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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess {T 7} 
I 867/05 
 
Urteil vom 13. September 2006 
II. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Borella und Kernen; Gerichtsschreiberin Weber Peter 
 
Parteien 
D.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Vincent Augustin, Vazerolgasse 2, 7002 Chur, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Graubünden, Ottostrasse 24, 7000 Chur, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, Chur 
 
(Entscheid vom 30. September 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1957 geborene D.________ leidet an einem chronischen Lumbovertebralsyndrom bei Spondylolyse/Spondylolisthesis L5/S1 Grad II, weshalb er sich am 22. September 2003 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug anmeldete. Die IV-Stelle des Kantons Graubünden führte medizinische und erwerbliche Abklärungen durch und lehnte nach Einholung eines Berichts des Dr. med. M.________, stellvertretender leitender Arzt Orthopädie des Kantonsspitals Z.________ (vom 16. August 2004) mit Verfügung vom 8. März 2005 eine Kostengutsprache für berufliche Massnahmen und mit Verfügung vom 9. März 2005 einen Anspruch auf eine Invalidenrente ab. Die dagegen erhobene Einsprache hiess die IV-Stelle mit Einspracheentscheid vom 8. Juli 2005 teilweise gut, hob die Verfügungen vom 8. und 9. März 2005 auf und wies die Sache zum Erlass neuer Verfügungen an die IV-Stelle zurück. Sie ordnete eine erneute Prüfung des Anspruchs auf berufliche Eingliederungsmassnahmen an. Zudem sprach sie dem Versicherten für die Zeit vom 1. Juni 2003 bis 31. Mai 2004 eine ganze (befristete) Invalidenrente (IV-Grad 100 %) zu und verneinte ab dem 1. Juni 2004 einen Rentenanspruch aufgrund eines Invaliditätsgrades von 27 %. 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden mit Entscheid vom 30. September 2005 ab. 
C. 
Der Versicherte lässt unter Beilage eines Berichts des Prof. Dr. med. B.________, Spezialist für Wirbelsäulen- und Rückenmarkschirurgie, Klinik G.________ (vom 18. November 2005), Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Rechtsbegehren, in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides sei ihm rückwirkend ab 1. Juni 2004 eine seinem wirklichen Invaliditätsgrad entsprechende Invalidenrente zuzusprechen, eventuell sei die Sache zur Verfahrensergänzung und zu neuem Entscheid an eine der Vorinstanzen zurückzuweisen. Zudem wird mit Eingabe vom 16. Januar 2006 um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ersucht. 
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
D. 
Am 15. März 2006 liess der Versicherte u.a. eine Stellungnahme des Hausarztes Dr. med. H.________, Innere Medizin FMH, (vom 9. März 2006) und ein Schreiben des Prof. Dr. med. B.________ (vom 3. März 2006) einreichen. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Nach Art. 132 Abs. 1 OG in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG (in Kraft seit 1. Juli 2006) kann das Eidgenössische Versicherungsgericht in Verfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen in Abweichung von den Art. 104 und 105 OG auch die Unangemessenheit der angefochtenen Verfügung beurteilen und ist an die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts nicht gebunden. Gemäss Art. 132 Abs. 2 OG gelten diese Abweichungen nicht, wenn der angefochtene Entscheid Leistungen der Invalidenversicherung betrifft. Nach Ziff. II lit. c des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 ist indessen auf die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängigen Beschwerden bisheriges Recht anwendbar. Da die hier zu beurteilende Beschwerde am 1. Juli 2006 beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängig war, richtet sich dessen Kognition noch nach der bis Ende Juni 2006 gültigen Fassung von Art. 132 OG, welche dem neuen Abs. 1 entspricht. 
2. 
Nach der Rechtsprechung ist es im Lichte von Art. 108 Abs. 2 OG grundsätzlich unzulässig, nach Ablauf der Beschwerdefrist neue Beweismittel beizubringen, es sei denn, dass ausnahmsweise ein zweiter Schriftenwechsel (Art. 110 Abs. 4 OG) angeordnet wurde. Zu berücksichtigen sind in der Regel nur Eingaben, welche dem Gericht innert der gesetzlichen Frist (Art. 106 Abs. 1 OG) vorliegen. Anders verhält es sich lediglich dann, wenn nach Ablauf der Beschwerdefrist oder nach Abschluss des Schriftenwechsels unaufgefordert eingereichte Schriftstücke neue erhebliche Tatsachen oder schlüssige Beweismittel enthalten, welche eine Revision im Sinne von Art. 137 lit. b OG zu rechtfertigen vermöchten (BGE 127 V 353 ff.). Dies trifft auf die vom Beschwerdeführer nachgereichten ärztlichen Stellungnahmen des Dr. med. H.________ vom 9. März 2006 und des Prof. Dr. med. B.________ vom 3. März 2006 jedoch nicht zu, weshalb sie bei der Beurteilung ausser Acht zu bleiben haben. 
3. 
3.1 Kantonales Gericht und Verwaltung haben die gesetzlichen Bestimmungen zu den Begriffen der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG) und der Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG), zum Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG in der seit 1. Januar 2004 gültigen Fassung), zur Ermittlung des Invaliditätsgrades nach der Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG), zum Beginn des Rentenanspruchs (Art. 29 Abs. 1 IVG), zum massgebenden Zeitpunkt für eine Herabsetzung oder Aufhebung einer Rente (Art. 88a Abs. 1 IVV) sowie die Rechtsprechung zur allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (vgl. auch BGE 130 V 348 f. Erw. 3.4, 128 V 30 Erw. 1 je mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt für die Hinweise zur Aufgabe des Arztes und der Ärztin bei der Invaliditätsbemessung und zur Bedeutung ärztlicher Auskünfte im Rahmen der Invaliditätsschätzung (BGE 125 V 261 Erw. 4 mit Hinweisen) sowie zum Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 125 V 352 Erw. 3a, 122 V 160 f. Erw. 1c mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen. 
 
Zu ergänzen ist, dass das Gericht die medizinischen Unterlagen nach dem für den Sozialversicherungsprozess gültigen Grundsatz der freien Beweiswürdigung (vgl. Art. 61 lit. c ATSG) - wie alle anderen Beweismittel - frei, d.h. ohne Bindung an förmliche Beweisregeln, sowie umfassend und pflichtgemäss zu würdigen hat. Dies bedeutet, dass das Sozialversicherungsgericht alle Beweismittel, unabhängig, von wem sie stammen, objektiv zu prüfen und danach zu entscheiden hat, ob die verfügbaren Unterlagen eine zuverlässige Beurteilung des streitigen Rechtsanspruches gestatten. Insbesondere darf es bei einander widersprechenden medizinischen Berichten den Prozess nicht erledigen, ohne das gesamte Beweismaterial zu würdigen und die Gründe anzugeben, warum es auf die eine und nicht auf die andere medizinische These abstellt. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes ist also entscheidend, ob der Bericht für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Darlegung der medizinischen Zusammenhänge und in der Beurteilung der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen der Expertin oder des Experten begründet sind. Ausschlaggebend für den Beweiswert ist grundsätzlich somit weder die Herkunft eines Beweismittels noch die Bezeichnung der eingereichten oder in Auftrag gegebenen Stellungnahme als Bericht oder Gutachten (BGE 125 V 352 Erw. 3a, 122 V 160 f. Erw. 1c; AHI 2001 S. 113 Erw. 3a). 
4. 
Streitig und zu prüfen ist, ob der Versicherte aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung nach dem 1. Juli 2004 weiterhin Anspruch auf eine Invalidenrente hat und somit insbesondere die Frage der verbliebenen Arbeitsfähigkeit. 
4.1 Während IV-Stelle und Vorinstanz davon ausgehen, dass der Versicherte leidensangepasst (leichte manuelle Arbeiten in einem Fabrikationsbetrieb) zu 75 % arbeitsfähig ist, und mithin kein Rentenanspruch besteht, vertritt der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf seinen Hausarzt Dr. med. H.________ (Bericht vom 10. Oktober 2003 sowie entsprechende Bescheinigungen) und die mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereichte Stellungnahme des Prof. Dr. med. B.________ (vom 18. November 2005) die Auffassung, er sei vollständig arbeitsunfähig und zwar auch für leichte körperliche Tätigkeiten. 
4.2 Vorinstanz und Verwaltung stützen ihre Auffassung auf den Bericht des Dr. med. M.________ (vom 16. August 2004). Danach leidet der Versicherte an einem chronischen Lumbovertebralsyndrom bei Spondylolyse/Spondylolisthesis L5/S1 Grad II. In Berücksichtigung dieser Beschwerden hält der Arzt eine behinderungsangepasste Tätigkeit (leichte manuelle Arbeiten in einem Fabrikationsbetrieb, Voraussetzungen: Arbeitsplatz in einem geschützten Raum mit Wechselbelastung, keine Arbeit in vorwiegend inklinierter Körperhaltung oder mit repetitiven Rumpf- Drehbewegungen, keine Ueberkopfarbeiten oder Arbeiten unter Kniehöhe, kein regelmässiges Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, Möglichkeit des wiederholten Einlegens von kurzen Erholungspausen) während 8,5 Stunden pro Tag mit einer um ca. 25 % verminderten Leistungsfähigkeit für zumutbar, währenddem er die Zumutbarkeit der bisherigen Tätigkeit als Hilfsarbeiter bei der Gemeinde S.________ seit 17. Juni 2002 verneint. 
5. 
5.1 Die diversen medizinischen Berichte stimmen in der Diagnosestellung grundsätzlich überein; sie unterscheiden sich hingegen hinsichtlich der Einschätzung in der Arbeitsfähigkeit. Als Indiz gegen die Zuverlässigkeit des medizinischen Berichts des Dr. med. M.________ erweist sich vorliegend, dass bei diagnostisch deckungsgleicher medizinischer Aktenlage eine erhebliche Differenz in der Einschätzung der verbliebenen Arbeitsfähigkeit besteht. Aus dem Arztbericht der Klinik V.________, Klinik für Rheumatologie und Rehabilitation des Bewegungsapparates (vom 23. Februar 2004), wo sich der Beschwerdeführer (nach der Operation vom 16. Mai 2003) vom 11. November bis 9. Dezember 2003 zur stationären Rehabilitation aufhielt und gemäss Austrittsbericht sehr motiviert am multidisziplinären Therapieprogramm teilnahm, ergibt sich, dass der Versicherte bei Klinikaustritt für jegliche auch für leichte Tätigkeiten 100 % arbeitsunfähig war. Begründet wurde dies damit, dass er weder in ruhiger Position über längere Zeit noch bei wechselbelastenden Tätigkeiten belastbar sei. Festgehalten wird zudem, dass sich die Beschwerden seit der Operation vom 16. Mai 2003 verstärkt hätten. Diese Einschätzung deckt sich mit derjenigen des Hausarztes Dr. med. H.________ (vom 10. Oktober 2003), der den Rehabilitationsaufenthalt veranlasst hatte. Inwiefern sich die gemäss Bericht des Dr. med. M.________ (vom 16. August 2004) anlässlich der Untersuchung vom 7. Mai 2004 festgestellte Arbeitsfähigkeit in diesem kurzen Zeitraum von 5 Monaten im Vergleich zum Austritt aus der Klinik V.________ derart gesteigert haben soll, wird mit keinem Wort begründet. Diese erhebliche Differenz in der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit erweist sich als nicht ohne weiteres nachvollziehbar und ist auch aufgrund der übrigen Akten nicht schlüssig zu beurteilen. Überdies ist festzustellen, dass der Einschätzung des Dr. med. M.________, welcher von einer verminderten Leistungsfähigkeit von ca. 25 % spricht, eine gewisse Ungenauigkeit anhaftet. Mit Blick auf die gezeigte Ausgangslage kann entgegen der Vorinstanz im Rahmen der Beweiswürdigung nicht ohne Weiteres auf die Einschätzung im Bericht des Dr. med. M.________ abgestellt werden. Vielmehr ist mit dem Beschwerdeführer vorliegend im Rahmen eines zusätzlichen Gutachtens die funktionelle Leistungsfähigkeit aufgrund des unbestrittenen Gesundheitszustandes konkret zu evaluieren und gestützt darauf der Invaliditätsgrad neu zu bestimmen. Die Sache ist daher an die Verwaltung zurückzuweisen, damit sie nach Einholung eines entsprechenden Gutachtens über den Leistungsanspruch ab 1. Juni 2004 neu verfüge. 
5.2 Was den Bericht des Prof. Dr. med. B.________ (vom 18. November 2005) betrifft, welcher aufgrund seiner Untersuchung gleichen Datums keine Tätigkeit sieht, die der Versicherte übernehmen könnte, kann entgegen der Vorinstanz nicht bereits deshalb nicht darauf abgestellt werden, weil er nach Erlass des Einspracheentscheides ergangen ist. Vielmehr ist entscheidend, ob er sich bezüglich des Gesundheitszustandes bis zum Zeitpunkt des Einspracheentscheides, welcher die zeitliche Grenze der richterlichen Überprüfungsbefugnis bildet (BGE 129 V 169 Erw. 1), äussert. Da dies hier nicht der Fall ist, kann der Bericht aus diesem Grunde nicht berücksichtigt werden. 
6. 
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem obsiegenden Versicherten steht eine Parteientschädigung zu (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 OG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten und der Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung ist daher gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 30. September 2005 und der Einspracheentscheid der IV-Stelle Graubünden vom 8. Juli 2005, soweit sie den Rentenanspruch ab 1. Juni 2004 betreffen, aufgehoben und die Sache an die IV-Stelle zurückgewiesen, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Leistungsanspruch neu verfüge. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Die IV-Stelle Graubünden hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt. 
Luzern, 13. September 2006 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Die Präsidentin der II. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: