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[AZA 7] 
U 8/01 Vr 
 
IV. Kammer 
 
Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger; Gerichtsschreiberin Hofer 
 
Urteil vom 12. April 2001 
 
in Sachen 
 
M.________, 1951, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Dr. Kurt Fricker, Sorenbühlweg 13, Wohlen, 
 
gegen 
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Luzern, Beschwerdegegnerin, 
und 
 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau 
 
A.- Die 1951 geborene M.________ war seit 30. Mai 1994 als Sortiererin in der W.________ AG tätig und damit bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen obligatorisch versichert. Am 2. November 1995 erlitt sie einen Verkehrsunfall, als sie nach einem Bremsmanöver ins Schleudern geriet, von der Strasse abkam und mit einem Kandelaber kollidierte. Die chirurgische Abteilung des Spitals X.________ diagnostizierte eine Kniekontusion rechts, ein leichtes Schleudertrauma der Halswirbelsäule (HWS) und eine Prellung links parietal frontal. Eine am 5. Dezember 1995 durchgeführte Arthroskopie ergab einen relativ frischen Knorpelriss in sonst intaktem Kondylenknorpel. Die SUVA kam für die Heilbehandlung auf und bezahlte bis 14. Oktober 1996 Taggelder. Mit Schreiben vom 2. Juli 1997 teilte sie der Versicherten sodann mit, da weder eine wesentliche Behinderung noch eine unfallkausale Erwerbseinbusse vorlägen, seien die Voraussetzungen für die Zusprechung einer Invalidenrente und einer Integritätsentschädigung nicht gegeben. 
 
Am 22. Oktober 1998 meldete Dr. med. T.________ gestützt auf seinen Bericht vom 20. Oktober 1998 der SUVA einen Rückfall. Mit Verfügung vom 4. Februar 1999 sprach die SUVA M.________ für die Wirbelsäulenaffektion eine Integritätsentschädigung auf Grund einer Integritätseinbusse von 10 % zu, lehnte es aber mangels unfallbedingter Erwerbsunfähigkeit ab, ihr eine Invalidenrente auszurichten. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 14. Mai 1999 fest. 
 
B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde, mit der M.________ eine Invalidenrente gestützt auf eine Arbeitsunfähigkeit von 50 % und eine Integritätsentschädigung von 30 % anbegehrte, wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 22. November 2000 ab. 
 
C.- M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und die vorinstanzlich gestellten Rechtsbegehren erneuern. Weiter wird um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ersucht. 
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Im vorinstanzlichen Entscheid werden die massgebenden Rechtsgrundsätze zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Gesundheitsschaden zutreffend dargelegt, sodass darauf verwiesen werden kann. 
 
2.- Streitig ist, ob der Gesundheitsschaden der Beschwerdeführerin im Sinne eines typischen Beschwerdebildes nach Schleudertrauma der HWS zu interpretieren ist. Von der Beantwortung dieser Frage hängt es ab, ob für die Beurteilung der für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzte Adäquanz des Kausalzusammenhangs die für psychische Fehlentwicklungen nach Unfällen geltende Rechtsprechung (BGE 115 V 133) oder die für Unfälle mit Schleudertrauma der HWS massgebende Praxis (BGE 117 V 359) anwendbar ist. Denn in Fällen, in welchen die zum typischen Beschwerdebild eines Schleudertraumas der HWS gehörenden Beeinträchtigungen zwar teilweise gegeben sind, im Vergleich zur vorliegenden ausgeprägten psychischen Problematik aber ganz in den Hintergrund treten, ist die Beurteilung unter dem Gesichtspunkt einer psychischen Fehlentwicklung nach Unfall vorzunehmen (BGE 123 V 99 Erw. 2a mit Hinweisen). Dies wirkt sich bei der Beurteilung des adäquaten Kausalzusammenhangs bei Unfällen aus dem mittleren Bereich insofern aus, als im Gegensatz zu den bei Schleudertraumen der HWS massgebenden Kriterien (BGE 117 V 366 f. Erw. 6a) nur körperliche Dauerschmerzen sowie der Grad und die Dauer der physisch bedingten Arbeitsunfähigkeit (BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa) zu berücksichtigen sind. 
 
3.- a) Der SUVA-Kreisarzt Dr. med. C.________ stellte anlässlich seiner Abschlussuntersuchung vom 18. November 1998 einen klinischen Befund an der Halswirbelsäule in den Segmenten C3/C4, C4/C5 fest. Auf Grund des röntgenologischen Verlaufs sei auf Höhe C4 durch das Unfallereignis eine wahrscheinliche Gefügelockerung entstanden. Zudem bestünden Weichteilveränderungen an der Halswirbelsäule rechts, vor allem im mittleren Bereich mit positiven Irritationszonen im Segment C3/C4, C4/C5, weniger ausgeprägt bei C5/C6. Auch konnten eine aktivierte Myogelose im Musculus trapezius sowie ein Hartspann des Trapezius palpiert werden. Diese Befunde erklären gemäss Kreisarzt denn auch die von der Versicherten geklagten HWS- und Nackenbeschwerden. Für diese somatischen Gesundheitsstörungen hat die SUVA den natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang bejaht. Hingegen konnte Dr. med. C.________ die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Beschwerden im Knie mit Schmerzausstrahlung über Unter- und Oberschenkel bis in den Rücken weder klinisch noch radiologisch oder arthroskopisch objektivieren. Wegen der somatisch bedingten Unfallfolgen ist die Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit nach den Ausführungen des Kreisarztes indessen nicht eingeschränkt. Fehlende Ressourcen und Belastungen durch das psychosoziale Umfeld mit deutlich bestehenden Chronifizierungsmerkmalen seien jedoch dafür verantwortlich, dass die Leistung nicht über 50 % gesteigert werden könne. Diesbezüglich müsse noch die Adäquanzfrage geprüft werden. 
 
b) Nachdem die Beschwerdeführerin nach dem Unfall immer wieder über Kopfschmerzen und HWS-Beschwerden geklagt hatte, gab sie gegenüber Dr. med. R.________ vom Medizinischen Zentrum Y.________ auch anhaltend Schwindel, Drümmelgefühle, Konzentrationsstörungen und Denkmüdigkeit an, welche dieser jedoch biomechanisch und rheumatologisch nicht zuordnen konnte. Gesamtheitlich betrachtet erhielt er vielmehr den Eindruck einer chronischen Doppelbelastung von Familie und Arbeit, welche für die aufgetretene Dekompensation nach dem Unfall verantwortlich sein dürfte (Bericht vom 7. Oktober 1996). Im Bericht vom 6. Februar 1997 führte er sodann aus, im Anschluss an den Unfall sei es zu einer vegetativen Symptomatik mit depressiven Zügen gekommen. Die derzeitige Situation stehe indessen nicht mehr mit dem Unfall in Zusammenhang. Nach Auffassung des Neurologen Dr. med. E.________ ist die Versicherte bei zahlreichen Problemen wie Doppelbelastung von Arbeit und Hausfrau, Familie, Arbeitslosigkeit und gesundheitliche Probleme des Ehemannes psychisch dekompensiert. Trotz der Konzentrationsprobleme und des schlechten Gedächtnisses könne sie gemäss eigenen Angaben die geistig wenig anspruchsvolle Arbeit jedoch weiterhin ausüben (Bericht vom 26. März 1997). Im Bericht vom 29. April 1997 spricht Dr. med. R.________ von fehlenden Kompensationsreserven, welche es erlaubten, die eher leichteren Unfallresiduen zu bewältigen. Dr. med. T.________ führte aus, es habe sich eine Depression entwickelt und die Patientin habe psychiatrisch betreut werden müssen. Zu jenem Zeitpunkt sei ihr Ehemann schwer erkrankt und sie sei für die Familie mit zwei halbwüchsigen Kindern praktisch alleine verantwortlich gewesen. Unklar und nicht schlüssig nachvollziehbar ist seine Schlussfolgerung, wonach die Probleme der HWS und des Knies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Folgen des Unfalles seien, weshalb Anspruch auf eine Rente von 50 % bestehe (Bericht vom 20. Oktober 1998). 
 
c) Die Vorinstanz hat erwogen, auf Grund der medizinischen Akten sei zweifelhaft, ob die Beschwerdeführerin, welche unbestrittenermassen ein leichtes Schleudertrauma der HWS erlitten habe, in der Folge an einem für diese Verletzung typischen Beschwerdebild gelitten habe. Sie kam sodann auf Grund einer Würdigung der Arztberichte zum Schluss, bei den im Anschluss an den Unfall aufgetretenen psychischen Störungen handle es sich nicht um zum typischen Beschwerdebild eines HWS-Traumas gehörende Beschwerden, weil solche nur diskret vorhanden gewesen seien und gegenüber der psychosozialen Problematik in den Hintergrund getreten seien. 
Dem kann insofern nicht beigepflichtet werden, als die medizinischen Unterlagen keine schlüssige Beurteilung der psychischen Situation erlauben. Unbeleuchtet bleibt insbesondere, ob die psychische Problematik auf das erlittene Schleudertrauma der HWS zurückzuführen ist und ob der Unfall zu einer Fixation auf die Beschwerden im Sinne einer richtunggebenden Verschlimmerung geführt hat, noch geben die bei den Akten liegenden Arztberichte zuverlässig Auskunft darüber, ob die Beschwerden bereits kurze Zeit nach dem Ereignis psychisch überlagert waren und sich in der Folge eine massive Fehlentwicklung manifestierte, welche die dem Schleudertrauma zuzuordnenden Beschwerden weitgehend in den Hintergrund drängte mit der Folge, dass die Adäquanz des Kausalzusammenhanges nach Massgabe von BGE 115 V 133 zu beurteilen wäre. Die vom Eidgenössischen Versicherungsgericht verworfene Formel "post hoc ergo propter hoc", nach deren Bedeutung eine gesundheitliche Schädigung schon dann als durch den Unfall verursacht gilt, weil sie nach diesem aufgetreten ist, reicht entgegen der in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vertretenen Auffassung für die Begründung eines Leistungsanspruchs indessen nicht aus (BGE 119 V 341 Erw. 2b/bb). 
Auf Grund der unklaren Aktenlage sind ergänzende medizinische Abklärungen notwendig, welche darüber Aufschluss geben, ob die Adäquanzbeurteilung in Würdigung der medizinischen Entwicklung seit dem Unfall und der gesundheitlichen Situation im massgebenden Zeitpunkt des Einspracheentscheides (14. Mai 1999) in Anwendung der für psychische Unfallfolgen oder der für Schleudertraumen und äquivalente Verletzungsmechanismen der HWS (RKUV 2000 Nr. U 359 S. 29) geltenden Kriterien vorzunehmen ist. Die SUVA, an welche die Sache zurückzuweisen ist, wird die erforderlichen Abklärungen zu treffen haben und danach über den Leistungsanspruch neu befinden. 
 
4.- Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens hat die SUVA der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu bezahlen. Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung ist daher gegenstandslos. 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne 
gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsgerichts 
des Kantons Aargau vom 22. November 2000 und 
der Einspracheentscheid vom 14. Mai 1999 aufgehoben 
werden und die Sache an die SUVA zurückgewiesen wird, 
damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der 
Erwägungen, über den Leistungsanspruch neu verfüge. 
 
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
III.Die SUVA hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren 
vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine 
Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich 
Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
 
IV.Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wird über 
eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren 
entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses 
zu befinden haben. 
 
V.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht 
des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherung 
zugestellt. 
 
Luzern, 12. April 2001 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: 
 
Die Gerichtsschreiberin: