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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_417/2011 
 
Urteil vom 8. Juli 2011 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Pfiffner Rauber, 
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle. 
 
Verfahrensbeteiligte 
C.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Giuseppe Dell'Olivo-Wyss, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 31. März 2011. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
C.________, geboren 1960, verheiratet, Mutter dreier 1979, 1985 und 1991 geborener Kinder war gemäss Arbeitgeberbericht vom 10. November 2006 ab dem Jahre 2000 als Produktionsmitarbeiterin bei der Firma J.________ AG, sowie ab ........ 2003 teilzeitlich als Unterhaltsreinigerin bei der Firma R.________ AG tätig (Fragebogen Arbeitgeber vom 22. November 2006). Im Frühjahr 2006 wurde bei ihr ein Schilddrüsenkarzinom diagnostiziert und am 23. Mai 2006 operativ behandelt (Thyreoidektomie beidseits mit zentraler Lymphadenektomie; vgl. z.B. Bericht des Spitals X.________ vom 21. September 2006). Am 23. Oktober 2006 meldete sich C.________ unter Hinweis auf die Krebserkrankung, Müdigkeit und Schläfrigkeit, bestehend seit 22. Mai 2006, bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach medizinischen und erwerblichen Abklärungen und Erlass eines Vorbescheides vom 3. Dezember 2007, gegen welchen C.________ Einwände erheben liess, holte die IV-Stelle weitere Arztberichte ein, namentlich bei Dr. med. S.________, Spezialarzt FMH für Neurologie und für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 6. März 2008, bei welchem sich C.________ seit 23. Januar 2008 in Behandlung befand. Auf Anraten des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD; Dr. med. F.________) veranlasste sie überdies eine Begutachtung im ABI Ärztliches Begutachtungsinstitut GmbH, (im Folgenden: ABI; Untersuchung vom 26. August 2008, Gutachten vom 15. September 2008). Mit Verfügung vom 29. März 2010 sprach die IV-Stelle C.________ vom 1. Mai bis 30. September 2007 eine befristete halbe Invalidenrente zu. 
 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde der C.________, mit welcher sie die Zusprechung einer ganzen Invalidenrente ab 1. Mai 2007, eventualiter die Rückweisung der Sache zu einer medizinischen Gesamtbegutachtung beantragen liess, wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 31. März 2011 ab. 
 
C. 
C.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides die Rückweisung der Sache an die IV-Stelle zur interdisziplinären Begutachtung beantragen. 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Dabei legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann eine - für den Ausgang des Verfahrens entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) - Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder wenn sie auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; Ausnahme: Beschwerden gemäss Art. 97 Abs. 2 BGG [Art. 105 Abs. 3 BGG]). 
 
2. 
2.1 Das Bundesgericht prüft die Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 135 V 98 E. 1 S. 99). Die Beschwerde an das Bundesgericht ist ein reformatorisches Rechtsmittel (Art. 107 Abs. 2 BGG). Daher darf sich die Beschwerde führende Partei grundsätzlich nicht darauf beschränken, die Aufhebung des angefochtenen Entscheids zu beantragen, sondern muss einen Antrag in der Sache stellen. Sie muss demnach angeben, welche Punkte des Entscheides angefochten und welche Abänderungen beantragt werden. Grundsätzlich ist ein materieller Antrag erforderlich. Anträge auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu neuer Entscheidung oder blosse Aufhebungsanträge genügen nicht und machen die Beschwerde unzulässig, es sei denn, das Bundesgericht wäre im Fall der Beschwerdegutheissung nicht in der Lage, in der Sache selbst zu entscheiden (BGE 134 III 379 E. 1.3 S. 383 f., 133 III 489 f. E. 3.1S. 489 f., je mit Hinweisen). Das Begehren kann sich auch aus der Begründung in der Rechtsschrift ergeben (vgl. BGE 123 V 335 E. 1a S. 336). 
 
2.2 Soweit die Versicherte die Durchführung einer Begutachtung beantragen lässt, liegt darin ein blosses Beweisbegehren. Der weiter gestellte Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheides ist für sich allein ebenso wenig rechtsgenüglich (vgl. Urteil 9C_225/2011 vom 10. Mai 2011 E. 2). Indes lässt sich die Beschwerdebegründung vernünftigerweise nicht anders verstehen, als dass die Beschwerdeführerin die Zusprechung einer Invalidenrente ab 1. Mai 2007 entsprechend dem Ergebnis der beantragten interdisziplinären Begutachtung beantragt. Bereits aus diesem Grund kann damit auf die Beschwerde eingetreten werden. 
 
3. 
Im angefochtenen Entscheid werden die gesetzlichen Bestimmungen und von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, namentlich diejenigen zur Würdigung medizinischer Gutachten (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352) sowie zur Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG in Verbindung mit Art. 28a Abs. 1 IVG) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
4. 
4.1 Die Vorinstanz erwog, (auch) in psychischer Hinsicht könne auf das voll beweiskräftige Gutachten des ABI vom 15. September 2008 abgestellt werden. Die hievon abweichenden Beurteilungen des behandelnden Dr. med. S.________ seien zurückhaltend zu würdigen, zumal sie hauptsächlich auf den subjektiven Angaben der Beschwerdeführerin beruhten. Seine Annahmen, die Versicherte könne nicht alleine ausgehen und somit auch keinen Arbeitsweg bewältigen, Angst und Depression führten zu einer völligen Blockierung, fänden in den übrigen medizinischen Akten keine Stütze; nicht einmal Hausarzt Dr. med. M.________, Allgemeine Medizin FMH, habe entsprechende Symptome festgestellt. Die unmittelbar im Anschluss an den abschlägigen Vorbescheid und kurz vor Ende der Taggeldberechtigung gegenüber Dr. med. S.________ angegebene grosse Angst vor Sterben und Rückfall habe die Versicherte später relativiert und von einer grossen Sturzangst sei zuvor nie die Rede gewesen. Die von Dr. med. S.________ diagnostizierte reaktive Depression vermöge keine invalidisierende Arbeitsunfähigkeit zu bewirken. Im Übrigen habe selbst Dr. med. S.________ festgestellt, dass die Beschwerdeführerin nach teilweiser Rückkehr in die Arbeitswelt weniger depressiv erschien. Anhaltspunkte für eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes zwischen der Begutachtung durch das ABI und dem Verfügungserlass fehlten, weshalb die Beschwerdegegnerin ohne zusätzliche Abklärungen über den Leistungsanspruch habe verfügen dürfen. Auch deren Einkommensvergleich sei nicht zu beanstanden. 
 
4.2 Die Beschwerdeführerin rügt die Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung im angefochtenen Entscheid nurmehr hinsichtlich der psychischen Beschwerden. Sie macht insbesondere geltend, die Vorinstanz habe gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung verstossen und in unzulässiger Weise eine den Gehörsanspruch verletzende antizipierte Beweiswürdigung vorgenommen. Überdies sei der Sachverhalt offensichtlich falsch und somit willkürlich festgestellt worden. Namentlich seien die Beurteilungen des Dr. med. S._______, welchem keine besondere Vertrauensstellung zukomme, ungenügend berücksichtigt worden und es treffe mit Blick auf die durchgeführten Tests auch nicht zu, dass seine Einschätzung ausschliesslich auf subjektiven Angaben beruhe. Weder der negative Vorbescheid noch das nahe Ende der Taggelder hätten ihre Auskünfte beeinflusst, vielmehr habe sie sich erst im Januar 2008 zu Dr. med. S.________ in Behandlung begeben und diesem ihre Beschwerden daher nicht vorher schildern können. Sodann fehle es der Vorinstanz an der Fachkompetenz zur Beurteilung, ob eine "objektiv" nicht mehr vorhandene Todes- bzw. Rückfallsgefahr weiterhin psychische Auswirkungen haben könnte. In Anbetracht der divergierenden Beurteilungen der ABI-Gutachter und des Dr. med. S.________ und der bis zum Verfügungserlass verstrichenen Zeit hätte die Vorinstanz zwingend eine Rückweisung veranlassen müssen und Bundesrecht verletzt, indem sie weitere Abklärungen für überflüssig erachtete. 
 
5. 
Die Vorbringen der Beschwerdeführerin, soweit sie nicht in einer letztinstanzlich unzulässigen appellatorischer Kritik am angefochtenen Entscheides bestehen (hiezu Urteil 9C_569/2008 vom 1. Oktober 2008 E. 1.2 mit Hinweisen), vermögen keine Bundesrechtsverletzung darzutun. Nicht gegen Bundesrecht verstösst namentlich, dass die Vorinstanz auf das Gutachten des ABI abstellte. Dieses genügt den rechtsprechungsgemässen Anforderungen an eine beweistaugliche Expertise (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352; E. 2.3 hievor). Die Beschwerdeführerin behauptet zwar, die Gutachter setzten sich nicht "ausführlich" mit den Diagnosen des Dr. med. S.________ auseinander, was nicht zutrifft, zumal die Expertise eine separate Ziffer (4.1.7) enthält, worin explizit dargelegt wird, weshalb der Beurteilung des behandelnden Psychiaters nicht gefolgt werden könne; im Übrigen bringt sie aber zu Recht nicht vor, das Gutachten wäre mangelhaft. Im angefochtenen Entscheid wird sodann einlässlich begründet, weshalb der Einschätzung der ABI-Ärzte gegenüber dem Bericht des Dr. med. S.________ Vorrang einzuräumen sei. Von einer willkürlichen Würdigung der medizinischen Akten kann keine Rede sein. Selbst wenn sich die Versicherte erst seit Ende Januar 2008 bei Dr. med. S.________ in Behandlung befand, hatte dieser zum Zeitpunkt der Berichtserstattung am 6. März 2008 die Stellung eines behandelnden Arztes inne und stand zur Versicherten (behandlungsnotwendig) in einem entsprechenden Vertrauensverhältnis, was die Vorinstanz bei ihrer Beweiswürdigung berücksichtigen durfte. Es trifft zu, dass Dr. med. S.________ die Beschwerdeführerin u.a. einen "Test zur Aufdeckung, Differenzierung und Kontrolle des Verlaufs von Angst und Depression von Snaith und Zigmond" durchführen liess, der sowohl für Depression als auch für Angst hohe Werte ergab. Indes hat die Vorinstanz - gestützt auf den RAD-Arzt Dr. med. F.________ (Beurteilung vom 10. Dezember 2008) - für das Bundesgericht verbindlich festgestellt, dass es sich dabei um eine Selbsteinschätzung handelt, und korrekt erwogen, deren Verlässlichkeit sei nicht ohne Weiteres gegeben. Ohnehin erkennt die Rechtsprechung solchen Testverfahren höchstens ergänzende Funktion zu, während die klinische Untersuchung mit Anamneseerhebung, Symptomerfassung und Verhaltensbeobachtung entscheidend bleibt (Urteile I 391/06 vom 9. August 2006 E. 3.2.2 und 9C_458/2008 vom 23. September 2008 E. 4.2). Im Übrigen trifft es nicht zu, dass das kantonale Gericht abweichend von sämtlichen ärztlichen Berichten die von Dr. med. S.________ diagnostizierten (mittelschweren bis schweren) Angstzustände verneint hätte, sondern es stützte sich auch in diesem Punkt - nach dem Gesagten zu Recht - auf das ABI-Gutachten ab, worin die Ängste als lediglich geringgradig ausgeprägt geschildert wurden. Bei gegebener Aktenlage, namentlich vor dem Hintergrund, dass die Beschwerdeführerin, welche ausweislich der medizinischen Akten, insbesondere auch der Aussagen des Dr. med. S.________, die verfügbaren zumutbaren Behandlungsmöglichkeiten bei weitem nicht ausgeschöpft hat, in keiner Weise darlegt, inwiefern sich ihr (psychischer) Zustand seit der Begutachtung im ABI verschlechtert hätte, verletzte das kantonale Gericht kein Bundesrecht, wenn es in antizipierter Beweiswürdigung (dazu BGE 131 I 153 E. 3 S. 157, 124 V 90 E. 4b S. 94) auf weitere Beweismassnahmen verzichtete. 
 
6. 
Die Beschwerde wird im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a und Abs. 3 BGG erledigt. 
 
7. 
Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 8. Juli 2011 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Meyer Bollinger Hammerle