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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
8C_662/2014  
   
   
 
 
 
Urteil vom 12. November 2014  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin, 
Bundesrichter Ursprung, Bundesrichter Frésard, 
Gerichtsschreiber Jancar. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Jakob Ackermann, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Schwyz, Rubiswilstrasse 8, 6438 Ibach,  
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Arbeitsunfähigkeit, Invalidenrente, Revision), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom 9. Juli 2014. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Mit Verfügung vom 7. Dezember 1999 sprach die IV-Stelle Schwyz dem 1971 geborenen A.________ wegen Rückenbeschwerden ab 1. Oktober 1998 eine ganze Invalidenrente zu (Invaliditätsgrad 100 %). Mit Mitteilungen vom 11. April 2001, 1. Juli 2004, 16. November 2006 und 27. November 2009 wurde dies bestätigt. Am 5. April 2012 leitete die IV-Stelle von Amtes wegen eine Rentenrevision ein und zog diverse Arztberichte sowie ein Gutachten der Gutachterstelle B.________ vom 1. November 2012 bei. Dieses enthielt folgende Diagnose mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit: Chronisches lumbovertebrales Schmerzsyndrom, anamnestisch mit bilateraler linksbetonter Ausstrahlung in die Beine (ICD-10 M54.5); ohne Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit seien folgende Diagnosen: 1. Schmerzverarbeitungsstörung (ICD-10 F54); 2. Klinischer Verdacht auf leichtgradiges subakromiales Impingement Schulter rechts (ICD-10 M75.4); 3. Adipositas (BMI 33kg/m2; ICD-10 E66.0); 4. Rezidivierende gastritische Beschwerden (ICD-10 K29.7). Mit Verfügung vom 8. April 2013 hob die IV-Stelle die Rente rückwirkend auf (Dispositiv Ziff. 1); die zu Unrecht bezogenen Renten forderte sie rückwirkend fünf Jahre ab Verfügungserlass zurück (Dispositiv Ziff. 2); weiter kündigte sie die Eröffnung des Rückforderungsbetrages mit separater Verfügung an (Dispositiv Ziff. 3). Mit Verfügung vom 16. April 2013 forderte sie vom Versicherten für die Zeit vom 1. April 2008 bis 30. April 2013 Renten im Betrag von Fr. 242'986.- zurück. 
 
B.   
Gegen die Verfügungen vom 8. April und 16. April 2013 erhob der Versicherte beim Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz Beschwerden. An der öffentlichen Verhandlung vom 16. Oktober 2103 verlangten die Parteien, das Verfahren sei vorderhand zu sistieren, weshalb das Gericht die Verhandlung (ohne Plädoyers) abbrach. In der Folge einigten sich die Parteien auf die Notwendigkeit einer psychiatrischen Untersuchung. Am 4. April 2014 wurde der Versicherte vom Psychiater Dr. med. C.________, Regionaler Ärztlicher Dienst (RAD) der IV-Stelle, untersucht. Er diagnostizierte eine Schmerzverarbeitungsstörung (ICD-10 F54; DD: chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren [ICD-10 F45.41]; ausgeprägtes Aggravationsverhalten) sowie eine leichte agitierte depressive Episode (ICD-10 F32.0 [Bericht vom 8. April 2014]). Die Vorinstanz hiess die Beschwerde gegen die Verfügung vom 8. April 2013 im Sinne der Erwägungen teilweise gut; sie änderte deren Dispositiv Ziff. 1 dahin gehend ab, dass der Versicherte bis 31. Mai 2013 Anspruch auf eine Invalidenrente habe; die Dispositiv-Ziffern 2 f. hob sie ersatzlos auf; im Übrigen wies sie die Beschwerde ab. In Gutheissung der Beschwerde gegen die Rückforderungsverfügung vom 16. April 2013 hob die Vorinstanz diese ersatzlos auf (Entscheid vom 9. Juli 2014). 
 
C.   
Mit Beschwerde beantragt der Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei ihm weiterhin ab 1. Mai 2013 eine ganze Invalidenrente zuzusprechen; eventuell sei das Verfahren zu weiteren Abklärungen zurückzuweisen oder ein Gerichtsgutachten einzuholen. Weiter sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. 
 
Ein Schriftenwechsel wurde nicht angeordnet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren beanstandeten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG in Verbindung mit Art. 105 Abs. 2 BGG). Rechtsfragen sind die vollständige Feststellung erheblicher Tatsachen sowie die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes bzw. der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG und der Anforderungen an den Beweiswert von Arztberichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232). Die aufgrund dieser Berichte gerichtlich festgestellte Gesundheitslage bzw. Arbeitsfähigkeit und die konkrete Beweiswürdigung sind Sachverhaltsfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397; nicht publ. E. 4.1 des Urteils BGE 135 V 254, veröffentlicht in SVR 2009 IV Nr. 53 S. 164 [9C_204/2009]). 
 
2.   
Die Vorinstanz hat die für die Beurteilung des Leistungsanspruchs massgebenden rechtlichen Grundlagen richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
3.   
Bei der Rentenzusprache vom 7. Dezember 1999 wurde gestützt auf den Bericht der Abklärungs- und Ausbildungsstätte X.________ vom 28. April 1999 davon ausgegangen, der Versicherte sei in allen Tätigkeiten zu 100 % arbeitsunfähig. 
 
Die Vorinstanz hat in Würdigung der Aktenlage mit einlässlicher Begründung - auf die verwiesen wird (Art. 109 Abs. 3 BGG) - erwogen, eine rückwirkende Rentenaufhebung mittels prozessualer Revision nach Art. 53 Abs. 1 ATSG sei nicht möglich. Die Rückforderungsverfügung vom 16. April 2013 sei demnach aufzuheben Aus dem interdisziplinären (allgemeininternistischen, psychiatrischen, orthopädischen und neurologischen) Gutachten der Gutachterstelle B.________ vom 1. November 2012 könne eine anspruchswesentliche Verbesserung des Gesundheitszustandes abgeleitet werden. Dieses Gutachten sei insofern schlüssig und nachvollziehbar, als darin eine volle Arbeitsfähigkeit des Versicherten für körperlich leichte bis mittelschwere wechselbelastende Tätigkeiten veranschlagt werde. Damit seien die Voraussetzungen für eine Rentenrevision nach Art. 17 Abs. 1 ATSG erfüllt. 
 
Der Versicherte erhebt keine Rügen, die zur Bejahung einer Rechtsverletzung seitens der Vorinstanz führen oder ihre Sachverhaltsfeststellungen als offensichtlich unrichtig oder als Ergebnis willkürlicher Beweiswürdigung oder als rechtsfehlerhaft nach Art. 95 BGG erscheinen lassen (vgl. E. 1 hievor). Festzuhalten ist Folgendes: 
 
4.   
Der Versicherte reicht neu einen Bericht der Psychiaterin Dr. med. D.________ vom 23. Juni 2014 und eine Liste über die Sitzungsdaten bei ihr vom 24. Mai 2013 bis 3. Juli 2014 ein. Er legt jedoch nicht dar, dass ihm die vorinstanzliche Beibringung dieser Unterlagen trotz hinreichender Sorgfalt prozessual unmöglich bzw. objektiv unzumutbar war. Diese neuen Unterlagen sind somit unbeachtlich. Der Versicherte legt weiter eine Bestätigung über die Sitzungsdaten bei Frau Dr. med. D.________ vom 11. August und 2. September 2014 sowie Berichte des Dr. med. E.________, Facharzt für Neurochirurgie, vom 28. August 2014, der Frau F.________, Physio G.________, vom 2. September 2014 und der Firma H.________ AG, vom 2. September 2014 auf; dies sind angesichts des angefochtenen Entscheides vom 9. Juli 2014 nicht zu berücksichtigende echte Noven (BGE 139 III 120 E. 3.1.2 S. 123). 
 
5.   
Der Versicherte wendet weiter ein, Grundlage der Berentung sei die Diagnose eines chronischen lumbospondylogenen Schmerzsyndroms rechts mit panvertebraler Generalisierung und einer kongenitalen lumbalen Spinalkanalstenose gewesen. Gemäss dem Gutachten der Gutachterstelle B.________ vom 1. November 2012 habe sich die Diagnose sogar verschlimmert, weshalb eine Rentenrevision rechtswidrig sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Gutachterstelle B.________ davon ausging, Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit habe weiterhin nur das chronische lumbovertebrale Schmerzsyndrom (vgl. Sachverhalt lit. A). Hievon abgesehen ist es für die Bestimmung des Rentenanspruchs - grundsätzlich unabhängig von der Diagnose und der Ätiologie - massgebend, ob und in welchem Ausmass eine Beeinträchtigung der Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit vorliegt (BGE 136 V 279 E. 3.2.1 S. 281; Urteil 8C_7/2014 vom 10. Juli 2014 E. 4.1.2 [zusammengefasst in SZS 2014 S. 463]). 
 
6.   
Der Versicherte bringt unter Berufung auf BGE 137 V 210 vor, die Gutachter der Gutachterstelle B.________ seien von der IV-Stelle abhängig. Dies zeige sich darin, dass sie die seit mehr als 15 Jahren bestehende Berentung als nicht nachvollziehbar bezeichneten. Mit BGE 137 V 210 wurden bezüglich der Einholung medizinischer Gutachten der MEDAS - wozu die Gutachterstelle B.________ gehört - diverse verfahrensrechtliche Korrektive zur Stärkung der Partizipationsrechte der versicherten Personen eingeführt. Eine Verletzung dieser Korrektive macht der Versicherte nicht geltend. Im Übrigen vermögen die Aussagen im Gutachten der Gutachterstelle B.________ vom 1. November 2012 nicht den Verdacht zu begründen, die Experten seien voreingenommen oder in anderer Weise befangen gewesen. 
 
Zudem legten die Gutachter der Gutachterstelle B.________ dar, aufgrund der anamnestischen Angaben, ihrer Untersuchungsbefunde, der vorliegenden Dokumente und der früher attestierten Arbeitsunfähigkeiten könne die von ihnen festgestellte Arbeitsfähigkeit mit Sicherheit seit September 2012 bestätigt werden; in diesem Lichte kann nicht gesagt werden, es liege bloss eine unterschiedliche Beurteilung eines im Wesentlichen gleich gebliebenen Sachverhalts vor, die revisionsrechtlich unbeachtlich wäre (nicht publ. E. 3.2 des Urteils BGE 136 V 216, veröffentlicht in SVR 2011 IV Nr. 1 S. 1 [8C_972/2009]). 
 
7.   
Der Versicherte bringt in psychischer Hinsicht vor, gemäss den Berichten der Frau Dr. med. D.________ vom 6. Juni 2013, 3. April 2014 und 16. Mai 2014 sei er nicht arbeitsfähig. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Vorinstanz gestützt auf den Bericht des Psychiaters Dr. med. C.________ vom 8. April 2014 erkannt hat, die Verschlechterung des psychischen Zustandes des Versicherten sei zeitlich weitgehend nach dem massgebenden Zeitpunkt des Verfügungserlasses am 8. April 2013 aufgetreten (vgl. BGE 132 V 215 E. 3.1.1. S. 220). Weiter ist zu beachten, dass Frau Dr. med. D.________, bei welcher er seit 24. Mai 2013 in Behandlung war, im Bericht vom 3. April 2014 ausführte, seit Mai 2013 bestünden depressive Symptome. Aus den Akten geht mithin nicht hervor, dass der Versicherte vor dem 8. April 2013 aus psychischen Gründen arbeitsunfähig gewesen wäre. 
 
8.   
Der Versicherte kritisiert die orthopädische Begutachtung der Gutachterstelle B.________. Sein orthopädischer Status sei in relativ kurzer Zeit und unzutreffend erhoben worden; dies betreffe sein Leistungsvermögen bei verschiedenen Bewegungen (tiefe Hocke; Kauergang; Kinnanheben in Bauchlage) und diverse Beschwerden (Bewegungsschmerz und Druckdolenzen in beiden Hüften; Schmerzen im Ober- und Unterschenkel, Schienbein und Fuss sowie in der Fusssohle). Hierzu ist festzuhalten, dass es für den Aussagegehalt eines medizinischen Gutachtens nicht auf die Dauer der Untersuchung ankommt. Zwar muss der zu betreibende zeitliche Aufwand der Fragestellung und der zu beurteilenden Pathologie angemessen sein; zuvorderst hängt der Aussagegehalt einer Expertise aber davon ab, ob sie inhaltlich vollständig und im Ergebnis schlüssig ist (Urteil 8C_385/2014 vom 16. September 2014 E. 4.4.2). Dies trifft hier zu. Es ist nicht erstellt, dass im orthopädischen Gutachten der Gutachterstelle B.________ das vom Versicherten gezeigte Leistungsvermögen und seine Beschwerden unkorrekt wiedergegeben worden wären. Er führt insbesondere keine Arztberichte auf, die diesbezüglich ein von den Feststellungen im Gutachten der Gutachterstelle B.________ abweichendes Bild zeigen würden. 
 
9.   
Da von weiteren medizinischen Abklärungen keine entscheidrelevanten Ergebnisse mehr zu erwarten sind, hat die Vorinstanz zu Recht darauf verzichtet (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236). 
 
10.   
Gegen den vorinstanzlichen Einkommensvergleich (vgl. Art. 16 ATSG), der einen rentenausschliessenden Invaliditätsgrad von maximal 32 % ergab, bringt der Versicherte keine Einwände vor, weshalb es damit sein Bewenden hat. 
 
11.   
Da die Beschwerde offensichtlich unbegründet ist, wird das Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG angewendet. Der Versicherte trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege kann ihm wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde nicht gewährt werden (Art. 64 BGG). Überdies erscheint auch die Bedürftigkeit fraglich, nachdem der Beschwerdeführer angibt, über eine Rechtschutzversicherung zu verfügen. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 12. November 2014 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Leuzinger 
 
Der Gerichtsschreiber: Jancar