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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_293/2010 
 
Urteil vom 8. Juli 2010 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber, 
Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke. 
 
Verfahrensbeteiligte 
G.________ AG, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Ausgleichskasse des Kantons Bern, Abteilung Beiträge und Zulagen, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 17. März 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Am 11. März 2009 beantragte die G.________ AG bei der Ausgleichskasse des Kantons Bern Mutterschaftsentschädigung für X.________, welche am 10. März 2009 eine Tochter geboren hatte. Nach mehrmaliger Einholung von weiteren Unterlagen wies die Ausgleichskasse das Leistungsbegehren mit Verfügung vom 5. August 2009 ab, was sie mit Einspracheentscheid vom 13. Oktober 2009 bestätigte. 
 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid des Einzelrichters vom 17. März 2010 ab, nachdem es mit verschiedenen prozessleitenden Verfügungen die Einreichung weiterer Unterlagen eingefordert hatte. 
 
C. 
Die G.________ AG, handelnd durch deren einziges Verwaltungsratsmitglied Y.________, beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei für X.________ die volle Mutterschaftsentschädigung unter Berücksichtigung eines monatlichen Durchschnittslohnes von Fr. 7'350.- während der fünfmonatigen Erwerbstätigkeit vor der Niederkunft auszurichten, mit Verrechnung der Beitragsrechnungen für das erste und zweite Quartal 2009 und mit Berücksichtigung des Verzugszinses von 10 %. Zudem verlangt sie die Vergütungen der Auslagen. 
 
Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Legitimiert zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist nach Art. 89 Abs. 1 BGG, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a), durch den angefochtenen Entscheid oder Erlass besonders berührt ist (lit. b) und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat (lit. c). Die Beschwerdeführerin erfüllt diese Voraussetzungen: Sie hat bereits vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen und ist als Arbeitgeberin (welche gemäss Art. 17 Abs. 1 lit. b EOG zur Geltendmachung des Anspruchs auf Mutterschaftsentschädigung befugt ist, sofern die Leistungsberechtigte dies unterlässt und soweit die Arbeitgeberin der leistungsberechtigten Person während der Dauer des Anspruchs einen Lohn ausrichtet, was hier gerade strittig ist), durch den vorinstanzlichen Entscheid besonders berührt (Art. 19 Abs. 2 ATSG) und hat ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist (vgl. Urteil U 266/06 vom 28. Dezember 2006 E. 2, nicht publiziert in: BGE 133 V 196 [zur Beschwerdelegitimation des Arbeitgebers in der Unfallversicherung]). 
 
2. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG; ohne Beschwerden gemäss Art. 97 Abs. 2 BGG und Art. 105 Abs. 3 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde an das Bundesgericht (Art. 107 Abs. 1 BGG) nur zu prüfen, ob der angefochtene Gerichtsentscheid in Anwendung der massgeblichen materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen (unter anderem) Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). Hiezu gehört insbesondere auch die unvollständige (gerichtliche) Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen und die Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes als einer wesentlichen Verfahrensvorschrift (Urteile 9C_534/2007 vom 27. Mai 2008, E. 1 mit Hinweis auf Ulrich Meyer, N 58-61 zu Art. 105, in: Niggli/Uebersax/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar Bundesgerichtsgesetz, Basel 2008; Seiler/von Werdt/ Güngerich, Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Bern 2007, N. 24 zu Art. 97). Das Bundesgericht ist nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen, wenn diese letztinstanzlich nicht (mehr) vorgetragen wurden. 
 
3. 
3.1 Der Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung setzt nach Art. 16b EOG voraus, dass die Frau während neun Monaten unmittelbar vor der Niederkunft im Sinne des AHVG versichert war (Abs. 1 lit. a), in dieser Zeit mindestens fünf Monate lang eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat (lit. b) und im Zeitpunkt der Niederkunft Arbeitnehmerin im Sinne von Art. 10 ATSG (lit. c Ziff. 1) oder Selbstständigerwerbende im Sinne von Art. 12 ATSG ist (lit. c Ziff. 2) oder im Betrieb des Ehemannes mitarbeitet und einen Barlohn bezieht (lit. c Ziff. 3). 
 
3.2 Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung. Dabei steht in Frage, ob X.________ vor der Niederkunft fünf Monate lang bei der Beschwerdeführerin eine Erwerbstätigkeit ausgeübt und dabei ein Einkommen erzielt hat. 
 
3.3 Die Vorinstanz hat für das Bundesgericht verbindlich (E. 2 hievor) festgestellt, dass die Beschwerdeführerin keinen mit X.________ abgeschlossenen Arbeitsvertrag einreichte, sondern lediglich einen Buchhaltungsauszug, auf welchem vermerkt war, dass X.________ Offerten erstellt habe. Im Buchhaltungsauszug betreffend das Konto "Cashbestand" für 2008 würden monatliche Geldbezüge mit dem Vermerk "X.________" aufgeführt. So wurden am 30. September 2008 Fr. 2'762.15 verbucht und am 31. Oktober, 28. November sowie 31. Dezember 2008 je Fr. 6'905.30. Im weiteren fände sich in den Akten eine Lohnabrechnung, wonach Frau X.________ im Januar 2009 Fr. 6'562.80 erhalten habe, sowie der diesbezügliche Auszug aus der Lohnbuchhaltung. Die aufgeführten Beträge stimmten mit den Angaben im Anmeldeformular überein (Bruttolohn Fr. 7'350.-). Die unterschiedlichen Beträge für die Monate Oktober bis Dezember 2008 einerseits und Januar 2009 andererseits seien dadurch bedingt, dass erst im Jahr 2009 der Anschluss an eine Pensionskasse sowie der Anschluss einer Unfallversicherung erfolgt sei, was entsprechende Lohnabzüge zur Folge gehabt habe. Die vom Konto "Cashbestand" abgebuchten Beträge fänden im Übrigen ihre Entsprechung im Salär von Fr. 24'990.-, welches in der Erfolgsrechnung ausgewiesen werde. 
 
Die vorgenannten Unterlagen würden den Eindruck entstehen lassen, dass die Beschwerdeführerin X.________ - jedenfalls von September 2008 bis und mit Januar 2009 - einen Lohn ausbezahlt habe. Es gelte jedoch zu beachten, dass alle vorgelegten Dokumente von der Beschwerdeführerin, ihren Organen oder Angestellten erstellt worden seien, was ihren Beweiswert schmälere. Mache ein Versicherter (oder dessen Ehepartner) ein aus einem Arbeitsvertrag oder aus der Erbringung von ausserordentlichen Beiträgen gemäss Art. 165 Abs. 1 ZGB sich ergebendes sozialversicherungsrechtliches Beitragsverhältnis geltend, so seien im Rahmen der auch im Sozialversicherungsprozess herrschenden Mitwirkungspflicht zumindest Zeitpunkt und Höhe der behaupteten Zahlungen nachzuweisen (Urteil C 68/00 vom 12. Dezember 2000, E. 2b). Dies sei vorliegend nicht der Fall. Dass der Lohn durch Überweisung auf ein Bank- oder Postkonto entrichtet worden sei, werde nicht behauptet. Für die Auszahlung von Barlohn an Frau X.________ seien keine Quittungen oder andere Beweise vorgelegt worden. Hinzu komme, dass die Aussage im e-mail von Y.________ vom 10. Mai 2009, es mache "keinen Sinn, grosse Bankzahlungen zu tätigen, wenn doch eh das erzielte Einkommen zum gemeinsamen Unterhalt gebraucht wird", darauf schliessen lasse, dass gar kein Lohn geflossen sei. 
 
3.4 Wenn die Vorinstanz gestützt darauf zum Schluss gelangte, die Akten enthielten etliche Widersprüche, der notwendige Lohnfluss und eine Erwerbstätigkeit von X.________ im erforderlichen Zeitraum vor der Niederkunft während fünf Monaten seien nicht überwiegend wahrscheinlich erstellt, und folglich sei ein Anspruch auf eine Mutterschaftsentschädigung nicht ausgewiesen, so verletzt dies kein Bundesrecht. 
 
Insbesondere legt die Beschwerdeführerin nicht dar und es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern die Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig (E. 1) sein sollten. Die Beschwerdeführerin konnte abgesehen vom Buchhaltungsauszug betreffend das Konto "Cashbestand" für 2008, der sich allerdings in einer Auflistung verschiedener Ausgaben erschöpft und dessen Beweiswert deshalb beschränkt ist, keine Belege vorlegen, die einen Lohnfluss dokumentieren. Von einer willkürlichen Beweiswürdigung kann deshalb keine Rede sein. Daran ändert nichts, dass die Beschwerdeführerin - wie sie geltend macht - im Frühjahr 2008 der Ausgleichskasse einen Domizilwechsel und die gleichzeitige Erweiterung der Geschäftstätigkeit der Firma mitgeteilt hatte, macht dies doch eine Erwerbstätigkeit und einen Lohnfluss ein halbes Jahr später nicht überwiegend wahrscheinlich. Dasselbe gilt für den Einwand, die Liquidität der Firma habe im April 2009 nur eine Zahlung von 60 % statt 80 % des Lohnes zugelassen, dafür hätten im Mai 100 % zum Ausgleich bezahlt werden können. Auch damit ist ein Lohnfluss im massgebenden Zeitraum während fünf Monaten vor der Niederkunft nicht ausgewiesen. Was sodann den Einwand betreffend die Benachteiligung von mitarbeitenden Ehefrauen von Geschäftsinhabern betrifft, ist festzuhalten, dass hier gar nicht eine Mitarbeit von X.________ im Betrieb ihres Ehemannes zur Diskussion steht, sondern in der G.________ AG, welche eine vom Ehemann verschiedene Person ist. Im Übrigen sollen nach dem klaren Willen des Gesetzgebers nur Frauen eine Mutterschaftsentschädigung erhalten, welche zum Zeitpunkt der Geburt tatsächlich einen Lohn beziehen. Eine Schlechterstellung der ohne Barlohn mitarbeitenden Ehefrauen gegenüber Angestellten nahm das Parlament ausdrücklich und im Bewusstsein in Kauf, dass damit insbesondere in der Landwirtschaft und im Gewerbe zahlreiche Mütter benachteiligt werden. Ein Minderheitsantrag, gemäss welchem ein Leistungsanspruch bereits bei glaubhaftem Nachweis der Mitarbeit im Gewerbe- oder Landwirtschaftsbetrieb unabhängig von einem Barlohn bestehen sollte (vgl. Stellungnahme des Bundesrates, BBl 2003 S. 1120 f.; Amtl. Bull. N 2002 S. 1936 f.), wurde verworfen (Urteil 9C_171/2008 vom 28. Mai 2008). Der Anspruch auf eine Mutterschaftsentschädigung besteht mithin nur, wenn Erwerbstätigkeit und Lohnfluss überwiegend wahr-scheinlich nachgewiesen sind, was hier gerade nicht der Fall ist. 
 
3.5 An diesem Ergebnis ändert auch nichts, dass die Ausgleichskasse die entsprechenden Beitragsverfügungen erlassen hat, hat sie doch bereits in ihrer vorinstanzlichen Vernehmlassung dargelegt, dass sie das Mahnverfahren ausgesetzt hat. Sodann sind die Beitragsverfügungen nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. 
 
3.6 Der Vollständigkeit halber ist der Beschwerdeführer schliesslich darauf hinzuweisen, dass die vorinstanzlichen Entscheide nicht nur den Parteien, sondern gesetzlich vorgeschrieben auch dem Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) als Aufsichtsbehörde eröffnet werden, dies gestützt auf Art. 112 Abs. 4 BGG sowie Art. 1 der Verordnung über die Eröffnung letztinstanzlicher kantonaler Entscheide in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (SR 173.110.47), wonach die kantonalen Behörden den beschwerdeberechtigten Bundesbehörden, also auch dem BSV (Art. 42 EOV in Verbindung mit Art. 201 AHVV), sofort und unentgeltlich letztinstanzliche Entscheide eröffnen, die vor Bundesgericht mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (lit. c) angefochten werden können. 
 
3.7 Bei diesem Ergebnis entfällt eine Prüfung der Frage der Verzugszinsen und der Vergütung des Aufwandes. 
 
4. 
Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 8. Juli 2010 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Meyer Helfenstein Franke