fussgängerstreifen nicht gewährt zu haben. Demgegenüber lege ihm die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau zur Last, die fragliche Verkehrsregelverletzung zwischen 16.36 und 20.00 Uhr begangen zu haben. Aufgrund dieser Ausdehnung der Tatzeit sei es ihm nicht mehr möglich, seine Verteidigungsrechte genügend wahrzunehmen (Beschwerde S. 4 ff.). 
 
2.2 Nach dem aus Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV sowie aus Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. a und b EMRK abgeleiteten Anklagegrundsatz bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe genügend konkretisiert sind. Das Anklageprinzip bezweckt zugleich den Schutz der Verteidigungsrechte der angeschuldigten Person und dient dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion). Nach Art. 6 Ziff. 3 lit. a EMRK hat die angeschuldigte Person Anspruch darauf, in möglichst kurzer Frist über die Art und den Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden. Das Gericht ist an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden, nicht aber an dessen rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde (BGE 133 IV 235 E. 6.3 S. 245 mit Hinweisen). Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) verlangt, dass der beschuldigten Person eine für sie nachteilige Änderung des Prozessthemas mitgeteilt und ihr Gelegenheit geboten wird, sich dagegen zu verteidigen (Robert Hauser und andere, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl. 2005, § 50 Rz. 19). 
 
2.3 Im Strafbefehl des Bezirksamts Baden vom 22. April 2008, der am 19. November 2008 in Anwendung von § 197 Abs. 4 des Gesetzes [des Kantons Aargau] vom 11. November 1958 über die Strafrechtspflege (StPO; SAR 251.100) dem Bezirksgericht Baden überwiesen wurde, sind der Lebenssachverhalt und das dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Delikt in sachlicher und örtlicher Hinsicht hinreichend konkretisiert. Dass die Zeitangaben von der Staatsanwaltschaft am 2. Dezember 2008 abgeändert wurden (von ursprünglich 16.36 Uhr auf 16.36 bis 20.00 Uhr), ändert an der genügenden Konkretisierung des Tatvorwurfs nichts. Nach den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz ist unter dem Gesichtspunkt der Informationsfunktion des Anklageprinzips massgebend, dass die angeklagte Person genau weiss, was ihr angelastet wird, damit sie ihre Verteidigungsrechte angemessen ausüben kann. Ungenauigkeiten in den Zeitangaben sind solange nicht von entscheidender Bedeutung, als für die beschuldigte Person keine Zweifel darüber bestehen können, welches Verhalten ihr vorgeworfen wird (Urteil 6B_684/2007 vom 26. Februar 2008 E. 3.4 mit Hinweisen). Für den Beschwerdeführer war ohne Weiteres ersichtlich, welcher Vorfall Gegenstand der Anklage bildet. Zudem wurde ihm die zeitliche Korrektur des Geschehens vorgängig, d.h. vor dem erstinstanzlichen Gerichtsverfahren, bekannt gegeben. Er hat sich denn auch diesbezüglich bereits vor dem Bezirksamt Baden, dem Gerichtspräsidium Baden und der Vorinstanz wiederholt geäussert. Dass und inwiefern ihm eine wirksame Verteidigung nicht möglich gewesen sein sollte, ist unter dem Gesichtspunkt des Anklagegrundsatzes nicht ersichtlich. 
 
3. 
3.1 Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz die Verletzung der Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK) vor. 
 
3.2 Aus der in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung wird die Rechtsregel "in dubio pro reo" abgeleitet. Als Beweislastregel bedeutet die Maxime, dass es Sache der Anklagebehörde ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen, und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss. Dies prüft das Bundesgericht mit freier Kognition. Als Beweiswürdigungsregel besagt sie, dass sich der Strafrichter nicht von einem für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalt überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Inwiefern dieser Grundsatz verletzt sein soll, prüft das Bundesgericht nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür, das heisst, es greift nur ein, wenn das Sachgericht die beschuldigte Person verurteilte, obgleich bei objektiver Würdigung des Beweisergebnisses offensichtlich erhebliche beziehungsweise schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel an deren Schuld fortbestehen. Bloss abstrakte und theoretische Zweifel sind nicht massgebend, weil solche immer möglich sind und absolute Gewissheit nicht verlangt werden kann (BGE 127 I 38 E. 2a S. 40 f. mit Hinweisen). 
 
3.3 Die erste Instanz, auf deren Erwägungen die Vorinstanz verweist, befindet die Zeugenaussagen von A.________ als detailliert und in sich stimmig. Sie erwägt, es sei unwahrscheinlich, dass der Zeuge den Beschwerdeführer wissentlich oder irrtümlich falsch belaste. Gleichzeitig lässt die erste Instanz die Ausführungen des Beschwerdeführers in ihre Beweiswürdigung einfliessen. Sie zeigt verschiedene Widersprüche in seinen Schilderungen auf. Beispielsweise habe der Beschwerdeführer anlässlich der polizeilichen Einvernahme vom 6. Februar 2008 eingeräumt, der Zentralstrasse entlanggefahren zu sein, während er anlässlich der Gerichtsverhandlung ausgeführt habe, die Bahnhofstrasse hinuntergefahren zu sein. Auch seien seine Schilderungen, in welche Richtung A.________ unterwegs gewesen sein soll, widersprüchlich, indem er ausgeführt habe, A.________ habe die Zentralstrasse respektive die Bahnhofstrasse überquert. Die Beschreibung, dass er die Bahnhofstrasse befahren habe und A.________ von der "Limmat-Seite" (und somit grob geschildert von Süden) her die Bahnhofstrasse überquert habe, sei zudem in sich widersprüchlich, da diese von Norden nach Süden verlaufe. Der Beschwerdeführer habe im Übrigen eingeräumt, von 17.25 bis 17.35 Uhr mit seinem Fahrzeug in den Tägipark gefahren zu sein, der sich in einer Distanz von rund 600 Metern zum Tatort befinde. Endlich sei auch wenig glaubhaft, wenn der Beschwerdeführer sich anlässlich der Gerichtsverhandlung vom 29. April 2009 nicht mehr an die in der fraglichen Zeit gefahrene Strecke habe erinnern können, um kurz darauf in derselben Befragung eine detaillierte und (unter Berücksichtigung des Verkehrsaufkommens und der zurückgelegten Distanz) wenig plausible Route zu schildern, welche nicht am besagten Verkehrskreisel Zentral- / Bahnhofstrasse vorbeiführe (angefochtenes Urteil S. 6 und erstinstanzlicher Entscheid S. 16 ff.). 
 
3.4 Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, dass er über klare Entlastungsbeweise verfüge. Er verweist auf einen Telefonauszug sowie auf eine Quittung eines Coop-Restaurants im Tägipark. Offensichtlich unzutreffend sind seine Ausführungen, wonach aus dem Auszug hervorgehe, dass er um 16.36 Uhr verschiedene Telefongespräche geführt habe (Beschwerde S. 9). Vielmehr geht aus dem entsprechenden Beleg einzig hervor, dass unter anderem von 16.14 bis 16.24 Uhr sowie (erst wieder) ab 16.52 Uhr Gespräche geführt wurden (erstinstanzliche Akten pag. 16). Im Übrigen wiederholt der Beschwerdeführer lediglich die im kantonalen Verfahren vorgetragenen Tatsachenbehauptungen. Er legt einzig dar, wie die genannten Urkunden und seine Aussagen anlässlich der Befragungen vom 6. Februar 2008 und 29. April 2009 seiner Auffassung nach richtigerweise zu würdigen gewesen wären. Diese appellatorische Kritik vermag keine Willkür und keine Verletzung der Unschuldsvermutung darzutun. Insbesondere stellt er den erstinstanzlichen Erwägungen, wonach die im Tägipark um 17.37 Uhr ausgestellte Quittung nicht im Widerspruch stehe zum Vorwurf, wenige Minuten vor 17.35 Uhr den nahe gelegenen Kreisel Zentral- / Bahnhofstrasse befahren zu haben, lediglich seine eigene Sichtweise gegenüber. Dass die vorinstanzliche Beweiswürdigung im Ergebnis willkürlich sein sollte, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf, und solches ist auch nicht ersichtlich (vgl. zum Begriff der Willkür BGE 135 V 2 E. 1.3 S. 4 f. mit Hinweisen). 
 
Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung der aus dem Grundsatz "in dubio pro reo" abgeleiteten Beweislastregel vorbringt (Beschwerde S. 13 f.), ist seine Rüge unbegründet. Die Vorinstanz würdigt die von ihm eingereichte Quittung und gelangt zur Überzeugung, dass diese seine Anwesenheit am Tatort kurz vor 17.35 Uhr nicht ausschliesse. Sie würdigt im Übrigen die Zeugenaussagen sowie die Aussagen des Beschwerdeführers. Damit hält sie im Ergebnis fest, dass der Beschwerdeführer zu den für ihn ungünstigen Beweisergebnissen keine plausiblen entlastenden Umstände vorzubringen vermag. Dies ist verfassungs- und konventionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Vorinstanz stützt den Schuldspruch nicht auf den Vorwurf, der Beschwerdeführer habe seine Unschuld nicht nachgewiesen. Mithin überbindet sie ihm offenkundig weder die Beweislast noch nimmt sie an, er müsse seine Unschuld beweisen. 
 
4. 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 7. Juni 2010 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Favre Faga