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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_116/2010 
 
Urteil vom 20. April 2010 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
S.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Dieter Kehl, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Appenzell Ausserrhoden, 
Kasernenstrasse 4, 9100 Herisau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente, Revision), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts von Appenzell Ausserrhoden 
vom 16. September 2009. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Mit Verfügung vom 3. Oktober 2005 sprach die IV-Stelle Appenzell Ausserrhoden der 1960 geborenen S.________ ab 1. Juli 2004 eine halbe Rente der Invalidenversicherung zu. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 12. Juli 2007 fest, was das Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden mit Entscheid vom 20. August 2008 und letztinstanzlich die II. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts mit Urteil 9C_39/2009 vom 10. Februar 2009 bestätigten. 
Mit Schreiben vom 26. September 2008 hatte S.________ unter Hinweis auf den Bericht der psychiatrischen Klinik X.________ vom 26. März 2008 um revisionsweise Erhöhung der halben auf eine ganze Rente ersucht. Mit Vorbescheid vom 7. Januar 2009 teilte die IV-Stelle mit, sie trete auf das Begehren nicht ein, da nicht glaubhaft dargelegt sei, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse seit der letzten Verfügung wesentlich geändert hätten. Auf Ersuchen der Versicherten sistierte die IV-Stelle am 16. Januar 2009 das Verfahren bis zum Urteil des Bundesgerichts betreffend die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen den Entscheid des kantonalen Verwaltungsgerichts vom 20. August 2008. Nach Zustellung des Urteils 9C_39/2009 vom 10. Februar 2009 erliess die IV-Stelle am 19. Februar 2009 eine im Sinne des Vorbescheids lautende Verfügung. 
 
B. 
Die Beschwerde der S.________ wies das Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden nach zweifachem Schriftenwechsel mit Entscheid 16. September 2009 ab. 
 
C. 
S.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 16. September 2009 sei aufzuheben und die Sache an die IV-Stelle zurückzuweisen, "damit diese das vom Bundesgericht mit Urteil vom 10. Februar 2009 angeordnete Revisionsverfahren lege artis durchführe"; eventualiter sei ihr revisionsweise eine ganze Rente zuzusprechen. 
 
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das kantonale Verwaltungsgericht stellt keinen Antrag zur Beschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Prozessthema bildet einzig die Frage, ob die IV-Stelle zu Recht mangels Glaubhaftmachung einer erheblichen Tatsachenänderung seit dem Einspracheentscheid vom 12. Juli 2007 nicht auf das Revisionsgesuch vom 26. September 2008 eingetreten ist (Art. 17 Abs. 1 ATSG und Art. 87 Abs. 3 IVV; vgl. BGE 133 V 108 E. 5.2 S. 111 und BGE 116 V 264 E. 2a S. 266). Auf den Eventualantrag in der Beschwerde auf Zusprechung einer ganzen Rente ist daher nicht einzutreten. 
 
2. 
2.1 Ändert sich der Invaliditätsgrad einer Rentenbezügerin oder eines Rentenbezügers erheblich, so wird die Rente von Amtes wegen oder auf Gesuch hin für die Zukunft entsprechend erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben (Art. 17 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 2 ATSG und Art. 1 Abs. 1 IVG). Anlass zur Rentenrevision gibt jede wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, die geeignet ist, den Invaliditätsgrad und damit den Rentenanspruch zu beeinflussen (BGE 130 V 343 E. 3.5 S. 349; Urteil U 35/07 vom 28. Januar 2008 E. 3). 
 
2.2 Das Gesuch um Erhöhung einer Rente wird nur geprüft, wenn glaubhaft gemacht wird, dass sich der Grad der Invalidität seit Erlass der letzten, auf einer umfassenden materiellen Prüfung der Rente beruhenden Verfügung, allenfalls des diese bestätigenden Einspracheentscheids in einer für den Anspruch erheblichen Weise geändert hat (Art. 87 Abs. 3 IVV; BGE 133 V 108). Unter Glaubhaftmachen ist nicht der Beweis nach dem im Sozialversicherungsrecht allgemein massgebenden Grad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu verstehen. Die Beweisanforderungen sind vielmehr herabgesetzt, indem nicht im Sinne eines vollen Beweises die Überzeugung der Verwaltung begründet zu werden braucht, dass seit der letzten, rechtskräftigen Entscheidung tatsächlich eine relevante Änderung eingetreten ist. Es genügt, dass für den geltend gemachten rechtserheblichen Sachumstand wenigstens gewisse Anhaltspunkte bestehen, auch wenn durchaus noch mit der Möglichkeit zu rechnen ist, bei eingehender Abklärung werde sich die behauptete Sachverhaltsänderung nicht erstellen lassen. Bei der Prüfung der Frage, ob die Vorbringen der versicherten Person glaubhaft sind, berücksichtigt die Verwaltung u.a., ob seit der rechtskräftigen Erledigung des letzten Rentengesuchs lediglich kurze oder schon längere Zeit vergangen ist; je nachdem sind an das Glaubhaftmachen einer Änderung des rechtserheblichen Sachverhalts höhere oder weniger hohe Anforderungen zu stellen (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 724/99 vom 5. Oktober 2001 E. 1c/aa, nicht publiziert in BGE 127 V 294, aber in SVR 2002 IV Nr. 10; Urteil 9C_688/2007 vom 22. Januar 2008 E. 2.2). 
 
3. 
3.1 Die Beschwerdeführerin macht wie schon im vorinstanzlichen Verfahren geltend, im Urteil 9C_39/2009 vom 10. Februar 2009 sei die IV-Stelle angewiesen worden, ein Revisionsverfahren nach Art. 17 Abs. 1 ATSG durchzuführen. Diese Anweisung habe die Verwaltung missachtet und ohne Gewährung des rechtlichen Gehörs die Revision der Rentenverfügung vom 3. Oktober 2005 (recte: Einspracheentscheid vom 12. Juli 2007; E. 2.2) bereits am 19. Februar 2009 noch vor Zustellung des Urteils verweigert. 
3.1.1 Im Urteil 9C_39/2009 vom 10. Februar 2009 führte das Bundesgericht u.a. aus, dass eine allfällige voraussichtlich dauernde Verschlechterung des Gesundheitszustandes nach Erlass des Einspracheentscheids in einem Revisionsverfahren zu berücksichtigen sei (Art. 17 Abs. 1 ATSG). Damit wurde entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht festgestellt, eine allenfalls revisionsrechtlich erhebliche Tatsachenänderung sei glaubhaft und die IV-Stelle daher verpflichtet zu prüfen, ob diese überwiegend wahrscheinlich sei und inwiefern sie sich auf den Invaliditätsgrad auswirke (vgl. BGE 117 V 198 E. 3a S. 198). Zu einer solchen verbindlichen Anweisung wäre das Bundesgericht im Rahmen des bei Einreichung des Revisionsgesuchs hängigen Verfahrens, in welchem die Versicherte eine höhere als die von der IV-Stelle zugesprochene halbe Rente erstreiten wollte, auch nicht befugt gewesen. 
3.1.2 Hingegen hat die IV-Stelle den Gehörsanspruch der Beschwerdeführerin gemäss Art. 57a Abs. 1 IVG und Art. 42 ATSG (vgl. dazu Urteil 9C_617/2009 vom 15. Januar 2010 E. 2.1) dadurch verletzt, dass sie das Vorbescheidverfahren nach dessen Sistierung bis zum Erlass des Urteils 9C_39/2009 nicht förmlich fortsetzte und ohne allfällige Einwände zum Vorbescheid abzuwarten vor Ablauf der entsprechend verlängerten Frist von 30 Tagen (Art. 73ter Abs. 1 IVV) verfügte. Es kann offenbleiben, ob diese Verletzung heilbar war, wie die Vorinstanz angenommen hat. 
 
3.2 Die Vorinstanz hat festgestellt, die Versicherte begründe die angebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit den Stellungnahmen der Frau Dr. med. C.________ vom 6. Januar 2009 und der Klinik X.________ vom 8. Januar 2009 zu ihrem Entscheid vom 20. August 2008. Diese Unterlagen machten jedoch keine gesundheitliche Verschlechterung gegenüber der Verfügung vom 3. Oktober 2005 (recte: Einspracheentscheid vom 12. Juli 2007) glaubhaft. Insbesondere liefere die Stellungnahme der Klinik X.________ lediglich eine andere Interpretation ihres Berichts vom 26. März 2008 als jene im Entscheid vom 20. August 2008, was revisionsrechtlich nicht von Belang sei. 
3.2.1 Die Vorinstanz hat den Bericht der Klinik X.________ vom 26. März 2008, worauf sich das Revisionsgesuch vom 26. September 2008 stützte, nicht in die Beurteilung der Frage nach einer glaubhaften erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes seit dem Einspracheentscheid vom 12. Juli 2007 einbezogen. Der Grund hiefür ist offenbar, dass dieser Bericht bereits im Entscheid vom 20. August 2008 berücksichtigt und im Urteil 9C_39/2009 vom 10. Februar 2009 gewürdigt worden war, wie in E. 6.1 des angefochtenen Entscheids festgehalten wird. 
3.2.2 In E. 3.3 in fine des Entscheids vom 20. August 2008 führte die Vorinstanz aus, dass u.a. der Bericht der Klinik X.________ vom 26. März 2008, obwohl deutlich nach dem Einspracheentscheid vom 12. Juli 2007 ergangen, aus prozessökonomischen Gründen berücksichtigt werden könne. Dabei verwies sie auf BGE 130 V 138 E. 2.1 S. 140 und das Urteil 9C_24/2008 vom 27. Mai 2008 E. 2.3.1. Diese beiden Präjudizien betreffen indessen zwei verschiedene Fragestellungen. In BGE 130 V 138 E. 2.1 S. 140 ging es um die Ausdehnung des Streitgegenstandes in zeitlicher Hinsicht über den das Verwaltungsverfahren abschliessenden Entscheid (Verfügung oder Einspracheentscheid) hinaus. Demgegenüber wurde im Urteil 9C_24/2008 vom 27. Mai 2008 E. 2.3.1 der Grundsatz bestätigt, dass Tatsachen, die sich erst später verwirklichen, soweit zu berücksichtigen sind, als sie mit dem Streitgegenstand in engem Sachzusammenhang stehen und geeignet sind, die Beurteilung Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung oder des Einspracheentscheides zu beeinflussen (vgl. auch BGE 121 V 362 E. 1b S. 366 und BGE 99 V 98 E. 4 S. 102). So oder anders müsste eine Ausdehnung im erstinstanzlichen Beschwerdeentscheid dispositivmässig ausdrücklich festgehalten werden, was hier mit Bezug auf den Entscheid der Vorinstanz vom 20. August 2008 nicht zutrifft. Somit ist auch der nach Erlass des Einspracheentscheids vom 12. Juli 2007 verfasste Bericht der Klinik X.________ vom 26. März 2008 von Bedeutung für die Frage nach einer glaubhaft gemachten seitherigen Verschlechterung des Gesundheitszustandes. In diesem Sinne wurde im Urteil 9C_39/2009 vom 10. Februar 2009 denn auch festgehalten, dieser Bericht vermöge die - der Zusprechung der halben Rente zugrunde liegende - Beurteilung der Medizinischen Abklärungsstelle vom 28. März 2007 jedenfalls bis zum Erlass des Einspracheentscheids vom 12. Juli 2007 nicht in Frage zu stellen. Dabei wurde auf E. 2.3.2 des Urteils 9C_24/2008 vom 27. Mai 2008 verwiesen. Die vorliegend streitige Frage wurde somit durch das mit Urteil 9C_39/2009 vom 10. Februar 2009 abgeschlossene Rentenverfahren in keiner Weise präjudiziert. 
3.2.3 Im Bericht der Klinik X.________ vom 26. März 2008 wurden als Ergebnis der stationären Behandlung der Versicherten vom 15. Oktober 2007 bis 20. Februar 2008 aus psychiatrischer Sicht eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, eine generalisierte Angststörung und eine Agoraphobie diagnostiziert. Demgegenüber bestand gemäss dem Gutachten der MEDAS vom 28. März 2007, welches Grundlage für die Zusprechung der halben Rente gebildet hatte, lediglich eine mittelgradige depressive Episode, und eine generalisierte Angststörung leichten Grades. Auch wenn in Bezug auf Berichte behandelnder Ärzte zu berücksichtigen ist, dass deren Beurteilung mitunter im Hinblick auf ihre auftragsrechtliche Vertrauensstellung in Zweifelsfällen eher zu Gunsten der Patienten ausfällt (Urteil 9C_204/2009 vom 6. Juli 2009 E. 4.4.1, nicht publiziert in BGE 135 V 254, aber in SVR 2009 IV Nr. 53 S. 164, mit Hinweisen; vgl. auch BGE 135 V 465 E. 4.5 S. 470), hat aufgrund des Beschwerdebildes im Bericht der Klinik X.________ vom 26. März 2008 eine allenfalls revisionsrechtlich relevante Änderung des psychischen Gesundheitszustandes seit dem Einspracheentscheid vom 12. Juli 2007 als glaubhaft gemacht zu gelten. Die IV-Stelle hätte daher auf das Revisionsgesuch vom 26. September 2008 eintreten und abklären müssen, ob nach dem Beweisgrad überwiegender Wahrscheinlichkeit tatsächlich eine gesundheitliche Verschlechterung von voraussichtlich längerer Dauer eingetreten war und sich auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit auswirkte (BGE 117 V 198 E. 3a S. 198; vorne E. 3.1.1). 
Der das Nichteintreten der IV-Stelle auf das Rentenerhöhungsgesuch bestätigende vorinstanzliche Entscheid verletzt Bundesrecht. 
 
4. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die IV-Stelle die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und der Beschwerdeführerin eine u.a. nach dem anwaltlichen Vertretungsaufwand bemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts von Appenzell Ausserrhoden vom 16. September 2009 sowie die Verfügung der IV-Stelle Appenzell Ausserrhoden vom 19. Februar 2009 werden aufgehoben. Die Sache wird an die Verwaltung zurückgewiesen, damit sie im Sinne der Erwägungen das Verfahren betreffend die Revision der halben Invalidenrente durchführe. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der IV-Stelle Appenzell Ausserrhoden auferlegt. 
 
3. 
Die IV-Stelle Appenzell Ausserrhoden hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'800.- zu entschädigen. 
 
4. 
Das Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden hat die Gerichtskosten und die Parteientschädigung für das vorangegangene Verfahren neu festzusetzen. 
 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden, der Ausgleichskasse Hotela, Montreux, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 20. April 2010 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Meyer Fessler