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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1B_8/2011 
 
Urteil vom 20. Januar 2011 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident, 
Bundesrichter Reeb, Merkli, 
Gerichtsschreiber Härri. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Conradin Menn, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, 
Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026 Zürich. 
 
Gegenstand 
Untersuchungshaft, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung vom 22. Dezember 2010 des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat (im Folgenden: Staatsanwaltschaft) führt ein Strafverfahren gegen den dominikanischen Staatsangehörigen X.________. Sie wirft ihm vor, am 20. Juni 2010 in Zürich seine damalige Freundin (im Folgenden: die Geschädigte) geschlagen und gewürgt zu haben. Er habe ihr zudem gedroht, sie umzubringen und sie in der Folge vergewaltigt. Am 1. November 2010 habe er der Geschädigten erneut massiv gedroht und sie geschlagen. 
 
Am 5. November 2010 nahm die Polizei X.________ fest. 
 
Mit Verfügung vom 8. November 2010 versetzte ihn der Haftrichter am Bezirksgericht Zürich in Untersuchungshaft. 
 
Am 18. Dezember 2010 ersuchte X.________ um Haftentlassung. 
 
Mit Verfügung vom 22. Dezember 2010 wies der Haftrichter das Gesuch ab. Er bejahte den dringenden Tatverdacht und Wiederholungsgefahr gemäss § 58 Abs. 1 Ziff. 3 der Strafprozessordnung vom 4. Mai 1919 des Kantons Zürich (StPO/ZH; LS 321). 
 
B. 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, die Verfügung des Haftrichters vom 22. Dezember 2010 sei aufzuheben und er sei sofort aus der Haft zu entlassen. 
 
C. 
Der Haftrichter und die Staatsanwaltschaft haben auf Vernehmlassung verzichtet. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO; AS 2010 1881 ff.) ist am 1. Januar 2011 in Kraft getreten. Der angefochtene Entscheid erging vor diesem letzteren Datum. Gemäss Art. 453 Abs. 1 StPO werden Rechtsmittel gegen einen solchen Entscheid nach bisherigem Recht von den bisher zuständigen Behörden beurteilt. 
Bisher konnte gegen einen Entscheid des Zürcher Haftrichters unmittelbar beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten. Anwendbar ist das bisherige Recht (vgl. Urteil 1B_224 und 266/2010 vom 11. Januar 2011 E. 2). 
 
2. 
2.1 Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Entscheid verletze sein verfassungsmässiges Recht auf persönliche Freiheit. 
 
2.2 Bei Beschwerden, die gestützt auf das Recht der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2, Art. 31 BV) wegen der Ablehnung eines Haftentlassungsgesuches erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs die Auslegung und Anwendung des entsprechenden kantonalen Rechtes frei (BGE 135 I 71 E. 2.5 S. 73 f. mit Hinweis). 
 
2.3 Gemäss § 58 Abs. 1 StPO/ZH darf Untersuchungshaft angeordnet werden, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird und ausserdem aufgrund bestimmter Anhaltspunkte ernsthaft befürchtet werden muss, er werde, nachdem er bereits zahlreiche Verbrechen oder erhebliche Vergehen verübt hat, erneut solche Straftaten begehen (Ziff. 3). 
 
Der Beschwerdeführer anerkennt (Beschwerde S. 7 Ziff. 3) den dringenden Tatverdacht. Er macht geltend, es fehle an der Wiederholungsgefahr nach § 58 Abs. 1 Ziff. 3 StPO/ZH. 
 
2.4 Sinn und Zweck der Anordnung von Haft wegen Wiederholungsgefahr ist die Verhütung von Verbrechen. Die Haft ist somit überwiegend Präventivhaft. Die Notwendigkeit, den Angeschuldigten an der Begehung einer strafbaren Handlung zu hindern, anerkennt Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK ausdrücklich als Haftgrund. Die Anordnung von Haft wegen Wiederholungsgefahr dient auch dem strafprozessualen Ziel der Beschleunigung, indem verhindert wird, dass sich das Verfahren durch immer neue Delikte kompliziert und in die Länge zieht (BGE 135 I 71 E. 2.2 S. 72; 123 I 268 E. 2c S. 270; 105 Ia 26 E. 3c S. 31). 
 
Nach der Rechtsprechung ist die Anordnung von Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr verhältnismässig, wenn die Rückfallprognose sehr ungünstig ist und die zu befürchtenden Delikte von schwerer Natur sind. Die rein hypothetische Möglichkeit der Verübung weiterer Delikte sowie die Wahrscheinlichkeit, dass nur geringfügige Straftaten verübt werden, reichen dagegen nicht aus, um eine Präventivhaft zu begründen. Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr ist restriktiv zu handhaben (BGE 135 I 71 E. 2.3, 2.6 und 2.11 S. 73 ff.; 133 I 270 E. 2.2 S. 276 mit Hinweisen). 
 
Zu den verübten Taten nach § 58 Abs. 1 Ziff. 3 StPO/ZH gehören strafbare Handlungen, aufgrund welcher eine Verurteilung erfolgt ist, sowie Delikte, die Gegenstand eines noch hängigen Strafverfahrens bilden (Urteil 1P.462/2003 vom 10. September 2003 E. 3.3.1 mit Hinweisen). 
2.5 
2.5.1 Mit Strafbefehl vom 27. September 2006 auferlegte die Staatsanwaltschaft dem Beschwerdeführer wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte eine Strafe von 21 Tagen Gefängnis, bedingt bei einer Probezeit von zwei Jahren. Anlässlich dieses Verfahrens befand sich der Beschwerdeführer während 20 Tagen in Untersuchungshaft. 
2.5.2 Am 9. März 2009 sprach ihn das Bezirksgericht Zürich schuldig des Angriffs, der mehrfachen versuchten einfachen Körperverletzung, der Tätlichkeiten und der sexuellen Handlungen mit einem Kind. Es verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten, bedingt bei einer Probezeit von 4 Jahren und zu Fr. 500.-- Busse. Die Untersuchungshaft vom 5. Juli bis 13. September 2007 und vom 7. Dezember 2007 bis 10. Januar 2008 rechnete es auf die Freiheitsstrafe an. Es widerrief sodann den bedingten Vollzug für die Vorstrafe von 21 Tagen Gefängnis. 
 
Dieses Urteil focht der Beschwerdeführer nicht an. Es ist für ihn somit in Rechtskraft erwachsen. 
Der bezirksgerichtliche Schuldspruch stützt sich auf folgendes Beweisergebnis: Der Beschwerdeführer warf am 9. Juni 2007 bei einer Schlägerei mit Glasflaschen. Dabei zielte er auf den Kopf des Geschädigten, traf aber nicht. Ferner führte er mehrere Faustschläge in Richtung des Gesichts von Geschädigten (S. 21 f.). Am 6. Dezember 2007 trat er seiner damaligen Freundin - einer anderen als jener, um welche es im jetzigen Verfahren geht - in die Beine, biss sie in den Rücken und stiess sie um (S. 26 f.). Ab Weihnachten 2006 hatte er mit dieser Freundin, welche noch nicht 16 Jahre alt war, mehrmals Geschlechtsverkehr (S. 27 f.). 
Bei der Strafzumessung erwog das Bezirksgericht (S. 44 f.), das Verschulden des Beschwerdeführers in Bezug auf den Angriff und die versuchte Körperverletzung sei erheblich. Aus äusserst niederen Beweggründen, namentlich Rachegelüsten, und mit einer massiven Gewaltbereitschaft habe er zwei Menschen traktiert, welche ihn zu diesem Zeitpunkt in keiner Weise behelligt hätten. Er habe dadurch eine erschreckende Geringschätzung bzw. Missachtung der persönlichen Integrität anderer Personen offenbart. Es sei nur einer glücklichen Fügung zu verdanken, dass er den Geschädigten nicht getroffen habe, als er mit einer Glasflasche nach ihm geworfen habe. Hätte er getroffen, wäre eine - zusätzlich zu den nicht vom Beschwerdeführer zu verantwortenden Verletzungen aufgrund der Messerstiche - gravierende und gefährliche Verletzung des Opfers naheliegend gewesen, habe der Beschwerdeführer doch bewusst in Richtung des Kopfes des Geschädigten gezielt. Auch die Faustschläge in Richtung des Gesichts zeugten von kaltblütiger Aggression und Gefühlskälte. Zusätzlich falle ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer nicht zum ersten Mal durch seine Gewalttätigkeit aufgefallen sei, sei er doch bereits (im Jahr 2003 durch die Zürcher Jungendanwaltschaft) wegen Raubes und (im Jahr 2006) wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte verurteilt worden. Diese Verurteilungen hätten bei ihm offenbar wenig Eindruck hinterlassen. Im Gegenteil habe er während laufender Probezeit erneut delinquiert. Auch die Tätlichkeiten gegenüber seiner damaligen Freundin zeigten das Bild eines unbeherrschten, gewaltbereiten und die Integrität anderer Personen geringschätzenden Menschen. Dies falle umso mehr ins Gewicht, als er diese Tat nicht einmal 3 Monate nach Entlassung aus der Untersuchungshaft begangen habe. Er habe somit scheinbar in keiner Weise an seinem Verhalten gearbeitet oder dieses überdacht. 
2.5.3 Am 7. Dezember 2009 sprach ihn die Staatsanwaltschaft der Drohung schuldig. 
2.5.4 Wie die Vorinstanz (angefochtener Entscheid S. 3 oben) darlegt, wird der Beschwerdeführer verdächtigt, am 4. Februar 2010 eine Kleinkindererzieherin bedroht zu haben und ihr gegenüber tätlich geworden zu sein. Der Beschwerdeführer wendet (Beschwerde S. 8 Ziff. 3.1) ein, insoweit habe die Geschädigte den Strafantrag zurückgezogen. Dies trifft zwar zu (act. 5/4). Die Bestrafung des Beschwerdeführers wegen eines von Amtes wegen zu verfolgenden Delikts kann jedoch insoweit nicht ausgeschlossen werden. Wie sich den Akten entnehmen lässt, war die Geschädigte nach dem Vorfall psychisch angeschlagen und wurde von Angstattacken geplagt. Sie war zu 100 Prozent arbeitsunfähig. Bei dieser Sachlage kommt die Annahme nicht nur einer Tätlichkeit nach Art. 126 StGB, sondern einer Körperverletzung nach Art. 123 StGB in Betracht. Damit wäre zu prüfen, ob es sich bei der Kleinkindererzieherin nicht um eine "Wehrlose" im Sinne von Art. 123 Ziff. 2 Abs. 3 StGB handelte (dazu BGE 129 IV 1 E. 3.3 S. 4 mit Hinweis). Bejahendenfalls wäre die Tat von Amtes wegen zu verfolgen. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer der Geschädigten das Telefon aus der Hand geschlagen und sie so am Telefonieren gehindert haben soll. Insoweit kommt der Tatbestand der Nötigung gemäss Art. 181 StGB in Betracht. Dabei handelt es sich ebenfalls um ein Offizialdelikt. Das Verfahren wegen des Vorfalls vom 4. Februar 2010 wurde denn auch nicht eingestellt. Vielmehr trat mit Verfügung vom 19. November 2010 die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl die Strafuntersuchung an die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat ab. Ist das Verfahren damit nach wie vor hängig und muss es nicht offensichtlich eingestellt werden, darf der Vorfall im Lichte der (E. 2.4) angeführten Rechtsprechung hier berücksichtigt werden. 
2.5.5 Der Beschwerdeführer steht zudem unter dem Verdacht, am 7. März 2010 im Zorn mehrfach heftig gegen die Wohnungstüre seines Nachbarn geschlagen und diese beschädigt zu haben. Der Nachbar hat am 9. März 2010 Strafantrag wegen Sachbeschädigung gestellt. Zwar hat der zuständige Staatsanwalt mit Schreiben vom 29. Juli 2010 (act. 8) den Nachbarn angefragt, ob er am Strafantrag festhalte. Dass dieser den Strafantrag zurückgezogen hätte, lässt sich den Akten jedoch nicht entnehmen. 
2.5.6 Dem Beschwerdeführer wird sodann im neuen Verfahren vorgeworfen, seiner damaligen Freundin wiederholt massiv gedroht und sie geschlagen zu haben. Ausserdem habe er sie vergewaltigt. 
 
2.6 Es ergibt sich damit das Bild eines Beschuldigten, der sich weder durch verschiedene einschlägige Vorstrafen noch durch mehrere längere Aufenthalte in Untersuchungshaft noch durch laufende Probezeiten davon hat abhalten lassen, immer wieder Gewalt anzuwenden bzw. zumindest anzudrohen. Wie insbesondere der Vorwurf der Vergewaltigung und die Vorfälle, die zur Verurteilung durch das Bezirksgericht geführt haben, zeigen, muss bei ihm unter Umständen mit erheblicher Gewaltanwendung und daher schweren Straftaten gerechnet werden. Es geht um den Schutz von Leib und Leben und damit das höchste Rechtsgut. Insoweit sind an die Annahme von Wiederholungsgefahr weniger hohe Anforderungen zu stellen als bei anderen Rechtsgütern (vgl. BGE 123 I 268 E. 2e S. 271; Urteile 1P.864/2006 vom 15. Januar 2007 E. 1.8; 1P.580/2006 vom 28. September 2006 E. 2.6). Dafür, dass der Beschwerdeführer erneut erhebliche Gewalt nicht nur androhen, sondern auch ausüben könnte, besteht aufgrund seines dargelegten Vorlebens und seiner Vorstrafen nicht nur die theoretische Möglichkeit. Vielmehr sind dafür ernstliche Anhaltspunkte gegeben. Wenn die Vorinstanz Wiederholungsgefahr gemäss § 58 Abs. 1 Ziff. 3 StPO/ZH bejaht hat, ist das daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. 
 
3. 
Die Beschwerde ist abzuweisen. 
 
Da sie aussichtslos war, kann die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64 BGG nicht bewilligt werden. Der Beschwerdeführer ist jedoch mittellos und hat Schulden. Vor der Verhaftung wurde er von der Sozialhilfe unterstützt. Mit Blick darauf rechtfertigt es sich, auf die Erhebung von Kosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 20. Januar 2011 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Fonjallaz Härri