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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
I 751/06 
 
Urteil vom 8. Juni 2007 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Borella, Seiler, 
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle. 
 
Parteien 
B.________, 1964, Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kurt Steiner, Spitalgasse 4, 9000 St. Gallen, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 29. Juni 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
B.________, geboren 1964, unterzog sich am 29. August 2001 einem Eingriff am linken Bein (Parvarezidivvarizenoperation). Am 1. Oktober 2001 trat er eine neue Stelle als Maschinenbediener/ Schichtarbeiter bei der Firma W.________ AG an. Unter Hinweis auf Probleme in der Wadenmuskulatur meldete er sich am 12. August 2003 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug (Berufsberatung, Umschulung auf eine neue Tätigkeit, Rente) an. Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen führte erwerbliche Abklärungen durch und holte Berichte ein des Dr. med. Z.________, Allgemeine Medizin FMH, vom 22. August 2003 (dem Schreiben des Spitals X.________ vom 10. Dezember 2002, der Klinik R.________ vom 24. Januar 2003, und des Spitals Y.________ vom 29. April, 21. Mai und 26. August 2003 beilagen) sowie vom 18. November 2003 und 16. März 2004. Überdies bat sie ihren Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD; Dr. med. U.________, FMH für Physikalische Medizin und Rehabilitation sowie Innere Medizin) um eine Stellungnahme vom 28. November 2003. Nachdem der Versuch, das Arbeitspensum von 50 % auf 100 % zu steigern, misslungen war, kündigte die Arbeitgeberin den Arbeitsvertrag auf den 30. Juni 2004. Die IV-Stelle veranlasste (nach Rücksprache mit ihrem RAD vom 23. April 2004) eine angiologische Begutachtung bei Dr. med. S._______, Konsiliararzt Gefässchirurgie am Spital H.________, vom 14. Juni 2004, holte eine weitere Stellungnahme ihres RAD vom 16. Juli 2004 ein und liess B.________ am 4. Januar 2005 durch Dr. med. A.________, FMH für Orthopädie, begutachten. Weiter gab sie ein psychiatrisches Gutachten bei Dr. med. L.________, FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, in Auftrag, welches am 17. Januar 2005 erging. Nachdem der RAD (Dr. med. K.________, FMH für orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates) am 26. Januar 2005 erneut Stellung genommen hatte, verfügte die IV-Stelle am 21. Februar 2005 den Abschluss der Arbeitsvermittlung und wies mit Verfügung vom gleichen Tag das Rentenbegehren mangels anspruchsbegründendem Invaliditätsgrad ab. Die hiegegen erhobenen Einsprachen des B.________ wies sie am 2. August 2005 ab. 
B. 
B.________ liess Beschwerde führen, welche das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 29. Juni 2006 teilweise guthiess, den Einspracheentscheid aufhob und feststellte, dass B.________ Anspruch auf Arbeitsvermittlung durch die IV-Stelle habe. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt B.________ die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides, soweit dieser seinen Anspruch auf eine Invalidenrente ablehne, die Feststellung, dass sein Invaliditätsgrad mindestens 42 % betrage und die Zusprechung der "gesetzlichen Leistungen gemäss IVG, allenfalls auch gemäss ELG". Eventualiter sei die Sache zur weiteren Abklärung und neuen Festsetzung seiner Ansprüche an die Vorinstanz bzw. die IV-Stelle zurückzuweisen. 
 
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Vorinstanz und Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG [SR 173.110]) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205 und 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395). 
1.2 
1.2.1 Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Das Bundesgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 Abs. 2 OG [in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG, in Kraft seit 1. Juli 2006] in Verbindung mit Art. 104 lit. a und sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
1.2.2 Entgegen den Vorbringen des Versicherten ist nach der massgeblichen Übergangsbestimmung (lit. c von Ziff. II der Gesetzesänderung vom 16. Dezember 2005) bisheriges Recht (nur) für die im Zeitpunkt des Inkrafttretens letztinstanzlich bereits anhängigen Beschwerden anwendbar. Dies trifft hier nicht zu (die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wurde am 7. September 2006 der Post übergeben und ging am 8. September 2006 beim Eidgenössischen Versicherungsgericht ein). Dass der angefochtene Entscheid vom 29. Juni 2006 datiert und somit vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung erging, ist nicht massgeblich. Es verhält sich anders als nach dem per 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Art. 132 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG), welcher das neue Recht erst auf diejenigen Beschwerdeverfahren intertemporalrechtlich für anwendbar erklärt, in denen nicht nur die Sache am 1. Januar 2007 beim Bundesgericht anhängig war, sondern auch der angefochtene Entscheid nach Inkrafttreten des BGG ergangen ist (BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395, Urteil I 649/06 vom 13. März 2007 E.2). 
2. 
2.1 Das kantonale Gericht gelangte in Würdigung der medizinischen Akten, insbesondere gestützt auf die Einschätzungen der Dres. med. S.________ (angiologische Beurteilung), L.________ (psychiatrische Einschätzung) und A.________ (orthopädische Begutachtung) zum Ergebnis, aus somatischer Sicht sei dem Versicherten eine leidensangepasste Tätigkeit uneingeschränkt zumutbar, aus psychischen Gründen bestehe eine Reduktion der Arbeitsfähigkeit von 20 %. Diese vorinstanzlichen Feststellungen sind tatsächlicher Natur (vgl. BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 398) und damit für das Bundesgericht lediglich unter eingeschränktem Blinkwinkel überprüfbar (E. 1.2.1 hievor). 
2.2 Die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geäusserte Kritik an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung führt nicht zur Annahme einer Bundesrechtsverletzung: Zunächst bildet (grundsätzlich) der Einspracheentscheid (hier: 2. August 2005) die zeitliche Grenze der richterlichen Überprüfungsbefugnis (BGE 121 V 362 E. 1b S. 366), weshalb eine allfällige gesundheitliche Verschlechterung nach diesem Zeitpunkt im vorliegenden Verfahren unberücksichtigt bleiben muss (eine wesentliche Verschlimmerung könnte allenfalls Anlass für eine Neuanmeldung sein [Art. 87 Abs. 4 IVV; BGE 117 V 198 E. 3a S. 198]). Weiter ist die Herkunft eines Beweismittels nicht ausschlaggebend für dessen Beweiswert (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352). Der Umstand, dass die medizinischen Gutachten der Dres. med. S.________, A.________ und L.________ von der IV-Stelle in Auftrag gegeben wurden, lässt damit grundsätzlich nicht an deren Verlässlichkeit zweifeln. In Würdigung, dass die darin enthaltenen Einschätzungen die in der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen (vgl. BGE 125 V 351 E. 3a S. 352) erfüllen, hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, insbesondere auch nicht den Untersuchungsgrundsatz (Art. 61 lit. c ATSG; Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichtes I 633/06 vom 7. November 2006 E. 3 mit Hinweisen), indem sie auf die erwähnten fachärztlichen Einschätzungen abgestellt und - in zulässiger Weise (antizipierte Beweiswürdigung) - von weiteren Beweismassnahmen abgesehen hat. 
3. 
3.1 Die Regeln über die Durchführung eines Einkommensvergleichs, einschliesslich derjenigen über die Anwendung von Tabellenlöhnen, betreffen Rechtsfragen. Die Feststellung der beiden hypothetischen Vergleichseinkommen ist eine Tatfrage, soweit sie auf konkreter Beweiswürdigung beruht, hingegen eine Rechtsfrage, soweit sich der Entscheid nach allgemeiner Lebenserfahrung richtet. Letzteres betrifft etwa die Frage, ob Tabellenlöhne anwendbar sind, welches die massgebliche Tabelle ist und ob ein leidensbedingter Abzug zu gewähren ist (nicht aber die Höhe dieses Abzuges; vgl. E. 3.3 hienach; zum Ganzen: BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399). 
3.2 Der - für den Zeitpunkt der Invaliditätsbemessung relevante (BGE 129 V 222 E. 4.2 S. 223) - Beginn einer allfälligen Rente würde ins Jahr 2003 (ein Jahr nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit gemäss Art. 29 Abs. 1 lit b IVG) fallen. Das Einkommen, welches der Versicherte in diesem Jahr ohne invalidisierende Gesundheitsschädigung mutmasslich erzielt hätte (Valideneinkommen), ist gestützt auf die Angaben der Arbeitgeberin, bei der er zuletzt tätig war, festzusetzen. Gemäss Arbeitgeberbericht vom 26. September 2003 hätte sich der Bruttolohn im Jahr 2003 auf Fr. 52'988.- (13 x Fr. 4'076.-) zuzüglich Schichtzulagen in Höhe von 14'040.- (12 x Fr. 1'170.-), somit insgesamt auf Fr. 67'028.- belaufen. 
3.3 
3.3.1 Das trotz gesundheitlicher Beeinträchtigung zumutbarerweise noch erzielbare Einkommen (Invalideneinkommen) ist entgegen den vorinstanzlichen Erwägungen anhand der statistischen Durchschnittslöhne gemäss der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Lohnstrukturerhebung (LSE) zu bestimmen (wie dies die IV-Stelle sowohl in ihrer Verfügung vom 21. Februar 2005 als auch im Einspracheentscheid vom 2. August 2005 getan hat; BGE 129 V 472 E. 4.2.1 S. 475 mit Hinweisen): Zum einen hatte der Beschwerdeführer seine Arbeitsstelle bei der Firma W.________ AG zum massgeblichen Zeitpunkt des Einspracheentscheides am 2. August 2005 (BGE 131 V 9 E. 1 S. 11) nicht mehr inne und nahm auch keine neue zumutbare Erwerbstätigkeit mehr auf. Zum anderen handelt es sich bei der Arbeit als Maschinenbediener nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz um eine wechselbelastende Tätigkeit mit häufigem Stehen und Gehen, aber auch der Möglichkeit zum Sitzen; der Versicherte ist indessen gesundheitsbedingt auf eine Arbeit angewiesen, die er hauptsächlich im Sitzen verrichten kann. Die angestammte Tätigkeit trägt somit den gesundheitlichen Einschränkungen nicht ausreichend Rechnung. 
3.3.2 Auszugehen ist vom monatlichen Bruttolohn (Zentralwert bei einer standardisierten Arbeitszeit von 40 Wochenstunden) der mit einfachen und repetitiven Arbeiten (Anforderungsniveau 4) im gesamten privaten Sektor beschäftigten Männer im Jahr 2002 von Fr. 4'557.- (LSE 2002, S. 43 Tabelle TA1). Die Umrechnung auf die betriebsübliche Arbeitszeit von 41,7 Stunden und die Berücksichtigung der Nominallohnentwicklung von + 1.4 % (Die Volkswirtschaft 5/2007 Tabellen B9.2 und B10.2 S. 86 f) führt (x 12) zu einem Jahresverdienst von Fr. 57'806.-. 
3.3.3 Das kantonale Gericht stellte in für das Bundesgericht verbindlicher Weise fest, dass der Beschwerdeführer auch nach Eintritt des Gesundheitsschadens weiterhin Schichtarbeit verrichten könnte. Bei der Festsetzung des Invalideneinkommens sind deshalb entsprechende Zuschläge grundsätzlich zu berücksichtigen (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichtes I 398/05 vom 7. Dezember 2005 E. 3.2). Indessen ist rein hypothetisch, wie hoch eine solche Zulage an einer anderen Arbeitsstelle ausfallen würde. Aus diesem Grund ist auf deren Berücksichtigung sowohl auf Seiten des Validen- als des Invalideneinkommens zu verzichten (vgl. Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichtes I 398/05 vom 7. Dezember 2005 E. 3.2). 
3.4 Ohne Schichtzulage in Höhe von Fr. 1'170.- monatlich liegt das Valideneinkommen (13 x 4'076.- = Fr. 52'988.-) unter dem statistischen Durchschnittslohn von Fr. 57'806.- (E. 3.3.2 hievor). Der prozentuale Minderverdienst von 8,3 % ist auch vom Invalideneinkommen in Abzug zu bringen (BGE 129 V 222 E. 4.4 S. 225). 
3.5 Bei der Höhe des (im konkreten Fall grundsätzlich angezeigten) Abzuges vom Tabellenlohn handelt es sich um eine typische Ermessensfrage, deren Beantwortung letztinstanzlicher Korrektur nurmehr dort zugänglich ist, wo das kantonale Gericht das Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat (Art. 104 lit. a OG; BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399). Dies trifft hier nicht zu. 
3.6 Unter Berücksichtigung einer Arbeitsfähigkeit von 80 % und eines leidensbedingten Abzuges von 15 % ist der Berechnung somit ein Invalideneinkommen von Fr. 36'045.- (statistischer Durchschnittslohn im Jahre 2003: Fr. 57'806.- [E. 3.3.2 hievor] ./. 8,3 % [E. 3.4 hievor], Arbeitsfähigkeit: 80 %; Abzug vom Tabellenlohn: 15 %) und ein Valideneinkommen von Fr. 52'988.- (E. 3.2 hievor) zu Grunde zu legen. Damit ist im Ergebnis der vorinstanzlich auf 32 % festgesetzte Invaliditätsgrad nicht zu beanstanden. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, der Ausgleichskasse Zürcher Arbeitgeber und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt. 
Luzern, 8. Juni 2007 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: