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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
I 846/06 
 
Urteil vom 12. September 2007 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Lustenberger, Seiler, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Parteien 
IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
G.________, 1966, Beschwerdegegner, 
vertreten durch Advokat Dr. Marco Biaggi, Aeschenvorstadt 71, 4051 Basel. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt 
vom 13. Juli 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1966 geborene G.________ kann nach zwei in den Jahren 1997 und 2001 erlittenen Unfällen nicht mehr als Hilfsarbeiter auf dem Bau tätig sein. Mit Verfügung vom 14. Mai 2004 und Einspracheentscheid vom 10. November 2004, bestätigt mit Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom 14. Dezember 2005, sprach ihm die SUVA ab 1. April 2004 eine auf einer Erwerbsunfähigkeit von 21 % basierende Invalidenrente sowie bei einer Integritätseinbusse von 10 % eine Integritätsentschädigung zu. Schon früher, am 4. Juli 2001, hatte sich G.________ bei der IV-Stelle Basel-Stadt zum Leistungsbezug angemeldet (Berufsberatung und Umschulung). Diese verfügte am 13. November 2002 für die Zeit vom 9. Dezember 2002 bis 7. März 2003 eine Abklärung der Eingliederungs- und Arbeitsfähigkeit. Wegen häufiger gesundheitlich bedingter Absenzen wurde jene am 26. Januar 2003 abgebrochen. Nachdem der Versicherte mit Schreiben vom 31. März 2003 erklärt hatte, er würde die berufliche Massnahme gerne fortsetzen, verfügte die IV-Stelle am 17. November 2003 Beratung und Unterstützung bei der Stellensuche. Im Anschluss an den eingangs erwähnten SUVA-Entscheid schrieb sie mit Verfügung vom 18. November 2004 das Begehren um berufliche Eingliederungsmassnahmen ab. Sie begründete es im Wesentlichen damit, dass der Versicherte immer wieder vorübergehend arbeitsunfähig geschrieben worden sei und deshalb sowohl eine Arbeitsabklärung wie auch ein Arbeitstraining oder die direkte Vermittlung eines Arbeitsplatzes nicht hätten realisiert werden können. Die Bemühungen müssten eingestellt werden. Weitere berufliche Massnahmen seien nicht erforderlich, weil der Versicherte grundsätzlich in der Lage sei, bei adaptierter Arbeit vollzeitlich tätig zu sein. Dabei könne er ein rentenausschliessendes Erwerbseinkommen erzielen. Die dagegen erhobene Einsprache wies sie mit Entscheid vom 5. September 2005 ab. 
B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt mit Entscheid vom 13. Juli 2006 gut; es hob den Einspracheentscheid auf und wies die Sache zur Fortsetzung der Arbeitsvermittlung sowie zur begründeten Entscheidung bezüglich einer Umschulung an die IV-Stelle zurück. 
C. 
Die IV-Stelle Basel-Stadt führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und die Richtigkeit der Verfügung vom 18. November 2005 sei zu bestätigen, wonach der Versicherte keinen Anspruch auf berufliche Massnahmen der Invalidenversicherung habe. 
G.________ beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Vorinstanz und Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung. 
D. 
Am 12. September 2007 hat die II. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts (bis 31. Dezember 2006: Eidgenössisches Versicherungsgericht) in Dreierbesetzung den Fall parteiöffentlich beraten. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395). 
2. 
Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Das Bundesgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 Abs. 2 OG [in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG, in Kraft seit 1. Juli 2006] in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
3. 
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf berufliche Massnahmen der Invalidenversicherung, wobei konkret Umschulung und Arbeitsvermittlung zur Diskussion stehen. 
4. 
Die Rechtsprechung, wonach der Anspruch auf Umschulung nebst anderem eine invaliditätsbedingte Erwerbseinbusse von etwa 20 % voraussetzt (BGE 124 V 108 E. 2b S. 110 f. mit Hinweisen; AHI 2000 S. 31 E. 3b und S. 62 E. 1 [I 131/98 und I 191/96]; vgl. auch BGE 130 V 488 E. 4.2 S. 489 f.), ist unter dem seit 1. Januar 2004 geltenden Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 IVG und Art. 6 Abs. 1 IVV weiterhin anwendbar (SVR 2006 IV Nr. 15 S. 53 [I 18/05]). Keine der bisher erlassenen Verfügungen vom 13. November 2002, 17. November 2003 und insbesondere nicht diejenige vom 18. November 2004 haben sich zur Frage der Umschulung geäussert. Im Einspracheentscheid vom 5. September 2005 ist lediglich festgehalten worden, der Versicherte sei in der Lage, bei einer adaptierten Arbeit vollzeitig tätig zu sein und ein rentenausschliessendes Erwerbseinkommen zu erzielen. Damit ist über den allfälligen Anspruch auf Umschulung nichts gesagt, denn ein Einkommen ohne Rentenanspruch wird bis zu einem Invaliditätsgrad von 39 % erzielt (Art. 29 Abs. 1 lit. a IVG e contrario). Die Vorinstanz hat zu Recht festgestellt, dass über den allfälligen Umschulungsanspruch zunächst förmlich zu verfügen ist, bevor darüber gestritten werden kann. 
5. 
5.1 Nach Art. 18 Abs. 1 erster Satz IVG (in der Fassung gemäss 4. IV-Revision, in Kraft seit 1. Januar 2004) haben eingliederungsfähige invalide Versicherte Anspruch auf aktive Unterstützung bei der Suche eines geeigneten Arbeitsplatzes sowie auf begleitende Beratung im Hinblick auf die Aufrechterhaltung eines bestehenden Arbeitsplatzes. 
5.2 Dazu hat die Vorinstanz festgestellt, die IV-Stelle habe dem Versicherten zwar mit Mitteilung vom 17. November 2003 Beratung und Unterstützung bei der Stellensuche zugesichert. Am 7. Januar 2004 habe ein Erstgespräch stattgefunden. Danach habe sie abgesehen von der Einforderung von Unterlagen (Lebenslauf, Bewerbungskopien) nichts weiter unternommen. Offenbar habe eine Beratung bezüglich konkreter Einsatzmöglichkeiten oder eine Standortbestimmung sowie ein Coaching in der Bewerbungsphase nicht stattgefunden. Der Versicherte sei weitgehend sich selber überlassen gewesen. Daraus, dass es sich bei den Bewerbungen hauptsächlich um unspezifische Blindbewerbungen gehandelt habe, lasse sich ableiten, dass er keine konkreten Vorstellungen davon habe, welchen Verrichtungen er mit seinen Einschränkungen noch gewachsen ist. Diese Feststellungen sind für das Bundesgericht verbindlich, da nicht offensichtlich unrichtig oder unvollständig (vgl. E. 2). Rechtlich zieht die Vorinstanz daraus den Schluss, es sei die Aufgabe der IV-Stelle, dem Versicherten seine Möglichkeiten aufzuzeigen, und ihn bei der Bewerbung für geeignete Stellen zu unterstützen. Sie habe am 17. November 2003 die Beratung und Unterstützung bei der Stellensuche rechtskräftig verfügt und damit bekundet, eine arbeitsvermittelnde Massnahme erbringen zu wollen. Nach der Aktenlage habe kein Anlass bestanden, die Fortsetzung dieser Massnahme mit der Begründung fehlender Motivation zu verweigern. Die Arbeitsvermittlung sei zu früh abgebrochen und dem Versicherten die nötige Unterstützung nicht gewährt worden. 
5.3 Dem ist so nicht beizupflichten: Die IV-Stelle wurde sich nach der formellen Zusicherung von Beratung und Unterstützung bei der Stellensuche auf Grund des Berichtes des SUVA-Kreisarztes vom 9. Februar 2004 gewahr, dass für leidensangepasste Tätigkeiten (keine repetitiven Überkopfarbeiten, kein Tragen oder Heben von Lasten über zehn Kilogramm mit dem rechten Arm, keine Vibrations- oder Schlagbelastungen) offenbar wieder eine volle Arbeitsfähigkeit gegeben war. Unter diesen Umständen bestand durchaus Anlass, die berufliche Massnahme abzubrechen. Denn es ist erstellt, dass der Versicherte mit gewissen körperlichen Einschränkungen vollzeitig arbeiten kann. Die Beschwerdeführerin ruft in diesem Zusammenhang zu Recht das in SVR 2006 IV Nr. 45 S. 162 publizierte Urteil I 427/05 vom 24. März 2006 an, wonach die Rechtsprechung gemäss AHI 2003 S. 268 (Urteil I 421/01 vom 15. Juli 2002) auch nach Inkrafttreten der 4. IV-Revision gültig ist. Danach bedarf es zur Begründung des Anspruchs auf Arbeitsvermittlung zusätzlich einer spezifischen Einschränkung gesundheitlicher Art, sofern die Arbeitsfähigkeit einzig insoweit eingeschränkt ist, als der versicherten Person leichte Tätigkeiten vollzeitig zumutbar sind. Bei voller Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit besteht somit grundsätzlich kein Anspruch auf Arbeitsvermittlung durch die Invalidenversicherung. Zu solchen geforderten zusätzlichen gesundheitlich bedingten spezifischen Einschränkungen bei der Stellensuche sind in den Urteilen I 421/01 E. 2c und d sowie I 427/05 E. 4.2 und 4.3 positive und negative Beispiele erwähnt. Beim Beschwerdegegner sind solche Einschränkungen nicht aktenkundig und werden im angefochtenen Entscheid auch nicht angeführt. Auch gemäss Vorinstanz besteht für ein breites Feld von angepassten Tätigkeiten volle Arbeitsfähigkeit. Darauf beruht auch der vom kantonalen Gericht mit Entscheid vom 14. Dezember 2005 bestätigte Einspracheentscheid der SUVA vom 10. November 2004. Das IV-spezifische Fachwissen soll auf Fälle fokussiert werden, in denen tatsächlich die gesundheitliche Behinderung im Vordergrund steht und nur relativ enge Tätigkeitsfelder überhaupt möglich sind. Wenn aber umgekehrt - wie hier - mit gewissen Einschränkungen immer noch ein grosser Bereich an Beschäftigungen offen steht, ist die Arbeitsvermittlung in erster Linie durch die Arbeitslosenversicherung durchzuführen. Zwar hat die Beschwerdeführerin mit Verfügung vom 17. November 2003 den Anspruch auf Arbeitsvermittlung bejaht. Inzwischen sind aber die invaliditätsmässigen Voraussetzungen weggefallen (oder es hat sich gezeigt, dass sie gar nie bestanden haben), was richtigerweise zur Einstellung der Arbeitsvermittlung führte. Die Begründung des Wegfalls der invaliditätsmässigen Voraussetzungen ist im Einspracheentscheid (E. 3) zutreffend enthalten, was die Vorinstanz verkannt hat. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom 13. Juli 2006 wird soweit aufgehoben, als die Sache zur Fortsetzung der Arbeitsvermittlung an die Beschwerdeführerin zurückgewiesen wird. Im Übrigen wird die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen. 
2. 
Von den Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin Fr. 250.- und dem Beschwerdegegner Fr. 250.- auferlegt. Der Anteil der Beschwerdeführerin ist durch den geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 500.- gedeckt; der Differenzbetrag von Fr. 250.- wird zurückerstattet. 
3. 
Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, der Ausgleichskasse Wirtschaftskammer 114, Basel, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt. 
Luzern, 12. September 2007 
 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: