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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_549/2010 
 
Urteil vom 12. November 2010 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Schneider, Mathys, 
Gerichtsschreiber Keller. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X._________, vertreten durch Rechtsanwalt 
Dr. Bruno Pellegrini, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
1. A._________, 
2. B._________, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Üble Nachrede (Art. 173 StGB), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 6. April 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Das Bezirksgericht Zürich sprach am 9. April 2009 A._________ und B._________ im Rahmen eines Privatstrafklageverfahrens vom Vorwurf der üblen Nachrede zum Nachteil der Anklägerin X._________ frei. 
Es auferlegte der Anklägerin die Gerichtsgebühren und verpflichtete sie, A._________ eine Prozessentschädigung von Fr. 6'860.-- und B._________ eine Umtriebsentschädigung von Fr. 400.-- zu bezahlen. 
 
B. 
Gegen dieses Urteil erhob die Anklägerin X._________ Berufung an das Obergericht des Kantons Zürich. Dieses bestätigte mit Urteil vom 6. April 2010 die vorinstanzlichen Freisprüche sowie die Kostenauflage. Es verpflichtete die Anklägerin, die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen sowie A._________ eine Prozessentschädigung von Fr. 1'000.-- und B._________ eine Umtriebsentschädigung von Fr. 300.-- zu entrichten. 
 
C. 
X._________ erhebt Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur Verurteilung der beiden Angeklagten wegen übler Nachrede an die Vorinstanz zurückzuweisen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der Angeklagten. 
 
D. 
Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Ausgangspunkt des vorliegenden Verfahrens bildet der Vorwurf der Beschwerdeführerin, die Beschwerdegegner 1 und 2 hätten sich am 23. Juli 2007 im Scheidungsverfahren vor dem Bezirksgericht Hinwil der üblen Nachrede im Sinne von Art. 173 StGB schuldig gemacht. Der Beschwerdegegner 1 habe als Anwalt im Auftrag des Beschwerdegegners 2 ohne sachliche Gründe eine Scheidungsklage mit teilweise ehrverletzendem Inhalt eingereicht. Umstritten ist hierbei, ob sich die Beschwerdegegner auf einen Rechtfertigungsgrund berufen können. 
 
2. 
Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt, wer eine solche Beschuldigung oder Verdächtigung weiterverbreitet, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bestraft (Art. 173 Ziff. 1 StGB). 
Nach Art. 14 StGB verhält sich rechtmässig, wer handelt, wie es das Gesetz gebietet oder erlaubt, auch wenn die Tat nach diesem oder einem anderen Gesetz mit Strafe bedroht ist. 
2.1 
2.1.1 Die Beschwerdeführerin bringt vor, in der Scheidungsklage sei sie ohne Zusammenhang mit dem prozessrelevanten Sachverhalt als "chronische und triebhafte Alkoholikerin" dargestellt worden, die "auch heute noch (...) zusammen mit anderen Männern betrunken angetroffen" werde. Sie sei ferner bezichtigt worden, ihrem ersten Ehegatten "zu Unrecht strafbare Handlungen vorgeworfen" zu haben und besitze "eine Tendenz, falsche Anschuldigungen zu erheben" (Beschwerde, S. 3 f.). 
2.1.2 Die Vorinstanz habe diese Aussagen richtigerweise als ehrverletzend eingestuft. Hingegen habe sie den beiden Beschwerdegegnern zu Unrecht und unter Verletzung von Art. 14 StGB Rechtfertigungsgründe zugestanden. Sie habe die Ausführungen des Beschwerdegegners 1 fälschlicherweise als sachbezogen betrachtet, da der Hinweis auf Alkoholprobleme bzw. die Tendenz zu falschen Anschuldigungen ihre generelle Glaubwürdigkeit in einem hier nicht zur Diskussion stehenden früheren Verfahren betreffe. Ein Bezug der Anschuldigungen zum vorliegenden Prozessausgang bestehe nicht. Zur Entscheidung der strittigen güterrechtlichen Fragen könne es weder auf den sittlichen Lebenswandel noch auf die behauptete Alkoholabhängigkeit ankommen. Gleiches gelte für den unrichtigen Vorwurf, sie habe ihren früheren Ehemann fälschlicherweise bezichtigt, er habe sie mit dem Sturmgewehr bedroht (Beschwerde, S. 5 ff.). 
2.1.3 Die Vorinstanz habe Art. 14 StGB auch insofern verletzt, als die inkriminierten Äusserungen über das Notwendige hinausgegangen seien. Die Behauptungen hätten im konkreten Scheidungsverfahren nie Gegenstand eines Beweisverfahrens sein können. Sie seien nicht geeignet, den prozessrelevanten Sachverhalt zu substantiieren. Ein Bezug zum Prozessgegenstand bestehe nicht (Beschwerde, S. 8 f.). Das Strafgesetzbuch erkläre nicht-öffentliche Verfahren nicht zum rechtsfreien Raum (Beschwerde, S. 9 f.). 
Der Beschwerdegegner 2 habe über das von ihm verwaltete Vermögen Rechenschaft ablegen müssen. Hierbei die Gegenpartei als Alkoholikerin zu bezeichnen, die schon aus einem Lokal habe verwiesen werden müssen oder die falsche strafrechtliche Anschuldigungen mache, verletze und beleidige sie bewusst und gezielt (Beschwerde, S. 10 f.). 
2.1.4 Bei einer üblen Nachrede sei es schliesslich irrelevant, ob diese wider besseres Wissen erfolgt sei. Da die Beschwerdegegner keine Veranlassung gehabt hätten, sie einer strafbaren Handlung zu bezichtigen, komme es nicht darauf an, ob die in der Scheidungsklage gemachten Äusserungen für wahr gehalten worden seien oder nicht (Beschwerde, S. 10 ff.). 
2.2 
2.2.1 Die Vorinstanz erwägt, die nicht bestrittenen inkriminierten Äusserungen seien grundsätzlich geeignet, den Ruf und das Gefühl der Beschwerdeführerin, ein ehrbarer Mensch zu sein, zu beeinträchtigen. Allerdings finde sich die von der Beschwerdeführerin genannte Bezeichnung "chronische und triebhafte Alkoholikerin" nicht explizit in der Klageschrift. Die Äusserungen seien im Übrigen anlässlich der bezirksgerichtlichen Scheidungsverhandlung, d.h. "bei einem andern" im Sinne von Art. 173 Ziff. 1 StGB, gemacht worden, wobei sich die Beschwerdegegner deren ehrenrührigen Natur bewusst gewesen seien. Der Tatbestand der üblen Nachrede sei erfüllt (angefochtenes Urteil, S. 5). 
 
2.2.2 Der Beschwerdegegner 1 habe plausibel begründet, dass er mit seinen Äusserungen die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin in Zweifel habe ziehen wollen. Es sei zwar nicht auf den ersten Blick ersichtlich, inwiefern der dargestellte unseriöse Lebenswandel geeignet sei, den Standpunkt des Beschwerdegegners 2 in der güterrechtlichen Auseinandersetzung zu stärken. Der Glaubwürdigkeit der Parteien komme in beweisrechtlicher Hinsicht Bedeutung zu, wenn sich strittige Punkte, wie vorliegend, nicht mit Urkunden bereinigen liessen und auch unabhängige Zeugen fehlten. Die Beschwerdeführerin habe die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdegegners 2 bereits im Eheschutzverfahren vorgebracht. So habe er sie angeblich bedroht und habe mit Hilfe der Polizei die eheliche Wohnung verlassen müssen. Diese Behauptungen habe der Beschwerdegegner 1 zu entkräften gehabt, wozu er den persönlichen Hintergrund der Beschwerdeführerin dargestellt habe. Die inkriminierten Äusserungen seien sachbezogen, zumal hierdurch wieder "gleich lange Spiesse" hätten hergestellt werden können (angefochtenes Urteil, S. 8 f.). 
2.2.3 Nach Auffassung der Vorinstanz hat der Beschwerdegegner 1 mit den Ausführungen der Beschwerdeführerin zu angeblichen Geldentwendungen durch den Beschwerdegegner 2 rechnen müssen. Unter diesen Umständen sei er zu den inkriminierten Äusserungen berechtigt gewesen. Bei nicht öffentlichen Gerichtsprozessen seien die Anforderungen zur Ehrenrührigkeit von Tatsachenbehauptungen in Rechtsschriften zudem erhöht. Umgekehrt seien an die Grundsätze der Subsidiarität und Proportionalität leicht niedrigere Anforderungen zu stellen. Den Anwälten sei aufgrund ihrer Pflicht zur einseitigen Interessenwahrung eine rhetorische Freiheit zuzugestehen (angefochtenes Urteil, S. 9 f.). 
2.2.4 Die Vorinstanz billigt dem Beschwerdegegner 1 zu, er habe trotz fehlender eigener Abklärungen davon ausgehen dürfen, dass die ehelichen Auseinandersetzungen sich so ereignet hätten, wie sie ihm der Beschwerdegegner 2 geschildert habe. Er habe nicht wider besseres Wissen gehandelt. Er könne sich daher rechtfertigend auf seine Berufspflicht nach Art. 14 StGB in Verbindung mit Art. 12 lit. a BGFA stützen (angefochtenes Urteil, S. 10). 
2.2.5 Der Beschwerdegegner 2 müsse sich die Ausführungen des Beschwerdegegners 1 anrechnen lassen. Er könne sich aber auf den Rechtfertigungsgrund der Substantiierungspflicht im Prozess gemäss § 113 ZPO/ZH berufen. Er habe wie der Beschwerdegegner 1 sachbezogen und weder über das Notwendige hinausgehend noch wider besseres Wissen gehandelt. Ihm sei zudem als juristischem Laien zugute zu halten, dass für ihn kaum abschätzbar gewesen sei, welchen Äusserungen in der güterrechtlichen Auseinandersetzung welche Bedeutung zukomme (angefochtenes Urteil, S. 10). 
 
2.3 Nach ständiger Rechtsprechung beschränkt sich der strafrechtliche Schutz von Art. 173 Ziff. 1 StGB auf den menschlich-sittlichen Bereich. Die Bestimmung schützt somit den Ruf, ein ehrbarer Mensch zu sein, d.h. sich so zu benehmen, wie nach allgemeiner Anschauung ein charakterlich anständiger Mensch sich zu verhalten pflegt (sittliche Ehre bzw. ethische Integrität). Den Tatbestand erfüllen danach nur Behauptungen sittlich vorwerfbaren, unehrenhaften Verhaltens. Äusserungen, die geeignet sind, jemanden in anderer Hinsicht, z.B. als Geschäfts- oder Berufsmann, als Politiker oder Künstler in seiner gesellschaftlichen Geltung oder sozialen Funktion herabzusetzen (gesellschaftliche oder soziale Ehre), sind demgegenüber nicht ehrverletzend, solange die Kritik an den strafrechtlich nicht geschützten Seiten des Ansehens jedenfalls nicht zugleich die Geltung als ehrbarer Mensch trifft. Für die Frage, ob die Äusserung ehrenrührig ist, ist massgeblich, welcher Sinn ihr ein unbefangener Adressat unter den konkreten Umständen beilegt (BGE 128 IV 53 E. 1a mit Hinweisen). 
 
2.4 Die Vorinstanz qualifiziert die inkriminierten Äusserungen zu Recht als ehrverletzend, da sie geeignet sind, den Ruf und das Gefühl der Beschwerdeführerin, ein ehrbarer Mensch zu sein, zu beeinträchtigen. Ein charakterlich anständiger Mensch würde nach allgemeiner Anschauung nicht "zusammen mit anderen Männern betrunken angetroffen" werden und auch nicht einem früheren Ehegatten "zu Unrecht strafbare Handlungen vorwerfen". Zu prüfen ist, ob sich die Beschwerdegegner auf Rechtfertigungsgründe berufen können. 
 
2.5 Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, haben die Rechtfertigungsgründe des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches, so auch Art. 14 StGB, Vorrang vor dem Entlastungsbeweis im Sinne von Art. 173 Ziff. 2 StGB. Dieser ist subsidiär anwendbar, wenn sich die Straflosigkeit nicht bereits aus einem Rechtfertigungsgrund ergibt (BGE 131 IV 154 E. 1.3.1). Auf Art. 14 StGB kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts etwa neben Richtern, Beamten oder Prozessparteien auch der Anwalt berufen, der eine Partei vertritt. Voraussetzung ist, dass seine Ausführungen sachbezogen sind, sich auf das für die Erläuterung des jeweiligen Standpunktes Notwendige beschränken, nicht wider besseres Wissen erfolgen und blosse Vermutungen als solche bezeichnen (BGE 135 IV 177 E. 4 mit Hinweisen). Innerhalb dieser Grenzen sollen die Anwälte die Interessen ihrer Mandanten auch pointiert vertreten dürfen, um die zu erläuternden Rechtspositionen nachhaltig auf den Punkt zu bringen. Hinzunehmen ist dabei ein gewisses Mass an übertreibenden Bewertungen und gar Provokationen, soweit sich die anwaltlichen Äusserungen weder als völlig sachwidrig noch als unnötig beleidigend erweisen. Diese "rhetorische Freiheit" ist den Anwälten mit Rücksicht auf ihre berufsrechtliche Verpflichtung zur einseitigen Interessenwahrung ihrer Auftraggeber zuzubilligen. Sie sind zur Parteilichkeit, nicht zur Objektivität berufen (Urteil des Bundesgerichts 6P.174/2004 vom 2. Mai 2005 E. 4.1 mit Hinweisen). 
 
2.6 Der Vorinstanz ist zuzustimmen, dass der Glaubwürdigkeit der Parteien beweisrechtliche Bedeutung zukommt, wenn Urkunden und unabhängige Zeugen fehlen. Die Beschwerdeführerin wendet zu Unrecht ein, das ihr vorgeworfene Verhalten im Zeitpunkt des früheren Eheschutzverfahrens habe mit dem aktuellen Scheidungsverfahren nichts zu tun. Gemäss den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen hat sie in diesem Eheschutzverfahren ihrerseits persönliche Eigenschaften des Beschwerdegegners 2 ins Feld geführt. Die Vorinstanz durfte daher zur "Wiederherstellung der Waffengleichheit" die Äusserungen des Beschwerdegegners 2 als sachbezogen einstufen. Inwiefern diese über das Notwendige hinausgegangen wären, legt die Beschwerdeführerin nicht dar und ist auch nicht ersichtlich. 
 
2.7 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist es zur Rechtfertigung einer üblen Nachrede gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung keineswegs irrelevant, ob diese wider besseres Wissen erfolgt ist oder nicht. Die Vorinstanz hat dieses Kriterium zu Recht geprüft und verneint. Ob die Beschwerdegegner grundsätzlich Veranlassung hatten, die Beschwerdegegnerin einer strafbaren Handlung zu bezichtigen (was die Vorinstanz bejahte), spielt hierbei keine Rolle. 
 
2.8 Ob die Anforderungen an die Ehrenrührigkeit von Tatsachenbehauptungen in Rechtsschriften bei nicht öffentlichen Prozessen erhöht sind, wie die Vorinstanz ausführt, kann offenbleiben, da die Ehrenrührigkeit der Äusserungen vorliegend nicht umstritten ist. 
 
3. 
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Den Beschwerdegegnern ist keine Entschädigung zuzusprechen, da ihnen im bundesgerichtlichen Verfahren keine Umtriebe entstanden sind. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 12. November 2010 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Favre Keller