Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
[AZA 0] 
C 178/00 Vr 
 
III. Kammer 
 
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Kernen; 
Gerichtsschreiber Attinger 
 
Urteil vom 8. Mai 2002 
 
in Sachen 
B.________, 1951, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
Amt für Wirtschaft und Arbeit, Arbeitslosenversicherung, Stampfenbachstrasse 32, 8001 Zürich, Beschwerdegegner, 
 
und 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
A.- Die 1951 geborene B.________ absolvierte verschiedene Ausbildungen (zur Damenschneiderin, Arztgehilfin, Kosmetikerin) und war in unterschiedlichen Berufen tätig. 
Wegen Beschwerden im Bereiche der Wirbelsäule sprach ihr die Invalidenversicherung als berufliche Eingliederungsmassnahme die Umschulung zur kaufmännischen Angestellten zu, welche sie im Juli 1998 erfolgreich abschloss. Mit Verfügung vom 7. Dezember 1998 stellte die IV-Stelle des Kantons Zürich fest, dass B.________ rentenausschliessend beruflich eingegliedert sei. Vom 26. November 1998 bis 
12. Februar 1999 arbeitete sie bei der Bank X.________ und vom 5. bis 20. Juli 1999 bei der Firma Y.________. Vor, zwischen und im Anschluss an diese Perioden vollzeitlicher Erwerbstätigkeit wurden ihr Taggelder der Arbeitslosenversicherung ausgerichtet. Im Rahmen einer im September 1999 eingeleiteten Überprüfung der Vermittlungsfähigkeit unterzog sie sich am 16. Dezember 1999 einer vom Amt für Wirtschaft und Arbeit, Zürich (AWA), angeordneten vertrauensärztlichen Untersuchung beim Allgemeinpraktiker Dr. U.________. Dieser erachtete in seinem Bericht vom 23. Dezember 1999 eine psychiatrische Begutachtung der Versicherten als notwendig. Weil sich B.________ in der Folge einer zusätzlichen vertrauensärztlichen Untersuchung durch einen Psychiater widersetzte und demzufolge der rechtserhebliche Sachverhalt nicht zuverlässig ermittelt werden könne, verneinte das AWA die Vermittlungsfähigkeit und somit den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab 
1. September 1999 (Verfügung vom 12. Januar 2000). 
 
 
B.- Mit Entscheid vom 10. April 2000 hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die hiegegen erhobene Beschwerde in dem Sinne gut, als es die angefochtene Verfügung aufhob und die Sache an das AWA zurückwies, damit dieses B.________ auf die drohende Leistungsablehnung für den Fall der Verweigerung einer vertrauensärztlichen psychiatrischen Begutachtung aufmerksam mache und hernach über den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung neu befinde (Dispositiv-Ziffer 1 mit Verweisung auf die Urteilserwägungen). 
 
C.- B.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit u.a. dem Antrag auf Ausrichtung von Taggeldern der Arbeitslosenversicherung. 
Ferner ersucht sie um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung. 
AWA und Staatssekretariat für Wirtschaft verzichten auf eine Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde. 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann insoweit nicht eingetreten werden, als sie "Klagen" und "Schadenersatzforderungen" gegen das Regionale Arbeitsvermittlungszentrum (RAV), die zuständige RAV-Beraterin und den Vertrauensarzt des AWA, Dr. U.________, wegen Nötigung, Amtsmissbrauch bzw. Verletzung des Arztgeheimnisses usw. 
zum Gegenstand hat. Diesbezüglich mangelt es an der Zuständigkeit des Eidgenössischen Versicherungsgerichts. 
 
2.- a) Eine der gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ist die Vermittlungsfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG). Gemäss Art. 15 Abs. 1 AVIG ist der Arbeitslose vermittlungsfähig, wenn er bereit, in der Lage und berechtigt ist, eine zumutbare Arbeit anzunehmen. 
Der körperlich oder geistig Behinderte gilt nach Art. 15 Abs. 2 AVIG als vermittlungsfähig, wenn ihm bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage, unter Berücksichtigung seiner Behinderung, auf dem Arbeitsmarkt eine zumutbare Arbeit vermittelt werden könnte. Behinderung im Sinne dieser Bestimmung meint eine dauernde und erhebliche Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit, die allerdings nicht im invalidenversicherungsrechtlichen Sinne invalidisierend wirken muss (BGE 126 V 127 Erw. 3a; ARV 1995 Nr. 30 S. 173 Erw. 3a/aa). Sofern die Abklärungen ergeben, dass eine im Sinne der zitierten Rechtsprechung behinderte arbeitslose Person trotz ihrer Behinderung auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt, welcher einen Fächer verschiedenartiger Stellen, namentlich auch gewisse "soziale Winkel", offen hält, vermittelbar ist, gilt sie als vermittlungsfähig im Sinne von Art. 15 Abs. 2 AVIG. Wirkt sich indessen ein Gesundheitsschaden in erwerblicher Hinsicht in schwerwiegender Weise aus, ist also die Erwerbslosigkeit ausschliesslich oder stark überwiegend auf die Gesundheitsstörung zurückzuführen, fällt die versicherte Person nicht mehr unter das von der Arbeitslosenversicherung gedeckte Risiko; sie gilt diesfalls als nicht vermittlungsfähig (ARV 1999 Nr. 19 S. 106 Erw. 2, 1998 Nr. 5 S. 30 Erw. 3b/aa, je mit Hinweisen). 
 
b) Bestehen erhebliche Zweifel an der Arbeitsfähigkeit eines Arbeitslosen, so kann die kantonale Amtsstelle eine vertrauensärztliche Untersuchung auf Kosten der Arbeitslosenversicherung anordnen (Art. 15 Abs. 3 AVIG). Der beigezogene Vertrauensarzt hat die Vermittlungsfähigkeit nicht selber zu beurteilen. Diese Aufgabe obliegt der Verwaltung und im Beschwerdefall dem Gericht. Im Rahmen einer Untersuchung zur Abklärung der Vermittlungsfähigkeit hat sich der Arzt deshalb darauf zu beschränken, den Gesundheitszustand zu diagnostizieren und dazu Stellung zu nehmen, ob, in welchem Umfang, bezüglich welcher Tätigkeiten und unter welchen Rahmenbedingungen hinsichtlich Arbeitsplatz und -zeit die versicherte Person arbeitsunfähig ist. Dies schliesst jedoch nicht aus, dass er sich auch zur Vermittlungsfähigkeit und -bereitschaft auszusprechen hat, wenn er bei seinen Untersuchungen psychische Gesundheitsschäden oder verhaltensmässige Auffälligkeiten bemerkt, welche diese beeinträchtigen können. In diesem Zusammenhang hat er sich auch zur Frage zu äussern, ob eine versicherte Person einem durchschnittlichen Arbeitgeber zugemutet werden kann (ARV 1999 Nr. 19 S. 106 Erw. 2, 1998 Nr. 5 S. 31 Erw. 3b/cc, je mit Hinweis). 
 
3.- a) In mehreren Schreiben an das RAV und das AWA vom 28. August, 10., 20. und 25. September sowie 2. Oktober 1999 (sowie anlässlich der persönlichen Befragung durch eine AWA-Mitarbeiterin vom 10. November 1999) machte die Beschwerdeführerin einen seit längerer Zeit bestehenden Erschöpfungs- und Belastungszustand geltend und führte überdies aus, die von ihr konsultierte Psychologin habe sie im Hinblick auf die Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses sowie eine Psychotherapie an eine Psychiaterin verwiesen. 
Vor diesem Hintergrund ordnete das AWA die vertrauensärztliche Untersuchung bei Dr. U.________ vom 16. Dezember 1999 an. Dessen Bericht an das AWA erging am 23. Dezember 1999 (mithin vor dem laut Vermerk mit Fax übermittelten Schreiben der Versicherten an den Vertrauensarzt vom 24. Dezember 1999, worin diese die früher erteilte Entbindung Dr. 
U.________s von der ärztlichen Schweigepflicht widerrief). 
Der Spezialarzt für Allgemeine Medizin führte im genannten Bericht aus, die Beschwerdeführerin habe am 22. Dezember 1999 telefonisch ausrichten lassen, dass sie die Mitteilung medizinischer Einzelheiten an das AWA nicht wünsche. Deshalb würden anamnestische Angaben, Befunde der Untersuchung sowie die Diagnose in seinen Akten verbleiben. Er äusserte sich nur dahingehend, dass auf Grund seiner ausführlichen Befragung und körperlichen Untersuchung der Versicherten erhebliche Zweifel an deren aktuellen Arbeitsfähigkeit bestünden. Im Vordergrund stehe nicht die bekannte Rückenproblematik; zufolge der beruflichen Umschulung und unter Einhaltung ihrer Rückengymnastik sollte die Beschwerdeführerin aus rheumatologischer Sicht einer Sekretariatsarbeit mit wechselnder Arbeitsposition gewachsen sein. Als limitierend bezüglich Arbeits- und Vermittlungsfähigkeit erachte er vielmehr Auffälligkeiten im Verhalten sowie die Selbst- und Fremdeinschätzung der Versicherten. Um diesen wahrscheinlich therapierbaren Einschränkungen gebührend Rechnung zu tragen, wäre eine psychiatrische Beurteilung notwendig. 
 
b) Entgegen der von der Beschwerdeführerin vertretenen Auffassung (in der vorinstanzlich eingereichten Beschwerdeschrift bezog sie sich u.a. ausdrücklich auf die "Erkenntnisse" des Vertrauensarztes Dr. U.________) kann auf Grund der dargelegten Aktenlage die Arbeits- und Vermittlungsfähigkeit keinesfalls bejaht werden. Vielmehr erweist sich unter den gegebenen Umständen eine vertrauensärztliche psychiatrische Begutachtung als unabdingbar. Nur auf der Grundlage einer derartigen, im Sinne der aufgezeigten Rechtsprechung (Erw. 2b hievor) umfassenden ärztlichen Stellungnahme zur funktionellen Leistungsfähigkeit wird es möglich sein, die Frage nach der Vermittlungsfähigkeit abschliessend zu beantworten. Wie die Vorinstanz zutreffend festhielt, ist überdies die Zumutbarkeit einer psychiatrischen Abklärung ohne weiteres zu bejahen. 
Der in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde sinngemäss erhobene Einwand, auf den Bericht des Vertrauensarztes Dr. U.________ vom 23. Dezember 1999 dürfe nicht abgestellt werden, weil die Versicherte zu einem Zeitpunkt nach erfolgter Begutachtung die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht und die Ermächtigung zur Aushändigung von Untersuchungsergebnissen an das AWA widerrufen habe, führt - unabhängig davon, wie diese Frage zu beantworten wäre - zu keinem anderen Schluss. Denn vorliegend ergibt sich die Unumgänglichkeit einer medizinischen Abklärung, welche sich namentlich auch auf den psychischen Gesundheitszustand erstreckt, bereits auf Grund der eigenen Angaben der Beschwerdeführerin in den in Erw. 3a hievor erwähnten Schreiben zuhanden der Verwaltung. 
 
4.- Es fragt sich, welche Rechtsfolgen die Verweigerung einer für die Beurteilung der Arbeits- und Vermittlungsfähigkeit unabdingbaren und zumutbaren vertrauensärztlichen Untersuchung im Sinne von Art. 15 Abs. 3 AVIG zeitigt. 
 
a) Weder AVIG noch AVIV lässt sich eine diesbezügliche Vorschrift entnehmen. Für den Bereich der Invalidenversicherung sieht Art. 73 IVV vor, dass die IV-Stelle - unter Ansetzung einer angemessenen Frist und Darlegung der Säumnisfolgen - auf Grund der Akten beschliessen kann, wenn Versicherte schuldhaft eine Begutachtung verweigern. Dies gilt jedenfalls für Abklärungsmassnahmen, welche nicht mit der Eingliederung im Zusammenhang stehen (BGE 97 V 176 Erw. 3; Meyer-Blaser, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, Zürich 1997, S. 70 und 298). Im Gebiet der Arbeitslosenversicherung erwiese sich indessen in Fällen wie dem vorliegenden ein Entscheid auf Grund der vorhandenen (unvollständigen) Akten als nicht sachgerecht, weil das AVIG grundsätzlich von einer Vermutung zu Gunsten der Vermittlungsfähigkeit ausgeht. So schreibt Art. 15 Abs. 3 eine vertrauensärztliche Untersuchung nur für den Fall vor, dass "erhebliche Zweifel" an der Arbeitsfähigkeit eines Arbeitslosen bestehen. Des Weitern steht die in Art. 15 Abs. 3 AVIV statuierte Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung im Verhältnis zu anderen Sozialversicherungszweigen, namentlich zur Invalidenversicherung, (nur) unter dem Vorbehalt, dass die behinderte Person "nicht offensichtlich vermittlungsunfähig" ist. Unter diesem Gesichtspunkt muss der hier streitige Widerstand gegen eine zumutbare Mitwirkung bei der medizinischen Abklärung analog Art. 10 Abs. 2 und Art. 31 Abs. 1 IVG dem Grundsatze nach zur Leistungsverweigerung führen (vgl. in diesem Zusammenhang Art. 30a AVIG). 
 
b) Wie das kantonale Gericht zutreffend festgestellt hat, gilt es jedoch, das Verhältnismässigkeitsprinzip nicht aus den Augen zu verlieren. Nach diesem in Art. 5 Abs. 2 BV verankerten Grundsatz rechtsstaatlichen Handelns folgt für das Sozialversicherungsrecht ganz allgemein, dass jedenfalls schwere Rechtsnachteile als Folge eines pflichtwidrigen Verhaltens nur Platz greifen dürfen, wenn die versicherte Person vorgängig ausdrücklich auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden ist (zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin geltende Rechtsprechung: BGE 96 V 3 Erw. 4b mit Hinweis; ARV 1993/94 Nr. 33 S. 234 Erw. 2b mit Hinweisen). Dementsprechend setzt die Verweigerung von Arbeitslosenentschädigung zufolge Widersetzlichkeit gegen eine für die Beurteilung der Arbeits- und Vermittlungsfähigkeit unabdingbare und zumutbare vertrauensärztliche Untersuchung voraus, dass die kantonale Amtsstelle die versicherte Person unter Ansetzung einer angemessenen Frist und Androhung der Säumnisfolgen zur Mitwirkung bei der medizinischen Abklärung aufgefordert hat (vgl. Art. 29 Abs. 3 AVIV; vgl. ferner den im Zusammenhang mit Art. 30a AVIG erfolgten Hinweis von Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, S. 266, Rz 722, auf die Rechtsprechung zu Art. 10 Abs. 2 und Art. 31 Abs. 1 IVG). 
 
5.- Da das AWA der Beschwerdeführerin die Leistungsverweigerung für den Fall des aufrechterhaltenen Widerstandes gegen die psychiatrische Begutachtung nicht in gehöriger Form und unter Fristansetzung androhte, hat die Vorinstanz die Sache zu Recht zur Durchführung des Mahn- und Bedenkzeitverfahrens und anschliessenden neuen Verfügung über den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab 
1. September 1999 an die Verwaltung zurückgewiesen. 
 
6.- Da es um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, sind keine Verfahrenskosten aufzuerlegen (Art. 134 OG). Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung ist somit gegenstandslos. 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit 
darauf einzutreten ist. 
 
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich und dem Staatssekretariat für Wirtschaft 
 
 
zugestellt. 
Luzern, 8. Mai 2002 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der III. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: