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[AZA] 
H 262/98 Ca 
 
IV. Kammer 
 
Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger; 
Gerichtsschreiber Nussbaumer 
 
Urteil vom 9. Februar 2000 
 
in Sachen 
 
Ausgleichskasse Zug, Baarerstrasse 11, Zug, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
A.________, Beschwerdegegner, 
 
und 
 
Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Zug 
 
A.- A.________ war einziges Mitglied des Verwaltungsrates der F.________ AG. Am 25. November 1992 wurde über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet, am 3. Februar 1993 mangels Aktiven wieder eingestellt. Die Publikation der Konkurseinstellung erfolgte am 12. Februar 1993 im Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB). Mit einer am 1. Februar 1994 datierten und gleichentags eingeschrieben versandten Verfügung verpflichtete die Ausgleichskasse Zug A.________, ihr Schadenersatz für entgangene Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von Fr. 79'593. 65 zu bezahlen. 
B.- Auf Einspruch hin reichte die Ausgleichskasse Zug gegen A.________ am 6. Mai 1994 Klage auf Schadenersatz im Betrag von Fr. 75'535. 15 ein. Mit Entscheid vom 20. Juli 1998 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zug die Klage wegen Verwirkung der Schadenersatzforderung ab. Das Dispositiv des Entscheids stellte es dem inzwischen unbekannt abwesenden A.________ mittels Publikation im Amtsblatt des Kantons Zug zu. 
 
C.- Die Ausgleichskasse Zug führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die Sache zur Beurteilung der weiteren materiellen Haftungsvoraussetzungen an die Vorinstanz zurückzuweisen; eventuell sei die Klage gutzuheissen. 
Der unbekannt abwesende A.________ wurde auf dem Ediktalweg (BBl 2000 I 126) zur Vernehmlassung eingeladen, hat sich indessen nicht geäussert. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Richter Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
2.- a) Gemäss Art. 82 Abs. 1 AHVV verjährt die Schadenersatzforderung, wenn sie nicht innert Jahresfrist seit Kenntnis des Schadens durch Erlass einer Schadenersatzverfügung geltend gemacht wird, auf jeden Fall aber mit Ablauf von 5 Jahren seit Eintritt des Schadens. Nach der Rechtsprechung erlangt die Ausgleichskasse in dem Zeitpunkt Kenntnis vom Schaden, in welchem sie unter Beachtung der ihr zumutbaren Aufmerksamkeit erkennen muss, dass die tatsächlichen Gegebenheiten nicht mehr erlauben, die Beiträge einzufordern, wohl aber eine Schadenersatzpflicht begründen können (BGE 121 III 388 Erw. 3b, 119 V 92 Erw. 3, 118 V 195 Erw. 3a, je mit Hinweisen). Bereits in diesem Zeitpunkt beginnt die einjährige Verwirkungsfrist zu laufen. Die fünfjährige Verwirkungsfrist hingegen beginnt mit dem Eintritt des Schadens zu laufen. Der Schaden gilt als eingetreten, sobald anzunehmen ist, dass die geschuldeten Beiträge aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht mehr eingefordert werden können (BGE 121 III 384 Erw. 3bb, 388 Erw. 3a, 113 V 257 f., je mit Hinweisen). 
 
b) Nach der Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts genügt der Erlass einer Schadenersatzverfügung für die Wahrung der Verwirkungsfrist des Art. 82 Abs. 1 AHVV (BGE 119 V 95 Erw. 4c; AHI 1996 S. 129 Erw. 2a). Diese Rechtsprechung beruht auf der Überlegung, dass der Erlass einer Schadenersatzverfügung das einzige Mittel ist, um die Verwirkungsfristen des Art. 82 AHVV zu wahren. Berücksichtigt wurde dabei wesentlich der Umstand, dass bei Erlass der Schadenersatzverfügung in der Regel kein Verfahrens- oder Prozessrechtsverhältnis zwischen Ausgleichskasse und Schadenersatzpflichtigem besteht, in dessen Rahmen vom Verfügungsadressaten gewisse Vorkehren zur Sicherstellung der Zustellbarkeit verlangt werden dürfen. Die Einhaltung der Frist als Obliegenheit der Ausgleichskasse darf daher nur von ihrer Handlungsweise abhängig gemacht werden, nicht jedoch von Umständen postalischer Natur oder vom Verhalten des Verfügungsadressaten, auf welche sie keinen Einfluss nehmen kann. Voraussetzung für die Fristwahrung ist allerdings, dass die Ausgleichskasse die Schadenersatzverfügung nicht nur redigiert, sondern auch versendet, d.h. aus ihrem Gewahrsam entlässt und der Post zuhanden des Adressaten übergibt. Mit der Postaufgabe ist die Verfügung im Sinne von Art. 82 AHVV erlassen. 
 
3.- a) Aus den Akten geht hervor, dass die Ausgleichskasse die Schadenersatzverfügung am 1. Februar 1994 dem Beschwerdegegner an dessen frühere Adresse an der ...strasse 38 in X.________ zugestellt hat. Die eingeschrieben versandte Schadenersatzverfügung wurde von der Post mit dem Vermerk "nicht abgeholt" nach Ablauf der 7tägigen Abholfrist am 9. Februar 1994 der Ausgleichskasse retourniert. Daraufhin stellte die Ausgleichskasse die Verfügung am 14. Februar 1994 nochmals mit normaler Post zu. Die Ehefrau des Beschwerdegegners nahm die Post entgegen und schrieb daraufhin der Ausgleichskasse zurück, sie lebe getrennt von ihrem Ehemann und dieser habe sein Domizil im Tessin. Mit Schreiben vom 1. März 1994 ersuchte die Ausgleichskasse die Ehefrau des Beschwerdegegners um Angabe seiner Adresse. Nach deren Erhalt stellte die Ausgleichskasse dem Beschwerdegegner die Schadenersatzverfügung am 7. März 1994 an die damalige Adresse im Kantons Tessin nochmals zu, worauf dieser am 7. April 1994 Einspruch erhob. 
 
b) Das kantonale Gericht ist der Auffassung, die Ausgleichskasse habe zwar die Schadenersatzverfügung am 1. Februar 1994 erlassen, jedoch sei diese angesichts der unrichtigen Zustellung dem Beschwerdegegner erst mit Datum vom 7. März 1994 zugekommen, weshalb die Schadenersatzverfügung verspätet und nicht fristgerecht erfolgt sei. Zur Begründung führte das kantonale Gericht im Wesentlichen an, die Ausgleichskasse habe nicht auf den im Handelsregister eingetragenen Wohnsitz abstellen dürfen, sondern sie hätte die zumutbaren und erforderlichen Abklärungen über die Meldeverhältnisse noch während der laufenden Verwirkungsfrist tätigen müssen. Die Zustellung an eine seit beinahe zwei Jahren unrichtige Adresse müsse - insbesondere angesichts der damals noch korrekten Meldeverhältnisse des Beschwerdegegners - auch bei rechtzeitigem Erstversand als nicht korrekte Zustellung beurteilt werden. Dem Beschwerdegegner könne jedenfalls aus dem Umstand, dass die Ausgleichskasse über seine richtige Adresse nicht rechtzeitig im Bild gewesen sei, kein Vorwurf gemacht werden. 
 
c) Mit dieser Betrachtungsweise verkennt die Vorinstanz, dass im Bereich der Schadenersatzforderung - anders als im Rahmen der Frist des Art. 16 Abs. 1 AHVG für Beitragsforderungen (AHI 1996 S. 128) - für die Wahrung der Frist die Aufgabe der Schadenersatzverfügung bei der Post genügt (BGE 119 V 95 Erw. 4c). Im vorliegenden Fall hat die Ausgleichskasse die Schadenersatzverfügung am 1. Februar 1994 der Post übergeben. Der Versand an das frühere eheliche Domizil ändert nichts daran, dass die Schadenersatzverfügung mit der erstmaligen Postaufgabe am 1. Februar 1994 als erlassen gilt. Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob es die Ausgleichskasse schuldhaft unterlassen hat, die richtige Adresse ausfindig zu machen, weil es im Bereich der Schadenersatzforderung für die Fristwahrung eben gerade nicht auf die ordnungsgemässe Zustellung ankommt. Im Übrigen weist die Ausgleichskasse in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass sie die Verfügung gestützt auf den im Handelsregister verzeichneten Wohnort zugestellt hat, welcher das frühere eheliche Domizil war, und dass die Post die Sendung nicht etwa umgeleitet oder mit dem Vermerk "abgereist ohne Adressangabe" retourniert hat. 
Die Publikation der am 3. Februar 1993 angeordneten Einstellung des Konkursverfahrens erfolgte am 12. Februar 1993 im SHAB, so dass die Beschwerdeführerin mit dem Erlass der Schadenersatzverfügung am 1. Februar 1994 die einjährige Verwirkungsfrist des Art. 82 Abs. 1 AHVV rechtzeitig gewahrt hat (vgl. BGE 108 V 53 oben). Demzufolge ist die Sache in Aufhebung des angefochtenen Entscheides an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit dieses die übrigen Voraussetzungen für eine Schadenersatzhaftung des Beschwerdegegners prüfe und hernach neu entscheide. 
 
4.- Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdegegner kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I.In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der vorinstanzliche Entscheid vom 20. Juli 1998 aufgehoben und die Sache an das Verwaltungsgericht des Kantons Zug zurückgewiesen, damit dieses nach Prüfung der übrigen Haftungsvoraussetzungen über die Schadenersatzklage der Ausgleichskasse Zug neu entscheide. 
 
II.Die Gerichtskosten von Fr. 2000. - werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
 
III. Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 4000. - wird der Ausgleichskasse Zug zurückerstattet. 
 
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Beschwerdegegner im Dispositiv auf dem Ediktalweg, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. Das für den Beschwerdegegner bestimmte Exemplar wird einstweilen zu den Akten gelegt. 
 
Luzern, 9. Februar 2000 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: