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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1B_435/2011 
 
Urteil vom 13. September 2011 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident, 
Bundesrichter Reeb, Raselli, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Dieter Aebi, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, 
Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026 Zürich, 
Bezirksgericht Zürich, Zwangsmassnahmengericht, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich. 
 
Gegenstand 
Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss vom 16. August 2011 des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Gegen X.________ läuft ein Strafverfahren wegen einfacher Körperverletzung, eventualiter Angriff, Sachbeschädigung und sexueller Belästigung. Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat erhob am 27. Juli 2011 Anklage. Sie wirft X.________ vor, er habe am 26. September 2010 im Hauptbahnhof Zürich eine Frau ergriffen, ihr an eine oder beide Brüste gefasst und versucht, sie auf den Mund zu küssen. Einen Mann, welcher der Frau zu Hilfe gekommen sei, habe er gemeinsam mit weiteren Beteiligten zurückgehalten und ihm mit der Hand gegen den Kopf geschlagen. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung sei der Mann von Mitgliedern aus der Gruppe des Beschuldigten geschlagen und getreten worden. Weiter wirft die Staatsanwaltschaft X.________ vor, vor einer Bar in Dietikon zwei Pflanzentöpfe umgeworfen und beschädigt zu haben. 
 
X.________ wurde am 26. September 2010 in Untersuchungshaft gesetzt. Seit dem 1. April 2011 befindet er sich im vorzeitigen Strafvollzug. Am 8. Juli 2011 stellte er ein Gesuch um Haftentlassung. Mit Verfügung vom 20. Juli 2011 wies das Bezirksgericht Zürich als Zwangsmassnahmengericht das Gesuch ab. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 16. August 2011 ebenfalls ab. 
 
2. 
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 24. August 2011 beantragt X.________ im Wesentlichen, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben und er selbst sei unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Eventualiter seien Ersatzmassnahmen anzuordnen. 
 
Die Staatsanwaltschaft beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Bezirksgericht und das Obergericht Zürich haben auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
3. 
3.1 Gemäss Art. 112 Abs. 1 BGG müssen Entscheide, die der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen, unter anderem die massgebenden Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art enthalten, insbesondere die Angabe der angewendeten Gesetzesbestimmungen (lit. b). Daraus folgt, dass Entscheide, die der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen, klar den massgeblichen Sachverhalt und die rechtlichen Schlüsse, die daraus gezogen werden, angeben müssen. Dies ist von Bedeutung im Hinblick auf die unterschiedliche Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts bei Sachverhalts- und Rechtsfragen (Art. 95 und Art. 97 BGG). Genügt der angefochtene Entscheid diesen Anforderungen nicht und ist deshalb das Bundesgericht nicht in der Lage, über die Sache zu befinden, ist er nach Art. 112 Abs. 3 BGG aufzuheben und die Angelegenheit an die kantonale Behörde zurückzuweisen, damit diese einen Entscheid treffe, der Art. 112 Abs. 1 BGG entspricht (BGE 135 II 145 E. 8 f. S. 153 ff.; Urteil 1B_385/2010 vom 25. November 2010 E. 3.1; je mit Hinweisen). 
 
3.2 Der Beschwerdeführer bestreitet den dringenden Tatverdacht hinsichtlich der sexuellen Belästigung (Art. 198 StGB), der Tätlichkeit (Art. 126 StGB) und der Sachbeschädigung (Art. 144 StGB) nicht. Er wendet sich jedoch gegen die Annahme eines dringenden Verdachts sowohl der einfachen Körperverletzung (Art. 123 StGB) als auch des Angriffs (Art. 134 StGB) und macht diesbezüglich eine ungenügende Begründung des angefochtenen Entscheids geltend. Hinsichtlich der Frage, ob die Haft noch verhältnismässig ist, sei er angesichts der mangelhaften Begründung zum Strafmass ausser Stande, konkrete Rügen vorzutragen. 
3.3 
3.3.1 Zum dringenden Tatverdacht der einfachen Körperverletzung und des Angriffs führte die Vorinstanz aus, der Beschwerdeführer selbst gestehe ein, dem Opfer einen Schlag versetzt zu haben. Aus den Aussagen verschiedener Beteiligter gehe hervor, dass es ein dynamisches Geschehen gegeben habe, im Laufe dessen das männliche Opfer von mehreren Mitgliedern einer Gruppe - welcher der Beschwerdeführer angehört habe - verletzt worden sei. Auf den Bildern der Überwachungskamera im Hauptbahnhof Zürich sei zu erkennen, wie eine Gruppe von Personen, denen der Beschwerdeführer angehörte, gemeinsam vor der nach dem Vorfall anrückenden Polizei geflüchtet sei. Angesichts dieser Umstände bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das dem Beschwerdeführer vorgeworfene Verhalten den Tatbestand der einfachen Körperverletzung und des Angriffs erfüllen könnte. 
3.3.2 Das Bundesgericht hat bei der Überprüfung des dringenden Tatverdachts keine erschöpfende Abwägung sämtlicher belastender und entlastender Beweisergebnisse vorzunehmen. Zu prüfen ist vielmehr, ob genügend konkrete Anhaltspunkte für eine Straftat und eine Beteiligung des Beschwerdeführers daran vorliegen, die Untersuchungsbehörden somit das Bestehen eines dringenden Tatverdachts mit vertretbaren Gründen bejahen durften. Im Haftprüfungsverfahren genügt der Nachweis von konkreten Verdachtsmomenten, wonach das inkriminierte Verhalten mit erheblicher Wahrscheinlichkeit die fraglichen Tatbestandsmerkmale erfüllen könnte. Zur Frage des dringenden Tatverdachts hat das Haftgericht dem erkennenden Strafgericht nicht vorzugreifen. Vorbehalten bleibt allenfalls die Abnahme eines liquiden Alibibeweises (BGE 137 IV 122 E. 3.2 S. 126 f. mit Hinweisen). 
3.3.3 Der Beschwerdeführer macht geltend, das männliche Opfer sei der von ihm belästigten Frau gar nicht eigentlich zu Hilfe gekommen, sondern habe ihn als Sauhund bzw. Schwein bezeichnet. Die Gruppe sei zudem keine gewesen. Der Beschwerdeführer sei als letzter zufällig dazu gestossen. Er sei ein Aussenseiter gewesen. Er könne sich aufgrund von Alkohol- und Cannabiskonsum nicht einmal mehr an den ersten Schlag erinnern. Die Begründung des dringenden Tatverdachts im angefochtenen Entscheid genüge zudem den Anforderungen von Art. 29 Abs. 2 BV nicht. 
3.3.4 Die Einwände des Beschwerdeführers sind unbehelflich. Ob gesagt werden kann, das männliche Opfer sei der belästigten Frau "zu Hilfe geeilt", ist nicht massgeblich. Dasselbe gilt für die Behauptung des Beschwerdeführers, er sei zufällig zu den andern gestossen und er könne sich gar nicht mehr an den ersten Schlag erinnern. Die Vorinstanz hat vor dem Hintergrund der in E. 3.3.2 hiervor dargelegten Anforderungen an den Nachweis des dringenden Tatverdachts hinreichend begründet, weshalb sie von einer einfachen Körperverletzung und einem Angriff ausging. Die diesbezüglichen Rügen des Beschwerdeführers sind unbegründet. 
 
3.4 Zur Verhältnismässigkeit hielt das Obergericht fest, der Beschwerdeführer befinde sich seit dem 26. September 2010, mithin seit mehr als 10 Monaten, in Untersuchungshaft beziehungsweise im vorzeitigen Strafvollzug. Die Staatsanwaltschaft beantrage in ihrer Anklageschrift eine Freiheitsstrafe von 24 Monaten. Ob eine solche Strafe weit übersetzt wäre, wie dies vom Beschwerdeführer sinngemäss geltend gemacht werde, könne offen gelassen werden. Jedenfalls könne zum heutigen Zeitpunkt nicht gesagt werden, die bis anhin erstandene Haft rücke bereits in grosse zeitliche Nähe der zu erwartenden Strafe. Ebenso könne angesichts der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Handlungen nicht gesagt werden, dass das beantragte Strafmass vollkommen unangemessen sei. Die Staatsanwaltschaft sei nicht verpflichtet, das von ihr beantragte Strafmass zu erläutern. 
 
3.5 Aufgrund der Erwägungen der Vorinstanz, namentlich der rudimentären Angaben zur Tathandlung, aber auch fehlender konkreter Erläuterung des von der Staatsanwaltschaft beantragten hohen Strafmasses ist das Bundesgericht ausser Stande, die Verhältnismässigkeit des andauernden Freiheitsentzugs zu beurteilen. Ob die von der Staatsanwaltschaft beantragte Freiheitsstrafe weit übersetzt ist, kann entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht offen gelassen werden. Der angefochtene Entscheid enthält in einem wesentlichen Punkt keine Begründung. Er ist bereits deshalb in Anwendung von Art. 112 Abs. 3 BGG aufzuheben. Die Sache ist an das Obergericht zurückzuweisen, damit es einen Entscheid trifft, der den Anforderungen von Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG genügt. 
 
Vorliegend kommt hinzu, dass der angefochtene Entscheid auch hinsichtlich des Haftgrunds der Wiederholungsgefahr unzureichend begründet ist (Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO). Er enthält keine näheren (konkreten) Angaben zu bereits früher verübten gleichartigen Straftaten. Auch wird nur summarisch aufgezeigt, inwiefern ernsthaft zu befürchten sein soll, dass der Beschwerdeführer durch schwere Verbrechen oder Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet. Im Übrigen finden sich weder die Anklageschrift noch das psychiatrische Gutachten noch der Vorstrafenbericht, welche alle im angefochtenen Entscheid erwähnt werden, in den Akten, welche dem Bundesgericht eingereicht wurden. Diesbezüglich ist zudem darauf hinzuweisen, dass Verweise zwar nicht unzulässig sind, aber die entscheidende Behörde nicht davon entbinden, selbstständig den Sachverhalt festzustellen und diesen selbstständig rechtlich zu würdigen. Dabei sind alle Gesichtspunkte, die für die Beurteilung der strafprozessualen Haft bzw. des Gesuchs um Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug wesentlich sind, im Entscheid darzulegen und zu beurteilen (Urteil 1B_414/2010 vom 23. Dezember 2010 E. 3.2 mit Hinweis). 
 
4. 
Der angefochtene Entscheid ist in Anwendung von Art. 112 Abs. 3 BGG aufzuheben und die Sache an das Obergericht des Kantons Zürich zurückzuweisen, damit dieses einen Entscheid treffe, der den Anforderungen von Art. 112 Abs. 1 BGG genügt. Dabei wird es das Beschleunigungsgebot in Haftsachen zu beachten haben (Art. 31 Abs. 4 BV, Art. 5 Abs. 2 StPO). Da Haftgründe nicht offensichtlich fehlen, kommt die Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug durch das Bundesgericht nicht in Betracht. Der entsprechende Antrag ist abzuweisen. 
 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist weder von einem vollständigen Obsiegen noch von einem vollständigen Unterliegen des Beschwerdeführers auszugehen. Unter den konkreten Umständen ist es gerechtfertigt, keine Kosten zu erheben (vgl. dazu auch Art. 66 Abs. 4 BGG) und den Kanton Zürich zu verpflichten, dem Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 f. sowie Abs. 4 in Verbindung mit Art. 66 Abs. 3 BGG). Damit erweist sich dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege als gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 16. August 2011 wird aufgehoben. Die Sache wird zum neuen Entscheid an das Obergericht zurückgewiesen. 
 
2. 
Der Antrag auf Haftentlassung wird abgewiesen. 
 
3. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4. 
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen. 
 
5. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, dem Bezirksgericht Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 13. September 2011 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Fonjallaz 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold