Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
4A_519/2010 
 
Urteil vom 11. November 2010 
I. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Klett, Präsidentin, 
Bundesrichterinnen Rottenberg Liatowitsch, Kiss, 
Gerichtsschreiberin Sommer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________ AG, 
Zweigniederlassung Y.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Wehrenberg, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas Röthlisberger, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Arbeitsvertrag; fristlose Entlassung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, III. Zivilkammer, vom 22. Juli 2010. 
Sachverhalt: 
 
A. 
A.________ (Beschwerdegegner) arbeitete ab Mai 2008 im Stundenlohn und ab 1. Juli 2008 für monatlich Fr. 5'500.-- brutto in der Y.________ Fischfarm, einer Zweigniederlassung der X.________ AG, (Beschwerdeführerin). Die Fischfarm wurde vom Patron und dessen Ehefrau, B. und C. D.________, geleitet. Der Beschwerdegegner, der über Fachkenntnisse in der Fischzucht verfügt, war für die Pflege der Fischlarven und Jungfische verantwortlich, insbesondere für die Reinigung der Aufzuchtbecken. Werden die Siebe und Filter in den Becken nicht regelmässig gereinigt, können sie verstopfen, was die Wasserzirkulation zum Erliegen bringt. Infolgedessen können die Jungfische wegen Sauerstoffmangels verenden. 
Am 4. Februar 2009 wurde dem Beschwerdeführer eine von B. und C. D.________ unterzeichnete Verwarnung überreicht, worin unter anderem Folgendes stand: 
"Hiermit müssen wir Sie in aller Form verwarnen, da Sie die Betriebsanweisung, die Siebe der Brut täglich zu reinigen (1-2 mal) und somit die Brut wegen Sauerstoffmangel ersticken (sic!), nicht befolgen." 
Für den Wiederholungsfall wurde dem Beschwerdeführer die fristlose Entlassung angedroht. Tags darauf teilte der Beschwerdeführer der Arbeitgeberin mit, dass er die Verwarnung nicht akzeptiere. 
Am 11. Februar 2009 überbrachte der Beschwerdegegner, der an einer Magen-Darm-Grippe erkrankt war, der Arbeitgeberin ein Arztzeugnis, das dessen Arbeitsunfähigkeit vom 10. bis zum 13. Februar 2009 bescheinigte. Gleichzeitig wurde ihm vom Wachpersonal der Fischfarm ein auf den 10. Februar 2009 datiertes Schreiben überreicht, womit ihn die Arbeitgeberin sinngemäss fristlos entliess, weil er sich dadurch, dass er die Abmahnung nicht angenommen habe, der Geschäftsleitung erneut widersetzt habe. 
Mit Wirkung auf den 13. Juli 2009 wurde über die Zweigniederlassung Y.________ Fischfarm der Beschwerdeführerin der Konkurs eröffnet. Das Konkursverfahren wurde am 17. Juli 2009 mangels Aktiven eingestellt und am 6. August 2009 im summarischen Verfahren wieder aufgenommen. 
 
B. 
Am 11. Mai 2009 klagte der Beschwerdegegner beim Kreisgericht Rheintal gegen die Beschwerdeführerin. Er verlangte Lohnzahlung bis zum 31. März 2009 von Fr. 6'663.85 brutto nebst Zins sowie eine Entschädigung wegen ungerechtfertigter fristloser Entlassung nach Art. 337c Abs. 3 OR von Fr. 22'000.-- nebst Zins. Das Kreisgericht lehnte die von der Beschwerdeführerin im Hauptstandpunkt beantragte Einstellung des Verfahrens nach Art. 207 SchKG ab. Mit Entscheid vom 10. November 2009 verpflichtete es die Beschwerdeführerin zur Zahlung von Fr. 9'229.90 netto und Fr. 5'933.95 brutto, je nebst Zins. Im Mehrbetrag wies es die Klage ab. 
Die Beschwerdeführerin erklärte Berufung an das Kantonsgericht St. Gallen und beantragte weiterhin die Einstellung des Verfahrens nach Art. 207 SchKG, eventualiter die Abweisung der Klage. Mit Entscheid vom 22. Juli 2010 wies das Kantonsgericht die Berufung ab. Wie das Kreisgericht hielt auch das Kantonsgericht einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung für nicht nachgewiesen. 
 
C. 
Die Beschwerdeführerin beantragt mit Beschwerde in Zivilsachen, den Entscheid des Kantonsgerichts aufzuheben und das Verfahren an die Vorinstanz zur Durchführung eines Beweisverfahrens zurückzuweisen. 
Der Beschwerdegegner beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Die Vorinstanz verzichtete auf eine Vernehmlassung. 
 
D. 
Mit Präsidialverfügung vom 11. Oktober 2010 wurde das Gesuch der Beschwerdeführerin, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu erteilen, abgewiesen. 
Erwägungen: 
 
1. 
Der angefochtene Entscheid des Kantonsgerichts ist ein verfahrensabschliessender Endentscheid (Art. 90 BGG) einer letzten kantonalen Instanz (Art. 75 Abs. 1 BGG). Namentlich war eine Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht des Kantons St. Gallen ausgeschlossen (Art. 238 lit. c des Zivilprozessgesetzes des Kantons St. Gallen vom 20. Dezember 1990 [ZPO/SG; sGS 961.2] i.V.m. Art. 343 Abs. 2 OR). Sodann übersteigt der Streitwert von Fr. 15'163.85 die Grenze nach Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG. Unter Vorbehalt einer rechtsgenüglichen Begründung (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG) ist auf die Beschwerde einzutreten. 
Die Beschwerdeführerin stellt keinen materiellen Antrag, sondern begehrt lediglich die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Rückweisung der Sache zur Durchführung eines Beweisverfahrens. Dieser Antrag genügt, da die von der Beschwerdeführerin verlangte Durchführung eines Beweisverfahrens eine Rückweisung erfordern würde und das Bundesgericht somit bei Gutheissung der Beschwerde keinen reformatorischen Entscheid fällen könnte. 
 
2. 
2.1 Die Beschwerdeführerin rügt einzig eine Verletzung der Untersuchungsmaxime nach Art. 343 Abs. 4 OR. Sie beanstandet die Erwägung der Vorinstanz, dass es auch unter der Untersuchungsmaxime nicht Aufgabe des Gerichts sei, eine Partei zur Substanziierung und zum Beweis von Behauptungen anzuhalten, die in sich widersprüchlich seien. Zudem sei davon auszugehen, dass die von Anfang an anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin ihre Behauptungen substanziiert und verfügbare Beweismittel genannt hätte, wenn sie dazu in der Lage gewesen wäre. Deshalb wäre es zwecklos, die Beschwerdeführerin zur weiteren Substanziierung und zur Nennung von Beweisen aufzufordern. 
 
2.2 Im Unterschied zur im Zivilprozess üblichen Verhandlungsmaxime, nach der die Parteien den Prozessstoff einbringen müssen und nur über Bestrittenes Beweis zu führen ist, verpflichtet Art. 343 Abs. 4 OR den Richter, den Sachverhalt von Amtes wegen abzuklären. Die sozialpolitisch begründete Untersuchungsmaxime gemäss Art. 343 OR entbindet die Parteien allerdings nicht davon, an der Sammlung des Prozessstoffes aktiv mitzuwirken, ihre Standpunkte zu substanziieren und die Beweismittel zu nennen. Die Parteien tragen auch im Bereich der Untersuchungsmaxime die Verantwortung dafür, dass die relevanten Behauptungen vorgebracht werden; ebenso sind sie grundsätzlich für die Sachverhaltsermittlung verantwortlich (BGE 130 III 102 E. 2.2 S. 107; 111 II 281 E. 3; 107 II 233 E. 2c S. 236; vgl. auch BGE 125 III 231 E. 4a S. 238 f.). Zwar gilt für den Richter eine ausgedehntere Fragepflicht; vom Zweck der Untersuchungsmaxime her, auch prozessunerfahrenen Parteien eine selbständige Prozessführung zu ermöglichen, rechtfertigt es sich indes, das Ausmass der gerichtlichen Hilfestellungen davon abhängig zu machen, ob eine Partei selbständig auftritt oder anwaltlich vertreten ist (Urteile 4A_635/2009 vom 24. März 2010 E. 2.2; 4C.340/2004 vom 2. Dezember 2004 E. 4.2 mit Hinweisen, nicht publ. in: BGE 131 III 243). 
 
2.3 Die Beschwerdeführerin trägt lediglich und in bloss allgemeiner Hinsicht vor, in Verfahren, die der Untersuchungsmaxime unterlägen, müssten die Parteien über ungenügende Substanziierung oder fehlende Beweise in Kenntnis gesetzt werden. Inwiefern im konkreten Fall die Vorinstanz die Untersuchungsmaxime verletzt haben soll, begründet sie mit keinem Wort. Es ist daher fraglich, ob auf ihre Rüge überhaupt eingetreten werden kann, werden doch die gesetzlichen Begründungsanforderungen kaum erreicht (Art. 42 Abs. 2 BGG). Die Rüge geht indessen ohnehin fehl. Wie vorstehend dargelegt, entbindet der arbeitsrechtliche Untersuchungsgrundsatz die Parteien nicht davon, ihre Behauptungen rechtsgenügend zu substanziieren und die Beweismittel zu nennen, was insbesondere gilt, wenn eine Partei - wie vorliegend die Beschwerdeführerin - von Anfang an anwaltlich vertreten ist. Schon das Kreisgericht wies betreffend das behauptete Fehlverhalten des Beschwerdegegners auf eine unzureichende Substanziierung und das Fehlen von Beweisofferten hin. Die Beschwerdeführerin war somit über diesen Mangel in Kenntnis gesetzt. Unter diesen Umständen kann dem Obergericht nicht vorgeworfen werden, den Untersuchungsgrundsatz nach Art. 343 OR verletzt zu haben, wenn es nicht auch noch seinerseits auf die mangelnde Substanziierung in diesem Punkt hinwies und eine weitere Substanziierung verlangte. 
 
3. 
Die Beschwerde ist daher abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 i.V.m. Art. 65 Abs. 4 lit. c sowie Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 700.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, III. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 11. November 2010 
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Die Präsidentin: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Klett Sommer