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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.669/2002 /sta 
 
Urteil vom 20. Januar 2003 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident, 
Bundesgerichtsvizepräsident Nay, Bundesrichter Féraud, 
Gerichtsschreiberin Scherrer. 
 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher lic. iur. Harold Külling, Postplatz 4, 5610 Wohlen AG, 
 
gegen 
 
Bezirksamt Bremgarten, Rathausplatz 3, 5620 Bremgarten AG, 
Präsidium der Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Aargau, Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau. 
 
Haftentlassung, 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung des Präsidiums der Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Aargau vom 26. November 2002. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Gegen X.________ ist beim Bezirksamt Bremgarten eine Strafuntersuchung wegen Nötigung, Gewalt und Drohung gegen Beamte und Behörden hängig. Der Beschuldigte befindet sich seit dem 13. September 2002 aus präventiven Gründen in Untersuchungshaft. Am 25. September 2002 wies das Präsidium der Beschwerdekammer in Strafsachen des Aargauischen Obergerichtes ein erstes Haftentlassungsgesuch des Beschuldigten ab. Wegen Fortsetzungsgefahr wurde die Haft bis zur Erstattung des angeordneten psychiatrischen Gutachtens verlängert. Auf eigenes Gesuch hin wurde der Beschwerdeführer mit Verfügung vom 18. Oktober 2002 zum vorzeitigen Strafantritt in die Strafanstalt Lenzburg versetzt. 
B. 
Mit Schreiben vom 22. November 2002 stellte X.________ ein erneutes Haftentlassungsgesuch. Er begründete dies damit, dass keine Kollusionsgefahr mehr bestehe und die Fortsetzungsgefahr weggefallen sei, weil seine Rechte im Verfahren über die elterliche Sorge seines Sohnes nun im gesetzlich vorgesehenen Rahmen durch seinen Anwalt wahrgenommen würden. Das Präsidium der Beschwerdekammer für Strafsachen wies auch dieses Haftentlassungsgesuch am 26. November 2002 ab. 
C. 
Gegen diesen abweisenden Entscheid gelangt X.________ mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 30. Dezember 2002 an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des Urteils vom 26. November 2002 und die umgehende Haftentlassung. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 10 Abs. 2 und Art. 31 Abs. 1 BV sowie einen Verstoss gegen Art. 5 Ziff. 3 EMRK. Er habe auf die Fragen des Untersuchungsrichters vom 30. November 2002 hin mit Schreiben vom 7. Dezember 2002 versprochen, gegen niemanden Gewalt anzuwenden, auch wenn er das Sorgerecht für seinen unehelichen Sohn nicht erhalten sollte. Bei dieser Erklärung handle es sich um ein echtes Novum, welches im Rahmen der freien Kognition bei der Prüfung der Verletzung verfassungsmässiger Rechte zu berücksichtigen sei. Mit Schreiben vom 30. Dezember 2002 beantragt der Beschwerdeführer zudem die unentgeltliche Rechtspflege und die Bestellung seines Anwalts als unentgeltlichen Rechtsvertreter. 
D. 
Sowohl der Untersuchungsrichter des Bezirksamtes Bremgarten als auch das Präsidium der Beschwerdekammer in Strafsachen haben auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Der Beschwerdeführer beantragt neben der Aufhebung des angefochtenen Entscheides seine Haftentlassung. Dieses Begehren ist in Abweichung vom Grundsatz der kassatorischen Natur der staatsrechtlichen Beschwerde zulässig, da im Falle einer nicht gerechtfertigten strafprozessualen Haft die von der Verfassung geforderte Lage nicht schon mit der Aufhebung des angefochtenen Entscheids, sondern erst durch eine positive Anordnung hergestellt werden kann (BGE 124 I 327 E. 4a S. 332; 115 Ia 293 E. 1a 296 f., je mit Hinweisen). 
 
Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 84 ff. OG geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist - unter Vorbehalt der nachfolgenden Erwägungen - grundsätzlich einzutreten. 
2. 
2.1 Der angefochtene Entscheid stützt sich insbesondere auf § 67 Abs. 2 des Aargauischen Gesetzes über die Strafrechtspflege vom 11. November 1958 (StPO). Danach kann ein Haftbefehl aus sicherheitspolizeilichen Gründen erlassen werden, wenn die Freiheit des Beschuldigten mit Gefahr für andere verbunden ist, insbesondere, wenn eine Fortsetzung der strafbaren Tätigkeit zu befürchten ist, sowie zur Sicherung des Strafvollzuges nach der Beurteilung. Gemäss § 76 Abs. 1 StPO ist der Verhaftete freizulassen, sobald kein Grund mehr vorliegt, die Haft aufrechtzuerhalten. 
2.2 Der Vizepräsident der Beschwerdekammer begründete das Urteil ausgehend vom Aktenstand im Zeitpunkt des Haftverlängerungsantrages. Demgemäss habe der Beschwerdeführer nach stets heftiger werdender Korrespondenz mit dem Bezirksrat Dielsdorf (welcher für den Entscheid über das elterliche Sorgerecht zuständig war) in einem Schreiben an das Bundesamt für Justiz einen "Amoklauf mit Selbstjustiz" angekündigt. Diese Absicht habe er anlässlich der untersuchungsrichterlichen Einvernahme vom 13. September 2002 dahingehend bekräftigt, dass er ein Problem mit der "Tschanun-Methode oder Willhelm-Tell-Methode" lösen wolle. Anlässlich einer Hausdurchsuchung seien in der Wohnung des Beschwerdeführers Auszüge aus dem Strafgesetzbuch über die Tatbestände der vorsätzlichen Tötung, des Mordes, der schweren Körperverletzung, des Raubes, der Freiheitsberaubung und Entführung gefunden worden. Das deute darauf hin, dass sich der Beschwerdeführer mit entsprechenden Gewaltideen auseinandergesetzt haben müsse. Anlässlich einer Einvernahme am 19. September 2002 habe er zudem ausdrücklich seinen Willen zur Selbstjustiz bestätigt. Unter diesen Umständen sei von einer konkreten Gefährdungssituation für die vom Gesuchsteller genannten Behördenmitglieder als Adressaten seiner Drohungen auszugehen. Daran ändere nichts, dass der Beschwerdeführer nun, vertreten durch seinen Anwalt, den Entscheid im Sorgerechtsverfahren angefochten habe. Der Beschwerdeführer habe sich zudem geweigert, zu dem von ihm 1985 begangenen Tötungsversuch an seinem Vater Auskunft zu geben. Der Gefahr eines möglichen schwerwiegenden Gewaltübergriffs könne daher zur Zeit nur mit Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft begegnet werden, bis mit dem psychiatrischen Gutachten über die Fremdgefährdung allenfalls eine schlüssige Beurteilung möglich sein werde. Das Haftentlassungsgesuch wurde deshalb aus präventiven Gründen abgelehnt. 
2.3 Der Beschwerdeführer sieht im abweisenden Entscheid die Verletzung seiner persönlichen Freiheit sowie einen Verstoss gegen Art. 5 Ziff. 3 EMRK. Dabei bestreitet er nicht, gegenüber diversen Behörden im Kanton Zürich Drohungen ausgesprochen zu haben, die als Tötungsdrohungen verstanden werden könnten und auch von ihm so interpretiert worden seien. Er begründet sein Verhalten damit, dass er vergeblich versucht habe, bei den bedrohten Behörden Gehör für sein Anliegen zu finden. Es sei ihm darum gegangen, die elterliche Sorge für seinen unehelichen Sohn zugeteilt zu erhalten. Wie aus den Akten ersichtlich sei, hätten sich die Behörden um einen Entscheid gedrückt, wodurch bei ihm der Eindruck erweckt worden sei, sein Anliegen werde nicht ernst genommen. Inzwischen habe sich die Situation grundlegend geändert. Beim Obergericht des Kantons Zürich sei ein Rekurs gegen die Zuteilung der elterlichen Sorge hängig. Auf Anfrage des Untersuchungsrichters habe der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 7. Dezember 2002 seine Bereitschaft erklärt, sich dannzumal vorbehaltlos dem Entscheid im Verfahren um das elterliche Sorgerecht zu unterziehen. Die Fortdauer der Untersuchungshaft erscheine unter diesen Umständen unverhältnismässig. Es könne dem Beschwerdeführer nicht zugemutet werden, bis zum Abschluss der psychiatrischen Begutachtung, welcher frühestens in sechs Monaten zu erwarten sei, weiter inhaftiert zu bleiben. Mit der Weigerung, den Beschwerdeführer aus der Haft zu entlassen, sei daher in dessen Grundrechte eingegriffen worden. Bei der Erklärung vom 7. Dezember 2002 handle es sich um ein echtes Novum, welches im Rahmen der freien Kognition bei der Verletzung verfassungsmässiger Rechte zu berücksichtigen sei. 
2.4 Mit der staatsrechtlichen Beschwerde können neue Tatsachen und Beweismittel im Allgemeinen nicht vorgebracht werden (BGE 108 II 69 E. 1 S. 71; 107 Ia 187 E. 2b S. 191). Ausnahmen werden nur für Vorbringen gemacht, zu deren Geltendmachung erst die Begründung des angefochtenen Entscheids Anlass gibt, sodann für Gesichtspunkte, die sich aufdrängen und daher von der kantonalen Instanz offensichtlich von Amtes wegen hätten berücksichtigt werden müssen sowie für neue Tatsachen und Beweismittel, die sich aufgrund tatsächlicher Feststellungen des Bundesgerichts im Verfahren nach Art. 95 OG als relevant erweisen (BGE 99 Ia 113 E. 4a S. 122, mit Hinweisen; Walter Kälin, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Auflage, Bern 1994, S. 369 ff.). Wird nicht nur ein Verstoss gegen das Willkürverbot, sondern die Verletzung anderer Verfassungsrechte gerügt, werden rechtliche Nova zugelassen, falls die letzte kantonale Instanz volle Überprüfungsbefugnis besass und das Recht von Amtes wegen anzuwenden hatte; neue tatsächliche Vorbringen und Beweismittel sind dann nur erlaubt, soweit sie sich auf die zulässigen rechtlichen Vorbringen beziehen (Kälin, a.a.O., S. 370). Die zulässigen neuen Vorbringen dürfen sich in jedem Fall nur auf Tatsachen und Beweismittel beziehen, die bereits im Zeitpunkt des letzten kantonalen Entscheides existierten bzw. auf Rechtsnormen, die zu diesem Zeitpunkt bereits in Kraft waren (BGE 102 Ia 76 E. 2f S. 79). 
 
Keiner der geschilderten Ausnahmefälle liegt hier vor. Wenn sich der Beschwerdeführer auf sein Schreiben vom 7. Dezember 2002 beruft, baut er seine Argumentation auf neuen Tatsachen auf, die sich erst nach der Entscheidfällung vom 26. November 2002 realisiert haben und die im bundesgerichtlichen Verfahren nicht berücksichtigt werden können. Ob diese Tatsachen überhaupt zutreffen und allenfalls eine Neueinschätzung der Gefährdungssituation rechtfertigen, kann mithin nicht im vorliegenden Verfahren geprüft werden. Auf das geltend gemachte Novum ist nicht einzutreten. 
2.5 
2.5.1 Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit wegen der Ablehnung eines Haftentlassungsgesuches erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Eingriffes die Auslegung und Anwendung des entsprechenden kantonalen Rechtes frei. Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz willkürlich sind (BGE 123 I 31 E. 3a S. 35; 268 E. 2d S. 271, je mit Hinweisen). Das Bundesgericht ist somit im vorliegenden Fall an die Sachannahmen der kantonalen Instanz gebunden, zumal keine willkürliche Sachverhaltsfeststellung gerügt wird. Soweit sich die Argumentation des Beschwerdeführers nicht ausdrücklich auf das Schreiben vom 7. Dezember 2002 stützt, fragt es sich, ob die Rügen überhaupt rechtsgenüglich begründet wurden (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38E. 3c; 125 I 492 E. 1b). Jedenfalls ist nicht ersichtlich und wurde auch nicht dargetan, inwiefern der kantonale Entscheid die angerufenen Rechte verletzen soll. Einzig der Umstand, dass der Beschwerdeführer seit Ende September 2002 anwaltlich vertreten ist und deshalb im Verfahren um das Sorgerecht für seinen unehelichen Sohn den ordentlichen Rechtsweg beschritten hat, genügt nicht, um entgegen seiner zuvor verschiedentlich geäusserten Gewaltbereitschaft eine günstige Prognose zu stellen und den Beschwerdeführer i.S. von § 76 Abs. 1 StPO freizulassen. 
2.5.2 Gemäss dem in Art. 5 Ziff. 3 EMRK festgehaltenen "Beschleunigungsgebot" hat eine festgenommene Person Anspruch darauf, innerhalb einer angemessenen Frist abgeurteilt oder während des Verfahrens aus der Haft entlassen zu werden. Die Rüge, das Strafverfahren werde nicht mit der verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Beschleunigung geführt, ist im Haftprüfungsverfahren nur soweit zu beurteilen, als die Verfahrensverzögerung geeignet ist, die Rechtmässigkeit der Untersuchungshaft in Frage zu stellen und zu einer Haftentlassung zu führen. Dies ist nur der Fall, wenn sie besonders schwer wiegt und zudem die Strafverfolgungsbehörden, z.B. durch eine schleppende Ansetzung der Termine für die anstehenden Untersuchungshandlungen, erkennen lassen, dass sie nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, das Verfahren nunmehr mit der für Haftfälle verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Beschleunigung voranzutreiben und zum Abschluss zu bringen. Ist die gerügte Verzögerung des Verfahrens weniger gravierend, kann offen bleiben, ob eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes vorliegt (BGE 128 I 149 E. 2.2 S. 151 f.). 
 
Zu Recht macht der Beschwerdeführer nicht geltend, die kantonalen Behörden hätten das Strafverfahren bis anhin verzögert. Der angefochtene Entscheid verweist denn auch ausdrücklich darauf, dass die ersten psychiatrischen und psychologischen Abklärungen zur Frage der Fremdgefährdung unmittelbar bevorstehen würden. Bei dieser Sachlage ist ein Verstoss gegen das Beschleunigungsgebot zu verneinen. 
2.6 Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Voraussetzungen von § 67 Abs. 2 StPO erfüllt sind, die Aufrechterhaltung der Haft somit aus sicherheitspolizeilichen Gründen gerechtfertigt erscheint und dass eine Missachtung des Beschleunigungsgebotes nicht dargetan ist. Der angefochtene Entscheid ist unter dem Blickwinkel der angerufenen Verfassungs- und Konventionsrechte nicht zu beanstanden. Die Beschwerde ist demzufolge, soweit darauf eingetreten werden kann, abzuweisen. 
3. 
Der Beschwerdeführer hat ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege sowie um unentgeltliche Rechtsvertretung gestellt. Die Voraussetzungen nach Art. 152 Abs. 1 und 2 OG scheinen vorliegend erfüllt. Da der Beschwerdeführer unterliegt, ist das Honorar des Rechtsanwaltes im Rahmen des in Art. 160 OG vorgesehenen Tarifes vom Bundesgericht festzusetzen und von der Bundesgerichtskasse auszurichten (Art. 152 Abs. 2 OG). 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt: 
2.1 Es werden keine Kosten erhoben. 
2.2 Fürsprecher Harold Külling wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit einem Honorar von Fr. 1'000.-- entschädigt. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bezirksamt Bremgarten und dem Präsidium der Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 20. Januar 2003 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: