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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.315/2003 /sta 
 
Urteil vom 16. Juni 2003 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident, 
Bundesgerichtsvizepräsident Nay, Bundesrichter Féraud, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch seine Mutter Y.________, diese vertreten durch Advokat Dr. Nicolas Roulet, Postfach 321, 4005 Basel, 
 
gegen 
 
Jugendanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Innere Margarethenstrasse 14, 4001 Basel, 
Präsident i.V. des Jugendstrafgerichts des Kantons Basel-Stadt, Rheinsprung 16, 4001 Basel. 
 
Gegenstand 
Wegnahmeverfügung, 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Präsidenten i.V. des Jugendstrafgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 12. Mai 2003. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 15-jährige X.________ wurde am 29. April 2003 von der Polizei verhaftet. Tags darauf verfügte die Jugendanwältin gemäss § 22 Abs. 1 lit. a und b des Gesetzes über die Jugendstrafrechtspflege seine Wegnahme vorläufig für 14 Tage. Sie verdächtigt ihn, am 29. April 2003 gegen den Schulhausabwart Z.________ tätlich geworden zu sein, um ihn zur Herausgabe eines konfiszierten Balles zu bewegen. Der vom Abwart gerufenen Polizeipatrouille habe er sich trotz mehrmaliger Aufforderung nicht ausgewiesen und sich gewaltsam gegen die drohende Festnahme gewehrt, wobei er dem Polizeibeamten auch das Hemd zerrissen habe. Es bestehe hinreichender Tatverdacht sowie Kollusionsgefahr; ausserdem müsse die Massnahmebedürftigkeit abgeklärt werden. 
 
Am 12. Mai 2003 wies der Präsident i.V. des Jugendstrafgerichts des Kantons Basel-Stadt den Rekurs von X.________ gegen die Wegnahmeverfügung der Jugendanwältin vom 30. April 2003 ab. Er fand den dringenden Tatverdacht durch die Aussagen der Betroffenen und von zwei Augenzeugen erstellt. Es bestehe Kollusionsgefahr, da insbesondere der Ablauf der Auseinandersetzung mit den Polizeibeamten noch unklar sei und dazu auch die Kollegen von X.________ befragt werden müssten; da er in dieser Gruppe eine dominante Stellung habe, seien Beeinflussungsversuche zu befürchten. Ausserdem sei offensichtlich, dass die Mutter von X.________ mit seiner Erziehung und Betreuung überfordert sei; wiederholte Fremdplatzierungen seien u.a. wegen der Gewalttätigkeit des Jugendlichen abgebrochen worden. Eine vertiefte Abklärung der Massnahmebedürftigkeit sei daher zwingend indiziert. Angesichts der kritischen persönlichen Situation sei die Wegnahme verhältnismässig. 
 
Am 14. Mai 2003 verlängerte die Jugendanwältin die Wegnahme um zwei Wochen bis zum 28. Mai 2003. 
B. 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 21. Mai 2003 wegen Verletzung der persönlichen Freiheit beantragt X.________, diesen Entscheid des Jugendstrafgerichtspräsidenten aufzuheben und ihn umgehend aus der Haft zu entlassen. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
Das Jugendstrafgericht verzichtete auf Vernehmlassung. Die Jugendanwaltschaft beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. In seiner Replik hält X.________, dessen Wegnahme in der Zwischenzeit von der Jugendanwältin nochmals verlängert worden ist, an der Beschwerde vollumfänglich fest. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Beim angefochtenen Päsidialentscheid des Jugendgerichts handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen Endentscheid, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde zulässig ist (Art. 86 Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung der persönlichen Freiheit, wozu er befugt ist (Art. 88 OG). Da diese und die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde, unter dem Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38 E. 3c; 125 I 492 E. 1b; 122 I 70 E. 1c), einzutreten. 
2. 
2.1 Eine Wegnahmeverfügung gegen einen unmündigen Angeschuldigten kann nach § 22 Abs. 1 des Gesetzes über die Jugendstrafrechtspflege angeordnet werden, 
a) bei Vorliegen der Haftvoraussetzungen gemäss § 69 StPO
b) wenn zwecks Abklärung der Massnahmebedürftigkeit eine Einweisung in eine hiezu geeignete Einrichtung notwendig ist; 
c) wenn sie in ihrer weiteren Entwicklung an ihrem Aufenthaltsort erheblich gefährdet ist." 
Nach § 69 der Strafprozessordnung vom 8. Januar 1997 (StPO) kann im Kanton Basel-Stadt Untersuchungshaft (u.a.) angeordnet werden, wenn der Angeschuldigte einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Tat dringend verdächtig ist und die Gefahr besteht, dass er die Freiheit benützen könnte, um die Untersuchung insbesondere durch Beeinflussung von Personen oder Verwischung von Spuren zu vereiteln. Liegt ausser dem allgemeinen Haftgrund des dringenden Tatverdachts Kollusionsgefahr vor, steht einer Inhaftierung auch unter dem Gesichtswinkel der persönlichen Freiheit von Art. 10 Abs. 2 BV grundsätzlich nichts entgegen. 
2.2 Der Beschwerdeführer anerkennt zwar "den tatsächlichen Ablauf der ihm gemachten Vorwürfe", bestreitet indessen die rechtliche Würdigung bzw. die Verhältnismässigkeit der Anordnung einer Wegnahme. Soweit er mit diesen wenig klaren Ausführungen den Tatverdacht bestreiten will, tut er dies zu Unrecht. Aufgrund der Aussagen des Schulabwartes besteht der Verdacht, dass der Beschwerdeführer gegenüber diesem tätlich wurde, und aufgrund der Aussagen der beiden Polizeibeamten besteht ohne weiteres der Verdacht, dass der Beschwerdeführer ihnen gegenüber gewalttätig wurde. Die Version des Beschwerdeführers, wonach er Opfer eines unverhältnismässigen und unrechtmässigen Polizeieinsatzes geworden sei und bloss angemessen auf einen rechtswidrigen Angriff reagiert habe, ist nicht geeignet, den Verdacht zu zerstreuen, sich der Gewalt und Drohung gegen Beamte sowie Sachbeschädigung und Tätlichkeiten (gegen den Schulabwart) schuldig gemacht zu haben. 
2.3 Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist es auch keineswegs ausgeschlossen, dass er in Freiheit z.B. versuchen könnte, seine Kollegen dazu zu bringen, (wahrheitswidrig) auszusagen um seine Version der Festnahme zu unterstützen, was die Untersuchung zweifellos erschweren könnte. 
2.4 Im angefochtenen Entscheid wird die Haftanordnung insbesondere auch damit begründet, dass die Massnahmebedürftigkeit des Beschwerdeführers abgeklärt werden müsse. Die Mutter sei mit ihrem Sohn offensichtlich überfordert, und verschiedene Fremdplatzierungen hatten wegen der Gewalttätigkeit des Beschwerdeführers abgebrochen werden müssen, weshalb nunmehr eine vertiefte Abklärung zwingend erforderlich sei. Dazu führt der Beschwerdeführer im wesentlichen bloss aus, die Tatsache, dass er öfters fremd platziert worden sei, heisse noch lange nicht, dass seine damaligen Probleme einen Zusammenhang mit dem jetzigen Vorfall hätten. Bei diesem sei nämlich nicht er das primäre Problem, sondern die beiden Polizeibeamten, die ihn in unverhältnismässiger Weise angegriffen hätten, statt zwischen ihm und dem Schulhausabwart zu vermitteln. Wie bereits erwähnt, besteht indessen der Verdacht, dass er bei diesem Vorfall keineswegs (nur) Opfer war, sondern gegenüber den ihn ansprechenden Polizisten eine für einen 15-jährigen Jugendlichen ungewöhnliche Gewaltbereitschaft zeigte und auslebte. Es erscheint daher keineswegs verfassungswidrig, ihn in Haft zu behalten, um seine Massnahmebedürftigkeit abzuklären. Die Rüge, dies sei unverhältnismässig, ist unbegründet. 
3. 
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 156 OG). Er hat indessen ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt. Dieses ist gutzuheissen, da die Prozessarmut seiner Mutter belegt ist und die Beschwerde (bei sehr wohlwollender Prüfung gerade noch) als nicht von vornherein aussichtslos eingestuft werden kann (Art. 152 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen: 
2.1 Es werden keine Kosten erhoben. 
2.2 Advokat Roulet, Basel, wird als amtlicher Anwalt eingesetzt und mit Fr. 1'000.-- aus der Gerichtskasse entschädigt. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Jugendanwaltschaft und dem Präsident i.V. des Jugendstrafgerichts des Kantons Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 16. Juni 2003 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: