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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
U 200/02 
 
Urteil vom 20. Mai 2003 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber Grunder 
 
Parteien 
M.________, 1958, Beschwerdeführerin, vertreten 
durch Rechtsanwalt Andreas Hagmann, Obere Bahnhofstrasse 11, 9501 Wil, 
 
gegen 
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen 
 
(Entscheid vom 8. Mai 2002) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1958 geborene M.________ war vom 1. Juni 1994 bis Ende September 1997 bei der Firma Q.________ AG als Hilfsschreinerin angestellt und dadurch bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 22. April 1996 geriet sie während der Arbeit an einer Bandsäge mit der linken Hand unter ein sich drehendes Rad und zog sich ein schweres Quetschtrauma mit Amputation des Daumens, der Digiti II und III metacarpal sowie eine Trümmerfraktur der Grundphalanx mit Instabilität im Mittel- und Endfingergelenk des Digiti IV zu (Bericht der Klinik für orthopädische Chirurgie, Kantonsspital St. Gallen, vom 7. Mai 1996). Es folgten verschiedene chirurgische Eingriffe. Seit dem Unfall war M.________ nicht mehr erwerbstätig gewesen. Sie konsultierte ab Oktober 1996 regelmässig Dr. med. S.________, Psychiatrie und Psychotherapie, der eine posttraumatische Belastungsstörung mit anhaltenden depressiven Verstimmungen und Angst diagnostizierte (Bericht vom 7. Oktober 1997). Vom 5. bis 23. Januar 1998 hielt sie sich in der Berufliche Abklärungsstelle (BEFAS) auf, wo eine während der Arbeitserprobungen erbrachte Leistung von 30 % bis 40 % beobachtet wurde (Bericht vom 20. Februar 1998). Dr. med. H.________, Orthopäde, verwies zur Frage der Arbeitsunfähigkeit auf die Ergebnisse der erfolgten beruflichen Abklärung (Gutachten vom 9. Juni 1998). Im Bericht der ärztlichen Abschlussuntersuchung vom 22. Juni 2000 legte Dr. med. C.________, Kreisarzt der SUVA, dar, dass der Versicherten als Einhänderin, die die linke Hand als Zudienhand einsetzen könne, bei voller Präsenz zumutbare Arbeiten zu leisten vermöge. Der Psychiater, Dr. med. S.________, führte aus, unter Berücksichtigung einer gewissen Besserung des psychischen Gesundheitszustandes bestehe ab sofort eine Arbeitsfähigkeit von 50 % in allen der körperlichen Behinderung angepassten Tätigkeiten (Bericht vom 25. August 2000). 
 
Die SUVA sprach M.________ ab 1. November 2000 eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 66 2/3 % auf der Basis eines versicherten Verdienstes von Fr. 34'081.- zu, sodann eine Integritätsentschädigung auf der Grundlage einer Integritätseinbusse von 35 % (Verfügung vom 26. Oktober 2000). Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 17. Juli 2001 fest. 
B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher M.________ die Rechtsbegehren stellen liess, es sei ihr eine Invalidenrente von 100 % und eine Integritätsentschädigung auf der Basis einer Einbusse von 40 % zuzusprechen, wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen ab (Entscheid vom 8. Mai 2002). 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt M.________ beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen und des Einspracheentscheids sei festzustellen, dass ihr eine Invalidenrente von 100 % zustehe; eventualiter sei die Streitsache zur Neubeurteilung an das kantonale Gericht zurückzuweisen. Gleichzeitig ersucht sie um Gewährung der unentgeltliche Rechtspflege. 
 
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Die Vorinstanz hat die Regeln über den Anspruch auf Invalidenrente und die Ermittlung des Invaliditätsgrades (Art. 18 UVG), die Aufgabe des Arztes oder anderer Fachpersonen bei dessen Festsetzung (BGE 125 V 261 Erw. 4 mit Hinweisen), den Begriff des ausgeglichenen Arbeitsmarktes (Art. 18 Abs. 2 Satz 2 UVG; vgl. AHI 1998 S. 291 Erw. 3b mit Hinweisen) sowie die Schadenminderungspflicht der Versicherten (vgl. BGE 117 V 400 mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
1.2 Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheids (hier: 17. Juli 2001) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b). 
2. 
Streitig ist der Umfang des Rentenanspruchs und - als eine der Voraussetzungen dafür - das Ausmass der Arbeitsunfähigkeit. 
2.1 Das kantonale Gericht hat erwogen, gestützt auf die Berichte der Dres. med. C.________ vom 22. Juni 2000 und S.________ vom 25. August 2000 sei erstellt, dass die Versicherte eine Arbeitsleistung im Umfang von 50 % zu erbringen vermöge. Demgegenüber macht die Beschwerdeführerin geltend, der Kreisarzt der SUVA habe die Arbeitsfähigkeit nicht abschliessend beurteilt. Dr. med. S.________ habe von einem Tag auf den anderen die Arbeitsfähigkeit auf 50 % eingeschätzt, obwohl er vor und nach dem Bericht vom 25. August 2000 in den Unfallscheinen stets eine vollständige Arbeitsunfähigkeit angegeben habe. Die BEFAS und Dr. med. H.________ seien von einer nicht verwertbaren Arbeitsfähigkeit von 30 % bis 40 % ausgegangen. 
2.2 Die BEFAS, die im Auftrage der Invalidenversicherung die beruflichen Eingliederungsmöglichkeiten abzuklären hatte, brach die Arbeitserprobungen vorzeitig ab, weil es in Anbetracht der psychischen Verfassung der Beschwerdeführerin nicht möglich war, eine objektive Evaluation vorzunehmen. Dr. med. H.________ hat zur Frage des Umfanges der Arbeitsfähigkeit auf die Ergebnisse der BEFAS verwiesen mit der Bemerkung, es sei wichtig, die Versicherte psychisch zu führen, um die Akzeptanz der verletzten Hand zu verbessern. Sodann hat Dr. med. C.________ ausdrücklich festgehalten, dass rein vom Lokalbefund her keine therapeutischen Massnahmen mehr angezeigt seien und von weiteren medizinischen Behandlungen keine Verbesserung der Funktionsfähigkeit der linken Hand mehr erwartet werden könne. Er kam zum Schluss, die Beweglichkeit des um ca. 4,5 cm verkürzten Daumenstumpfes sei um etwa die Hälfte vermindert, die Stümpfe der Finger II und III seien gut gepolstert und die linke Hand könne als Zudienhand gebraucht werden. Wenig anspruchsvolle taktile Aufgaben könnten mit der erhaltenen Sensibilität an Ring- und Kleinfinger ausgeübt werden, auch sei es möglich, kleinere und leichtere Gegenstände unter geringer Kraftentfaltung zwischen dem 4. und 5. Strahl zu stabilisieren. Als weitgehende Einhänderin sei die Versicherte bei voller Präsenz einsatzfähig. Diese Angaben sind entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin schlüssig und bedürfen keiner weiteren Ergänzung. 
 
Was die psychische Seite anbelangt, sind auch die Vorbringen gegen den Bericht des Dr. med. S.________ vom 25. August 2000 nicht stichhaltig. Dieser Arzt stellte schon in der Stellungnahme vom 11. Mai 1999 fest, der psychische Zustand habe sich zwar nicht stabilisiert, aber immerhin gebessert, nachdem die familiäre und soziale Situation sich entspannt hätte, ein Befund, der mit den Eintragungen des Dr. med. H.________ in der Krankengeschichte, der die Versicherte als Chirurg und Orthopäde betreute, übereinstimmt (Auszug der Krankengeschichte zur Sprechstunde vom 25. Januar 2000). Der Psychiater empfahl, dass man sich um Zuweisung geeigneter Arbeit bemühen solle. Ein bleibender psychischer Nachteil sei nicht zu erwarten. Diese Angaben stehen in Einklang mit der Einschätzung der Arbeitsfähigkeit von 50 % gemäss Bericht des Dr. med. S.________ vom 25. August 2000. Kein Widerspruch ist zudem zu seinen Eintragungen in den Unfallscheinen auszumachen, beziehen sich doch diese einzig auf die Beschäftigung als Hilfsschreinerin bei der Firma Q.________ AG, in welcher Funktion die Versicherte unbestrittenerweise nicht mehr einsatzfähig ist. 
Hinsichtlich der erwerblichen Auswirkungen hat die Vorinstanz erwogen, dass auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt ein breites Angebot an Arbeitsstellen vorhanden sei, die es der Beschwerdeführerin erlaubten, mit der weitgehend funktionsuntüchtig gewordenen linken und der vollständig intakten rechten, dominanten Hand erwerbstätig zu sein. In Frage kämen etwa die Bedienung von Maschinen, Sortier-, Überwachungs- und Prüfarbeiten oder im Bereich der Dienstleistungsbetriebe Botengänge und Empfangsarbeiten. Die Annahme der SUVA, sie vermöge mit dem Gesundheitsschaden einen Verdienst zu erreichen, der dem um zwei Drittel reduzierten Valideneinkommen entspreche, lasse sich nicht beanstanden. Die Ermittlung des Invalideneinkommens anhand der statistischen Löhne der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik ergebe auch nach einem behinderungsbedingten Abzug von 25 % keinen über 66 2/3 % liegenden Invaliditätsgrad. Auf diese zutreffenden Erwägungen, denen nichts beizufügen ist, wird verwiesen. 
3. 
3.1 Hinsichtlich der erwerblichen Auswirkungen hat die Vorinstanz erwogen, dass auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt ein breites Angebot an Arbeitsstellen vorhanden sei, die es der Beschwerdeführerin erlaubten, mit der weitgehend funktionsuntüchtig gewordenen linken und der vollständig intakten rechten, dominanten Hand erwerbstätig zu sein. In Frage kämen etwa die Bedienung von Maschinen, Sortier-, Überwachungs- und Prüfarbeiten oder im Bereich der Dienstleistungsbetriebe Botengänge und Empfangsarbeiten. Die Annahme der SUVA, sie vermöge mit dem Gesundheitsschaden einen Verdienst zu erreichen, der dem um zwei Drittel reduzierten Valideneinkommen entspreche, lasse sich nicht beanstanden. Die Ermittlung des Invalideneinkommens anhand der statistischen Löhne der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik ergebe auch nach einem behinderungsbedingten Abzug von 25 % keinen über 66 2/3 % liegenden Invaliditätsgrad. Auf diese zutreffenden Erwägungen, denen nichts beizufügen ist, wird verwiesen. 
3.2 Neu bringt die Beschwerdeführerin vor, ihr Wohnsitz und ihr Lebensmittelpunkt lägen in X.________, wo es in der näheren und weiteren Umgebung keine industriellen noch für sie in Betracht fallende Dienstleistungsbetriebe gebe. Über die Zumutbarkeit, die Restarbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verwerten, ist im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung der gesamten objektiven und subjektiven Gegebenheiten zu befinden (BGE 113 V 22 Erw. 4a mit Hinweisen). Es kann offen bleiben, ob der Versicherten ein Wechsel des Wohnortes zumutbar sei. Die gesundheitliche Beeinträchtigung hindert sie jedenfalls nicht, mit den bestehenden öffentlichen Verkehrsmitteln Arbeitsstätten, die ausserhalb ihres Wohnortes oder seiner Umgebung liegen, zu erreichen. Der Umstand, dass sie einen schulpflichtigen Sohn zu betreuen hat, stellt einen invaliditätsfremden Faktor dar, der sich auch im Gesundheitsfall erwerbseinkommensmindernd auswirken würde. Andere durch den Gesundheitsschaden bedingte Gründe, die die Verwertung der verbliebenen Arbeitsfähigkeit unzumutbar machen würden, werden nicht geltend gemacht und sind nicht zu ersehen. 
4. 
Zusammengefasst ist der angefochtene Entscheid, mit welchem ein Anspruch auf Invalidenrente im Umfang von 66 2/3 % des (unbestrittenen) versicherten Verdiensts bestätigt wurde, nicht zu beanstanden. Nicht zu prüfen ist der letztinstanzlich nicht mehr weiterverfolgte Anspruch auf eine höhere Integritätsentschädigung als 35 %. 
5. 
Dem Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung kann stattgegeben werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen ist und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Andreas Hagmann, Wil, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zugesprochen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 20. Mai 2003 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: