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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_705/2012 
 
Urteil vom 17. Januar 2013 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Frésard, Maillard, 
Gerichtsschreiberin Berger Götz. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Erich Züblin, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
SWICA Versicherungen AG, Römerstrasse 38, 8400 Winterthur, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Unfallähnliche Körperschädigung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 8. August 2012. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die 1988 geborene A.________ war seit 1. Mai 2008 für den Betrieb X.________ als Kassiererin tätig und in dieser Eigenschaft bei der SWICA Versicherungen AG (nachfolgend: SWICA) gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten versichert. Am 13. Oktober 2009 wollte sie bei der Arbeit eine Weinkiste aus einem Einkaufswagen auf das Förderband legen. Dabei spürte sie einen einschiessenden Schulterschmerz rechts und vermochte den Arm zunehmend kaum mehr zu bewegen. Dr. med. M.________, Allgemeine Medizin FMH, diagnostizierte einen Muskelfaserriss am rechten Bizeps. In der Folge wurden ärztlicherseits wechselnde Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit attestiert. Die SWICA erbrachte zunächst Versicherungsleistungen, kündigte aber mit Schreiben vom 8. November 2010 die Einstellung dieser Leistungen auf den 18. November 2010 an. Mit Verfügung vom 24. Februar 2011 hielt sie an der Leistungseinstellung fest und führte zur Begründung aus, für die Arm-/Schulterbeschwerden seien keine Befunde mehr objektivierbar und bezüglich der im Vordergrund stehenden psychischen Beschwerden sei die Adäquanz nicht gegeben, weshalb die Voraussetzungen für den Anspruch auf weitere Heilbehandlung und Taggelder nicht mehr erfüllt seien. Auf Einsprache hin kam sie auf den Verwaltungsakt vom 24. Februar 2011 zurück und erliess die Verfügung vom 3. Juni 2011, worin sie ihre Leistungspflicht ablehnte, weil weder ein Unfall noch eine unfallähnliche Körperschädigung vorliege; die bis 17. November 2010 erbrachten Leistungen forderte sie nicht zurück. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 5. August 2011). 
 
B. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wies die dagegen erhobene Beschwerde ab (Entscheid vom 8. August 2012). 
 
C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, die SWICA sei zu verurteilen, ihr die gesetzlichen Leistungen im Zusammenhang mit dem Ereignis vom 13. Oktober 2009 zu erbringen. 
Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten beigezogen. Es ist kein Schriftenwechsel durchgeführt worden. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es prüft, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389 mit Hinweisen; Urteil 8C_934/2008 vom 17. März 2009 E. 1, nicht publ. in: BGE 135 V 194, aber in: SVR 2009 UV Nr. 35 S. 120). 
 
1.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). 
 
2. 
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze zum Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung im Allgemeinen (Art. 6 Abs. 1 UVG), zum Unfallbegriff (Art. 4 ATSG), zum Unfallbegriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit des äusseren Faktors (BGE 134 V 72; 130 V 117) und zum Begriff der unfallähnlichen Körperschädigungen, die auch ohne ungewöhnliche äussere Einwirkung Unfällen gleichgestellt sind (Art. 6 Abs. 2 UVG in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 UVV; BGE 129 V 466) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
3. 
3.1 Es ist letztinstanzlich zu Recht unbestritten geblieben, dass die Versicherte am 13. Oktober 2009 jedenfalls keinen Unfall im Sinne von Art. 4 ATSG erlitten hat. Umstritten ist jedoch, ob eine der in Art. 9 Abs. 2 UVV genannten Körperschädigungen vorliegt, was bejahendenfalls eine Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin nach sich ziehen würde. 
 
3.2 Bei unfallähnlichen Körperschädigungen nach Art. 9 Abs. 2 UVV müssen zur Begründung der Leistungspflicht des Unfallversicherers - wie die Vorinstanz zutreffend dargelegt hat - mit Ausnahme der Ungewöhnlichkeit die übrigen Tatbestandsmerkmale des Unfalls erfüllt sein. Besondere Bedeutung kommt hierbei der Voraussetzung des äusseren Ereignisses zu, d.h. eines ausserhalb des Körpers liegenden, objektiv feststellbaren, sinnfälligen, eben unfallähnlichen Vorfalles (BGE 129 V 466 E. 2.2 S. 467). Die schädigende äussere Einwirkung kann in einer körpereigenen Bewegung bestehen (BGE 129 V 466 E. 4.1 S. 468 mit Hinweisen). Das Auftreten von Schmerzen als solches ist kein äusserer (schädigender) Faktor im Sinne der Rechtsprechung, weshalb dieser nicht gegeben ist, wenn die versicherte Person nur das (erstmalige) Auftreten von Schmerzen in zeitlicher Hinsicht anzugeben vermag (BGE 129 V 466 E. 4.2.1 S. 469). Nicht erfüllt ist das Erfordernis des äusseren schädigenden Faktors auch, wenn das erstmalige Auftreten der Schmerzen mit einer blossen Lebensverrichtung einhergeht, welche die versicherte Person zu beschreiben in der Lage ist. Vielmehr ist gemäss Rechtsprechung für die Bejahung eines äusseren auf den menschlichen Körper schädigend einwirkenden Faktors stets ein Geschehen verlangt, dem ein gewisses gesteigertes Gefährdungspotenzial innewohnt. Das ist zu bejahen, wenn die zum einschiessenden Schmerz führende Tätigkeit im Rahmen einer allgemein gesteigerten Gefahrenlage vorgenommen wird, wie dies etwa für viele sportliche Betätigungen zutreffen kann. Der äussere Faktor mit erheblichem Schädigungspotenzial ist sodann auch zu bejahen, wenn die in Frage stehende Lebensverrichtung einer mehr als physiologisch normalen und psychologisch beherrschten Beanspruchung des Körpers, insbesondere seiner Gliedmassen, gleichkommt. Deswegen fallen einschiessende Schmerzen als Symptome einer Schädigung nach Art. 9 Abs. 2 UVV ausser Betracht, wenn sie allein bei der Vornahme einer alltäglichen Lebensverrichtung auftreten, ohne dass dazu ein davon unterscheidbares äusseres Moment hineinspielt. Wer also lediglich beim Aufstehen, Absitzen, Abliegen, der Bewegung im Raum, Handreichungen usw. einen einschiessenden Schmerz erleidet, welcher sich als Symptom einer Schädigung nach Art. 9 Abs. 2 UVV herausstellt, kann sich nicht auf das Vorliegen einer unfallähnlichen Körperschädigung berufen. Die physiologische Beanspruchung des Skelettes, der Gelenke, Muskeln, Sehnen und Bänder stellt keinen äusseren Faktor dar, dem ein zwar nicht ungewöhnliches, jedoch gegenüber dem normalen Gebrauch der Körperteile gesteigertes Gefährdungspotenzial innewohnen muss (BGE 129 V 466 E. 4.2.2 S. 470). Für die Bejahung eines äusseren Faktors braucht es zusammenfassend demzufolge ein gesteigertes Schädigungspotenzial, sei es zufolge einer allgemein gesteigerten Gefahrenlage, sei es durch Hinzutreten eines zur Unkontrolliertheit der Vornahme der alltäglichen Lebensverrichtung führenden Faktors (BGE 129 V 466 E. 4.3 S. 471). 
 
3.3 Die Beschwerdeführerin vergleicht den zu beurteilenden Sachverhalt - wie bereits in der vorinstanzlich eingereichten Rechtsschrift - unter anderem mit dem plötzlichen Aufstehen aus der Hocke (BGE 116 V 145 E. 2c S. 148 mit Hinweisen), mit dem Aufspringen von einem Bürostuhl mit abrupter Rotations-/Seitwärtsbewegung aus Freude über günstige Konditionen für den Abschluss eines grundpfandgesicherten Darlehens (Urteil U 159/06 vom 29. August 2006 E. 3.2), mit dem reflexartigen Auffangen eines wegkippenden Einkaufswagens (Urteil U 222/05 vom 21. März 2006 E. 6.2), mit dem Anheben eines 15 kg schweren, sperrigen Plastiktisches mit gleichzeitiger Drehbewegung, um diesen auf dem Rücken zu transportieren (Urteil U 123/04 vom 5. Juli 2004 E. 3.3), mit dem brüsken Umdrehen beim Kochen, um etwas aus dem Kühlschrank zu holen (Urteil U 5/02 vom 21. Oktober 2002 E. 2), oder mit dem Verschieben eines schweren Wäschekorbes mit dem linken Fuss, Ausführung einer ruckartigen Bewegung und Verdrehung des rechten Knies (RKUV 2000 Nr. U 385 S. 267, U 228/99). In diesen Fällen wurde gemäss höchstrichterlicher Rechtsprechung ein äusserer Faktor bejaht (vgl. auch die Übersicht in: Alexandra Rumo-Jungo/André Pierre Holzer, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die Unfallversicherung, 4. Aufl. 2012, S. 81 f.). 
Die Versicherte verkennt, dass diese Tatbestände wohl körpereigene Bewegungen und alltägliche Lebensverrichtungen darstellen, bei welchen jedoch - anders als vorliegend - ein davon unterscheidbares zur Unkontrollierbarkeit der Verrichtung führendes äusseres Moment in Form der Plötzlichkeit, Brüskheit, Belastung o.Ä. hinzutrat (vgl. Urteil 8C_772/2009 vom 7. Mai 2010 E. 3.3). Sie lässt geltend machen, indem sie sich von ihrem Arbeitsplatz bei der Kasse stehend über das Förderband gebückt habe, um aus dem Einkaufswagen einer 90-jährigen Kundin einen Weinkarton mit sechs Flaschen mit einem Gewicht von ungefähr acht Kilogramm auf das Förderband zu heben, habe sie zwangsläufig eine ergonomisch schlechte Haltung eingenommen. In dieser vorgeneigten Haltung habe sie mit ausgestreckten Armen eine ruckartige Bewegung ausführen müssen, um den Weinkarton aufs Förderband zu heben. Dabei ist allerdings zu beachten, dass das An- oder Aufheben eines Gegenstandes, je nach Beschaffenheit desselben, insbesondere seines Gewichts und seiner Form, naturgemäss mit einem gewissen Kraftaufwand und - bewegungsmässig - mit einem entsprechenden Ruck verbunden ist. Beim Heben eines ungefähr acht Kilo schweren Weinkartons durch eine weibliche erwachsene Person kann weder ein solcher Ruck beim Anheben noch eine ergonomisch nicht optimale Haltung, für sich allein betrachtet, d.h. ohne besondere hinzutretende Umstände, zur Annahme eines äusseren Faktors im Sinne der Rechtsprechung führen. Ein in den Bewegungsablauf hineinspielendes äusseres Moment und damit ein ausserhalb des Körpers liegendes, objektiv feststellbares, sinnfälliges, unfallähnliches Ereignis ist nicht nachgewiesen. Soweit die Beschwerdeführerin einwendet, das Heben des Weinkartons habe nicht unter normalen Bedingungen stattgefunden, weil sie als Kassiererin die Ware zu tippen und vom Förderband aus in die Auffangablage zu befördern habe, was "normalerweise automatisch" geschehe, kann sie daraus nichts zu ihren Gunsten ableiten. Das Heben von Gewichten um die acht Kilogramm - oft auch in unergonomischen Haltungen - gehört für Erwachsene zu den alltäglichen Handlungen, unabhängig davon, ob sie beruflich als Kassierer tätig sind. 
 
3.4 Fehlt es demgemäss an einem benennbaren äusseren Faktor, so besteht keine Leistungspflicht der SWICA. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin konnten unter diesen Umständen weitere medizinische Abklärungen zur Art des Gesundheitsschadens in antizipierter Beweiswürdigung (BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236; 134 I 140 E. 5.3 S. 148; 124 V 90 E. 4b S. 94) unterbleiben, ohne dass dadurch der Untersuchungsgrundsatz verletzt wurde. 
Der Unfallversicherer hat die Möglichkeit, die durch Ausrichtung von Heilbehandlung und Taggeld anerkannte Leistungspflicht mit Wirkung ex nunc et pro futuro ohne Berufung auf den Rückkommenstitel der Wiedererwägung oder der prozessualen Revision einzustellen, d.h. den Fall abzuschliessen, dies mit der Begründung, ein versichertes Ereignis liege - bei richtiger Betrachtungsweise - gar nicht vor (BGE 130 V 380). Die Leistungseinstellung der SWICA unter Berufung auf das Fehlen eines Unfallereignisses oder einer unfallähnlichen Körperschädigung ist daher rechtens. 
 
4. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG). Die unterliegende Beschwerdeführerin hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 17. Januar 2013 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Ursprung 
 
Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz