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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
2P.169/2005 /leb 
 
Urteil vom 8. Februar 2006 
II. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Betschart, Hungerbühler, 
Wurzburger, Müller, 
Gerichtsschreiber Schaub. 
 
Parteien 
A.________, 
Beschwerdeführerin, vertreten durch 
Rechtsanwalt Carlo Köhl, 
 
gegen 
 
Gemeinde X.________, vertreten durch 
Rechtsanwalt Diego F. Schwarzenbach, 
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 2. Kammer, Obere Plessurstrasse 1, 7000 Chur. 
 
Gegenstand 
Art. 29 Abs. 3 BV (unentgeltliche Verbeiständung), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil 
des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden, 2. Kammer, vom 25. Februar 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
A.________ hatte seit der Scheidung im Jahre 1994 ihre beiden Kinder allein erzogen. Von ihrem Ex-Ehemann erhielt sie monatliche Alimenten- und Unterhaltszahlungen von Fr. 2'500.-- (bis Juni 2002) bzw. Fr. 2'100.-- (bis Juni 2004) zuzüglich Kinderzulagen. Die Familienwohnung in X.________ kostete Fr. 1'500.-- pro Monat. Um finanziell für den eigenen und den Lebensunterhalt der Kinder aufkommen zu können, arbeitete sie als Büroangestellte (40%-Pensum), später auch als Masseurin sowie im Jahr 2002/03 zusätzlich als Sicherheitsbeamtin. Der Sohn (geb. 1986) machte ab Herbst 2003 eine Berufslehre, die Tochter (geb. 1988) besuchte seit dem Sommer 2004 das zehnte Schuljahr in einer Privatschule. 
Im November 2003 stellte A.________ bei der Sozialkommission der Gemeinde X.________ ein Gesuch um öffentliche Unterstützung (Sozialhilfe). Sie hatte bis dahin keine Berufsausbildung abgeschlossen und beabsichtigte, in Zürich bzw. im Kanton Aargau eine Ausbildung als Sozialpädagogin zu absolvieren, damit sie nach deren Abschluss ohne Unterstützung durch die Sozialhilfe ihren Lebensunterhalt selber bestreiten könnte. Der Regionale Sozialdienst Y.________ unterstützte diesen Entscheid und beantragte der kommunalen Sozialkommission, ihr diese Ausbildung zu ermöglichen und das Unterstützungsgesuch zu bewilligen. 
Die Sozialkommission wies das Gesuch am 25. November 2003 grundsätzlich ab, sprach A.________ aber einen einmaligen Beitrag von Fr. 2'724.85 (Kosten für das Generalabonnement der SBB) im Sinn einer "Starthilfe" zu und gab der Hoffnung Ausdruck, dass sie diese Ausbildung abschliesse. Dieser Entscheid blieb unangefochten. 
B. 
Im Dezember 2003 reichte A.________ ein neues Gesuch ein. Zudem ersuchte sie um Übernahme der Schulkosten im Umfang von Fr. 7'050.-- für das 10. Schuljahr ihrer Tochter. Die Sozialkommission wies am 5. August 2004 beide Gesuche um öffentliche Unterstützung ab. 
Gegen diese Entscheide erhob A.________, nun anwaltschaftlich vertreten, Rekurs beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (nachfolgend: Verwaltungsgericht). Dieses wies am 25. Februar 2005 den Rekurs ab (Dispositiv Ziff. 1) und lehnte das von A.________ gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab (Dispositiv Ziff. 2). Gerichtsgebühren wurden keine erhoben (Dispositiv Ziff. 3). 
C. 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 21. Juni 2005 beantragt A.________ dem Bundesgericht, Dispositiv Ziff. 2 des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 25. Februar 2005 (betreffend das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege) aufzuheben. Das Verwaltungsgericht habe Art. 29 Abs. 3 BV verletzt, indem es ihr Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung wegen Aussichtslosigkeit ablehnte. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht sie um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung. 
Die Gemeinde X.________ beantragt, die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen und der Beschwerdeführerin die unentgeltliche Rechtspflege für das Verfahren vor dem Bundesgericht nicht zu gewähren. Das Verwaltungsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Der angefochtene Entscheid des Bündner Verwaltungsgerichts, mit dem das Gesuch der Beschwerdeführerin um öffentliche Unterstützung (Sozialhilfe) und um unentgeltliche Verbeiständung abgewiesen wurde, ist ein letztinstanzlicher kantonaler Endentscheid, der sich auf kantonales Recht stützt und gegen den auf Bundesebene nur die staatsrechtliche Beschwerde offen steht (Art. 84 und Art. 86 Abs. 1 OG). Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist, unter dem Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 110 Ia 1 E. 2 S. 3 f.), einzutreten. 
2. 
2.1 Im vorliegenden Verfahren ist einzig darüber zu befinden, ob der Beschwerdeführerin die beantragte unentgeltliche Verbeiständung durch das Verwaltungsgericht in Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV verweigert worden ist. 
2.2 Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird in erster Linie durch das kantonale Prozessrecht geregelt. Unabhängig davon besteht ein solcher Anspruch unmittelbar aufgrund von Art. 29 Abs. 3 BV (BGE 129 I 129 E. 2.1 S. 133). Die Beschwerdeführerin beruft sich auf Art. 29 Abs. 3 BV und macht ausdrücklich geltend, das kantonale Recht gewähre keinen darüber hinausgehenden Anspruch. Ob der durch die Bundesverfassung garantierte Anspruch verletzt wurde, untersucht das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht frei; soweit es um tatsächliche Feststellungen geht, ist seine Kognition auf Willkür beschränkt (BGE 129 I 129 E. 2.1 S. 133 mit Hinweisen). 
2.3 Gemäss Art. 29 Abs. 3 BV hat eine Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand (BGE 128 I 225 E. 2.3 S. 227). 
2.4 Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde; eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet. Ob im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich nach den Verhältnissen zur Zeit, zu der das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt wird (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 f. mit Hinweisen). 
3. 
3.1 Das Verwaltungsgericht hat die Frage der Bedürftigkeit und die Notwendigkeit der Verbeiständung durch einen Anwalt offen gelassen, weil es das Gesuch wegen Aussichtslosigkeit ablehnte. Auch das Bundesgericht kann sich darauf beschränken, die Frage der Aussichtslosigkeit zu prüfen (zur Bedürftigkeit vgl. BGE 128 I 225 E. 2.5.1 S. 232; zur Notwendigkeit BGE 128 I 225 E. 2.5.2 S. 232 f., je mit Hinweisen). 
3.2 Indem die Beschwerdeführerin ausserhalb ihres Wohnortes eine neue Berufsausbildung in Angriff nahm, was mit vermehrten Auslagen verbunden war (zweite Wohnung, Transportkosten), hat sie die zum streitigen Unterstützungsbegehren führende Knappheit an finanziellen Mitteln weitgehend selber herbeigeführt. Wohl kann die nachträgliche Absolvierung einer Berufsausbildung die Erwerbsmöglichkeiten entscheidend verbessern. Beiträge an die Kosten einer Ausbildung werden, soweit die Gesuchstellerin nicht über genügend eigene Mittel verfügt, vom Gemeinwesen in der Regel in Form von Stipendien oder Darlehen geleistet, dies allenfalls auch dann, wenn es sich um eine Zweitausbildung oder um eine erst spät in Angriff genommene Erstausbildung handelt. 
Es mag zwar nicht ausgeschlossen sein, nach Massgabe der einschlägigen Vorschriften in Ausnahmefällen eine geplante Berufsausbildung - zur Beseitigung einer anders nicht behebbaren dauernden Bedürftigkeit - durch Leistungen der Sozialhilfe zu unterstützen. Das kann aber höchstens dann in Frage kommen, wenn der betreffende Gesuchsteller nicht sonstwie selber für seinen Lebensaufwand aufkommen kann (Subsidiaritätsprinzip; vgl. Urteil 2P.59/2001 vom 11. September 2001, E. 2b). 
3.3 Nach Auffassung der Gemeindebehörde und des Verwaltungsgerichts wäre es vorliegend der Beschwerdeführerin, welche sich im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung nur noch in reduziertem Mass um die Betreuung ihrer Kinder zu kümmern hatte, möglich gewesen, sich in der Umgebung ihres Wohnorts im Rahmen ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeiten nach einer Vollzeitstelle bzw. nach einer vollzeitlichen Beschäftigung umzusehen, um ihren Lebensaufwand weiterhin selber bzw. ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen bestreiten zu können. Dass und wieso diese dem angefochtenen Entscheid zugrunde liegende tatsächliche Annahme offensichtlich unzutreffend und willkürlich sein soll, ist nicht dargetan (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Damit fiel aber insofern eine Mitfinanzierung der beabsichtigten Berufsausübung aus Mitteln der Sozialhilfe ausser Betracht. 
3.4 Soweit es um notwendige Aufwendungen für die Ausbildung der Tochter geht, wäre, wie das Verwaltungsgericht zulässigerweise annehmen durfte, aufgrund der Subsidiarität der Sozialhilfe vorab der leibliche Vater des Kindes für diese Leistungen in Anspruch zu nehmen gewesen. Dass dieser Weg erfolglos beschritten worden sei, wird nicht behauptet. 
3.5 Aufgrund dieser Überlegungen, welche im Wesentlichen bereits in den Verfügungen der Gemeinde zum Ausdruck kamen, durfte das Verwaltungsgericht den im kantonalen Rechtsmittelverfahren gestellten Unterstützungsbegehren die erforderliche Erfolgsaussicht absprechen und das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung dementsprechend abweisen. 
Dass die Gemeinde für die Abfassung ihrer Verfügungen die Dienste eines Anwaltes bzw. ihres Rechtsberaters in Anspruch nahm, nachdem die Beschwerdeführerin den Erlass einer anfechtbaren Verfügung verlangt und die Ergreifung eines Rechtsmittels in Aussicht gestellt hatte, stellt die Verfassungsmässigkeit der Verweigerung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes für das kantonale Beschwerdeverfahren nicht in Frage, auch wenn von Behörden erwartet werden darf, dass sie über das zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderliche Fachwissen verfügen. Der von der Beschwerdeführerin beigezogene Anwalt musste sich bei richtiger Würdigung der Rechtslage über die geringen Erfolgsaussichten des eingereichten Rechtsmittels im Klaren sein. Dieser Einschätzung steht nicht entgegen, dass der regionale Sozialdienst den Standpunkt der Beschwerdeführerin unterstützt hatte, zumal die genannte Behörde ihrerseits erkennen liess, dass mit den gestellten Begehren "Neuland" beschritten werde. 
4. 
4.1 Eine Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV ist demnach nicht dargelegt. Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
4.2 Aufgrund des Gesagten entbehrte auch die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde der erforderlichen Erfolgsaussicht. Das für das bundesgerichtliche Verfahren gestellte Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung ist daher abzuweisen (Art. 152 Abs. 1 und 2 OG). 
4.3 Bei diesem Ausgang hat die Beschwerdeführerin die Kosten des Verfahrens vor Bundesgericht zu tragen, wobei ihrer wirtschaftlichen Situation mit einer reduzierten Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen ist (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 153 und 153a OG). 
4.4 Aufgrund der gesamten Umstände ist der Gemeinde X.________ keine Parteientschädigung auszurichten, zumal es im konkreten Fall auch nicht um heikle und komplexe Rechtsfragen geht, die den Beizug eines Rechtsanwalts notwendig erscheinen liessen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG; vgl. BGE 125 I 182 E. 7 S. 202; Urteil 2P.101/2005 vom 25. Juli 2005, E. 6 mit Hinweisen). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung wird abgewiesen. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt. 
4. 
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. 
5. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Gemeinde X.________ und dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 8. Februar 2006 
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: