Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1B_87/2013 
 
Urteil vom 10. April 2013 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Eusebio, 
Gerichtsschreiber Härri. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Alain Joset, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach, Wildischachenstrasse 14, 5200 Brugg, 
Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau, Kasinostrasse 5, 5000 Aarau. 
 
Gegenstand 
Untersuchungshaft, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 31. Januar 2013 des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Am 10. Oktober 2012 erhob die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach Anklage gegen X.________ beim Bezirksgericht Zurzach. Sie wirft ihm die Ausnützung einer Notlage (Art. 193 Abs. 1 StGB) zum Nachteil von zwei Frauen vor. Er habe sich als selbsternannter Zen-Meditationslehrer und "spiritueller Meister" betätigt. Die beiden Frauen seien seine "Schülerinnen" gewesen. Sie hätten zu ihm ein Vertrauensverhältnis gehabt, das zu einer Hörigkeit geführt habe. Dies habe der einschlägig vorbestrafte X.________ ausgenützt und die Frauen dazu veranlasst, sexuelle Handlungen vorzunehmen bzw. zu dulden. Dabei habe er ihnen vorgespiegelt, sie würden dadurch die "Erleuchtung" erlangen. 
Das Verfahren vor dem Bezirksgericht ist derzeit sistiert. 
 
B. 
Am 10. November 2012 erstattete eine weitere Frau Strafanzeige gegen X.________ wegen sexueller Übergriffe; zudem wegen Drohung. 
Am 14. November 2012 nahm ihn die Polizei fest. 
Mit Verfügung vom 16. November 2012 ordnete das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau einstweilen für die Dauer eines Monats, d.h. bis zum 16. Dezember 2012, Untersuchungshaft an. 
Dagegen erhob X.________ am 27. November 2012 Beschwerde beim Obergericht des Kantons Aargau. 
 
C. 
Am 20. Dezember 2012 verlängerte das Zwangsmassnahmengericht die Untersuchungshaft um drei Monate, d.h. bis zum 16. März 2013. 
 
Hiergegen erhob X.________ am 7. Januar 2013 ebenfalls Beschwerde beim Obergericht. 
 
D. 
Mit Verfügung vom 8. Januar 2013 vereinigte der Verfahrensleiter des Obergerichts (Beschwerdekammer in Strafsachen) die beiden Beschwerdeverfahren. 
Am 31. Januar 2013 schrieb das Obergericht die Beschwerde vom 27. November 2012 zufolge Gegenstandslosigkeit ab. Jene vom 7. Januar 2013 wies es ab, soweit es darauf eintrat. Es bejahte nebst dem unbestrittenen dringenden Tatverdacht Kollusions- und Wiederholungsgefahr. Mildere Ersatzmassnahmen anstelle der Haft erachtete es als untauglich. 
 
E. 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts vom 31. Januar 2013 sei aufzuheben; er sei, allenfalls unter Anordnung entsprechender Ersatzmassnahmen, unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Eventualiter sei der Entscheid des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an dieses zurückzuweisen. 
 
F. 
Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. 
Das Zwangsmassnahmengericht hat sich nicht vernehmen lassen. 
Die Staatsanwaltschaft hat eine Vernehmlassung eingereicht. Sie beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. 
X.________ hat hierzu Stellung genommen. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist daher nach Art. 80 BGG zulässig. Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG grundsätzlich zur Beschwerde befugt. Da auch die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde - unter Vorbehalt der folgenden Erwägungen - einzutreten. 
 
2. 
Der Antrag des Beschwerdeführers auf Beizug der gesamten Akten der Strafuntersuchung ist abzuweisen. Für die Beurteilung der vorliegenden Haftsache genügen die dem Bundesgericht eingereichten vorinstanzlichen Akten. 
 
3. 
3.1 Der Beschwerdeführer bringt vor, indem die Vorinstanz seine Beschwerde vom 27. November 2012 abgeschrieben habe, habe sie eine Rechtsverweigerung begangen und damit Art. 29 Abs. 1 BV verletzt. Überdies habe sie seinen Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV und sein Recht auf eine wirksame Beschwerde nach Art. 13 EMRK missachtet. 
 
3.2 Gegen die vorinstanzliche Vereinigung der Beschwerdeverfahren bringt der Beschwerdeführer nichts vor. Er befand sich im Zeitpunkt des angefochtenen Entscheids gestützt auf die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 20. Dezember 2012 in Haft. Zu Recht hat deshalb die Vorinstanz die Beschwerde vom 7. Januar 2013 geprüft. Der Beschwerdeführer hat darin alles vorgebracht, was aus seiner Sicht gegen die Untersuchungshaft sprach. Die Vorinstanz hat dazu Stellung genommen und die Haft als rechtmässig beurteilt. Dabei ist klar, dass sie die Haft bereits ab deren Anordnung vom 16. November 2012 als zulässig ansah. Die von der Vorinstanz angenommene Wiederholungsgefahr musste schon damals gegeben sein und wenn die Vorinstanz im Zeitpunkt ihres Entscheids Kollusionsgefahr bejahte, musste das für den 16. November 2012, als die Untersuchung noch weniger weit fortgeschritten war, erst recht zutreffen. Es ist nicht ersichtlich und der Beschwerdeführer legt nicht substantiiert dar, weshalb er unter diesen Umständen noch ein Rechtsschutzinteresse an der Behandlung der Beschwerde vom 27. November 2012 gehabt haben könnte. Wenn die Vorinstanz diese als gegenstandslos abgeschrieben hat, stellt das damit keine Rechtsverweigerung dar. Das Bundesgericht hat in vergleichbaren Fällen Beschwerden ebenfalls abgeschrieben (Urteile 1B_335/2010 vom 26. Oktober 2010 E. 1.1 und 1B_145/2007 vom 19. September 2007 E. 1.2). 
 
3.3 In der Beschwerde vom 27. November 2012 waren gegenüber jener vom 7. Januar 2013 keine wesentlichen zusätzlichen Argumente enthalten. Konnte der Beschwerdeführer die Untersuchungshaft in der Beschwerde vom 7. Januar 2013 unter jedem Gesichtswinkel in Frage stellen und hat sich die Vorinstanz dazu geäussert, ist eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ebenso zu verneinen. 
 
3.4 Aus Art. 13 EMRK kann der Beschwerdeführer nichts herleiten. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte stellt Art. 5 EMRK "lex specialis" gegenüber Art. 13 EMRK dar. Die Konvention gewährleistet kein Beschwerderecht im Bereich der Haft und Art. 13 EMRK kann nicht angerufen werden, wenn - wie hier - ein Gericht in einem kontradiktorischen Verfahren den Freiheitsentzug verfügt hat (Urteile vom 25. Mai 2000 i.S. M.B. gegen Schweiz § 3 und vom 3. Februar 2000 i.S. G.B. gegen Schweiz § 4; JENS MEYER-LADEWIG, Handkommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 3. Aufl. 2011, N. 99 zu Art. 5 EMRK). 
Selbst wenn es sich anders verhielte, würde das dem Beschwerdeführer nicht helfen. Wie gesagt, konnte er die Untersuchungshaft vor Vorinstanz umfassend in Frage stellen. Damit stand ihm eine wirksame Beschwerdemöglichkeit gegen den Freiheitsentzug zur Verfügung. 
 
3.5 Die Beschwerde erweist sich im vorliegenden Punkt danach als unbegründet. 
 
4. 
4.1 Der Beschwerdeführer wendet ein, im Haftverlängerungsverfahren vor dem Zwangsmassnahmengericht seien Formvorschriften verletzt worden. Dieses Verfahren sei mit der Strafprozessordnung nicht in Einklang gestanden und nicht fair im Sinne von Art. 5 und 6 EMRK gewesen. 
 
4.2 Gemäss Art. 85 StPO bedienen sich die Strafbehörden für ihre Mitteilungen der Schriftform, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt (Abs. 1). Die Zustellung erfolgt durch eingeschriebene Postsendung oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung, insbesondere durch die Polizei (Abs. 2). Das Zwangsmassnahmengericht hat dem Beschwerdeführer zwei Verfügungen einzig per Fax zugestellt. 
Gemäss Art. 227 Abs. 3 StPO gibt das Zwangsmassnahmengericht der beschuldigten Person und ihrer Verteidigung Gelegenheit, die ihm vorliegenden Akten einzusehen und innert 3 Tagen schriftlich zum Haftverlängerungsgesuch Stellung zu nehmen. Das Zwangsmassnahmengericht hat dem Verteidiger zunächst eine Frist von lediglich 24 Stunden angesetzt. Auf dessen Intervention hin hat es ihm nachträglich die Frist von 3 Tagen gewährt. 
Das Haftverlängerungsverfahren war insoweit nicht gesetzeskonform. Dies stellt die Vorinstanz - wie der Beschwerdeführer (Beschwerde S. 9 Ziff. 11) selber darlegt - ausdrücklich fest (angefochtener Entscheid S. 7 E. 4.1.2). Insoweit ist er nicht beschwert. Er hat kein Rechtsschutzinteresse daran, dass auch noch das Bundesgericht die unstreitige Verletzung der Verfahrensvorschriften feststellt. Es darf als selbstverständlich vorausgesetzt werden, dass sich das Zwangsmassnahmengericht künftig an die Erwägungen der Vorinstanz halten und im Interesse des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen (Art. 5 Abs. 2 StPO) zunächst per Fax übermittelte Sendungen nachträglich auch noch per Post zustellen wird; ebenso, dass es die gesetzliche Frist von drei Tagen nach Art. 227 Abs. 3 StPO von Anfang an beachten wird. 
Nach der Rechtsprechung fällt die Haftentlassung wegen derartiger Verfahrensmängel ausser Betracht, wenn die materiellen Haftvoraussetzungen gegeben sind (zur amtlichen Publikation bestimmtes Urteil 1B_788/2012 vom 5. Februar 2013 E. 2.2 mit Hinweisen). Letzteres trifft hier zu (unten E. 5). Wenn die Vorinstanz die Haftentlassung abgelehnt hat, ist das daher nicht zu beanstanden. 
Die Beschwerde ist auch im vorliegenden Punkt unbehelflich. 
 
5. 
5.1 Gemäss Art. 221 Abs. 1 StPO ist Untersuchungshaft zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie Personen beeinflusst oder auf Beweismittel einwirkt, um so die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen (lit. b), oder durch schwere Verbrechen oder Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat (lit. c). 
 
5.2 Der Beschwerdeführer anerkennt ausdrücklich den dringenden Tatverdacht. 
Beruht der angefochtene Entscheid auf mehreren selbständigen Begründungen, die je für sich den Ausgang des Rechtsstreits besiegeln, so hat der Beschwerdeführer nach der Rechtsprechung darzulegen, dass jede von ihnen Recht verletzt. Andernfalls kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden (BGE 133 IV 119 E. 6.3 S. 120 f. mit Hinweisen). 
Der Beschwerdeführer wendet ein, es fehle an der Kollusionsgefahr nach Art. 221 Abs. 1 lit. b StPO. Die Vorinstanz hat nicht nur diese, sondern ebenso Wiederholungsgefahr nach Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO bejaht. Gegen Letztere wendet der Beschwerdeführer nichts ein. Nach der dargelegten Rechtsprechung kann auf die Beschwerde insoweit daher nicht eingetreten werden. Selbst wenn sein Vorbringen zuträfe, wären die Haftvoraussetzungen aufgrund der unangefochtenen Wiederholungsgefahr gegeben. 
Wären die besonderen Haftgründe zu prüfen gewesen, hätte dies am Ergebnis im Übrigen nichts geändert. Die Vorinstanz hat sich sowohl zur Kollusions- als auch zur Wiederholungsgefahr einlässlich geäussert (angefochtener Entscheid S. 12 ff. E. 5.3.3 und S. 16 f. E. 5.4.3). Ihre Erwägungen, auf die verwiesen werden kann (Art. 109 Abs. 3 BGG), sind nicht zu beanstanden. Die Vorinstanz hätte die genannten Haftgründe auch bejahen dürfen, wenn man die belastenden Aussagen von Y.________, die der Beschwerdeführer als unverwertbar ansieht, ausser Acht liesse. 
 
6. 
6.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, Ersatzmassnahmen reichten aus. Die Vorinstanz habe ihren Entscheid insoweit unzureichend begründet und damit seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. 
 
6.2 Die Vorinstanz erwägt, hinsichtlich der Kollusionsgefahr käme als Ersatzmassnahme grundsätzlich die Auferlegung eines Kontaktverbots in Frage. Aufgrund der Tatsache, dass Straferkenntnisse und -verfahren den Beschwerdeführer in der Vergangenheit völlig unbeeindruckt gelassen hätten, könne jedoch nicht angenommen werden, dass er sich an ein solches Verbot halten würde. Andere die Kollusionsgefahr bannende Ersatzmassnahmen seien weder ersichtlich noch geltend gemacht. Auch zur Behebung der Wiederholungsgefahr seien keine tauglichen Ersatzmassnahmen erkennbar. 
Diese Erwägungen sind nicht zu beanstanden. 
Ein Begründungsmangel des angefochtenen Entscheids ist zu verneinen. Die Vorinstanz hat sich hinreichend zu den Ersatzmassnahmen geäussert. Der Beschwerdeführer war gestützt darauf denn auch in der Lage, den vorinstanzlichen Entscheid insoweit sachgerecht anzufechten. 
 
7. 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
Die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64 BGG kann bewilligt werden. Es werden deshalb keine Kosten erhoben und dem Vertreter des Beschwerdeführers wird eine Entschädigung ausgerichtet. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen. 
 
3. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
4. 
Dem Vertreter des Beschwerdeführers, Advokat Alain Joset, wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- ausgerichtet. 
 
5. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach sowie dem Zwangsmassnahmengericht und dem Obergericht des Kantons Aargau (Beschwerdekammer in Strafsachen) schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 10. April 2013 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Fonjallaz 
 
Der Gerichtsschreiber: Härri