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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess {T 7} 
I 601/05 
 
Urteil vom 11. August 2006 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ursprung, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiber Traub 
 
Parteien 
M.________, 1978, Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwältin Angela Schweiter, Am Schanzengraben 27, 8002 Zürich, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
(Entscheid vom 29. Juni 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1978 geborene M.________ war seit 1997 als Gebäudereiniger erwerbstätig. Am 22. Oktober 2002 meldete er sich unter Hinweis auf Rückenbeschwerden bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich klärte die medizinischen und erwerblichen Anspruchsgrundlagen ab. Es ergab sich, dass M.________ an einem lumbovertebralen Schmerzsyndrom mit intermittierender Schmerzausstrahlung in das rechte Bein bei medianer Diskushernie L5/S1 ohne Nervenwurzelkontakt leidet. Als weitere Diagnosen mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit wurden eine Symptomausweitung mit chronifizierter parazervikaler Schmerzsymptomatik und ein Verdacht auf anhaltende somatoforme Schmerzstörung erhoben (Gutachten des Medizinischen Zentrums X.________ [MZX] vom 29. Juni 2004). Mit durch Einspracheentscheid vom 21. März 2005 bestätigter Verfügung vom 4. November 2004 verneinte die IV-Stelle das Vorliegen einer leistungsbegründenden Invalidität; in leidensangepassten Tätigkeiten bestehe keine dauerhafte Reduktion der Arbeitsfähigkeit. 
B. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat (Entscheid vom 29. Juni 2005). 
C. 
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, es seien ihm, unter Aufhebung von kantonalem und Einspracheentscheid, berufliche Massnahmen und eine Dreiviertels-Invalidenrente zuzusprechen. Ausserdem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung. 
IV-Stelle und Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf Vernehmlassung. 
D. 
Am 18. Oktober 2005 zieht der Beschwerdeführer das Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen Verbeiständung zurück. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
1.1 Strittig ist, ob der Versicherte eine Invalidenrente oder berufliche Eingliederungsmassnahmen beanspruchen kann. Das kantonale Gericht hat die massgeblichen Bestimmungen über die Bemessung des Invaliditätsgrades bei Erwerbstätigen nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG und Art. 16 ATSG), über den Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen im Allgemeinen (Art. 8 Abs. 1 IVG; BGE 105 V 140 Erw. 1a; AHI 1996 S. 302 Erw. 2; vgl. auch BGE 124 V 269 Erw. 4) und auf Umschulung im Besonderen (Art. 8 Abs. 3 lit. b in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 IVG und Art. 6 Abs. 1 IVV; BGE 124 V 109 Erw. 2; AHI 2000 S. 61 Erw. 1) sowie über die erforderlichen Merkmale beweiskräftiger medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 125 V 352 Erw. 3a) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
1.2 Nach Art. 132 Abs. 1 OG in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG (in Kraft seit 1. Juli 2006) kann das Eidgenössische Versicherungsgericht in Verfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen in Abweichung von den Art. 104 und 105 OG auch die Unangemessenheit der angefochtenen Verfügung beurteilen und ist an die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts nicht gebunden. Gemäss Art. 132 Abs. 2 OG gelten diese Abweichungen nicht, wenn der angefochtene Entscheid, wie hier der Fall, Leistungen der Invalidenversicherung betrifft. Nach Ziff. II lit. c des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 ist indessen auf die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängigen Beschwerden bisheriges Recht anwendbar. Da die hier zu beurteilende Beschwerde am 1. Juli 2006 beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängig war, richtet sich dessen Kognition noch nach der bis Ende Juni 2006 gültigen Fassung von Art. 132 OG, welche dem neuen Abs. 1 entspricht. 
2. 
Die Vorinstanzen haben einen Anspruch auf Invalidenrente verneint, weil der erhobene Gesundheitsschaden es dem Versicherten erlaube, ein rentenausschliessendes Einkommen zu erzielen. 
2.1 Die Verfasser des von der Verwaltung eingeholten interdisziplinären Gutachtens des MZX vom 29. Juni 2004 kommen zum Schluss, der Versicherte leide an einem lumbovertebralen Schmerzsyndrom mit intermittierender Schmerzausstrahlung in das rechte Bein. Zudem liege eine Symptomausweitung mit chronifizierter parazervikaler Schmerzsymptomatik und der Verdacht auf eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung vor. Objektivierbar sei lediglich eine mediane Hernie der Bandscheibe L5/S1 ohne Nervenwurzelkontakt. Ohne Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit bleibe eine leichte depressive Episode. Aufgrund der Befunde am Bewegungsapparat bestehe keine Arbeitsfähigkeit in Bezug auf körperliche Schwerarbeiten mehr. Hinsichtlich leichterer, rückenschonender Arbeiten sei der Versicherte indes grundsätzlich vollständig arbeitsfähig, wobei er - wegen der mittlerweile eingetretenen psychischen und physischen Dekonditionierung - vorübergehend nur für ein halbes Pensum einsetzbar sei. 
2.2 Das kantonale Gericht erkannte, die gutachtlich vorübergehend um 50 Prozent reduzierte Arbeitsfähigkeit erkläre sich mit der Notwendigkeit von Unterstützungsmassnahmen zum Aufbau des Leistungsvermögens in leichten, rückenschonenden Tätigkeiten, das wegen psychischer und physischer Dekonditionierung eingeschränkt sei. Eine dergestalt ungünstige Verfassung stelle ein mit invaliditätsfremden Faktoren vergleichbares Element dar, welches nicht mit Leistungen der Invalidenversicherung zu kompensieren sei. Dementsprechend sei die Dekonditionierung bei der Einschätzung der Leistungsfähigkeit auszublenden. Sei somit von einer vollständigen Arbeitsfähigkeit in leichten Tätigkeiten auszugehen, mit welchen sich (unter Berücksichtigung eines leidensbedingten Abzugs von 10 Prozent) ein statistisch ermitteltes Invalideneinkommen von Fr. 52'493.- erzielen lasse, so ergebe sich im Vergleich mit einem Valideneinkommen von Fr. 51'872.- keine Einkommenseinbusse. 
2.3 Die vorinstanzliche Auffassung, die physische und psychische Dekonditionierung könne im Zusammenhang mit der Frage nach dem massgebenden Grad an Arbeitsfähigkeit vernachlässigt werden, ist differenzierend zu würdigen: 
2.3.1 Die Gutachter des MZX machen deutlich, dass die auf die zunehmende Dekonditionierung zurückgehende "Invalidisierung" eine sekundäre sei. Intensive Rehabilitationsanstrengungen seien angebracht, auch wenn deren Erfolgsprognose nicht zu optimistisch eingeschätzt werden dürfe. Nach entsprechender Motivierung solle eine längerdauernde Psychotherapie, allenfalls mit begleitender antidepressiver Medikation, versucht werden, bevor in einem weiteren Schritt eigentliche berufliche Massnahmen einzuleiten wären. Der Versicherte könne indes die innert Jahresfrist mögliche Steigerung der Arbeitsfähigkeit zu einer vollumfänglichen nicht selber bewerkstelligen: "Er benötigt hierzu zunächst eine psychologische Führung zur Wiedereingliederung, ausserdem eine psychiatrische Behandlung, welche auch schmerzdistanzierend wirkt und schliesslich auch ein aktives körperliches Training, um der Dekonditionierung Einhalt zu gebieten. Begleitend hierzu benötigt er eine Berufsberatung und Stellenvermittlung bei einem verständnisvollen Arbeitgeber" (Gutachten vom 29. Juni 2004, S. 17). 
2.3.2 Die tatsächliche Umsetzbarkeit des nach medizinisch-theoretischer Einschätzung an sich bestehenden funktionellen Leistungsvermögens bedingt nach zitierter ärztlicher Feststellung bestimmte Eingliederungsvorkehren. In einem solchen Fall ist danach zu fragen, ob die notwendigen Schritte der versicherten Person allein überantwortet werden können. Bejahendenfalls ist das beschriebene Vorgehen ohne weiteres statthaft. Wenn die versicherte Person das prinzipiell vorhandene erwerbliche Potential jedoch aus Gründen, die mit dem Gesundheitsschaden zusammenhängen, auch bei zumutbarer Willensanstrengung nicht in eigener Verantwortung realisieren kann, muss geprüft werden, ob es zur Aktivierung der grundsätzlich gegebenen Arbeitsfähigkeit noch der Durchführung von - der Invalidenversicherung obliegenden - Eingliederungsmassnahmen bedarf. Dabei sollen, etwa im Rahmen eines Arbeitstrainings, den Folgen des Gesundheitsschadens zugehörige, nicht aus eigenem Antrieb überwindbare Defizite in erwerbsrelevanten Fertigkeiten ausgeglichen oder etwa das krankheitsbedingt verlorene Vertrauen in die physische Belastbarkeit (im Umfang der objektiven Leistungsfähigkeit) wieder aufgebaut werden (vgl. Urteil P. vom 23. Mai 2006, I 2/06, Erw. 2.2). 
2.3.3 Die gemäss dem erwähnten Präjudiz durch die Invalidenversicherung zu leistenden Vorkehrungen stellten nach dortiger ärztlicher Einschätzung eine unabdingbare Voraussetzung für die Verwertung des funktionellen Leistungsvermögens dar. Sie waren unmittelbar erwerbsorientiert. Hier benötigt der Beschwerdeführer hingegen in erster Linie eine medizinische Therapie, deren erfolgreiche Durchführung wiederum Voraussetzung für berufliche Massnahmen wie die ebenfalls gutachtlich angeregte Berufsberatung und Stellenvermittlung bildet. Die indizierten Therapien sind hier nicht spezifisch und unmittelbar auf die Eingliederung in das Erwerbsleben gerichtet, sondern entsprechen einer Behandlung des Leidens an sich, vor allem der psychogenen Anteile des Schmerzsyndroms und der vermutlich bewusstseinsfernen Symptomausweitung. Massnahmen dieser Art gehen gemäss Art. 12 IVG nicht zu Lasten der Invalidenversicherung, obgleich die Behandlung des Leidens an sich gewöhnlich auch einen günstigen Effekt auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit ausübt. Entsprechen die aus medizinischer Sicht notwendigen "Überbrückungsmassnahmen" somit nicht Eingliederungsmassnahmen im Sinne der Art. 8 ff. IVG, sondern einer - in den Zuständigkeitsbereich der Krankenversicherung fallenden - Heilbehandlung, so durften Verwaltung und Vorinstanz im Zusammenhang mit dem anrechenbaren Invalideneinkommen von der Fiktion einer zumutbaren Verwertung der - vorerst noch - rein medizinisch-theoretischen Arbeitsfähigkeit ausgehen (vgl. Art. 28 Abs. 2 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG). 
2.4 Hinsichtlich der Eckdaten des Einkommensvergleichs wird auf die entsprechenden Abschnitte der kantonalgerichtlichen Begründung verwiesen. Mangels Invalidität im Rechtssinne steht dem Beschwerdeführer keine Invalidenrente zu. 
3. 
Nach dem in Erw. 2.3 hiervor Gesagten ist der Anspruch auf Massnahmen beruflicher Art (vor allem Berufsberatung, Arbeitsvermittlung; vgl. dazu SVR 2003 IV Nr. 11 S. 34 Erw. 4 [I 761/01] mit Hinweisen) unter der Prämisse zu prüfen, die tatsächlich noch ausstehenden schadenmindernden Therapien seien bereits wirksam geworden. Unter solcher Annahme bedürfte es für die notwendige berufliche Neuorientierung keiner besonderen Kenntnisse über die Möglichkeiten behinderungsangepasster Tätigkeiten, da dem Beschwerdeführer an sich eine Vielzahl solcher Beschäftigungen offensteht. Ein Anspruch auf Berufsberatung (Art. 15 IVG; ZAK 1977 S. 191 Erw. 2) besteht daher nicht. Ebenso wenig wirkten sich die Einschränkungen in der Leistungsfähigkeit bei der Suche nach einer geeigneten Arbeitsstelle erschwerend aus, so dass die Arbeitsvermittlung nicht der Invalidenversicherung (Art. 18 Abs. 1 Satz 1 IVG; vgl. BGE 116 V 80 Erw. 6), sondern allenfalls der Arbeitslosenversicherung obliegt. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 11. August 2006 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: