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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.362/2004 /sta 
 
Urteil vom 9. Juli 2004 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident, 
Bundesgerichtsvizepräsident Nay, Bundesrichter Reeb, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, c/o Bezirksanwaltschaft Zürich, Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026 Zürich, 
Präsident der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich, Postfach, 8023 Zürich. 
 
Gegenstand 
persönliche Freiheit (Haftentlassung), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung des Präsidenten der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 17. Juni 2004. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Das Bezirksgericht Zürich verurteilte X.________ am 28. Oktober 2003 wegen Verweisungsbruchs im Sinne von Art. 291 StGB zu 15 Monaten Gefängnis unbedingt. 
 
X.________ focht dieses Urteil mit Berufung beim Obergericht des Kantons Zürich an. An der Berufungsverhandlung vom 25. Mai 2004 stellte er das Gesuch, er sei sofort, eventuell am 3. Juni 2004, aus der Sicherheitshaft zu entlassen. Am 4. Juni 2004 beantragte X.________ erneut, aus der Haft entlassen zu werden. 
 
Der Präsident der II. Strafkammer des Obergerichts wies das Haftentlassungsgesuch von X.________ am 17. Juni 2004 ab. 
B. 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 28. Juni 2004 beantragt X.________, diesen Präsidialentscheid aufzuheben und ihn aus der Haft zu entlassen. 
 
Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft verzichten auf Vernehmlassung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Beim angefochtenen Präsidialentscheid handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen Endentscheid, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde zulässig ist (Art. 86 Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten, wozu er befugt ist (Art. 88 OG). Da diese und die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde unter dem Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38 E. 3c; 125 I 492 E. 1b) einzutreten. 
 
Die Beschwerde entspricht den gesetzlichen Begründungsanforderungen über weite Strecken nicht, indem sie sich entweder nicht gegen den angefochtenen Entscheid richtet, unzulässige Anliegen enthält - z.B. soll der Vollzug der Landesverweisung ausgesetzt werden - oder sich nicht mit den Ausführungen im angefochtenen Entscheid auseinandersetzt und nicht dartut, inwiefern dieser verfassungs- und konventionswidrig sein soll. Soweit sich das Bundesgericht im Folgenden mit Ausführungen in der Beschwerde nicht auseinandersetzt, genügen sie den gesetzlichen Begründungsanforderungen nicht; darauf ist nicht einzutreten. 
1.1 Mit einer staatsrechtlichen Beschwerde gegen die Aufrechterhaltung von Sicherheitshaft kann, ausser der Aufhebung des angefochtenen Entscheids, auch die sofortige Entlassung aus der Haft verlangt werden (BGE 115 Ia 293 E. 1a). Der entsprechende Antrag des Beschwerdeführers ist daher zulässig. 
1.2 Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit gegen die Aufrechterhaltung von Haft erhoben werden, prüft das Bundesgericht die Auslegung und die Anwendung des kantonalen Rechts grundsätzlich frei (BGE 117 Ia 72 E. 1; 114 Ia 281 E. 3). 
2. 
2.1 Nach § 67 in Verbindung mit § 58 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich vom 4. Mai 1919 (StPO) darf Sicherheitshaft angeordnet werden, wenn der Angeklagte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und (u.a.) Fluchtgefahr oder Wiederholungsgefahr besteht. Liegt ausser dem allgemeinen Haftgrund des dringenden Tatverdachts einer der besonderen Haftgründe vor, steht einer Inhaftierung auch unter dem Gesichtswinkel der persönlichen Freiheit grundsätzlich nichts entgegen. 
2.2 Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist der dringende Tatverdacht ohne weiteres gegeben, was sich schon daraus ergibt, dass er erstinstanzlich schuldig gesprochen wurde. Verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass der Präsident der II. Strafkammer Fluchtgefahr annahm. Der Beschwerdeführer hält sich illegal in der Schweiz auf und muss im Falle einer Entlassung mit der Ausschaffung aus der Schweiz, zu der er keine engeren Beziehungen hat, rechnen. 
2.3 Fraglich kann nur sein, ob der Beschwerdeführer wegen drohender Überhaft aus der Haft zu entlassen ist. 
2.3.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine Haftdauer dann nicht mehr verhältnismässig, wenn sie in grosse Nähe der konkret zu erwartenden Strafe rückt oder gar die mutmassliche Dauer der zu erwartenden Freiheitsstrafe übersteigt (BGE 123 I 268 E. 3a S. 273; 116 Ia 143 E. 5a S. 147). Die in Art. 38 Ziff. 1 Abs. 1 StGB vorgesehene Möglichkeit einer bedingten Entlassung nach Verbüssung von zwei Dritteln der Strafe ist bei der Berechnung der mutmasslichen Dauer der Freiheitsstrafe grundsätzlich ausser Acht zu lassen, es sei denn, die konkreten Umstände des Falles würden eine Berücksichtigung ausnahmsweise gebieten (Urteile des Bundesgerichts 1P.217/2002 vom 17. Mai 2002; P.703/1987 vom 17. Juni 1987, publ. in SZIER 1992 S. 489 f. und SJIR 1988 S. 285 f.). Ein Ausnahmefall kann insbesondere dann vorliegen, wenn die Voraussetzungen von Art. 38 Ziff. 1 Abs. 1 StGB aufgrund der konkreten Umstände aller Wahrscheinlichkeit nach erfüllt sein werden. 
2.3.2 Der Präsident der II. Strafkammer hat die Gefahr der Überhaft verneint. Er erwog, dem Beschwerdeführer könne angesichts seiner verschiedenen Vorstrafen, die er sowohl in seinem Heimatland als auch in der Schweiz erwirkt habe, und seiner Uneinsichtigkeit - er habe an der Berufungsverhandlung vom 25. Mai 2004 die früheren Urteile gegen ihn als "nicht richtig" taxiert - keine gute Prognose im Sinn von Art. 38 StGB gestellt werden, selbst wenn anzuerkennen sei, dass er sich im Strafvollzug klaglos verhalten habe. Davon ausgehend - was unbestritten ist -, dass der Beschwerdeführer bei einer Bestätigung des erstinstanzlichen Strafmasses von 15 Monaten Gefängnis seine Strafe am 3. September 2004 vollständig verbüsst haben wird, kam er zum Schluss, dass derzeit noch keine Überhaft drohe. 
2.3.3 Diese Beurteilung teilt der Beschwerdeführer zwar nicht, stellt sie aber auch nicht mit sachlichen Argumenten in Frage. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Präsident der II. Strafkammer bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit der Haft die Möglichkeit der bedingten Entlassung nach zwei Dritteln der ausgesprochenen Strafe ausser Acht liess. Allerdings rückt die erstandene Haft auch so bis auf weniger als zwei Monate ans erstinstanzliche Strafmass heran. Das Obergericht hat somit, wenn der Beschwerdeführer bis zum Endurteil in Haft bleiben soll und es Überhaft vermeiden will, nur noch einen sehr beschränkten Spielraum für eine allfällige Senkung der Strafe. Dies ist verfassungsrechtlich zwar bedenklich, kann aber gerade noch hingenommen werden, da die Berufungsverhandlung des Obergerichts bereits am 25. Mai 2004 stattfand, sodass es die Möglichkeit hat, nunmehr sehr schnell zu entscheiden und die Gefahr der Überhaft zu bannen. Die Rüge, die Haft sei unverhältnismässig, ist unbegründet. 
3. 
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Es rechtfertigt sich im vorliegenden Fall, auf die Erhebung von Kosten zu verzichten, sodass das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos wird. Das Gleiche gilt für das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung, da der Beschwerdeführer selber Beschwerde führte und sich nicht vertreten liess. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht 
im Verfahren nach Art. 36a OG
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Staatsanwaltschaft und dem Präsidenten der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 9. Juli 2004 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: