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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
12T_1/2012 
 
Urteil vom 9. März 2012 
Verwaltungskommission 
 
Besetzung 
Bundesrichter L. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Kolly, Bundesrichterin Niquille, 
Generalsekretär Tschümperlin. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
Anzeiger, 
 
gegen 
 
Bundesverwaltungsgericht, Verwaltungskommission, Postfach, 3000 Bern 14, 
Angezeigte. 
 
Gegenstand 
Aufsichtsanzeige (BGG). 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der Anzeiger war in zwei voneinander unabhängigen Fällen Rechtsvertreter eritreischer Staatsangehöriger mit Aufenthaltsort in Khartum (Sudan). Diese ersuchten von Khartum aus um Asyl in der Schweiz, im ersten Fall im Jahr 2009, im zweiten Fall im Jahr 2011. Die Asylgesuche wurden vom Bundesamt für Migration (BFM) abgewiesen und ans Bundesverwaltungsgericht weitergezogen. Dieses hiess die eine Beschwerde gut (Urteil E-4126/2009 vom 7. Juli 2009), während es die zweite Beschwerde mit Urteil vom 21. September 2011 abwies (Urteil E-3910/2011). Die Entscheide wurden wegen "offensichtlicher Begründetheit" bzw. "offensichtlicher Unbegründetheit" im Verfahren nach Art. 111 lit. e Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG; SR 142.31; einzelrichterliche Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters) gefällt. 
 
B. 
Mit Aufsichtsanzeige vom 12. Januar 2012 und Ergänzung vom 25. Januar 2012 gelangte der Anzeiger ans Bundesgericht. Er rügt, die beiden Urteile beantworteten dieselbe Rechtsfrage gegensätzlich, was auf eine mangelhafte Koordination der Rechtsprechung hindeute. Vermutlich sei diese auf ein organisatorisches Problem am Bundesverwaltungsgericht zurückzuführen. 
 
C. 
Das Bundesverwaltungsgericht beantragt in seiner Vernehmlassung vom 15. Februar 2012, der Aufsichtsanzeige keine Folge zu geben, soweit darauf überhaupt einzutreten sei. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Beim vorliegenden Verfahren handelt es sich um eine Aufsichtsanzeige im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Bundesgerichtsgesetz (BGG; SR 173.110), Art. 3 lit. f Aufsichtsreglement des Bundesgerichts (AufRBGer; SR 173.110.132) und Art. 3 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsgesetz (VGG; SR 173.32) i.V.m. Art. 71 Abs. 1 Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren (VwVG; SR 172.021). 
Die Aufsicht des Bundesgerichts über das Bundesverwaltungsgericht ist administrativer Art (Art. 3 Abs. 1 VGG); die Rechtsprechung ist von der Aufsicht ausgenommen (Art. 2 Abs. 2 AufRBGer). Insoweit sich Aufsichtsanzeigen in rein appellatorischer Kritik am beanstandeten Urteil erschöpfen, ist ihnen keine Folge zu geben. Der Aufsicht unterstehen hingegen alle Bereiche der Geschäftsführung, insbesondere die Gerichtsleitung, die Organisation, die Fallerledigung sowie das Personal- und Finanzwesen (Art. 2 Abs. 1 AufRBGer). 
In die aufsichtsrechtliche Kompetenz des Bundesgerichts fällt auch die Frage, ob die Rechtsprechung gemäss Geschäftsreglement durchgeführt wird und zweckmässig organisiert ist. Inwieweit die Einheitlichkeit der Rechtsprechung als solche Prüfungsgegenstand der Aufsichtsbeschwerde ans Bundesgericht sein kann, wurde von diesem bisher offen gelassen. Das Bundesgericht als Aufsichtsbehörde ist jedenfalls insoweit zuständig, als es um die über den Einzelfall hinausgehende Frage geht, ob eine uneinheitliche Behandlung derselben Rechtsfragen eine unzulängliche Organisation oder Durchführung der Koordination der Rechtsprechung an einem Gericht offenbart (BGE 135 II 426 E. 4.2). 
 
2. 
Der Anzeiger macht geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe die Rechtsfrage, ob im Ausland um Asyl ersuchende Personen in der schweizerischen Auslandsvertretung anzuhören sind (Art. 20 AsylG und Art. 10 Asylverordnung 1 über Verfahrensfragen vom 11. August 1999 [AsylV 1; SR 142.311]), mangels genügender Koordination der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Dies deute auf administrative Mängel, insbesondere in der Aufbau- und Ablauforganisation am Bundesverwaltungsgericht hin. 
Das Bundesverwaltungsgericht führt in seiner Stellungnahme aus, die betreffende Rechtsfrage sei bereits in einem Grundsatzurteil vom 27. November 2007 (BVGE 2007/30) koordiniert worden; die Urteile E-4126/2009 und E-3910/2011 stützten sich beide auf diesen Leitentscheid ab; das jüngere Urteil nehme zudem auf das ältere Urteil Bezug und erkläre, inwiefern sich die beiden Fälle unterschieden. Es sei somit kein Koordinationsproblem auszumachen, ebenso wenig lägen organisatorische oder administrative Mängel vor. 
 
3. 
Ein aufsichtsrechtlich relevantes Koordinationsproblem liegt gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung wie erwähnt jedenfalls vor, wenn eine divergierende Rechtsprechung an einem Gericht auf organisatorische Mängel zurückzuführen ist. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die bisherige Praxis zur einschlägigen Rechtsfrage auch für aufmerksame Richter nicht greifbar ist oder wenn bei erkannter Divergenz kein wirksames Koordinationsinstrumentarium zur Verfügung steht. Von einer uneinheitlichen Rechtsprechung kann hingegen nicht gesprochen werden, wenn verschiedenen Fällen wohl die gleiche Rechtsfrage zugrunde liegt, die Urteile jedoch aufgrund abweichender Sachverhalte unterschiedlich ausfallen. 
In den Verfahren E-4126/2009 und E-3910/2011 war dieselbe Rechtsfrage zu beantworten, nämlich ob im Ausland um Asyl ersuchende Personen in der schweizerischen Auslandsvertretung anzuhören sind. In den beiden Fällen kam das Gericht aufgrund der konkreten Umstände zu unterschiedlichen Schlüssen. Aus den Entscheiden geht aber klar hervor, dass das unterschiedliche Endresultat nicht auf einer mangelhaften Koordination beruht: Beide Urteile nehmen auf den Leitentscheid BVGE 2007/30 Bezug; im späteren Urteil wird zudem erklärt, inwiefern es sich um eine im Vergleich zum früheren Urteil anders gelagerte Konstellation handelt. Von einer mangelhafte Koordination, welche auf organisatorische Mängel hinweisen würde, kann unter diesen Umständen nicht die Rede sein. Die Urteile wurden vielmehr aufgrund der rechtlichen Würdigung der konkreten Verfahrensumstände im Ergebnis unterschiedlich entschieden. Das Bundesverwaltungsgericht urteilte, den Verfahren lägen "gänzlich unterschiedliche Verhältnisse" zugrunde (Urteil E-3910/2011 S. 6). Dabei handelt es sich um eine Rechtsfrage, die das Bundesgericht als Aufsichtsinstanz im Rahmen der vorliegenden Aufsichtsbeschwerde nicht zu überprüfen hat. 
Die Frage schliesslich, inwieweit die schweizerische Vertretung in Khartum gestützt auf Art. 20 AsylG und Art. 10 AsylV 1 persönliche Befragungen der Asylsuchenden durchzuführen hat, ist eine Rechtsfrage, die der administrativen Aufsicht des Bundesgerichts grundsätzlich entzogen ist. 
Der Aufsichtsbeschwerde ist somit keine Folge zu geben. 
 
4. 
Aufsichtsbeschwerden sind grundsätzlich kostenlos. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme gemäss Art. 10 der Verordnung über Kosten und Entschädigungen im Verwaltungsverfahren (SR 172.041.0) sind vorliegend nicht gegeben. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Der Aufsichtsanzeige wird keine Folge geleistet. 
 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben und keine Entschädigungen zugesprochen. 
 
3. 
Dieser Entscheid wird dem Bundesverwaltungsgericht schriftlich mitgeteilt. Dem Anzeiger wird eine Orientierungskopie zugestellt. 
 
Lausanne, 9. März 2012 
Im Namen der Verwaltungskommission 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Generalsekretär: 
 
L. Meyer Tschümperlin