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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 315/02 
 
Urteil vom 9. Dezember 2003 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber Jancar 
 
Parteien 
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
M.________, 1952, Beschwerdegegner 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern 
 
(Entscheid vom 2. April 2002) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1952 geborene M.________ erlangte im Jahre 1972 den Fähigkeitsausweis als Schreiner und im Jahre 1980 ein Handelsschuldiplom. Zuletzt arbeitete er von 1996 bis Ende 1997 im Büro- und Aussendienst/Computerbereich bei der Firma X.________. Von Januar bis Mai 1998 bezog er wirtschaftliche Sozialhilfe. Ab Juni 1998 bis Januar 1999 befand er sich im Strafvollzug in der Strafanstalt Y.________. Am 6. Mai 1999 meldete er sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Einholung diverser Arztberichte sprach ihm die IV-Stelle Luzern ab 1. Juni 1999 gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 50 % eine halbe Invalidenrente zu. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Abklärungen hätten ergeben, dass er seit Juni 1998 zu 50 % in der Arbeitsfähigkeit eingeschränkt sei (Verfügungen vom 28. August 2000 und 4. Oktober 2000). 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, insofern gut, als es die Verfügungen aufhob und die Sache an die IV-Stelle zurückwies, damit sie nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen neu verfüge. Den Erwägungen ist zu entnehmen, dass die IV-Stelle angewiesen wurde, zu prüfen, ob und in welchem Ausmass die verbliebene Arbeitsfähigkeit bestmöglich verwertbar sei und welches Erwerbseinkommen damit erreicht werden könne, einen Einkommensvergleich vorzunehmen und alsdann über ihre Leistungspflicht neu zu verfügen (Entscheid vom 2. April 2002). 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die IV-Stelle die Aufhebung des kantonalen Entscheides. 
Das kantonale Gericht schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während sich der Versicherte nicht vernehmen lässt und das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Invalidenversicherungsbereich geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 28. August und 4. Oktober 2000) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 129 V 4 Erw. 1.2), sind im vorliegenden Fall die neuen Bestimmungen nicht anwendbar. 
2. 
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und die Grundsätze über den Begriff der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG), die Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG), die Invaliditätsbemessung bei erwerbstätigen Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 128 V 30 Erw. 1, 174), die Ermittlung des ohne Invalidität erzielbaren Einkommens (Valideneinkommen; BGE 129 V 224 Erw. 4.3.1 mit Hinweis) sowie den Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 360 Erw. 5b mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
Zu ergänzen ist, dass für die Vornahme des Einkommensvergleichs grundsätzlich auf die Gegebenheiten im Zeitpunkt des allfälligen Rentenbeginns abzustellen ist. Bevor die Verwaltung über einen Leistungsanspruch befindet, muss sie indessen prüfen, ob allenfalls in der dem Rentenbeginn folgenden Zeit eine erhebliche Veränderung der hypothetischen Bezugsgrössen eingetreten ist. Gegebenenfalls hat sie vor ihrem Entscheid einen weiteren Einkommensvergleich durchzuführen (BGE 129 V 223 f. Erw. 4.1 und 4.2). 
3. 
Unbestritten und nicht zu beanstanden ist in medizinischer Hinsicht die Feststellung von Verwaltung und Vorinstanz, dass der Beschwerdegegner in den erlernten Berufen als Schreiner und als kaufmännischer Angestellter zu 50 % arbeitsfähig ist. 
4. 
Streitig und zu prüfen ist die Ermittlung des Invaliditätsgrades des Versicherten. 
4.1 Die IV-Stelle hat keinen Einkommensvergleich vorgenommen, sondern von der ärztlich geschätzten Arbeitsunfähigkeit von 50 % ohne weiteres auf einen entsprechenden Invaliditätsgrad geschlossen. 
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vertritt sie den Standpunkt, es liege ein eindeutiger Fall vor, bei dem Anhaltspunkte fehlten, dass die Einkommenseinbusse bei einem 50 %-Pensum im Vergleich zu einem 100 %-Pensum wesentlich mehr als 50 % betragen würde. Im kaufmännischen Bereich würden im Normalfall keine Teilzeitabzüge vorgenommen, und auch bei einem Schreiner sei nicht ersichtlich, weshalb er bei einem 50%igen Einsatz erheblich weniger verdienen sollte als die Hälfte eines Vollzeitangestellten. Selbst bei einem hoch gegriffenen 10%igen Teilzeitabzug würde die Einkommenseinbusse bezogen auf das Halbtagespensum lediglich 55 % ausmachen, womit die Grenze für den Anspruch auf eine ganze Invalidenrente lange nicht erreicht werde. Unerfindlich sei deshalb, welche Überprüfungen sie hinsichtlich der bestmöglichen Verwertbarkeit der verbliebenen Arbeitsfähigkeit vornehmen sollte. Jede Berechnung wäre vorliegend nur eine Pseudoberechnung mit einem entsprechenden Pseudoresultat, da kaum auf gesicherte Anhaltspunkte dafür abgestellt werden könnte, in welchem Ausmass die Einkommenseinbusse bei einer 50%igen Anstellung in der angestammten Tätigkeit mehr oder allenfalls sogar weniger als 50 % betragen könnte. Im Weiteren habe das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 127 V 136 Erw. 4d betont, dass eine präzise Bestimmung des Invaliditätsgrades für die Belange der Invalidenversicherung nicht immer nötig sei, da es wegen der Rentenabstufung (nur ganze, halbe oder Viertelsrenten) für die Leistungsfestsetzung unter Umständen schon genüge, dass das Erreichen der für die Höhe des Anspruchs ausschlaggebenden Grenzwerte von 40 %, 50 % oder 66 2/3 % eindeutig feststehe oder aber klar ausgeschlossen werden könne. 
4.2 Der Invaliditätsbegriff nach dem IVG ist wirtschaftlichen Charakters. Gegenstand der Versicherung ist nicht der körperliche oder geistige Gesundheitsschaden an sich, sondern seine wirtschaftliche Auswirkung, d.h. die durch einen Gesundheitsschaden verursachte durchschnittliche Beeinträchtigung der Erwerbsmöglichkeiten auf dem für den Versicherten in Betracht fallenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt (BGE 110 V 275 Erw. 4a; ZAK 1985 S. 223 Erw. 1). Sofern der Versicherte - wie vorliegend - nach Eintritt des Gesundheitsschadens keine Erwerbstätigkeit aufgenommen hat, sind für die Bestimmung des trotz der Gesundheitsschädigung zumutbarerweise noch realisierbaren Einkommens (Invalideneinkommen) grundsätzlich entweder die Tabellenlöhne gemäss den vom Bundesamt für Statistik periodisch herausgegebenen Lohnstrukturerhebungen (LSE; BGE 126 V 75 ff; AHI 2002 S. 62 ff.) oder die so genannten DAP (Dokumentation von Arbeitsplätzen der SUVA)-Zahlen (noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil C. vom 28. August 2003, U 35/00; RKUV 1999 Nr. U 343 S. 412 Erw. 4b/aa) heranzuziehen. 
Nach dem Gesagten geht es grundsätzlich nicht an, die medizinische Arbeitsunfähigkeit kurzerhand der Erwerbsunfähigkeit gleichzusetzen (BGE 117 V 17 ff. Erw. 2c/aa, 114 V 314 Erw. 3c; RKUV 1991 Nr. U 130 S. 270; Urteil B. vom 19. Dezember 2002 Erw. 4.1, I 222/02). Nur ausnahmsweise darf von der ärztlich geschätzten Arbeitsunfähigkeit ohne weiteres auf einen entsprechenden Invaliditätsgrad geschlossen werden. Dies trifft beispielsweise bei vollständiger Arbeitsunfähigkeit des Versicherten zu (Urteil D. vom 20. Januar 2003 Erw. 6, I 37+48/02; vgl. auch Rz 3004 des vom BSV herausgegebenen Kreisschreibens über Invalidität und Hilflosigkeit [KSIH]). Eine genaue Ermittlung von Validen- und Invalideneinkommen erübrigt sich zum Beispiel auch, wenn sie ausgehend vom selben Tabellenlohn zu berechnen sind. Diesfalls entspricht der Invaliditätsgrad dem Grad der Arbeitsunfähigkeit unter Berücksichtigung des Abzuges vom Tabellenlohn (Urteil M. vom 15. April 2003 Erw. 5.2, I 1/03). 
4.3 Gerade in Fällen wie dem vorliegenden, da ein Invaliditätsgrad von 50 % angenommen wurde und sich mithin auch die Frage stellt, ob dieser Grenzwert für eine halbe Invalidenrente überhaupt erreicht wird, ist eine genaue Berechnung erforderlich, deren Ergebnis nicht noch aufgerundet werden darf. Dies wird in BGE 127 V 136 Erw. 4e und 4f ebenfalls gesagt, weshalb die Berufung der IV-Stelle auf diesen Entscheid unbehelflich ist. 
Die Akten enthalten hinsichtlich des Valideneinkommens einzig die Angabe des Versicherten in der Anmeldung zum Leistungsbezug, er habe bei der Firma X.________ von 1996 bis Dezember 1997 brutto Fr. 6500.- verdient. Dies ist nicht hinreichend, zumal daraus unter anderem nicht hervorgeht, ob der Lohn der Leistungsfähigkeit des Versicherten entsprach, ob er im Rahmen eines normalen Arbeitspensums erzielt (SVR 2002 IV Nr. 21 S. 64 Erw. 3b) und ob zusätzlich ein 13. Monatslohn ausbezahlt wurde. Die notwendigen Angaben zum Validenlohn sind mittels des dafür vorgesehen Fragebogens beim Arbeitgeber einzuholen. Abgesehen hievon stellt sich vorliegend grundsätzlich die Frage, ob beim Valideneinkommen überhaupt von der zuletzt nur relativ kurze Zeit ausgeübten Tätigkeit bei der Firma X.________ oder allenfalls vom Durchschnittsverdienst während einer längeren Zeitspanne auszugehen ist (AHI 1999 S. 240 Erw. 3b, ZAK 1985 S. 466 Erw. 1c). Auch hiezu hat die Verwaltung die entsprechenden Aktenergänzungen vorzunehmen. 
Weiter hat die IV-Stelle abzuklären, ob der Versicherte die verbliebene Arbeitsfähigkeit im kaufmännischen Bereich oder im Beruf als Schreiner bestmöglich verwerten und welches Erwerbseinkommen er mit diesen Tätigkeiten erzielen kann (ZAK 1962 S. 478 Erw. 1; unveröffentlichtes Urteil M. vom 31. Dezember 1997 Erw. 3b/cc, I I 509/96; vgl. auch Rz 3004 KSIH). Danach hat sie über das zu veranschlagende Invalideneinkommen zu befinden. 
Nicht stichhaltig ist schliesslich das Vorbringen der IV-Stelle, weder im kaufmännischen Bereich noch im Schreinerberuf rechtfertige sich die Vornahme eines Teilzeitabzugs. Denn statistisch gesehen verdienen teilzeitbeschäftigte Männer in allen Anforderungsniveaus des Arbeitsplatzes in der Regel weniger als vollzeiterwerbstätige, ohne dass die obigen Berufszweige davon auszunehmen wären (LSE 2000, S. 24 mit Tabelle 9, und LSE 1998, S. 19 mit Tabelle 6* S. 20). Die IV-Stelle hat daher anhand dieser LSE-Angaben den Teilzeitabzug vom massgebenden Invalideneinkommen festzulegen. 
Nach dem Gesagten ist es vorliegend entgegen der IV-Stelle nicht rechtskonform, von der Restarbeitsfähigkeit direkt auf den Invaliditätsgrad zu schliessen. Sie hat vielmehr die zur Durchführung eines Einkommensvergleichs erforderlichen Abklärungen zu treffen, danach den Invaliditätsgrad festzulegen und über den Rentenanspruch neu zu befinden. Der kantonale Entscheid ist demnach nicht zu beanstanden. 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 9. Dezember 2003 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Die Präsidentin der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: