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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
9C_137/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 7. Juli 2016  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner, 
Gerichtsschreiber Furrer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Bundesamt für Gesundheit, Schwarzenburgstrasse 165, 3003 Bern, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
A.________ AG, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Frank Scherrer, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Krankenversicherung (Spezialitätenliste; Überprüfung der Aufnahmebedingungen nach Patentablauf), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Januar 2016. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die A.________ AG, Zulassungsinhaberin des Arzneimittels B.________, welches in verschiedenen Packungsgrössen und Dosisstärken in der Liste der pharmazeutischen Spezialitäten und konfektionierten Arzneimittel mit Preisen (Spezialitätenliste; fortan: SL) aufgeführt ist, übermittelte dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) am 21. Februar 2012 Unterlagen zwecks Überprüfung der Aufnahmebedingungen von B.________ nach Patentablauf (Art. 65e KVV [SR 832.102]; in der von 1. Oktober 2009 bis 31. Mai 2015 in Kraft gestandenen Fassung [AS 2009 4245; 2015 1255]). Das BAG teilte der A.________ AG gestützt auf einen Auslandpreisvergleich (fortan: APV) mit, B.________ sei im Vergleich zum ausländischen Durchschnittspreis zu teuer und damit nicht mehr wirtschaftlich, weshalb es eine Preissenkung von 23,95 % zu verfügen beabsichtige (Mitteilung vom 19. April 2012). Aufgrund weiterer Abklärungen stellte sich das BAG in der Folge auf den Standpunkt, beim APV sei - weil die A.________ AG Lizenznehmerin der C.________ AG sei, welche dasselbe Arzneimittel (unter dem Arzneimittelnamen D.________) in Grossbritannien vertreibe - auch der Fabrikabgabepreis (FAP) von Grossbritannien einzubeziehen, was zu einer Preissenkung von 27,35 % führen müsse. Nach Gewährung des rechtlichen Gehörs setzte das BAG mit Verfügung vom 4. Dezember 2012 die SL-Preise für B.________ mit Wirkung ab 1. Januar 2013 wie folgt fest: 
 
       B.________                            Publikumspreis (PP)  
       XXX Tabl. XXX mg                     Fr. XXX 
       XXX Tabl. XXX mg                     Fr. XXX 
       XXX Tabl. XXX mg                     Fr. XXX 
       XXX Tabl. XXX mg                     Fr. XXX 
       XXX Tabl. XXX mg                     Fr. XXX 
       XXX Tabl. XXX mg                     Fr. XXX 
       XXX Tabl. XXX mg                     Fr. XXX  
 
Gleichzeitig entzog es einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung. 
 
B.   
Eine hiergegen erhobene Beschwerde hiess das Bundesverwaltungsgericht mit Entscheid vom 12. Januar 2016 dahingehend gut, dass es die angefochtene Verfügung aufhob und die Sache an das BAG zurückwies, damit dieses nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen (Vornahme einer umfassenden Wirtschaftlichkeitsprüfung anhand eines APV und eines therapeutischen Quervergleichs [fortan: TQV]) über die Preissenkung neu verfüge. 
 
C.   
Das BAG erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Januar 2016 sei aufzuheben und die Verfügung des BAG vom 4. Dezember 2012 zu bestätigen. Eventualiter sei die Parteientschädigung (zu Gunsten der Beschwerdegegnerin) vor der Vorinstanz auf lediglich Fr. 4'000.- festzusetzen. 
 
Die Beschwerdegegnerin trägt auf Abweisung der Beschwerde an, soweit darauf einzutreten sei. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Beim angefochtenen Entscheid, welcher die Sache zur Vornahme einer umfassenden Wirtschaftlichkeitsprüfung sowie zum anschliessendem Erlass einer neuen Verfügung über die Preissenkung an das BAG zurückweist, handelt es sich um einen selbstständig eröffneten Vor- oder Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG (BGE 142 V 26 E. 1.1 S. 28 mit Hinweis auf BGE 133 V 477 E. 4.2 S. 481 f.). Die Beschwerde an das Bundesgericht ist daher nur zulässig, wenn der Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG).  
 
1.2. Dispositiv-Ziffer 1 des angefochtenen Rückweisungsentscheids - mit Verweis auf die Erwägungen, wodurch diese Bestandteil des Dispositivs und bei Nichtanfechtung für die Verwaltung verbindlich werden (BGE 120 V 233 E. 1a S. 237; Urteil 9C_754/2014 vom 11. Juni 2015 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 141 V 385) - enthält materiellrechtliche Vorgaben, welche der Beschwerdeführer bei seinem neuen Entscheid befolgen muss. Mithin wird er durch den angefochtenen Entscheid gezwungen, eine seines Erachtens rechtswidrige Verfügung zu erlassen, die er selber nicht wird anfechten können. Damit ist ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG gegeben (BGE 140 V 282 E. 4.2 S. 285 f. mit Hinweisen;). Auf die Beschwerde ist einzutreten.  
 
1.3. Die Vorinstanz hat in Dispositiv-Ziffer 1 die Beschwerde dahingehend gutgeheissen, dass sie die Rückweisung der Sache zur umfassenden Wirtschaftlichkeitsprüfung anordnete. Im Übrigen - durch Verweis auf die Erwägungen (E. 1.2 hievor) - hat sie die Beschwerde abgewiesen und damit die Durchführung des APV bestätigt, namentlich den Einbezug des FAP von Grossbritannien (E. 8.4-8.5 des angefochtenen Entscheids). Weil der Beschwerdeführer - wie sich aus der Begründung der Beschwerdeschrift ergibt (Urteil 9C_251/2009 vom 15. Mai 2009 E. 1.3) - den vorinstanzlichen Entscheid einzig in Bezug auf die Anordnung anficht, (nebst dem APV) einen TQV durchzuführen und hernach über die Preissenkung neu zu verfügen, bilden die Modalitäten des APV nicht Streitgegenstand (BGE 125 V 413 E. 2a S. 415). Soweit sich die Beschwerdegegnerin dennoch dazu äussert, ist darauf nicht einzugehen.  
 
2.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
3.   
Was die rechtlichen Grundlagen, die - für den Streitgegenstand massgeblichen - Erwägungen den Vorinstanz sowie die Argumente des Beschwerdeführers betrifft, kann vollumfänglich auf das Urteil 9C_739/2015 vom 20. Juni 2016 (zur Publikation bestimmt) verwiesen werden, sind erwähnte Elemente doch in beiden Verfahren identisch. 
 
4.   
Unbestritten ist die Wirksamkeit und Zweckmässigkeit des Arzneimittels B.________ sowie das Vorliegen einer gültigen Zulassung des Schweizerischen Heilmittelinstituts Swissmedic. Strittig ist hingegen, ob die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von B.________ im Rahmen der Überprüfung der Aufnahmebedingungen nach Patentablauf gemäss Art. 65e KVV - wie die Verwaltung annimmt - einzig anhand eines APV oder - mit Vorinstanz und Beschwerdegegnerin - grundsätzlich mittels APV und TQV vorzunehmen ist. 
 
5.   
Das Bundesgericht hat sich im erwähnten Urteil 9C_739/2015 eingehend mit der Auslegung von Art. 65e KVV (in der hier massgebenden Fassung) auseinandergesetzt und legte - gekürzt wiedergegeben - Folgendes dar: 
 
Gemäss Art. 65e KVV hat nach Patentablauf eine Überprüfung der Aufnahmebedingungen zu erfolgen, wobei Letztere in Art. 65 KVV umschrieben werden. Die Aufnahmebedingung der Wirtschaftlichkeit bzw. deren Beurteilung ("im Allgemeinen") wird in Art. 65b KVV (i.V.m. Art. 34 Abs. 2 KLV) geregelt, welche Bestimmung als Beurteilungselemente insbesondere den TQV und den APV statuiert. Als Abweichung von dieser allgemeinen Wirtschaftlichkeitsbeurteilung sieht Art. 65e KVV (einzig) vor, dass die Kosten für Forschung und Entwicklung nicht mehr berücksichtigt werden. Weitergehende Abweichungen namentlich dergestalt, dass die Wirtschaftlichkeit nur anhand eines APV zu beurteilen wäre, enthält Art. 65e KVV - anders als Art. 65d Abs. 1bis KVV - nicht. Der Wortlaut von Art. 65e KVV (i.V.m. Art. 65 Abs. 3 und Art. 65b KVV) spricht somit für eine umfassende, auch den TQV beinhaltende Wirtschaftlichkeitsbeurteilung (a.a.O. E. 5.2.1). Entstehungsgeschichtlich sind zweierlei Ziele der Überprüfung der Arzneimittel nach Ablauf des Patentschutzes auszumachen. Zum einen das Ziel, die Preise der Arzneimittel unmittelbar nach und wegen dem Ablauf des Patentschutzes zu senken. Zum anderen jenes der Überprüfung der Aufnahmebedingungen (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit) gemäss Art. 32 Abs. 2 KVG. In Bezug auf die dreijährliche Überprüfung der Aufnahmebedingungen (Art. 65d Abs. 1bis KVV; in der von 1. Juni 2013 bis 31. Mai 2015 in Kraft gestandenen Fassung) hat das Bundesgericht in BGE 142 V 26 erkannt, dass diese umfassend zu erfolgen hat, d.h. unter Einschluss einer Kosten-Nutzen-Analyse, wie sie im Rahmen des TQV stattfindet. Denn nur eine umfassende Überprüfung der Kriterien von Art. 32 Abs. 1 KVG ermöglicht es, "überholte Leistungen auszumustern" (oder deren Preise zu senken) bzw. sicherzustellen, dass die im Rahmen der Aufnahme eines Arzneimittels in die SL gestellten Anforderungen während der gesamten Verweildauer auf der SL erfüllt sind. Dies hat auch für die Überprüfung nach Patentablauf zu gelten, weil diese - ebenso wie die dreijährliche Überprüfung - die Zielsetzung von Art. 32 Abs. 2 KVG verfolgt. Mithin steht der Einbezug des TQV im Einklang mit Sinn und Zweck der Überprüfung der Aufnahmebedingungen nach Patentablauf (a.a.O. E. 5.2.2). Eine umfassende Wirtschaftlichkeitsbeurteilung ist auch im Sinne des beschwerdeweise angerufenen Art. 43 Abs. 6 KVG (Ziel der möglichst günstigen Kosten), weil der Einbezug des TQV in der Regel sogar zu einem tieferen Vergleichswert als die alleinige Anwendung des APV führt (a.a.O. E. 5.2.3). Nicht gefolgt werden kann dem Einwand, eine Auslegung im Sinne der Rechtsgleichheit führe zur alleinigen Anwendung des APV. Namentlich ist nicht erkennbar, weshalb eine rechnerische Ausscheidung gewisser preislicher Komponenten der noch patentgeschützten Originalpräparate, die laut Beschwerde einen rechtsgleichen Vergleich verunmöglichten, nicht möglich sein sollte (a.a.O. E. 5.2.4). Zusammenfassend ergibt die Auslegung von Art. 65e KVV, dass nach Ablauf des Patentschutzes grundsätzlich eine umfassende Wirtschaftlichkeitsprüfung - anhand von APV und TQV - durchzuführen ist. Soweit das SL-Handbuch in Ziff. F.1.3 eine Wirtschaftlichkeitsprüfung vor allem anhand eines APV vorsieht, ist es gesetzeswidrig (a.a.O. E. 5.3). 
 
Die hievor wiedergegebenen Erwägungen haben auch für den vorliegenden Fall Geltung (vgl. E. 3). Mithin hat die Vorinstanz den Beschwerdeführer zu Recht angewiesen, die Wirtschaftlichkeit umfassend zu prüfen und hernach über die Preissenkung neu zu verfügen. 
 
6.   
Schliesslich rügt der Beschwerdeführer die Höhe der der Gegenpartei zugesprochenen Parteientschädigung für das vorinstanzliche Verfahren. Er macht geltend, er habe in beiden umstrittenen Punkten betreffend die Durchführung des APV (Einbezug des FAP von Grossbritannien, keine Gewährung der Toleranzmarge) obsiegt, weshalb die Parteientschädigung auf Fr. 4'000.- statt auf Fr. 8'000.- festzusetzen sei. Der Beschwerdeführer geht indes weder auf den Umstand ein, dass die Vorinstanz dem teilweisen Obsiegen bzw. Unterliegen der Parteien bereits explizit Rechnung getragen hat (E. 11.4 des angefochtenen Entscheids), noch zeigt er auf, inwiefern die Vorinstanz Bundesrecht verletzt bzw. ihr vorinstanzliches Ermessen bundesrechtswidrig ausgeübt haben soll. Die Beschwerde ist auch diesbezüglich unbegründet. 
 
7.   
Vom BAG als unterliegende Partei sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Hingegen hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bundesverwaltungsgericht schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 7. Juli 2016 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Glanzmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Furrer