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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1A.56/2002 /sta 
 
Urteil vom 18. April 2002 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, Präsident, 
Bundesrichter Reeb, Féraud, 
Gerichtsschreiber Bopp. 
 
X.________, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Bundesamt für Justiz, Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion Auslieferung, Bundesrain 20, 3003 Bern. 
 
Auslieferung an Österreich (B 124878) 
 
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Bundesamts für Justiz, Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion Auslieferung, vom 7. Februar 2002) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Das Bundesministerium für Justiz in Wien ersuchte am 23. November 2001 gestützt auf einen am 21. November 2001 ergangenen Haftbefehl des Landesgerichtes Feldkirch um Auslieferung des türkischen Staatsangehörigen X.________. Gemäss dem Ersuchen wird ihm namentlich zur Last gelegt, am 15. November 1998 im Zeitraum von ca. 03.30 bis 06.20 Uhr in Dornbirn (Vorarlberg) an einem schweren Raubüberfall beteiligt gewesen zu sein (Haftbefehl Ziff. 1) und um ca. 06.20 Uhr in unmittelbarer Nähe des ersten Tatortes zusammen mit anderen Personen einen weiteren Raub versucht zu haben (Haftbefehl Ziff. 2). Zudem ist er laut den Angaben im Ersuchen beschuldigt worden, an drei weiteren, zwischen Ende August und anfangs November 1998 in der Schweiz (in St. Gallen, Winterthur und Basel) verübten Raubüberfällen beteiligt gewesen zu sein (Haftbefehl Ziff. 3). 
 
Als das Auslieferungsbegehren in der Schweiz eintraf, befand sich der Verfolgte im Rahmen des damals im Kanton Basel-Stadt gegen ihn laufenden Strafverfahrens provisorisch auf freiem Fuss. Nachdem er sich mit einer vereinfachten Auslieferung gemäss Art. 54 IRSG nicht einverstanden erklärt hatte, erliess das Bundesamt für Justiz am 26. November 2001 einen Auslieferungshaftbefehl gegen ihn, und er wurde in Auslieferungshaft versetzt. 
 
Im Verlaufe seiner Einvernahme vom 6. Dezember 2001 erklärte der Verfolgte, sich der Auslieferung an Österreich zu widersetzen. Er machte im Wesentlichen geltend, mit den ihm vorgehaltenen Delikten nichts zu tun zu haben; der gegen ihn gehegte Tatverdacht sei unbegründet. Er habe keine Beziehungen zu Österreich und sei noch nie in diesem Land gewesen. Im Übrigen verfüge er über ein Alibi. Er sei nur kurze Zeit vor dem Raubüberfall operiert worden und wäre aufgrund seiner Rückenbeschwerden gar nicht in der Lage gewesen, die ihm angelastete(n) Straftat(en) zu verüben. Seinen Aufenthalt in der Rehabilitationsklinik Bellikon/AG habe er damals unterbrechen können, da ihm vom 13. - 15. November 2001 ein Urlaub gewährt worden sei. Doch habe er sich zur angeblichen Tatzeit zusammen mit einer Frau in Basel befunden; an deren Namen könne er sich zwar - wegen der vielen Medikamente, die er damals habe einnehmen müssen - nicht mehr erinnern, hingegen an ihren Wohnort. 
 
Der X.________ für das Verfahren vor dem Bundesamt beigeordnete amtliche Anwalt konnte sich mit Eingabe vom 20. Dezember 2001 zum Auslieferungsbegehren äussern. Er bestätigte das Begehren des Verfolgten, sich der Auslieferung zu widersetzen. Sodann wurde darauf hingewiesen, X.________ sei inzwischen vom Vorwurf, an den Raubüberfällen in St. Gallen und Winterthur beteiligt gewesen zu sein, freigesprochen worden. 
Mit Entscheid vom 7. Februar 2002 hat das Bundesamt für Justiz die Auslieferung an Österreich zur Verfolgung der X.________ "unter Ziff. 2 des Haftbefehls ... vom 21. November 2001 zur Last gelegten Straftat" (Beteiligung am Raubüberfall in Dornbirn) bewilligt. Die Auslieferung für die unter Ziff. 3 des Haftbefehls angeführten, in der Schweiz verübten Straftaten hat es nicht bewilligt, da diese gemäss Urteil des Strafgerichtes Basel-Stadt vom 2. März 2000 mitberücksichtigt worden seien. 
B. 
Mit Eingabe vom 8. März 2002 führt X.________ Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Er beantragt, der Entscheid vom 7. Februar 2002 sei aufzuheben; das Auslieferungsbegehren sei abzuweisen, und er, X.________, sei aus der Haft zu entlassen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Das Bundesamt für Justiz beantragt mit Vernehmlassung vom 18. März 2002, die Beschwerde sei abzuweisen. 
 
Mit Replik vom 24. März (Postaufgabe: 26. März) 2002 hat X.________ seine Begehren bestätigt. 
C. 
Bei der einlässlichen Würdigung der Akten ist aufgefallen, dass das Bundesamt gemäss den seinem Entscheid zugrunde liegenden Erwägungen die Auslieferungsvoraussetzungen jedenfalls in erster Linie für den schweren Raubüberfall laut Ziff. 1 des Haftbefehls des Landesgerichtes Feldkirch vom 21. November 2001 als erfüllt erachtet hat. Demgegenüber hat es im Entscheid-Dispositiv lediglich für den unmittelbar nach der genannten Straftat erfolgten Raubversuch gemäss Ziff. 2 des Haftbefehls die Auslieferungsbewilligung erteilt. Weder der Beschwerdeführer noch das Bundesamt selber in seiner im bundesgerichtlichen Verfahren erstatteten Vernehmlassung haben sich zu dieser Diskrepanz geäussert. Der Beschwerdeführer hat sich - wie schon erwähnt - darauf beschränkt, den gegen ihn gehegten Tatverdacht und überhaupt jegliche Anwesenheit in Österreich zu bestreiten, und für die Tatnacht macht er ausdrücklich ein Alibi geltend. 
 
Das Bundesamt hat auf Frage von Seiten des Bundesgerichts mit Schreiben vom 3. April 2002 bestätigt, dass die dargelegte Diskrepanz zwischen Entscheidbegründung und Dispositiv auf einen Missschrieb (Kanzleiversehen) zurückzuführen ist. Nach seiner Eingabe lautet das korrigierte Dispositiv den dem Entscheid zugrunde liegenden Erwägungen entsprechend dahingehend, dass die Auslieferung des Beschwerdeführers an Österreich zur Ahndung der ihm unter Ziff. 1 und Ziff. 2 des Haftbefehls des Landesgerichtes Feldkirch vom 21. November 2001 zur Last gelegten Straftaten bewilligt wird (Rest unverändert). 
 
Dem Beschwerdeführer ist Gelegenheit gegeben worden, sich auch hierzu zu äussern. Er hat indes die ihm gesetzte Frist unbenutzt ablaufen lassen. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Für den Auslieferungsverkehr mit Österreich sind in erster Linie das europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EAUe, SR 0.353.1) und der zwischen Österreich und der Schweiz abgeschlossene Zusatzvertrag vom 13. Juni 1972 (ZV, SR 0.353.916.31) massgebend. Fehlt eine staatsvertragliche Regelung oder ordnet sie die Voraussetzungen und Bedingungen der Auslieferung nicht abschliessend, gelangen die Vorschriften des internen schweizerischen Rechts zur Anwendung, namentlich das Bundesgesetz vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG, SR 351.1) und die dazugehörende Verordnung vom 24. Februar 1982 (IRSV, SR 351.11; vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. a IRSG). 
1.2 Gegen den angefochtenen Auslieferungsentscheid vom 7. Februar 2002 ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht zulässig (Art. 55 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 IRSG). Die Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist somit einzutreten. 
1.3 Zulässige Beschwerdegründe sind sowohl die Verletzung von Bundesrecht und internationalem Staatsvertragsrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, als auch die Rüge der unrichtigen oder unvollständigen Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts; der Vorbehalt von Art. 105 Abs. 2 OG trifft hier nicht zu (Art. 104 lit. a und b OG). Soweit aber der Vollzugsbehörde - also hier dem Bundesamt - ein Ermessensspielraum zusteht, greift das Bundesgericht nicht ein; über die Angemessenheit des von der Vollzugsbehörde getroffenen Entscheides spricht es sich nicht aus (vgl. BGE 117 Ib 210 E. 3b/aa, mit weiteren Hinweisen). 
 
Dabei ist indes festzustellen, dass in Rechtshilfe- bzw. Auslieferungssachen grundsätzlich vom Sachverhalt auszugehen ist, wie er im ausländischen Ersuchen bzw. in dessen allfälligen Ergänzungen bzw. Beilagen geschildert wird, es sei denn, diese Darstellung sei offensichtlich mangelhaft (BGE 125 II 250 ff., 123 II 134 E. 6d/dd, 122 II 422 E. 3c, 118 Ib 111 E. 5b, mit weiteren Hinweisen). 
1.4 Das Bundesgericht ist nicht an die Begehren der Parteien gebunden (Art. 25 Abs. 6 IRSG). Als Rechtsmittelinstanz prüft es die bei ihm im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhobenen Rügen grundsätzlich mit freier Kognition (BGE 123 II 134 E. 1d, 122 II 373 E. 1c, 121 II 39 E. 2, mit weiteren Hinweisen). Es ist aber nicht gehalten, nach weiteren, der Auslieferung allenfalls entgegenstehenden Gründen zu forschen, die aus der Beschwerde nicht hervorgehen (BGE 122 II 367 E. 2). 
2. 
2.1 Wie das Bundesamt zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich bei den Gegenstand des österreichischen Auslieferungsbegehrens bildenden, angeblich in Dornbirn verübten Straftaten um solche, die ebenfalls in der Schweiz strafbar und nach Art. 2 Ziff. 1 sowie Art. 2 EAUe auslieferungsfähig sind. Die Auslieferungsvoraussetzungen nach Art. 2 und 12 EAUe sind somit an sich erfüllt, ebenso diejenigen gemäss dem Zusatzvertrag. Sodann ist keiner der im Auslieferungsübereinkommen bzw. im Zusatzvertrag ausdrücklich genannten Verweigerungsgründe gegeben. 
 
Das Bundesamt hat ebenfalls zutreffend erwogen, dass die Beurteilung von Tat- und Schuldfragen nicht dem Auslieferungsrichter, sondern ausschliesslich dem Sachrichter des ersuchenden Staates obliegt (vgl. etwa BGE 123 II 279 E. 2b). 
2.2 Der Beschwerdeführer bringt wie im vorinstanzlichen Verfahren im Wesentlichen nur vor, er habe für die Tatzeit ein Alibi, indem er die fragliche Nacht mit einer Frau in Basel verbracht habe; zwar vermöge er sich an deren Namen nicht zu erinnern, hingegen an den Wohnort. Doch hätten die Vollzugsbehörden insoweit keine Abklärungen getroffen. Abgesehen davon habe er sich gar noch nie in Österreich befunden. Stehe somit fest, dass er sich während der Tatzeit in Basel und nicht am Tatort befunden habe, so dürfe die Auslieferung nicht bewilligt werden. 
 
Das IRSG regelt die Auslieferung strafrechtlich verfolgter Personen nur soweit, als internationale Vereinbarungen nichts anderes bestimmen (Art. 1 Abs. 1 lit. a IRSG; oben E. 1.1). Die formellen und materiellen Voraussetzungen für eine Auslieferung an Österreich sind - wie ausgeführt - im EAUe geregelt. Soweit das IRSG eine Auslieferung an einschränkendere Voraussetzungen knüpft, ist somit das EAUe massgeblich. 
 
Im Gegensatz zu Art. 53 IRSG sieht das EAUe den Alibibeweis des Verfolgten als Auslieferungshindernis nicht ausdrücklich vor. Trotz der in Art. 1 EAUe verankerten grundsätzlichen Auslieferungspflicht ist der Möglichkeit eines Alibibeweises jedoch nach der Praxis des Bundesgerichtes auch im Rahmen eines gemäss EAUe durchzuführenden Auslieferungsverfahrens angemessen Rechnung zu tragen. Es würde den allgemeinen Prinzipien des Auslieferungsrechtes und auch dem Verhältnismässigkeitsgebot widersprechen, einen offensichtlich Unschuldigen auszuliefern. Den Alibibeweis kann der Verfolgte allerdings nur mit dem Nachweis führen, dass er zur fraglichen Zeit überhaupt nicht am Tatort war. Dieser Nachweis ist unverzüglich und ohne Weiterungen zu erbringen, damit der Verfolgte sich zu entlasten und die Auslieferung zu verhindern vermag (BGE 123 II 279 E. 2b, 113 Ib 276 E. 3b, mit weiteren Hinweisen). 
 
Der Beschwerdeführer hat diesen Nachweis nicht erbracht, wie das Bundesamt in Würdigung seiner Vorbringen zutreffend erwogen hat. Zwar hielt er sich während der Zeit vom 2. November bis 2. Dezember 1998 vorwiegend in der Rehabilitationsklinik Bellikon/AG auf. Doch ist unbestritten, dass er sich vom 13. November 1998 ab 15.30 Uhr bis am 15. November 1998 bis 23.15 Uhr im Urlaub befand. In Anbetracht dessen ist seine Anwesenheit am Tatort für die in Frage kommende Tatzeit nicht ausgeschlossen. Zu einem weiteren Beweisverfahren waren die Vollzugsbehörden unter den gegebenen Umständen nicht gehalten, namentlich nicht zu weiteren Abklärungen in Bezug auf das vom Beschwerdeführer für die Tatnacht geltend gemachte Alibi. Weshalb er ausgerechnet nicht mehr den Namen, sondern nur noch den Wohnort der Frau kennen soll, mit der er die Nacht in Basel verbracht haben will, ist nicht ohne weiteres ersichtlich. Abgesehen davon hat er es bis heute unterlassen, die betreffende Adresse bekanntzugeben. Die Vollzugsbehörden mussten sich somit nicht veranlasst sehen, die Frau ausfindig zu machen. Im Übrigen ist fraglich, inwiefern diese zum behaupteten Alibi nicht bloss Gefälligkeitserklärungen abgegeben hätte. Sind indes bei einem angerufenen Zeugen des angeblichen Alibis Zweifel über die Glaubwürdigkeit nicht von vornherein ausgeschlossen, so ist das Alibi nicht ohne Verzug nachgewiesen (vgl. BGE 123 II 279 E. 2b S. 282, mit weiteren Hinweisen). 
 
Es kann in diesem Zusammenhang im Übrigen auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamtes verwiesen werden. Da der in Frage stehende Raub bzw. Raubversuch gemäss dem Auslieferungsersuchen in Österreich begangen wurde, unterliegt er der österreichischen Strafgerichtsbarkeit. Die Strafverfolgung in der Schweiz fällt daher entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ausser Betracht, da die Voraussetzungen für eine stellvertretende Strafverfolgung in der Schweiz (Art. 85 ff. IRSG) jedenfalls im heutigen Zeitpunkt nicht erfüllt sind. 
3. 
Aus dem Gesagten folgt, dass die Beschwerde unbegründet und daher abzuweisen ist. Da somit kein Auslieferungshindernis besteht, kann auch dem Begehren um sofortige Entlassung aus der Auslieferungshaft nicht stattgegeben werden. Vielmehr ist der Beschwerdeführer umgehend auszuliefern. Dabei hat das Bundesamt dafür besorgt zu sein, dass dem Gesundheitszustand des Beschwerdeführers beim Vollzug wie auch hernach, im Verlaufe des weiteren Verfahrens in Österreich, angemessen Beachtung geschenkt wird. 
 
Die Beschwerde erweist sich als von vornherein aussichtslos im Sinne von Art. 152 OG, weshalb das vom Beschwerdeführer der Sache nach gestellte Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege abzuweisen ist. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind somit die Gerichtskosten vom Beschwerdeführer zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). Den von ihm geltend gemachten schwierigen finanziellen Verhältnissen kann bei der Bemessung der Gebühr Rechnung getragen werden. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird abgewiesen. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Bundesamt für Justiz, Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion Auslieferung, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 18. April 2002 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: