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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1B_98/2007 /ggs 
 
Urteil vom 14. Juni 2007 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Aemisegger, Reeb, 
Gerichtsschreiberin Scherrer. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch 
Advokat Dieter Gysin, 
 
gegen 
 
Besonderes Untersuchungsrichteramt des Kantons Basel-Landschaft, Rheinstrasse 12, 4410 Liestal, 
Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons 
Basel-Landschaft, Kanonengasse 20, 4410 Liestal. 
 
Gegenstand 
Haftverlängerung, 
 
Beschwerde in Strafsachen gegen den Beschluss des Verfahrensgerichts in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft vom 23. Mai 2007. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Das Besondere Untersuchungsrichteramt des Kantons Basel-Landschaft (BUR) führt ein Strafverfahren gegen den albanischen Staatsangehörigen X.________ wegen des Verdachts des Handels mit einer grossen Menge Heroin. 
 
Am 28. Februar 2006 wurde der Angeschuldigte polizeilich angehalten. Gleichentags verfügte das Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft (Präsidium) die Untersuchunshaft wegen Kollusionsgefahr. Mit Beschluss vom 28. März 2006 verlängerte das Verfahrensgericht (Präsidium) die Untersuchungshaft bis zum 23. Mai 2006; mit Beschluss vom 22. Mai 2006 bis zum 23. November 2006. 
 
Am 23. November 2006 verlängerte das Verfahrensgericht (Präsidium) die Untersuchungshaft um weitere sechs Monate, d.h. bis zum 23. Mai 2007. Es bezeichnete die damalige Verlängerung als "gerade noch verhältnismässig" und wurde in seiner Argumentation vom Bundesgericht mit Urteil vom 29. Januar 2007 geschützt. 
B. 
Das BUR ersuchte am 11. Mai 2007 erneut um eine Haftverlängerung. In seinem Entscheid vom 23. Mai 2007 bejahte das Verfahrensgericht (Präsidium) den dringenden Tatverdacht sowie eine erhebliche Fluchtgefahr, erachtete aber die weitere Untersuchungshaft derzeit nur noch für sechs Wochen als verhältnismässig. Entsprechend verlängerte es sie bis 4. Juli 2007. 
C. 
Mit Eingabe vom 25. Mai 2007 erhebt X.________ Beschwerde in Strafsachen. Er bestreitet das Vorliegen besonderer Haftgründe und macht geltend, die Haft sei unverhältnismässig und stelle einen Verstoss gegen das Beschleunigungsgebot dar. 
 
Das Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft schliesst auf Abweisung der Beschwerde. 
 
In seiner Replik vom 8. Juni 2007 hält der Beschwerdeführer an seinen Anträgen fest. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen Entscheide in Strafsachen. Der Begriff "Entscheide in Strafsachen" umfasst sämtliche Entscheidungen, denen materielles Strafrecht oder Strafprozessrecht zu Grunde liegt. Mit anderen Worten kann grundsätzlich jeder Entscheid, der die Verfolgung oder die Beurteilung einer Straftat betrifft und sich auf Bundesrecht oder auf kantonales Recht stützt, mit der Beschwerde in Strafsachen angefochten werden (Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4313). Die Beschwerde in Strafsachen ist hier somit gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel gegen den angefochtenen Entscheid steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach Art. 80 i.V.m. Art. 130 Abs. 1 BGG zulässig. Der Beschwerdeführer ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde befugt. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 
2. 
2.1 Die Verhaftung einer Person ist nach § 77 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Strafprozessordnung des Kantons Basel-Landschaft vom 3. Juni 1999 (StPO/BL; SGS 251) nur zulässig, wenn sie eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird, deshalb gegen sie ein Strafverfahren eröffnet worden ist und aufgrund konkreter Indizien ernsthaft zu befürchten ist, sie werde die Freiheit benützen zur Flucht (lit. a); zur Erschwerung oder Vereitelung der Untersuchung, namentlich durch Beeinflussung anderer Personen oder durch Beseitigung von Beweismitteln (lit. b); zur Fortsetzung der deliktischen Tätigkeit, sofern diese eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben, Freiheit oder Eigentum anderer Personen darstellt. Nach Abs. 2 der zitierten Norm darf die Untersuchungshaft nur solange aufrechterhalten bleiben, als einer der genannten Haftgründe besteht. 
2.2 Das Bundesgericht hat sich bereits in seinem den Beschwerdeführer betreffenden Urteil 1P.6/2007 vom 29. Januar 2007 einlässlich mit dem besonderen Haftgrund der Fluchtgefahr auseinandergesetzt. Auf die dortigen Ausführungen in E. 4.5.3 kann vollumfänglich verwiesen werden. Daran ändert nichts, dass die Aufenthaltsbewilligung des Beschwerdeführers inzwischen verlängert wurde, hat doch das Verfahrensgericht dem Vorliegen dieser Bewilligung bereits bei seinem letzten Entscheid Rechnung getragen. Auch das Bundesgericht hat in der Folge festgestellt, der Beschwerdeführer sei in der Schweiz nicht verwurzelt (E. 4.5.3). Der Umstand, dass die erstandene Untersuchungshaft an die zu erwartende Freiheitsstrafe anzurechnen ist und der Beschwerdeführer demzufolge gemäss eigener Argumentation "kaum mehr" in den Strafvollzug müsste, hindert nicht daran, dass sich der Beschwerdeführer einer Verurteilung entziehen könnte, insbesondere da er am 20. Januar 2004 unter anderem wegen Fälschung von Ausweisen verurteilt worden ist (vgl. Urteil 1P.6/2007 vom 29. Januar 2007 E. 4.5.3). Aufgrund der im Urteil 1P.6/2007 genannten Gründe durfte das Verfahrensgericht die Fluchtgefahr nach wie vor bejahen. 
2.3 Erwägungen zur Kollusions- oder Fortsetzungsgefahr erübrigen sich, zumal auch das Verfahrensgericht seinen Entscheid lediglich auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt hat. Ist ein Haftgrund gegeben, genügt das für die Untersuchungshaft. 
3. 
Der Beschwerdeführer erachtet die Untersuchungshaft als unverhältnismässig und macht zudem einen Verstoss gegen das Beschleunigungsgebot geltend. 
3.1 Vorab ist festzuhalten, dass praxisgemäss bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit der Haft der Umstand, dass die in Aussicht stehende Freiheitsstrafe bedingt ausgesprochen werden kann, grundsätzlich nicht zu berücksichtigen ist (BGE 125 I 60 E. 3d S. 64; 124 I 208 E. 6 S. 215; Urteil 1P.686/1995 vom 22. Dezember 1995, publ. in: EuGRZ 1998 S. 514, E. 3), genauso wenig wie die Möglichkeit der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug nach Verbüssung von zwei Dritteln der Strafe gemäss Art. 86 StGB (Urteil 1P.138/1991 vom 26. März 1991, publ. in: SZIER 1992 S. 489 f. mit Hinweis). Dass ein Ausnahmefall vorliegen würde, wurde vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht (vgl. Urteil 1P.774/2005 vom 14. Dezember 2005 E. 3.4 mit Hinweisen). 
 
Im Urteil 1P.6/2007 vom 29. Januar 2007 ist das Bundesgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung (BGE 126 I 172 E. 5a S. 176 f. mit Hinweisen) zum Schluss gekommen, bei einer Verlängerung der Untersuchungshaft bis 23. Mai 2007 würde die Untersuchungshaft knapp 15 Monate betragen und damit die Dauer der zu erwartenden Freiheitsstrafe noch nicht erreichen. Das Verfahrensgericht hat die Untersuchungshaft im angefochtenen Entscheid um zusätzliche 1 1/2 Monate bis 4. Juli 2007 verlängert. Daraus ist ihm kein Vorwurf der Verfassungswidrigkeit zu machen, zumal es mit Blick auf das Beschleunigungsgebot (dazu sogleich E. 4 hiernach) hinlänglich deutlich gemacht hat, dass weitere Verzögerungen nicht angezeigt sind. Dass es keine Ersatzmassnahmen für geeignet erachtet hat, ist aufgrund der zu Recht bejahten Fluchtgefahr verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Massgebend für die Frage, ob die Pass- und Schriftensperre bei einem inhaftierten Ausländer eine ausreichende Anordnung darstellt, sind die gesamten Umstände, d.h. die zu erwartende Freiheitsstrafe und die konkreten Lebensumstände, welche Fluchtgefahr indizieren. Es ist sachlich begründet, bei einem Ausländer, anders als bei einem Schweizer, die Möglichkeit der Beschaffung von Ersatzpapieren auf dem konsularischen Weg in Betracht zu ziehen (Urteil 1B_49/2007 vom 11. April 2007, E. 2.6). Vorliegend wurde der Beschwerdeführer, wie dargelegt, unter anderem wegen Fälschung von Ausweisen verurteilt. Ausserdem steht er unter dem Verdacht, im Oktober 2003 einen falschen Ausweis verwendet zu haben und ist in der Schweiz nicht verwurzelt (Urteil 1P.6/2007 vom 29. Januar 2007, E. 4.5.3). In Anbetracht dieser Ausgangslage ist dem Verfahrensgericht darin zuzustimmen, dass keine tauglichen Ersatzmassnahmen ersichtlich sind. 
3.2 Eingehend hat sich das Verfahrensgericht mit dem Beschleunigungsgebot auseinandergesetzt. Bereits im vorgängigen Entscheid hatte es festgehalten, eine weitere Haftverlängerung liesse sich allenfalls nur noch rechtfertigen, wenn das BUR dafür besondere Gründe vorbringe und nachvollziehbar erklären könne, weshalb der Abschluss des Verfahrens sowie eine Erhebung und Überweisung der Anklage nicht fristgerecht möglich gewesen sei. Im Urteil vom 23. Mai 2007 hält das Verfahrensgericht dem BUR entgegen, der von diesem geltend gemachte Umfang der Akten und die behaupteten unaufschiebbaren Gerichtstermine in anderen Verfahren stellten keine unvorhersehbaren Gegebenheiten dar, sondern seien vielmehr schon seit längerem bekannt und hätten durch geeignete organisatorische Massnahmen aufgefangen werden können. Aus den Akten ergebe sich, dass seit der letzten Haftprüfung lediglich zwei Untersuchungshandlungen vorgenommen worden seien. Die Einvernahme vom 16. Januar 2007 vermittle zudem den Eindruck, das Rechtshilfeverfahren mit Albanien sei im Verfahren gegen den Beschwerdeführer nicht von grosser Bedeutung gewesen. Das BUR sei deshalb auf seinem Zeitplan zu behaften, welchen es im Rahmen des letzten Haftverlängerungsverfahrens abgegeben habe. Insbesondere sei nicht nachvollziehbar, weshalb erst am 22. Mai 2007 Akteneinsicht gewährt werden könne. Spätestens seit der letzten für das Verfahrensgericht aktenkundigen Untersuchungshandlung vom 1. März 2007 hätte mit dieser Arbeit begonnen werden können. Gleiches gelte für das Erstellen der Anklageschrift. Fehlende personelle Kapazitäten und eine schlechte Planung dürften nicht dem Beschwerdeführer zum Nachteil gereichen. Somit gehe das Verfahrensgericht davon aus, dass die Akten nun unverzüglich zur Einsicht freigegeben würden (1 Monat) und das Verfahren anschliessend umgehend an das Strafgericht überwiesen werden könne. Das BUR werde zu einem besonders beförderlichen Abschluss der Untersuchung verpflichtet, sollte es den Beschwerdeführer weiterhin in Untersuchungshaft belassen wollen. Wenn der Beschwerdegegner Beweisanträge stellen sollte, habe das BUR darüber prioritär zu befinden. Nur ein Ausnahmefall wie etwa die Gutheissung eines aufwendigen Beweisantrags vermöge eine Verzögerung zu rechtfertigen. Dies sei durch das BUR ausführlich zu begründen. Weitere Ermittlungen, welche aufgrund neuer Erkenntnisse notwendig werden könnten, behält das Verfahrensgericht vor. Es macht das BUR darauf aufmerksam, dass zusätzliche Verzögerungen, welche allein mit dem Verfahrensumfang und personellen sowie organisatorischen Problemen des BUR begründet würden, wahrscheinlich die Abweisung eines weiteren Haftverlängerungsgesuches zur Folge hätten. Ausgehend vom haftrelevant erachteten dringenden Tatverdacht und unter Berücksichtigung einer möglichen Strafmilderung wegen einer allfälligen Verletzung des Beschleunigungsgebotes dürfte nach Auffassung des Verfahrensgerichts dannzumal die Verhältnismässigkeit der Haft fraglich sein. 
3.3 Nach der Rechtsprechung ist im Haftprüfungsverfahren die Rüge, das Strafverfahren werde nicht mit der verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Beschleunigung geführt, indessen nur soweit zu beurteilen, als die Verfahrensverzögerung geeignet ist, die Rechtmässigkeit der Untersuchungshaft in Frage zu stellen und zu einer Haftentlassung zu führen. Dies ist nur der Fall, wenn sie besonders schwer wiegt und zudem die Strafverfolgungsbehörden, z.B. durch eine schleppende Ansetzung der Termine für die anstehenden Untersuchungshandlungen, erkennen lassen, dass sie nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, das Verfahren nunmehr mit der für Haftfälle verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Beschleunigung voranzutreiben und zum Abschluss zu bringen. 
 
Ist die gerügte Verzögerung des Verfahrens weniger gravierend, kann offen bleiben, ob eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes vorliegt. Es genügt diesfalls, die zuständige Behörde zur besonders beförderlichen Weiterführung des Verfahrens anzuhalten und die Haft gegebenenfalls allein unter der Bedingung der Einhaltung bestimmter Fristen zu bestätigen. Ob eine Verletzung des Beschleunigungsgebots gegeben ist, kann in der Regel denn auch erst der Sachrichter unter der gebotenen Gesamtwürdigung beurteilen, der auch darüber zu befinden hat, in welcher Weise - z.B. durch eine Strafreduktion - eine allfällige Verletzung des Beschleunigungsgebotes wieder gutzumachen ist (BGE 128 I 149 E. 2.2.1 f., S. 151 f.). 
3.4 Dem Verfahrensgericht ist darin zuzustimmen, dass die vom BUR angeführten Gründe nicht geeignet sind, um eine weitere Verfahrensverlängerung zu rechtfertigen. Indem das Verfahrensgericht das BUR unmissverständlich zum beförderlichen Abschluss des Verfahrens aufgefordert und deutlich zu erkennen gegeben hat, dass eine weitere Haftverlängerung fraglich wäre, hat es den zitierten Anforderungen (E. 3.3) Genüge getan. Es hat die Untersuchungshaft für weitere 6 Wochen bestätigt. Ein Zeitbedarf von knapp 1 1/2 Monaten zur Fertigstellung der Anklageschrift und Aufbereitung der Verfahrensakten zur Einsichtnahme ist nicht zu beanstanden. Unter diesen Umständen erscheint die bis 4. Juli 2007 verlängerte Untersuchungshaft verfassungs- und konventionsrechtlich haltbar. Das BUR ist jedoch gehalten, sich an den vom Verfahrensgericht aufgezeigten Zeitplan zu halten. Eine Verlängerung der Frist fällt nur in Betracht, wenn dem Beschwerdeführer selber erhebliche Verfahrensverzögerungen anzulasten wären oder neue Erkenntnisse in Bezug auf den Tatverdacht vorlägen. 
4. 
Demnach ist die Beschwerde im Sinne der Erwägungen abzuweisen. Der Beschwerdeführer hat um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung ersucht. Diesem Antrag kann entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen. 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen: 
2.1 Es werden keine Kosten erhoben. 
2.2 Advokat Dieter Gysin wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Besonderen Untersuchungsrichteramt und dem Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 14. Juni 2007 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: