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[AZA 7] 
I 579/98 Ge 
 
III. Kammer 
 
Bundesrichter Schön, Meyer und Ferrari; Gerichtsschreiber 
Grünvogel 
 
Urteil vom 13. Juni 2001 
 
in Sachen 
 
S.________, Beschwerdeführer, vertreten durch den Rechtsdienst für Behinderte, Schützenweg 10, 3014 Bern, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin, 
 
und 
 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern 
 
A.- Am 11. Februar 1997 übergab die IV-Stelle Bern der Post eine auf den Folgetag (12. Februar 1997) datierte Verfügung, mit welcher sie das Leistungsbegehren des 1955 geborenen S.________ ablehnte. Die Verfügung wurde dem Versicherten am 12. Februar 1997 ausgehändigt. 
 
B.- Auf die am 17. März 1997 hiegegen erhobene Beschwerde trat das Verwaltungsgericht des Kantons Bern nicht ein, da sie nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eingereicht worden sei (Entscheid vom 15. Oktober 1998). 
 
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt S.________ beantragen, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und das kantonale Gericht zu verpflichten, auf die Eingabe vom 17. März 1997 einzutreten. 
Während die Vorinstanz auf eine Stellungnahme verzichtet und sich das Bundesamt für Sozialversicherung nicht hat vernehmen lassen, unterstützt die IV-Stelle die Verwaltungsgerichtsbeschwerde. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Nach Art. 84 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 69 IVG kann gegen Verfügungen der IV-Stellen innert 30 Tagen seit der Zustellung Beschwerde erhoben werden. Läuft die Frist unbenutzt ab, so erwächst die Verfügung in formelle Rechtskraft mit der Wirkung, dass der Richter auf die verspätet eingereichte Beschwerde nicht eintreten kann. In Bezug auf die Berechnung, Einhaltung und Erstreckung der Fristen sowie die Säumnisfolgen und die Wiederherstellung einer Frist gelten dabei im kantonalen Beschwerdeverfahren ausschliesslich die Vorschriften der Art. 20 bis 24 VwVG, welche durch Art. 96 AHVG in Verbindung mit Art. 81 IVG als direkt anwendbar erklärt werden (vgl. BGE 110 V 37 Erw. 2 mit Hinweisen). Berechnet sich eine Frist nach Tagen und bedarf sie der Mitteilung an die Parteien, so beginnt sie an dem auf ihre Mitteilung folgenden Tage zu laufen. Fällt der letzte Tag auf einen Samstag, einen Sonntag oder einen am Wohnsitz oder Sitz der Partei oder ihres Vertreters vom kantonalen Recht anerkannten Feiertag, so endigt die Frist am nächsten Werktag (Art. 20 Abs. 1 und 3 VwVG). Schriftliche Eingaben müssen spätestens am letzten Tage der Frist der Behörde eingereicht oder zu deren Handen der schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden (Art. 21 Abs. 1 VwVG). 
 
2.- Wie von der Vorinstanz zutreffend dargelegt, begann die Rechtsmittelfrist einen Tag nach der Entgegennahme der Verfügung, somit am 13. Februar 1997 zu laufen und endigte am 14. März 1997 (Freitag). Die Beschwerdeschrift wurde aber erst am 17. März 1997 - mithin einen Werktag verspätet - der Post übergeben. Der Beschwerdeführer, unterstützt durch die IV-Stelle, macht geltend, durch das Vordatieren der Verfügung um einen Tag habe die verfügende Behörde eine Vertrauensgrundlage geschaffen, welche die Entgegennahme der um einen Werktag verspätet eingereichten Beschwerde gebiete. 
 
3.- a) An sich ist es Sache des Empfängers, sich das Aushändigungsdatum der Verfügung zu merken und an geeignetem Ort zu notieren. Wenn er sich im Datum aber nicht mehr sicher ist, muss ihm dennoch eine Möglichkeit offen stehen, um den letzten Tag der Rechtsmittelfrist zu bestimmen. 
 
aa) Hiefür könnte etwa ein Nachforschungsbegehren bei der Post Hand bieten. Ob vom Verfügungsempfänger die Eingabe eines solchen Begehrens überhaupt verlangt werden kann, ist fraglich, zumal es sich beweismässig so verhält, dass der Absender den Zeitpunkt der Zustellung darzulegen hat, während dem Empfänger der Nachweis der Rechtzeitigkeit der Beschwerde obliegt. Abgesehen davon nimmt die Beantwortung des Gesuchs regelmässig einige Tage in Anspruch, während welcher Zeit die Rechtsmittelfrist weiter läuft. Eine abschliessende Beurteilung dieser Frage kann aber vorliegend unterbleiben. Denn über die für ein Nachforschungsbegehren erforderlichen Angaben wie Aufgabezeitpunkt und -ort verfügte der Versicherte ohnehin nicht. Diese hätten sich allenfalls dem Briefumschlag der Verfügung entnehmen lassen, sofern der darauf befindliche Poststempel leserlich gewesen wäre. Dieses Couvert hatte der Beschwerdeführer jedoch frühzeitig weggeworfen. Da sich in der Rechtsmittelbelehrung der IV-Stelle, anders als etwa in jener der Vorinstanz, auch kein Hinweis auf eine Aufbewahrungspflicht befand, kann dem Versicherten dieses Verhalten nicht angelastet werden. 
 
bb) In jenen Fällen, in denen sich auf dem Zustellcouvert die Sendungsnummer (Strichcode-Kleber) befindet, lässt sich sodann das Empfangsdatum über das Internet ermitteln. Unter der Adresse www. post. ch/d/track_trace/track_trace. html ist zunächst die Sendeart anzuwählen (z.B. Briefpost: Einzelsendungen), ehe die Sendungsnummer einzugeben ist, worauf das Abholdatum angezeigt wird. Die gleichen Auskünfte müssten durch Kenntnisgabe der Sendungsnummer auch auf telefonischem Wege bei der Post erhältlich sein. Da es vorliegend am Briefumschlag fehlte, stand diese Variante indessen nicht zur Diskussion. 
 
cc) Als weitere Möglichkeit steht die Zuhilfenahme des Versanddatums im Raum, wie dies für die Überprüfung der Rechtzeitigkeit eines gegen einen Behördenentscheid ergriffenen Rechtsmittels von einer Vielzahl von Gerichten in einem ersten Schritt praktiziert wird. Dabei wird auf das Poststempeldatum des Zustellcouverts abgestellt, oder, wenn dieser fehlt oder unleserlich ist, in zweiter Linie auf das Verfügungsdatum. Trägt die Verfügung zusätzlich ein separat aufgeführtes Zustelldatum, ist dieses massgebend. Danach wird ausgehend vom herangezogenen Datum der Fristablauf errechnet und mit dem Eingabedatum der Rechtsmittelschrift verglichen. Falls in der Folge nach wie vor Zweifel an der Rechtzeitigkeit der Beschwerdeerhebung bestehen, wird die verfügende Behörde in einem zweiten Schritt zur Einholung eines Nachforschungsbegehrens bei der Post angehalten. 
Nachdem der Versicherte im Aushändigungsdatum nicht mehr sicher war, in der Rechtsmittelbelehrung kein Hinweis auf die Notwendigkeit der Aufbewahrung des Zustellcouverts stand und er ohne Briefumschlag den Zeitpunkt der Postaufgabe nicht bestimmten konnte, musste und durfte er auf das Verfügungsdatum zurückgreifen. 
b) Für die, ausgehend vom Verfügungsdatum, vorgenommene Fristberechnung bediente sich der Versicherte der Vermutungen, dass einerseits eingeschrieben aufgegebene Briefpostsendungen regelmässig frühestens am Folgetag dem Empfänger zugestellt werden und dass andererseits bei Verfügungen oder Schreiben von Amtsstellen Brief- und Versanddatum übereinstimmen. 
Wie die Abklärungen der Vorinstanz ergeben haben, wurde dem Beschwerdeführer die fragliche Verfügung tatsächlich einen Tag nach der Versendung von der Post ausgehändigt; insoweit trifft die erste Annahme zu. Ferner erwies sich die zweite Vermutung zwar als falsch. Jedoch darf der Empfänger von Verfügungen oder Schreiben von Amtsstellen, zumindest in jenen Fällen, in denen er nicht mehr über das Zustellcouvert verfügt, vorbehältlich offensichtlicher Unrichtigkeit darauf vertrauen, dass Brief- und Absendedatum übereinstimmen (vgl. BGE 115 IV 58 Erw. 6, wo mit Bezug auf Geschäftsbriefe eines Treuhänders an eine Amtsstelle ebenfalls eine derartige Vertrauenssituation bejaht wurde). Wenn daher die Amtsstelle, aus welchen Gründen auch immer, die Verfügung vordatiert hat, schuf sie damit eine Situation, welche eine vom materiellen Recht abweichende Behandlung des Beschwerdeführers im von ihm anbegehrten Sinne gebietet (vgl. BGE 121 V 66 Erw. 2a mit Hinweisen). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 15. Oktober 1998 aufgehoben, und es wird die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie über die Beschwerde gegen die Verfügung vom 11. Februar 1997 materiell entscheide. 
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
III. Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 500. - wird dem Beschwerdeführer zurückerstattet. 
 
IV. Die IV-Stelle des Kantons Bern hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1250. - (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
 
V. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
 
Luzern, 13. Juni 2001 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der III. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: