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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_396/2010 
 
Urteil vom 10. Juni 2010 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys, 
Gerichtsschreiber Keller. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen, Moosbruggstrasse 11, 9001 St. Gallen, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Akteneinsicht; unentgeltliche Rechtspflege, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 6. April 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ verbüsst verschiedene Freiheitsstrafen in der Strafanstalt Pöschwies. Diese werden am 28. März 2011 enden, wobei X.________ am 17. Februar 2010 zwei Drittel dieser Strafen verbüsst hat. Nach abgelehnter bedingter Entlassung stellte X.________ ein Entlassungsgesuch an das Amt für Justizvollzug. Dieses wies das Gesuch um Gewährung der bedingten Entlassung sowie der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung ab und trat auf das Gesuch um Akteneinsicht nicht ein. 
 
B. 
X.________ erhob Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen. Mit Verfügung vom 6. April 2010 verweigerte der Präsident des Verwaltungsgerichts die unentgeltliche Prozessführung. Gleichzeitig setzte er dem Beschwerdeführer eine Frist zur Bezahlung eines Kostenvorschusses von Fr. 1'000.-- an. Er gewährte indessen die Akteneinsicht in die seit einem Urteil des Verwaltungsgerichts St. Gallen vom 3. Dezember 2009 ergangenen Akten. 
 
C. 
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht. Er beantragt die Überprüfung und Abänderung des vorinstanzlichen Entscheids sowie des Amts für Justizvollzug St. Gallen, eventualiter die Rückweisung an die Vorinstanz (Antrag 1 und 3). Zudem verlangt er kostenlose Einsicht in die Vollzugsakten (Antrag 2). Ferner möchte er verschiedene Verfahrensgarantien im bundesgerichtlichen Verfahren verwirklicht haben (Anträge 5 und 6) sowie die Zustellung einer Eingangbestätigung (Antrag 7), alles unter Kosten und Entschädigungsfolgen zulasten des Staates. 
 
D. 
Die Vorinstanz beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Das Amt für Justizvollzug beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Soweit der Beschwerdeführer unzulässige Begehren stellt (siehe Anträge 5, 6 und 7), ist darauf nicht einzutreten. Vor Bundesgericht ist die Frage der Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege zur Beschwerdeerhebung gegen die Verweigerung der bedingten Entlassung sowie der Akteneinsicht Gegenstand des Verfahrens (Anträge 1-3). Insofern sich der Beschwerdeführer nicht mit diesen Fragen befasst, ist darauf nicht einzutreten. 
 
2. 
Der Beschwerdeführer verlangt die kostenlose Akteneinsicht in die Vollzugsakten. Die Vorinstanz erwägt, dass ihm die seit dem 3. Dezember 2009 ergangenen Akten, von denen er noch keine Kenntnis hat, in Kopie zuzustellen seien. Eine Akteneinsicht in die vollständigen Original-Akten könne nicht erfolgen, da er sich im Strafvollzug befinde. 
Der Beschwerdeführer setzt sich mit den Erwägungen der Vorinstanz weder auseinander noch liefert er sonst eine hinreichende Begründung für sein Begehren um vollständige Akteneinsicht. Auf sein Vorbringen ist daher mangels einer rechtsgenüglichen Begründung nicht einzutreten (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 134 II 244 E. 2.2). 
 
3. 
3.1 Der Beschwerdeführer wendet sich im Weiteren gegen die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege Die Vorinstanz bringe keine relevanten Gründe und Kriterien vor, weshalb das Begehren um bedingte Entlassung aussichtslos sein solle. Die angeführte Fluchtgefahr sowie die Heirat mit einer Ausländerin seien jedenfalls keine relevanten Kriterien (Beschwerde, S. 19). 
 
3.2 Die Vorinstanz begründet die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege mit der Aussichtslosigkeit des Verfahrens. Der Beschwerdeführer habe sich dem Vollzug der Freiheitsstrafen, die er momentan absitze, mittels Flucht ins Ausland (Philippinen) entzogen. Er sei mit einer asiatischen Staatsbürgerin verheiratet und beabsichtige, nach einer Entlassung nach Asien (Philippinen oder Thailand) zu ziehen. Bei dieser Sachlage erscheine die Fluchtgefahr offenkundig, zumal er aufgrund eines hängigen Verfahrens mit einer weiteren Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe rechnen müsse. Die Beschwerde gegen die Verweigerung der bedingten Entlassung müsse daher als aussichtslos gelten, weshalb die unentgeltliche Prozessführung zu verweigern und die Leistung eines Kostenvorschusses einzuverlangen seien (angefochtenes Urteil, S. 2). 
 
3.3 Nach Art. 86 Abs. 1 StGB ist der Gefangene nach Verbüssung von zwei Dritteln, mindestens aber drei Monaten seiner Strafe bedingt zu entlassen, wenn es sein Verhalten im Strafvollzug rechtfertigt und nicht anzunehmen ist, er werde in Freiheit weitere Verbrechen oder Vergehen begehen. Die zuständige Behörde hat von Amtes wegen zu prüfen, ob der Gefangene bedingt entlassen werden kann; dabei hat sie diesen anzuhören und einen Bericht der Anstaltsleitung einzuholen (Art. 86 Abs. 2 StGB). 
Die Prognose über das künftige Wohlverhalten ist in einer Gesamtwürdigung zu erstellen, welche nebst dem Vorleben, der Persönlichkeit und dem Verhalten des Täters während des Strafvollzugs vor allem dessen neuere Einstellung zu seinen Taten, seine allfällige Besserung und die nach der Entlassung zu erwartenden Lebensverhältnisse berücksichtigt (BGE 124 IV 193 E. 3). Dabei steht der zuständigen Behörde ein Ermessensspielraum zu. Das Bundesgericht greift in die Beurteilung der Bewährungsaussicht nur ein, wenn sie ihr Ermessen über- oder unterschritten oder missbraucht und damit Bundesrecht verletzt hat. Eine Ermessensüberschreitung kann etwa darin liegen, auf eine Gesamtwürdigung aller für die Prognose relevanten Umstände zu verzichten (BGE 133 IV 201 E. 2.3). 
 
3.4 Die Vorinstanz nimmt - im Gegensatz zur ersten Instanz - keine Gesamtwürdigung zur Prognose des künftigen Wohlverhaltens des Beschwerdeführers vor. Sie verzichtet gar auf eine eigentliche Beurteilung der Bewährungsaussicht und erwähnt lediglich die Fluchtgefahr, weil er mit einer Asiatin verheiratet sei und nach der Entlassung auswandern möchte. Ferner sei ein (freilich nicht aus den Akten ersichtliches) Verfahren hängig, bei dem er mit einer weiteren Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe rechnen müsse. Aus diesen Erwägungen leitet die Vorinstanz die Aussichtslosigkeit der Beschwerde gegen die Verweigerung der bedingten Entlassung ab. 
Die Vorinstanz verfällt in Willkür, indem sie in Verletzung von Art. 86 StGB die Verweigerung der bedingten Entlassung einzig auf das Kriterium der Fluchtgefahr stützt und hierdurch ihren Ermessensspielraum bezüglich Bewährungsaussicht des Beschwerdeführers überschreitet. 
Sie vermag mit dieser Begründung die Aussichtslosigkeit einer Beschwerde gegen die bedingte Entlassung nicht darzutun. 
 
4. 
Die Beschwerde ist gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der angefochtene Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 6. April 2010 ist aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der angefochtene Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 6. April 2010 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben und keine Entschädigungen ausgerichtet. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 10. Juni 2010 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Favre Keller