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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
U 333/06 
 
Urteil vom 8. Januar 2007 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Schön, 
Gerichtsschreiber Wey. 
 
Parteien 
M.________, 1964, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Fürsprecher Dieter Caliezi, 
Aarbergergasse 40, 3011 Bern, 
 
gegen 
 
Visana Versicherungen AG, 
Weltpoststrasse 19, 3015 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern 
vom 29. Mai 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1964 geborene M.________ war seit Juni 2000 bei der Firma X.________ GmbH als Champignon-Pflückerin angestellt und bei der Visana Versicherungen AG (nachfolgend Visana) obligatorisch gegen Unfallfolgen versichert. Am 23. Oktober 2003 erlitt sie einen Arbeitsunfall: Als die Versicherte in den oberen Zuchtbeeten Champignons pflücken wollte und hierfür die mechanische Hebebühne, auf der sie stand, auf die maximale Höhe von ca. 1,8 Meter gekurbelt hatte, riss das Zugseil. Die Stehplattform und mit ihr die Versicherte stürzten hinunter. Während die Plattform ca. 60 cm über dem Boden stoppte, fiel M.________ schliesslich auf den Hallenboden. Die Versicherte war in der Folge während 5 bis 10 Minuten bewusstlos und für wenige Stunden paraplegisch, weshalb sie von der Schweizerischen Rettungsflugwacht (Rega) per Helikopter ins Spital Y.________, Notfallzentrum Chirurgie, gebracht wurde. Die Ärzte diagnostizierten eine Commotio cerebri, eine Commotio spinalis, eine Ellenbogenkontusion mit Hämatom rechts sowie multiple Prellungen (vgl. undatierten Bericht, Eingangsstempel vom 26. November 2003). Am 25. Oktober 2003 wurde M.________ nach Hause entlassen. Die Visana richtete Taggelder aus und übernahm die Heilbehandlung. Mit Verfügung vom 13. Juli 2005, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 4. November 2005, stellte sie ihre Leistungen per 31. Juli 2005 ein, weil der adäquate Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und den noch vorhandenen gesundheitlichen Beschwerden verneint werden müsse. 
B. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 29. Mai 2006 ab. 
C. 
M.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei die Visana zu verpflichten, die gesetzlichen Leistungen "für eine Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit von 100 %" über den 31. Juli 2005 hinaus auszurichten. Eventuell sei die Sache "zur Durchführung der erforderlichen Abklärungen und zum neuen Entscheid" an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ausserdem lässt sie um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung ersuchen. 
Während die Visana auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V [I 618/06] Erw. 1.2). 
2. 
Unter sämtlichen Verfahrensbeteiligten ist zu Recht unbestritten, dass im vorliegenden Fall der für die Leistungspflicht des Unfallversicherers zunächst vorausgesetzte natürliche Kausalzusammenhang (BGE 129 V 181 Erw. 3.1, 406 Erw. 4.3.1, je mit Hinweisen) zwischen dem am 23. Oktober 2003 erlittenen Unfall und den über den 31. Juli 2005 hinaus anhaltenden Beschwerden der Versicherten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zumindest im Sinne einer Teilkausalität gegeben ist. Zu beurteilen bleibt die Adäquanz des Kausalzusammenhangs. 
3. 
3.1 Die Vorinstanz hat im angefochtenen Entscheid die Rechtsprechung zu der für eine Leistungspflicht des Unfallversicherers nach Art. 6 Abs. 1 UVG unter anderem vorausgesetzten adäquaten Ursächlichkeit von natürlich kausalen psychischen Unfallfolgen (BGE 115 V 133; vgl. auch BGE 129 V 177, 402, 127 V 102, 125 V 456) zutreffend dargelegt. Hierauf wird verwiesen. 
3.2 Nach dem Unfall war die Versicherte während 5 bis 10 Minuten bewusstlos. Gemäss Bericht der Ärzte des Spitals Y.________ (undatiert, Eingangsstempel vom 26. November 2003) sei sie bei Einlieferung noch paraplegisch gewesen. Nach drei Stunden war jedoch "die Sensibilität wieder vollständig intakt" und "Bewegung (M2) im linken Fuss erkennbar. Nach fünf Stunden dann auch im rechten Fuss (M2)". Da sich für die Bewusstlosigkeit und die Lähmungserscheinungen im Rahmen der bildgebenden Verfahren keine Ursache finden liess, diagnostizierten die Ärzte des Spitals Y.________ eine Commotio cerebri und spinalis. Gemäss Gutachten der Ärzte des Zentrums für versicherungsmedizinische Begutachtung (ZVMB) vom 24. März 2005 ergaben sich "bereits in den ersten Stunden und Tagen nach dem Unfallereignis [...] Hinweise für eine psychische Überlagerung, welche im weiteren Verlauf das Zustandsbild zunehmend dominierte". Sie diagnostizierten dementsprechend (nur) noch ein psychisches Leiden: "Anpassungsstörung, schwere depressive Reaktion". Die Vorinstanz hat die Adäquanzprüfung somit zu Recht nach Massgabe von BGE 115 V 133 vorgenommen, was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde denn auch nicht beanstandet wird. 
4. 
4.1 Während die Vorinstanz das Unfallereignis vom 23. Oktober 2003 als mittelschwer qualifizierte, liegt nach Auffassung der Beschwerdeführerin ein mittelschwerer Unfall im Grenzbereich zu den schweren vor. Bei der Kategorisierung der Unfälle ist rechtsprechungsgemäss nicht an das Unfallerlebnis anzuknüpfen, sondern es ist das (objektiv erfassbare) Unfallereignis selbst für die Beurteilung heranzuziehen. Die Einstufung hat dabei einerseits aufgrund des augenfälligen Geschehensablaufs und andererseits mit Blick auf die erlittenen Verletzungen zu erfolgen (vgl. BGE 115 V 138 Erw. 6). Wie bereits eingangs geschildert, stürzte die Versicherte beim Pflücken von Champignons aus 1,8 Metern Höhe auf den Boden, da ein Halteseil der Hebebühne riss, auf der die Beschwerdeführerin stand. Die dabei erlittenen Verletzungen (mit erhebbarem organischem Substrat) waren leicht. Vor diesem Hintergrund ist die Betrachtungsweise der Vorinstanz nicht zu beanstanden, wonach das vorliegende Unfallereignis dem mittleren Bereich zuzurechnen und dabei weder an der Grenze zu den leichten noch zu den schweren Unfällen einzuordnen ist. 
4.2 Bei Unfällen, die bezüglich des Schweregrades dem mittleren Bereich zuzuordnen sind, lässt sich die Frage des adäquaten Kausalzusammenhangs rechtsprechungsgemäss nicht aufgrund des Unfalls allein schlüssig beantworten; vielmehr sind weitere, objektiv erfassbare Umstände, die unmittelbar mit dem Unfall im Zusammenhang stehen oder als direkte oder indirekte Folgen davon erscheinen, in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen. Der adäquate Kausalzusammenhang wäre nur dann zu bejahen, wenn eines der massgebenden Kriterien in besonders ausgeprägter Weise erfüllt ist oder mehrere Kriterien erfüllt sind (vgl. BGE 115 V 141 Erw. 6c/bb). Wie erwähnt, trat bei der Versicherten anfänglich eine Paraplegie auf, weshalb der Transport ins Spital Y.________ durch einen Helikopter der Rega erfolgte. Besonders dramatische Begleitumstände bzw. besondere Eindrücklichkeit des Unfalls können daher bejaht werden. In besonders ausgeprägter Weise liegt das Kriterium indessen nicht vor. Die restlichen Kriterien hat die Vorinstanz mit zutreffender Begründung richtigerweise verneint. Dabei gilt es zu beachten, dass bei der Prüfung der einzelnen Kriterien nur die organisch bedingten Beschwerden zu berücksichtigen sind, während die psychisch begründeten Anteile, deren hinreichender Zusammenhang mit dem Unfall den Gegenstand der Prüfung bildet, ausgeklammert bleiben (Urteil P. vom 30. September 2005, U 277/04, Erw. 4.3). 
4.3 Die - vorinstanzlich bestätigte - Leistungseinstellung der Visana per 31. Juli 2005 erfolgte demnach zu Recht. Daran vermöchten ergänzende Abklärungen nichts zu ändern. Es ist deshalb von den beantragten Weiterungen abzusehen. 
5. 
Da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen), kann die beantragte unentgeltliche Verbeiständung gewährt werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Fürsprecher Dieter Caliezi, Bern, für das Verfahren vor dem Bundesgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt. 
 
Luzern, 8. Januar 2007 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: