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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5P.178/2004 /bnm 
 
Urteil vom 10. Juni 2004 
II. Zivilabteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer, 
Gerichtsschreiber Zbinden. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Obergericht des Kantons Aargau, Kammer für Vormundschaftswesen als zweitinstanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde, Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau. 
 
Gegenstand 
vorläufiger Entzug der Handlungsfähigkeit, 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Kammer für Vormundschaftswesen als zweitinstanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde, vom 19. März 2004. 
 
Sachverhalt: 
A. 
A.a Am 12. Februar 1995 hatte Y.________ ihren Sohn X.________ zu ihrer rechtsgültigen Vertretung "in allen möglichen Geschäften oder Handlungen, bei allen möglichen juristischen oder natürlichen Personen und gegenüber sämtlichen staatlichen Organisationen sowie dem Staat selbst" bevollmächtigt und überdies bestimmt, dass die Vollmacht auch nach ihrem Tod, dem teilweisen oder ganzen Verlust der Handlungsfähigkeit oder der Verschollenerklärung bis zum schriftlichen Widerruf in Kraft bleibe. 
A.b Ein weiterer Sohn von Y.________, Z.________, ersuchte die Vormundschaftsbehörde A.________, gegen seine Mutter ein Entmündigungsverfahren wegen Geistesschwäche einzuleiten. Da sich die Mutter nicht freiwillig von ihrem Hausarzt auf ihren Geisteszustand untersuchen liess, beschloss der Gemeinderat A.________ am 13. Oktober 2003 in seiner Funktion als Vormundschaftsbehörde, beim Bezirksgericht Zofingen Klage einzureichen mit dem Begehren, Y.________ gestützt auf Art. 370 ZGB zu entmündigen (Ziff. 1). Im nämlichen Beschluss entzog der Gemeinderat der Betroffenen für die Dauer des Verfahrens gestützt auf Art. 386 Abs. 2 ZGB vorläufig die Handlungsfähigkeit (Ziff. 2), bestimmte Z.________ zum gesetzlichen Vertreter und betraute diesen mit bestimmten Aufgaben (Ziff. 3). Ferner setzte der Rat die am 12. Februar 1995 erteilte Generalvollmacht ausser Kraft (Ziff. 4), erteilte Weisungen an X.________ unter Hinweis auf Art. 292 StGB (Ziff. 5) und regelte die Publikation des vorläufigen Entzuges der Handlungsfähigkeit (Ziff. 6). Einer allfälligen Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung entzogen (Ziff. 7). Der Beschluss enthielt schliesslich eine Rechtsmittelbelehrung, wonach innert zehn Tagen von der Zustellung des Beschlusses an gerechnet gegen den vorläufigen Entzug der Handlungsfähigkeit beim Bezirksamt Zofingen, gegen die Wahl von Z.________ als gesetzlichen Vertreter und Prozessbeistand bei der Vormundschaftsbehörde A.________ Beschwerde geführt werden könne. 
A.c Dieser Beschluss wurde am 16. Oktober 2003 sowohl Y.________ als auch X.________ zugestellt. Da beide am 20. Oktober 2003 die Annahme der Postsendung verweigerten, wurde ihnen der Beschluss am gleichen Tag durch die Polizei ausgehändigt. Mit Schreiben vom 21. Oktober 2003 sandte X.________ die beiden ihm und seiner Mutter ausgehändigten Ausfertigungen des Beschlusses ungeöffnet an die Vormundschaftsbehörde zurück. 
B. 
B.a Mit Postaufgabe vom 2. November 2003 führte X.________ Beschwerde gegen den Beschluss vom 13. Oktober 2003 beim Bezirksamt Zofingen als vormundschaftliche Aufsichtsbehörde im Wesentlichen mit dem Begehren, den Beschluss ersatzlos aufzuheben. Mit Eingabe vom 17. November 2003 liess er überdies dem Bezirksamt die erste Seite seiner Eingabe an das Gerichtspräsidium Zofingen vom 28. Oktober 2003 zugehen und verwies auf den in dieser Eingabe auf Seite eins gestellten Antrag, es sei im Sinne einer vorläufigen Massnahme (§ 294 ZPO) die sofortige Ausserkraftsetzung des vormundschaftlichen Beschlusses anzuordnen, auf dass seine Vollmacht vom 12. Februar 1995 wieder von jedermann anerkannt werde. Mit Verfügung vom 5. Dezember 2003 trat das Bezirksamt Zofingen auf die Beschwerde betreffend Entzug der Handlungsfähigkeit wegen Nichtwahrung der Beschwerdefrist nicht ein. Mit Bezug auf die Beschwerdepunkte betreffend Wahl von Z.________ als gesetzlichen Vertreter und Prozessbeistand im Entmündigungsverfahren trat es wegen fehlender Zuständigkeit auf die Beschwerde nicht ein und überwies die Sache der zuständigen Vormundschaftsbehörde. 
B.b X.________ führte hiergegen Beschwerde, die das Obergericht des Kantons Aargau, Kammer für Vormundschaftswesen als zweitinstanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde, mit Entscheid vom 19. März 2004 abwies. Das Obergericht erachtete die am 2. November 2003 der Post übergebene Beschwerde an das Bezirksamt Zofingen als verspätet und anerkannte überdies die an das Gerichtspräsidium Zofingen gerichtete Eingabe von X.________ vom 28. Oktober 2003 nicht als Beschwerde gegen den Beschluss der Vormundschaftsbehörde vom 13. Oktober 2003. 
C. 
Gegen diesen Entscheid hat X.________ beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit den Begehren, den obergerichtlichen Entscheid aufzuheben, ihm für das Beschwerdeverfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu erteilen. Sodann lehnt er den Präsidenten sowie die Mitglieder der II. Zivilabteilung ab, ohne allerdings einen Ablehnungsgrund zu nennen. Mit Eingabe vom 19. Mai 2004 hat der Beschwerdeführer seine Beschwerde innert der Rechtsmittelfrist ergänzt und in seiner Eingabe vom 31. Mai 2004 an den Bundesgerichtspräsidenten erneut darum gebeten, die Sache einer anderen Abteilung zuzuweisen. 
 
Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet. 
D. 
Am 26. Mai 2004 wurde dem Gesuch um aufschiebende Wirkung nicht entsprochen. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Der Beschwerdeführer ersucht in seiner Beschwerde sowie in der Eingabe vom 26. Mai 2004 darum, die Sache nicht der II. Zivilabteilung zuzuteilen, wobei er seinen Wunsch ausdrücklich nicht als Ausstandsbegehren verstanden wissen will. In letzterer Eingabe begründet er aber seinen Wunsch mit dem Umstand, dass ihm der Präsident der II. Zivilabteilung in einem früheren Fall (5P.269/2003) eine hohe Gerichtsgebühr auferlegt habe und zudem im Verlaufe des Verfahrens stillschweigend an die Stelle des präsidierenden Mitgliedes, Frau Bundesrichterin Nordmann, getreten sei. Die Eingaben des Beschwerdeführers sind damit sinngemäss als Ausstandsbegehren zu behandeln. 
 
Der Umstand, dass der Präsident der Abteilung an einem für den Beschwerdeführer ungünstigen Urteil beteiligt gewesen ist, stellt für sich genommen keinen Ausstandsgrund dar (vgl. BGE 114 Ia 278 E. 1 S. 279). Inwiefern für alle Mitglieder der Abteilung ein Ausstandsgrund gegeben sein könnte, wird nicht erörtert. Auf das pauschale, unbegründete und damit rechtsmissbräuchliche Ausstandsbegehren ist nicht einzutreten (BGE 111 Ia 148 E. 2, 105 Ib 301 E. 1c und d). 
2. 
2.1 Bei den Anordnungen gestützt auf Art. 386 ZGB handelt es sich um vorläufige Massnahmen, weshalb der diesbezügliche kantonal letztinstanzliche Entscheid nicht als Endentscheid im Sinne von Art. 48 Abs. 1 OG gilt. Sodann liegt auch keine berufungsfähige Zivilrechtsstreitigkeit vor (Art. 44 OG; BGE 86 II 139 E. 1 S. 141 f.), wohl aber ein Zwischenentscheid mit nicht wieder gutzumachendem Nachteil, der mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht gezogen werden kann (Art. 87 OG; Urteil des Bundesgerichts 5P.16/2004 vom 9. Februar 2004, E. 2; BGE 80 II 92). 
2.2 Mit dem vorläufigen Entzug der Handlungsfähigkeit ist die Vertretung in Anwendung von Art. 386 Abs. 2 ZGB geregelt und die dem Beschwerdeführer am 12. Februar 1995 erteilte Generalvollmacht widerrufen worden. Der Beschwerdeführer ist daher in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen und folglich zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert (Art. 88 OG). 
3. 
3.1 Das Obergericht hat erwogen, der Beschwerdeführer habe am 20. Oktober 2003 die Annahme des ihm mit Abholungseinladung in seinem Postfach angezeigten Beschlusses der Vormundschaftsbehörde vom 13. Oktober 2003 verweigert. Der Beschluss sei ihm daher gleichentags durch den Polizeibeamten ausgehändigt worden und habe damit als am 20. Oktober 2003 zugestellt zu gelten. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen diese Ausführungen wendet, erschöpfen sich seine Angaben in unzulässigen Bestreitungen bzw. in unzulässiger appellatorischer Kritik am angefochtenen Entscheid (BGE 127 III 279 E. 1c S. 282), auf die hier nicht weiter einzugehen ist. Das Obergericht geht ferner davon aus, dass die zehntägige Verwirkungsfrist zur Einreichung des Rechtsmittels (Art. 420 Abs. 2 ZGB) gegen den Beschluss der Vormundschaftsbehörde vom 13. Oktober 2003 am 30. Oktober 2003 ablief und die mit Postaufgabe vom 2. November 2003 eingereichte Beschwerde an das Bezirksamt verspätet erfolgt ist. Soweit sich der Beschwerdeführer überhaupt zu diesem Punkt äussert, beschränken sich seine Ausführungen auf appellatorische Kritik. 
4. 
Der Beschwerdeführer hat am 28. Oktober 2003 eine Eingabe an das Gerichtspräsidium Zofingen gerichtet. Strittig ist im vorliegenden Fall, ob diese Eingabe als rechtzeitige Beschwerde gegen den Beschluss der Vormundschaftsbehörde vom 13. Oktober 2003 aufzufassen ist. 
4.1 Das Obergericht führt im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe mit der Eingabe an das Gerichtspräsidium Zofingen offensichtlich nicht Beschwerde gegen den Beschluss der Vormundschaftsbehörde vom 13. Oktober 2003 erhoben, sondern im gerichtlichen Entmündigungsverfahren um Erlass einer vorsorglichen Massnahme im Sinne von § 294 ZPO/AG ersucht. Das Gerichtspräsidium gelte als hierfür zuständige Behörde und sei daher auch nicht verpflichtet gewesen, die Eingabe an das Bezirksamt weiterzuleiten. Der Beschwerdeführer habe die ihm übergebene Gerichtsurkunde ungeöffnet an den Absender zurückgesandt und somit aus eigenem Verschulden von der Rechtsmittelbelehrung keine Kenntnis genommen. Inwieweit das Verhalten des Beschwerdeführers rechtsmissbräuchlich sei, könne dahinstehen. 
 
Der Beschwerdeführer bezeichnet die obergerichtlichen Ausführungen als rabulistisch. Aus der Eingabe vom 28. Oktober 2003 an das Gerichtspräsidium Zofingen gehe unmissverständlich hervor, dass es ihm um die Anfechtung des Beschlusses der Vormundschaftsbehörde gegangen sei. Damit macht der nicht anwaltlich vertretene Beschwerdeführer sinngemäss geltend, angesichts des klaren Wortlautes der Eingabe seien die obergerichtlichen Ausführungen willkürlich. 
4.2 Sind vor der Wahl des Vormundes vormundschaftliche Geschäfte zu besorgen, so trifft die Vormundschaftsbehörde von sich aus die erforderlichen Massregeln (Art. 386 Abs. 1 ZGB). Sie kann insbesondere die vorläufige Entziehung der Handlungsfähigkeit aussprechen und eine Vertretung anordnen (Art. 386 Abs. 2 ZGB). Nach allgemeiner Rechtsauffassung ist allein die Vormundschaftsbehörde zum Erlass der vorgenannten vormundschaftlichen Massnahmen zuständig, nicht etwa die Entmündigungsbehörde; letztere selbst dann nicht, wenn das Verfahren unmittelbar bei ihr hängig gemacht wird (Schnyder/Murer, Berner Kommentar, N. 4 und 135 zu Art. 386 ZGB; Breitschmid, Basler Kommentar, 2. Aufl. 2002, N. 22 zu Art. 386 ZGB; Deschenaux/ Steinauer, Personnes physiques et tutelle, 4. Aufl. 2001, Rz. 898; Urteil des Bundesgerichts 5P.372/1991 vom 18. Februar 1992, E. 2). Damit aber ist der Argumentation des Obergerichts der Boden entzogen, das Gerichtspräsidium Zofingen sei während der Dauer des Entmündigungsverfahrens zum Erlass vorsorglicher Massnahmen zuständig und allein schon deshalb zur Weiterleitung der Eingabe nicht ver pflichtet gewesen. 
 
Ausserdem kann auch nicht ohne Willkür angenommen werden, der Beschwerdeführer habe mit seiner Eingabe vom 28. Oktober 2003 nicht Beschwerde gegen den Beschluss der Vormundschaftsbehörde vom 13. Oktober 2003 führen wollen, wird doch darin dessen sofortige Ausserkraftsetzung beantragt und überdies auch begründet, warum der Beschluss nach Auffassung des Beschwerdeführers nicht aufrecht erhalten werden kann. 
 
Vom Obergericht wird zu Recht nicht bestritten, dass die in der Sache nicht zuständige Gerichtsbehörde zur Weiterleitung der Eingabe an die zuständige Behörde verpflichtet ist (§ 83 Abs. 2 ZPO/AG; § 31 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege i.V.m. § 83 Abs. 2 ZPO/AG). Aus § 83 Abs. 1 ZPO/AG ergibt sich sodann, dass die Rechtsmittelfrist mit der fristgerechten Einreichung des Rechtsmittels bei der unzuständigen Behörde gewahrt ist. Daran ändert nichts, dass der Beschwerdeführer aus eigenem Verschulden keine Kenntnis von der Rechtsmittelbelehrung genommen und somit auch die Einreichung bei der unzuständigen Behörde zu verantworten hat. Denn auch diesfalls bleibt es dabei, dass er sich bezüglich der Zuständigkeit der Rechtsmittelinstanz geirrt hat. 
4.3 Nach dem Gesagten erweist sich die Abweisung der kantonalen Beschwerde durch das Obergericht als willkürlich. Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann, und der Entscheid aufzuheben. 
5. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Der Beschwerdeführer ist nicht anwaltlich vertreten und hat im Übrigen auch keine Auslagen ausgewiesen, welche zu ersetzen wären (BGE 109 Ia 5 E. 5 S. 11 ff.; 113 Ib 353 E. 6b S. 357). Unter diesen Umständen ist ihm für das bundesgerichtliche Verfahren keine Entschädigung zuzusprechen. 
6. 
Da keine Gerichtskosten erhoben werden, wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege insgesamt gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Auf das Ausstandsbegehren wird nicht eingetreten. 
2. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, und der Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Kammer für Vormundschaftswesen als zweitinstanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde, vom 19. März 2004 wird aufgehoben. 
3. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
4. 
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. 
5. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht des Kantons Aargau, Kammer für Vormundschaftswesen als zweitinstanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 10. Juni 2004 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: