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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
P 7/02 
 
Urteil vom 12. März 2004 
I. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Borella, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi, Schön und nebenamtlicher Richter Weber; Gerichtsschreiber Attinger 
 
Parteien 
L.________, 1931, Beschwerdeführerin, vertreten durch Herrn A.________, 
 
gegen 
 
Amt für Sozialbeiträge Basel-Stadt, Grenzacherstrasse 62, 4005 Basel, Beschwerdegegner 
 
Vorinstanz 
Kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen und die IV-Stellen, Basel 
 
(Entscheid vom 13. September 2001) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1931 geborene L.________ meldete sich am 6. Februar 1998 zum Bezug von Ergänzungsleistungen zur Altersrente an. Gleichentags verpflichtete sie sich in einer mit "Revers" überschriebenen Erklärung gegenüber dem Amt für Sozialbeiträge Basel-Stadt, im Falle des (seit längerem beabsichtigten) Verkaufs eines in ihrem Miteigentum stehenden Hauses in Frankreich die in der Zwischenzeit erfolgten EL-"Zuvielbezüge" zurückzuerstatten. In der Folge sprach das Amt für Sozialbeiträge L.________ ab 1. Januar 1998 Ergänzungsleistungen zu, wobei der Liegenschaftsbesitz in Frankreich nicht in deren Berechnung mit einbezogen wurde (Verfügung vom 16. Februar 1998). Nachdem der Verkauf des Hauses am 28. Juni 1999 realisiert werden konnte, nahm die EL-Behörde rückwirkend eine Neuberechnung ihrer Leistungen vor. Gestützt darauf verneinte sie mit Verfügung vom 15. Mai 2000 einen Anspruch auf Ergänzungsleistungen ab 1. Januar 1998 und forderte gleichzeitig die zu Unrecht bezogenen EL-Betreffnisse im Gesamtbetrag von Fr. 10'598.-- von L.________ zurück. 
B. 
Diese erhob bei der Kantonalen Rekurskommission für die Ausgleichskassen und die IV-Stellen, Basel (heute: Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt), Beschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung bzw. Rektifizierung der angefochtenen Verfügung auf Grund der vorgebrachten Einwendungen. Während der Rechtshängigkeit dieser Beschwerde (lite pendente) erliess das Amt für Sozialbeiträge am 15. November 2000 eine neue Verfügung, worin für das Jahr 1998 ein EL-Anspruch weiterhin verneint, hingegen für 1999/2000 ein solcher bejaht und auf Fr. 24.-- pro Monat (vom 1. Januar bis 31. Dezember 1999) bzw. auf monatlich Fr. 100.-- (ab 1. Januar 2000) festgesetzt wurde; die mit gleichen Verwaltungsakt verfügte Rückforderung gegenüber L.________ beläuft sich neu auf insgesamt Fr. 15'232.-- (nunmehr einschliesslich Prämien für die obligatorische Krankenpflegeversicherung). Die Rekurskommission wies die Beschwerde ab und bestätigte die lite pendente erlassene Verfügung vom 15. November 2000 (Entscheid vom 13. September 2001). 
C. 
L.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und Rückweisung der Sache an die Verwaltung zur Neuberechnung u.a. des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen für die Jahre 1998 und 1999 unter Ausserachtlassung eines hypothetischen Vermögensertrags und zur entsprechenden Reduktion der Rückforderung. 
 
Während das Amt für Sozialbeiträge auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann gemäss Art. 128 OG in Verbindung mit Art. 97 OG und Art. 5 Abs. 1 VwVG nur insoweit eingetreten werden, als sie sich auf bundesrechtliche Ergänzungsleistungen im Sinne des ELG und nicht auf kantonale oder kommunale Beihilfen bezieht (BGE 122 V 222 Erw. 1). 
2. 
Das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 15. Mai/15. November 2000) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b). 
3. 
3.1 Gemäss Art. 58 VwVG kann die Verwaltung bis zu ihrer Vernehmlassung an die Beschwerdeinstanz die angefochtene Verfügung in Wiedererwägung ziehen (Abs. 1). Sie eröffnet eine neue Verfügung ohne Verzug den Parteien und bringt sie der Beschwerdeinstanz zur Kenntnis (Abs. 2). Die Beschwerdeinstanz setzt die Behandlung der Beschwerde fort, soweit diese durch die neue Verfügung der Verwaltung nicht gegenstandslos geworden ist (Abs. 3 erster Halbsatz). Diese Bestimmungen finden zwar nach Massgabe von Art. 1 Abs. 3 erster Satz VwVG auf das Verfahren kantonaler Instanzen grundsätzlich keine Anwendung. Es ist indessen nicht bundesrechtswidrig, wenn die Kantone auf Grund ausdrücklicher prozessualer Vorschriften oder einer sinngemässen Praxis ein dem Art. 58 VwVG entsprechendes Verfahren vorsehen (BGE 103 V 109 Erw. 2). Dabei haben die Kantone bei Anwendung eines solchen Verfahrens nicht nur nach Abs. 1, sondern auch in sinngemässer Anwendung der Abs. 2 und 3 von Art. 58 VwVG vorzugehen (ZAK 1992 S. 117 Erw. 5a, 1989 S. 310 Erw. 2a, 1986 S. 304 Erw. 5b mit Hinweisen). 
3.2 Nach der Rechtsprechung beendet eine lite pendente erlassene Verfügung den Streit nur insoweit, als damit den Anträgen des Beschwerdeführers entsprochen wird. Insoweit, als damit den Anträgen des Beschwerdeführers nicht stattgegeben wird, besteht der Rechtsstreit weiter. In diesem Fall muss die Beschwerdeinstanz auf die Sache eintreten, ohne dass der Beschwerdeführer die zweite Verfügung anzufechten braucht (BGE 113 V 238 Erw. 1a, 107 V 250). Ist mit der nach Rechtshängigkeit erlassenen Verfügung eine Schlechterstellung (reformatio in peius) des Versicherten verbunden, kommt dieser lediglich der Charakter eines Antrages an das Gericht zu (BGE 127 V 234 Erw. 2b/bb; AHI 1994 S. 271 Erw. 4a und ZAK 1992 S. 117 Erw. 5a, je mit Hinweisen). In einem solchen Fall ist dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben, sich vorgängig zu äussern. Für den Versicherten bedeutet dies zweierlei: Er ist befugt, der Beschwerdeinstanz die seiner Auffassung nach gegen eine reformatio in peius sprechenden Gründe vorzutragen. Sodann ist er berechtigt, die Beschwerde zurückzuziehen, um den nachteiligen Folgen einer Schlechterstellung im Prozess zu entgehen (ZAK 1992 S. 117 f. Erw. 5b; vgl. auch BGE 122 V 167 Erw. 2a mit Hinweisen). In BGE 122 V 166 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht in Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung (BGE 118 V 188 Erw. 2d in fine, 107 V 248 Erw. 1a in fine) überdies festgestellt, dass die von einer Verschlechterung der Rechtslage bedrohte Partei im Rahmen der prozessualen Anhörung vor einer beabsichtigten reformatio in peius ausdrücklich darauf hinzuweisen ist, dass sie ihr Rechtsmittel zurückziehen kann (vgl. auch den - gemäss Erw. 2 hievor - auf den vorliegenden Fall nicht anwendbaren Art. 61 lit. d ATSG). 
 
Zu ergänzen ist, dass lite pendente erlassene Verfügungen, denen bloss der Charakter eines Antrages an das Gericht zukommt, von der Rechtsprechung als nichtige Verfügungen betrachtet werden. Dies gilt sowohl für Verwaltungsakte, die mit einer Schlechterstellung des Versicherten verbunden sind (BGE 127 V 234 Erw. 2b/bb), als auch für jene, die erst nach Einreichung der Vernehmlassung lite pendente getroffen werden (RKUV 1989 Nr. U 80 S. 379 Erw. 1; vgl. auch BGE 109 V 236 Erw. 2). 
3.3 Die der dargelegten Rechtsprechung entgegengebrachte Kritik von Schlauri (Die Neuverfügung lite pendente in der Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts, in: Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.], Aktuelle Rechtsfragen der Sozialversicherungspraxis, St. Gallen 2001, S. 173 ff.) führt nicht zum Abgehen von der ständigen Praxis. Das von diesem Autor postulierte uneingeschränkte ("nicht kastrierte") Recht der Verwaltung zur Schlechterstellung des Beschwerdeführers im Rahmen einer Neuverfügung lite pendente (a.a.O., S. 206 ff.) hätte eine nicht hinzunehmende unterschiedliche Behandlung der Rechtsuchenden zur Folge: Während im Falle einer vom Gericht in Betracht gezogenen reformatio in peius dem Beschwerdeführer der Rückzug des Rechtsmittels offen steht, wäre ihm dieser Weg bei einer durch die Verwaltung nach Rechtshängigkeit (neu) verfügten Verschlechterung seiner Rechtslage versperrt. Entgegen der Auffassung von Schlauri "weckt" ein Beschwerderückzug nicht durchwegs "nur unbegründete Hoffnungen" (a.a.O, S. 201 Fn. 31 und S. 208). Wohl bleibt ein Zurückkommen der Verwaltung auf die durch den Rückzug rechtskräftig gewordene, (materiell) richterlich unbeurteilt gebliebene ursprüngliche Verfügung grundsätzlich möglich. Dies jedoch nur nach Massgabe der qualifizierten Erfordernisse gemäss Rechtsprechung zur Abänderung formell rechtskräftiger Verwaltungsakte (zu letzterer: BGE 127 V 469 Erw. 2c mit Hinweisen; BGE 122 V 168 Erw. 2c). Unter diesem Blickwinkel verhindert das Festhalten an der bisherigen Rechtsprechung auch die Schlechterstellung von Versicherten, die eine Verfügung anfechten, gegenüber jenen, welche sie hinnehmen. 
4. 
Im vorliegenden Fall belief sich die ursprüngliche Rückforderung des Amtes für Sozialbeiträge gegenüber der Beschwerdeführerin auf Fr. 10'598.-- (beschwerdeweise angefochtene Verfügung vom 15. Mai 2000), wogegen der Rückerstattungsbetrag in der lite pendente erlassenen Verfügung vom 15. November 2000 auf Fr. 15'232.-- festgesetzt wurde. Zufolge dieser Schlechterstellung der Versicherten kam der neuen Verfügung lediglich der Charakter eines Antrages an die Rekurskommission zu (Erw. 3.2 hievor). Diese hätte deshalb nach Art. 7 Abs. 2 ELG in Verbindung mit Art. 85 Abs. 2 lit. d AHVG und der dargelegten Rechtsprechung die Beschwerdeführerin im Rahmen des vorinstanzlichen Schriftenwechsels ausdrücklich auf die drohende Schlechterstellung und die Möglichkeit eines Beschwerderückzugs aufmerksam machen müssen. Dazu bestand im vorliegenden Fall umso mehr Anlass, als das Amt für Sozialbeiträge in seiner Beschwerdeantwort mit Blick auf die gleichzeitig lite pendente erlassene Neuverfügung vom 15. November 2000 tatsachenwidrig ausführte, "die Rückforderung zu viel ausbezahlter Leistungen (sei) insgesamt nicht wesentlich kleiner geworden". Gemäss Verfahrensprotokoll der Vorinstanz gab diese der Beschwerdeführerin wohl Gelegenheit zur Replik und Triplik, es unterblieb indessen jeglicher Hinweis der Rekurskommission auf die von ihr ins Auge gefasste reformatio in peius oder die Möglichkeit eines Rückzugs der gegen die Verfügung vom 15. Mai 2000 erhobenen Beschwerde. Die Vorinstanz, an welche die Sache aus formellen Gründen zurückzuweisen ist, wird den entsprechenden Verfahrensvorschriften nachträglich Beachtung zu schenken haben. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid der Kantonalen Rekurskommission für die Ausgleichskassen und die IV-Stellen, Basel, vom 13. September 2001 aufgehoben und die Sache an das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt zurückgewiesen wird, damit es der Beschwerdeführerin Gelegenheit gebe, sich zur drohenden Schlechterstellung zu äussern, und sie darauf aufmerksam mache, dass sie die Beschwerde zurückziehen kann. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 12. März 2004 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der I. Kammer: Der Gerichtsschreiber: