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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
U 211/03 
 
Urteil vom 20. Januar 2004 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Bundesrichter Rüedi, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber Widmer 
 
Parteien 
Schweizerische National-Versicherungs-Gesellschaft, Steinengraben 41, 4051 Basel, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
G.________, 1973, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Rémy Wyssmann, Hauptstrasse 36, 4702 Oensingen 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn 
 
(Entscheid vom 22. Juli 2003) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1973 geborene G.________ arbeitete seit 19. Juni 1996 als Küchenhilfe im Restaurant A.________ und war damit bei der Schweizerischen National-Versicherungs-Gesellschaft (im Folgenden: National) gegen Unfälle versichert. Am 23. Juni 1996 prallte sie bei einem Selbstunfall unangegurtet mit dem Personenwagen frontal in die Fassade eines Gebäudes. Bis 26. Juni 1996 war sie im Spital X.________ hospitalisiert, wo eine Commotio cerebri, eine Distorsion der Halswirbelsäule (HWS) und eine Schürfung der rechten Stirn diagnostiziert wurden (Bericht vom 27. Juni 1996). Ab 16. Juli 1996 bescheinigte Dr. med. W.________ der Versicherten wieder volle Arbeitsfähigkeit. Wegen anhaltender Beschwerden hielt sich G.________ vom 12. Februar bis 6. März 1998 zur stationären Rehabilitation im Spital S.________ auf. Vom 13. April bis 6. Mai 1999 unterzog sie sich zur Behandlung der seit dem Verkehrsunfall andauernden Schmerzen im Nackenbereich mit Ausstrahlung in den rechten Arm einer Therapie in der Klinik Y.________, (Austrittsbericht vom 28. Mai 1999). Am 15. September 1999 beauftragte die National das Zentrum für Medizinische Begutachtung (ZMB) mit einer stationären polydisziplinären Abklärung der Versicherten (Gutachten vom 28. Juni 2000). Nach Eingang weiterer Arztberichte, u.a. des Dr. med. M.________, Spezialarzt für Neurologie, vom 8. November 2000, stellte die National ihre bisher erbrachten Leistungen mit Verfügung vom 11. September 2001 rückwirkend auf den 30. Juni 2000 ein, weil die fortbestehenden Beschwerden der Versicherten in keinem natürlichen Kausalzusammenhang zum Unfallereignis vom 23. Juni 1996 mehr stünden. 
 
Auf Einsprache hin hielt die National an ihrem Standpunkt fest (Entscheid vom 19. März 2002). 
B. 
G.________ liess Beschwerde führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des Einspracheentscheides seien ihr die gesetzlichen Leistungen zuzusprechen. Im Laufe des Verfahrens reichte sie ein neuropsychologisches Gutachten der Frau Dr. phil. Z.________, vom 7. April 2003 ein. Mit Entscheid vom 22. Juli 2003 hiess das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn die Beschwerde in dem Sinne gut, dass es den Einspracheentscheid vom 19. März 2002 aufhob und die Sache an die National zurückwies, damit diese, nach ergänzenden Abklärungen in medizinischer Hinsicht, über den Anspruch auf Versicherungsleistungen ab 1. Juli 2000 neu entscheide. Zur Begründung führte es aus, es müsse abgeklärt werden, ob das Beschwerdebild der Versicherten auf ein organisches Substrat zurückzuführen sei, worauf der Bericht des Dr. M.________ vom 8. November 2000 schliessen lasse, oder ob lediglich eine psychische Problematik vorliege, wie die Gutachter der MEDAS annähmen. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die National, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben. 
 
G.________ schliesst unter Beilage einer Stellungnahme der Frau Dr. phil. Z.________, vom 15. September 2003 auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Die Vorinstanz hat die Rechtsprechung (BGE 118 V 289 Erw. 1b) zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers zunächst vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. 
1.2 Ist ein Schleudertrauma der HWS diagnostiziert und liegt ein für diese Verletzung typisches Beschwerdebild mit einer Häufung von Beschwerden wie diffuse Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Übelkeit, rasche Ermüdbarkeit, Visusstörungen, Reizbarkeit, Affektlabilität, Depression, Wesensveränderung usw. vor, so ist der natürliche Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und der danach eingetretenen Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit in der Regel anzunehmen (BGE 117 V 360 Erw. 4b). Auch bei Schleudermechanismen der HWS bilden jedoch zu allererst die medizinischen Fakten, wie die fachärztlichen Erhebungen über Anamnese, objektiven Befund, Diagnose, Verletzungsfolgen, unfallfremde Faktoren, Vorzustand usw. die massgebliche Grundlage für die Kausalitätsbeurteilung durch Verwaltung und Gerichtsinstanzen. Das Vorliegen eines Schleudertraumas wie seine Folgen müssen somit durch zuverlässige ärztliche Angaben gesichert sein. Trifft dies zu und ist die natürliche Kausalität - auf Grund fachärztlicher Feststellungen in einem konkreten Fall - unbestritten, so kann der natürliche Kausalzusammenhang ebenso aus rechtlicher Sicht als erstellt gelten, ohne dass ausführliche Darlegungen zur Beweiswürdigung nötig wären (BGE 119 V 340 Erw. 2b/aa). 
2. 
Als Voraussetzung für die Leistungspflicht der National streitig und zu prüfen ist, ob zwischen dem Ereignis vom 23. Juni 1996, bei welchem die Beschwerdegegnerin eine einem Schleudertrauma vergleichbare Distorsion der HWS erlitt, und den über den 30. Juni 2000 hinaus anhaltenden Beschwerden, welche ihre Arbeits- und Erwerbsfähigkeit beeinträchtigen, ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht. 
2.1 In dem von der National im Hinblick auf die Frage nach der Unfallkausalität der von der Versicherten geklagten Beschwerden angeordneten polydisziplinären Gutachten des ZMB vom 28. Juni 2000 wurden ein Ganzkörperschmerzsyndrom mit zervikalem Maximum, thorakaler Hyperkyphose, Status nach Verkehrsunfall mit Abknickverletzung der HWS und leichter Commotio cerebri am 23. Juni 1996 ohne neurologische Residuen sowie eine somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert. Die Ärzte hielten fest, dass die orthopädischen wie auch die neurologischen Untersuchungen keine zuverlässigen, reproduzierbaren Ausfälle gezeigt hätten. Die Frage nach der Unfallkausalität beantworteten die Experten dahin, dass ein Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und den körperlichen Beschwerden wie auch der psychischen Symptomatik höchstens möglich sei, wobei diese Feststellung hinsichtlich der psychischen Beschwerden längstens während der ersten zwei Jahre nach dem inkriminierten Ereignis gelte. Auf Grund der üblichen Verläufe von Inklinationstraumata der HWS könne davon ausgegangen werden, dass ab Mitte 1998 keine unfallbedingten Beschwerden mehr vorgelegen hätten. 
In dem kurze Zeit nach der Begutachtung im ZMB zuhanden des behandelnden Arztes Dr. med. W.________ verfassten Bericht vom 8. November 2000 hielt der Neurologe Dr. M.________ fest, er habe bei einer Nachkontrolle vom 26. September 2000 ein rechtsbetontes unteres und linksbetontes oberes, mässig bis mittelstark ausgeprägtes Zervikalsyndrom mit Tonuserhöhung der Muskulatur paravertebral-zervikal und myogelotischen Bezirken im Bereich des Trapezius sowie des Levators scapulae beidseits und eine ausgeprägte Druckdolenz über der Occipitalis major-Austrittsstelle links mit Anhaltspunkten für eine Kopfgelenksblockade gefunden. Dabei handle es sich im Wesentlichen um Unfallfolgen. Im Weiteren kritisiert Dr. M.________ das Gutachten des ZMB, indem er u.a. ausführte, die Ärzte seien fälschlicherweise von einem HWS-Inklinationstrauma statt von einer HWS-Abknickverletzung bei Kopfanprall ausgegangen, die einen wesentlich ungünstigeren Verletzungsmechanismus darstelle. 
2.2 Die Vorinstanz schloss aus den Angaben des Dr. M.________, dieser Arzt habe - im Gegensatz zu den Gutachtern des ZMB - ein organisches Substrat des Beschwerdebildes beschrieben. Falls sich dieses auf Grund weiterer medizinischer Untersuchungen erhärten lasse, habe die National dem Arbeits- und Erwerbsunfähigkeitsgrad entsprechende Leistungen zu erbringen. Andernfalls sei die Stellungnahme des ZMB-Gutachters Dr. med. B.________ als massgeblich zu erachten, laut welcher der natürliche Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeit lediglich möglich sei. 
2.3 Der Auffassung des kantonalen Gerichts kann nicht gefolgt werden. Die Beschwerdegegnerin wurde bereits am 10. Dezember 1997 von Dr. med. C.________, Spezialarzt für medizinische Radiologie, untersucht. Die biplanare, native MRI des Kopfes und des craniozervikalen Übergangs ergab keine posttraumatischen oder anderweitigen Hirnparenchymläsionen. Läsionen der craniozervikalen Ligamente wurden nicht nachgewiesen, Dens und Atlas waren mittelständig und intakt; es fanden sich keine Hinweise für eine craniozervikale Instabilität und keine Blockierungen (Bericht vom 7. Januar 1998). Im Gutachten des ZMB wird sodann vermerkt, dass die einzigen Röntgenbilder, die zur Verfügung stehen (20. November 1996, Radiologie Spital X.________), normale Verhältnisse, insbesondere keine Zeichen für segmentale Instabilität oder für degenerative Veränderungen der HWS zeigten. 
Gestützt auf diese übereinstimmenden radiologischen Untersuchungsergebnisse ist als erstellt zu betrachten, dass die Beschwerden der Versicherten im Bereich von Kopf und Nacken keiner unfallbedingten organischen Grundlage zugeordnet werden können, die sich mittels bildgebender Abklärungsmethoden nachweisen liesse, wie dies bei gesundheitlichen Störungen nach Schleudertrauma der HWS oder äquivalenten Verletzungen häufig zutrifft (vgl. BGE 117 V 359). Soweit die Vorinstanz gestützt auf den Bericht des Dr. M.________ annimmt, ein organisches Substrat des Beschwerdebildes könne nicht ausgeschlossen werden, übersieht sie, dass der Neurologe im Bericht vom 8. November 2000 lediglich das Beschwerdebild beschreibt und lokalisiert (Zervikalsyndrom mit Tonuserhöhung der Muskulatur ... und myogelotischen Bezirken ... sowie Druckdolenz), während er für eine Kopfgelenksblockade bloss Anhaltspunkte erkennt. Eine somatische Grundlage für diese erfahrungsgemäss oft auch längere Zeit nach einem Unfall mit Schleudertrauma feststellbaren Befunde im Sinne eines organisch nachweisbaren Funktionsausfalls der HWS nennt Dr. M.________ nicht. Da angesichts der eingehenden medizinischen Abklärungen, welche seit dem Verkehrsunfall vorgenommen wurden, von zusätzlichen fachärztlichen Untersuchungen mit Bezug auf die Unfallkausalität der Beschwerden keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind, ist von einer Rückweisung der Sache an die National zur Aktenergänzung abzusehen. Der natürliche Kausalzusammenhang zwischen dem Ereignis vom 23. Juni 1996 und den über den 30. Juni 2000 hinaus andauernden gesundheitlichen Einschränkungen der Versicherten ist auf Grund der Expertise des ZMB vom 28. Juni 2000, die gestützt auf umfassende Untersuchungen und die vollständigen Akten zum Schluss gelangte, dass bereits ab Mitte 1998 keine unfallbedingten Beschwerden mehr vorlagen, zu verneinen. 
 
Die gegenteilige Folgerung des Dr. med. M.________ vermag den Beweiswert des polydisziplinären Gutachtens des ZMB nicht zu erschüttern, zumal sich dieser Arzt nur auf zwei Untersuchungen der Versicherten (am 6. Dezember 1997 und 26. September 2000) abstützte und offensichtlich nicht über die gesamten medizinischen Unterlagen verfügte. Seine Kritik am ZMB-Gutachten verkennt, dass den Experten der Unfallhergang hinlänglich bekannt war, wie dem Aktenauszug, der die Einleitung des Gutachtens bildet, entnommen werden kann. Dass Dr. M.________ aus dem Ablauf des Ereignisses hinsichtlich möglicher Einwirkungen auf die HWS andere Schlüsse zieht als das ZMB, ist kein Anlass, eine weitere Begutachtung in die Wege zu leiten. Ebenso wenig liefern die vor- und letztinstanzlich aufgelegten Berichte der Neuropsychologin Frau Dr. phil. Z.________ vom 7. April und 15. September 2003 schlüssige Aussagen zur Unfallkausalität des Beschwerdebildes. Denn die Neuropsychologie vermag es nach derzeitigem Wissensstand nicht, selbstständig die Beurteilung der Genese der festgestellten Beschwerden vorzunehmen (BGE 119 V 340 f. Erw. 2b/bb). Im Übrigen fand auch im Rahmen der Begutachtung im ZMB eine neuropsychologische Untersuchung statt. Die entsprechenden Verfahren zeigten indessen eine riesige Diskrepanz in der Leistungsfähigkeit (Spitzenresultate und eigentliche Ausfälle), weshalb der Neuropsychologe lic. phil. D.________ die Ergebnisse als wenig aussagekräftig bezeichnete (Gutachten vom 28. Juni 2000). 
2.4 Mangels eines natürlichen Kausalzusammenhangs zwischen dem versicherten Unfall und den Beschwerden hat die National ihre Leistungen zu Recht auf den 30. Juni 2000 eingestellt. 
3. 
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Als mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraute Organisation hat die National keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 2 OG; BGE 112 V 49 Erw. 3; vgl. auch BGE 118 V 169 Erw. 7, 117 V 349 Erw. 8). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 22. Juli 2003 aufgehoben. 
2. 
Es werden weder Gerichtskosten erhoben noch Parteientschädigungen zugesprochen. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt. 
Luzern, 20. Januar 2004 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Vorsitzende der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: