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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
1C_581/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 9. März 2017  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Fonjallaz, 
Gerichtsschreiberin Pedretti. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Yann Moor, 
 
gegen  
 
Verkehrsamt des Kantons Schwyz, 
Schlagstrasse 82, Postfach 3214, 6431 Schwyz. 
 
Gegenstand 
Entzug des Führerausweises, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 26. Oktober 2016 des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz, Kammer III. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die Verkehrspolizei des Kantons Thurgau führte am 27. Juni 2013 auf der Hauptstrasse von Hefenhausen in Richtung Müllheim mit einem mobilen Lasermessgerät eine Geschwindigkeitskontrolle durch. Dabei wurde bei dem von A.________ gelenkten Personenwagen im Ausserortsbereich bei einer signalisierten Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h nach Abzug der Sicherheitsmarge eine Geschwindigkeit von 113 km/h gemessen. Während der Geschwindigkeitsmessung wurde die Vorbeifahrt zusätzlich mit einem am Lasermessgerät angebrachten Videogerät aufgezeichnet. 
 
B.   
Nach Einsprache gegen den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Bischofszell sprach das Bezirksgericht Weinfelden A.________ am 6. Januar 2015 gestützt auf Art. 90 Abs. 2 SVG der groben Verletzung von Verkehrsregeln schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt vollziehbaren Geldstrafe von 26 Tagessätzen zu Fr. 2'500.-- und zu einer Busse von Fr. 10'000.--. Das Obergericht des Kantons Thurgau bestätigte am 31. August 2015 den Schuldspruch und die Sanktion. Eine dagegen von A.________ erhobene Beschwerde wies das Bundesgericht mit Urteil vom 6. Juni 2016 ab (Verfahren 6B_1143/2015). 
 
C.   
Daraufhin entzog das Verkehrsamt des Kantons Schwyz A.________ wegen der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 33 km/h, die es als schwere Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften im Sinne von Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG wertete, den Führerausweis für drei Monate. Die dagegen von A.________ erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz mit Entscheid vom 26. Oktober 2016 ab. 
 
D.   
Mit als Beschwerde bezeichneter Eingabe vom 12. Dezember 2016 gelangt A.________ an das Bundesgericht und beantragt neben der Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Entscheids, das Administrativverfahren sei bis zum Vorliegen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) bezüglich der ausgesprochenen Strafe zu sistieren. 
Das Verwaltungsgericht verzichtet auf eine Stellungnahme. Das Verkehrsamt hat sich nicht vernehmen lassen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über einen Führerausweisentzug. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (Art. 82 ff. BGG); ein Ausschlussgrund nach Art. 83 BGG liegt nicht vor. Da die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen zu keinen Bemerkungen Anlass geben, ist auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, sollte der EGMR seiner Argumentation in der gegen das Strafurteil des Bundesgerichts vom 6. Juni 2016 erhobenen Beschwerde folgen und die anlässlich der Geschwindigkeitsmessung gemachte Videoaufzeichnung als unzulässiger Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einstufen, dürfe ihm das regelwidrige Verhalten nicht angelastet werden. Das Administrativverfahren müsse daher sistiert werden, ansonsten er den Führerausweis bereits jetzt abgeben müsse. Bei einer Gutheissung der EGMR-Beschwerde entstünde ihm dadurch ein nicht wiedergutzumachender Nachteil. Die Weigerung, das Verwaltungsverfahren zu sistieren, verstosse gegen das Gebot des effektiven Rechtsschutzes und verletze Art. 6 Ziff. 1 und Art. 34 EMRK, weil die gegen das Strafurteil erhobene Beschwerde beim EGMR "sinnentleert" würde.  
 
2.2. Nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird (Satz 1). Gemäss Art. 34 EMRK kann der Gerichtshof namentlich von jeder natürlichen Person, die behauptet, durch eine der Vertragsparteien in einem der in dieser Konvention oder den Protokollen dazu anerkannten Rechte verletzt zu sein, mit einer Beschwerde befasst werden; die Vertragsparteien verpflichten sich, die wirksame Ausübung dieses Rechts nicht zu behindern.  
 
2.3. Dem Beschwerdeführer kann nicht gefolgt werden, soweit er vorbringt, die Weigerung, das Administrativverfahren zu sistieren, behindere die wirksame Ausübung seines Individualbeschwerderechts im Sinne von Art. 34 Satz 2 EMRK. Dieser Einwand ist formeller Natur und wäre - wenn überhaupt - im Verfahren vor dem EGMR geltend zu machen. Ebenso wenig ist ersichtlich, inwiefern die Weiterführung des Verwaltungsverfahrens einer Revision im Falle einer Gutheissung der Beschwerde durch den EGMR entgegenstünde (vgl. Art. 122 BGG), bezöge sich eine solche doch auf das Strafurteil des Bundesgerichts vom 6. Juni 2016. Die Kritik des Beschwerdeführers zielt im Kern aber auf die Bindungswirkung des Strafentscheids für die Administrativbehörde ab. Zwar vermag ein Strafurteil die Verwaltungsbehörde grundsätzlich nicht zu binden. Allerdings gebietet das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung, widersprüchliche Entscheide im Rahmen des Möglichen zu vermeiden. Die Verwaltungsbehörde darf deshalb beim Entscheid über die Massnahme von den tatsächlichen Feststellungen des Strafrichters nur unter bestimmten Voraussetzungen abweichen (BGE 124 II 103 E. 1c/aa S. 106; 119 Ib 158 E. 3c/aa S. 163 f.; je mit Hinweisen).  
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung gilt es zu verhindern, dass derselbe Lebensvorgang zu voneinander abweichenden Sachverhaltsfeststellungen von Verwaltungs- und Justizbehörden führt und insbesondere die erhobenen Beweise in verschiedener Weise gewürdigt und rechtlich beurteilt werden. Die Verwaltungsbehörde hat daher - sofern ein Strafverfahren eingeleitet worden ist - mit dem Erlass einer administrativen Massnahme grundsätzlich zuzuwarten, bis ein rechtskräftiges Strafurteil vorliegt, soweit der Sachverhalt oder die rechtliche Qualifikation des in Frage stehenden Verhaltens für das Verwaltungsverfahren von Bedeutung ist (BGE 119 Ib 158 E. 2c/bb S. 161 f.; Urteil 6A.121/2000 vom 7. Juni 2001 E. 3a). 
 
2.4. Gestützt auf diese Rechtsprechung ist nicht zu beanstanden, wenn das Verkehrsamt den strittigen Führerausweisentzug auf der Grundlage des im Strafurteil des Bundesgerichts festgestellten Sachverhalts (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ausserorts um 33 km/h) nach dessen Eröffnung aussprach, erwuchs dieser Entscheid doch am Tag seiner Ausfällung in Rechtskraft (Art. 61 BGG). Der Individualbeschwerde gemäss Art. 34 EMRK an den EGMR kommt keine aufschiebende Wirkung zu (vgl. EMGR-Urteil  Shamayev gegen Georgien und Russland vom 12. April 2005 [Nr. 36378/02] § 472). Dass der Gerichtshof eine vorläufige Massnahme im Sinne von Art. 39 der Verfahrensordnung vom 4. November 1998 des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (SR 0.101.2) angeordnet hat, wird weder dargetan noch geht dies aus den Akten hervor.  
Im hier zu beurteilenden Fall ist überdies nicht ersichtlich, inwiefern der Ausgang des vor dem EGMR hängigen Verfahrens das Administrativverfahren über den Führerausweisentzug in sachverhaltlicher Hinsicht zu beeinflussen vermöchte, so dass dessen Sistierung als geboten erschiene. Vor dem EGMR ist einzig noch strittig, ob durch die anlässlich der Geschwindigkeitskontrolle zusätzlich vorgenommene Videoaufzeichnung in unzulässiger Weise in das Recht des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen worden ist (vgl. Beschwerdeformular der EGMR-Beschwerde vom 16. Dezember 2016, S. 8 f.). Aus dem Strafurteil des Bundesgerichts geht aber hervor, dass das Obergericht den Schuldspruch neben der im Rahmen eines Gutachtens anhand der Videodokumentation vorgenommenen Plausibilitätsberechnung durch einen Gutachter auch mit den Ergebnissen der von der Verkehrspolizei korrekt durchgeführten Geschwindigkeitsmessung mit dem Lasergerät begründet hatte (Urteil 6B_1143/2015 vom 6. Juni 2016 E. 1.1). Die dabei gemessene Geschwindigkeitsüberschreitung ausserorts um 33 km/h hat der Beschwerdeführer im Rahmen der Verkehrskontrolle vor Ort anerkannt (vgl. Polizeirapport der Kantonspolizei Thurgau vom 1. Juli 2013). Angesichts dieser Sachlage ist somit nicht ersichtlich, inwiefern der Entscheid des EGMR über den Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung für das vorliegende Administrativverfahren von präjudizieller Bedeutung sein könnte. 
Schliesslich ist der Vorinstanz darin zuzustimmen, dass die Verfahren vor dem EGMR sehr lange dauern. Aufgrund der chronischen Überlastung des Gerichtshofs erscheint zweifelhaft, ob im vorliegenden Fall mit einer Entscheidung in absehbarer Zeit gerechnet werden kann. Ob der Entzug des Führerausweises angesichts der bis dahin verstrichenen Zeit überhaupt noch in Betracht käme, könnte fraglich sein (vgl. BGE 135 II 334 E. 2.3 S. 337; Urteil 1C_268/2012 vom 31. Oktober 2012 E. 2; je mit Hinweisen). Vor diesem Hintergrund ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz von einer Sistierung des Administrativverfahrens absah. 
 
3.   
Die Vorinstanz stufte das Fahrverhalten des Beschwerdeführers als schwere Widerhandlung im Sinne von Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG ein. Der Beschwerdeführer wendet dagegen in seiner Rechtsschrift nichts ein. Eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h im Ausserortsbereich um 30 km/h oder mehr stellt auch nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich eine schwere Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften dar, und zwar auch bei ansonsten günstigen objektiven und subjektiven Umständen des konkreten Einzelfalles (BGE 132 II 234 E. 3.1 S. 237 f.; Urteile 1C_280/2015 vom 2. Dezember 2015 E. 3.2; 1C_384/2011 vom 7. Februar 2012 E. 2.4.2). Demnach hält der Entzug des Führerausweises für drei Monate gemäss Art. 16c Abs. 2 lit. a SVG vor Bundesrecht stand. 
 
4.   
Die Beschwerde erweist sich nach dem Gesagten als unbegründet und ist abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang trägt der Beschwerdeführer die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 68 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Verkehrsamt und dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Kammer III, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 9. März 2017 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Die Gerichtsschreiberin: Pedretti