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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_468/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 20. September 2017  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
präsidierendes Mitglied 
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi, 
Gerichtsschreiber Briw. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Fürsprecher Gino Keller, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Verletzung von Verkehrsregeln, Willkür, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, vom 10. März 2017. 
 
 
Sachverhalt und Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau bestrafte am 15. Dezember 2015 X.________ wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln durch Überholen mit Behinderung des Gegenverkehrs aufgrund des folgenden Sachverhalts:  
X.________ sei am 19. März 2015 mit einem Personenwagen hinter einem von A.________ gelenkten 18,75 m langen und 2,60 m breiten Lastwagen-Anhängerzug gefahren und habe diesen in einer leichten Linkskurve trotz eines entgegenkommenden von B.________ gelenkten 5-Achser-Tanklastwagens überholt. Dieser habe wegen des Überholmanövers abbremsen müssen, um eine Frontalkollision zu vermeiden. X.________ habe mit dem Überholmanöver eine konkrete Gefahr verursacht. 
 
1.2. Das Bezirksgericht Aarau fand X.________ auf seine Einsprache hin am 8. August 2016 der groben Verletzung von Verkehrsregeln durch Überholen mit Behinderung des Gegenverkehrs schuldig (Art. 90 Abs. 2 i.V.m. Art. 34 Abs. 3 und Art. 35 Abs. 2 SVG). Es verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu Fr. 100.-- und einer Busse von Fr. 1'000.--.  
Das Obergericht des Kantons Aargau wies am 10. März 2017 die Berufung von X.________ ab. 
 
1.3. X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil aufzuheben, ihn von Schuld und Strafe freizusprechen, die Verfahrens- und Verteidigerkosten auf die Staatskasse zu nehmen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Kantons Aargau, eventuell der Bundesgerichtskasse.  
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und die Verletzung von Art. 10 StPO sowie des rechtlichen Gehörs, weil die Vorinstanz ohne Parteianträge erstmals Aktenpassagen als massgeblich bezeichnet habe (act. 71 und 76 der Untersuchungsakten), ohne vorgängige Gehörsgewährung, und weil sie von beruflichen Qualifikationen der LKW-Fahrer (der beiden Zeugen) ausgegangen sei, die nicht geklärt worden seien. Das verletze die Unschuldsvermutung und die Verfahrensfairness.  
A.________ sei der Meinung gewesen, man solle dort nicht überholen, weil die Strasse schmal sei, habe etwas gesperrt, indem er sein Fahrzeug absichtlich nach links zur Mitte gelenkt habe, und habe dann kräftig gehupt, als er ihn doch überholt habe. A.________ habe einen Zeugen gesucht und in B.________ gefunden. Dieser habe bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Erstinstanz ausgesagt, er sei mit seinem LKW von der Firma C.________ in U.________ losgefahren. Wegen des Überholvorgangs habe er leicht bremsen müssen, um eine Kollision zu vermeiden. Er (der Beschwerdeführer) habe einen Gegenverkehr stets bestritten. Er habe A.________ nach dem Überholvorgang bei der Firma C.________ in U.________ stehen sehen. 
Die Erstinstanz habe akribisch errechnet, dass die Wegstrecke für einen Überholvorgang zu knapp gewesen wäre, und angenommen, die LKW-Fahrer hätten glaubhaft ausgesagt. Seinem Einwand, die Aussagen seien physikalisch gar nicht möglich, sei die Vorinstanz mit dem Argument begegnet, die beiden LKW-Fahrer seien erfahrene und ausgebildete Berufsleute. Wenn sie die Situation als gefährlich einstufen würden, sei das glaubhaft. Dass sie die Wegstrecke nicht korrekt schätzen würden, sei möglich. Die Vorinstanz habe sich mit seinen Vorbringen gar nicht auseinandergesetzt und seine Gegenargumente durch Eigenschöpfungen und Verharmlosungen ausgeschlossen. Weiter habe sie in Eigenschöpfung angenommen, die beiden LKW-Fahrtenschreiber würden eine Zeitdifferenz von zwei Minuten ergeben, womit die behauptete Beinahekollision um 11.21 Uhr stattgefunden haben müsse, ohne ihm vorgängig das rechtliche Gehör zu gewähren. Technisch sei jede batteriebetriebene Uhr Ungenauigkeiten unterworfen. Die Polizei hätte Zeitabweichungen einfach ermitteln können. Das habe sie nicht getan. Im Sinne der Unschuldsvermutung sei davon auszugehen, dass die Zeitdifferenz auf Messungenauigkeit basiere. 
 
2.2. Die Vorinstanz stellt fest, die Aussagen der beiden Zeugen (der beiden LKW-Fahrer) seien mit der Erstinstanz als glaubhaft zu werten. Beide hätten in den wesentlichen Punkten, insbesondere was das Überholmanöver angehe, konstant ausgesagt. Zudem würden die Aussagen durch die Auswertung der Fahrtenschreiber gestützt. Die Aussagen des Beschwerdeführers, der LKW von B.________ sei ihm während des Überholmanövers nicht entgegengekommen, erweise sich unter Einbezug der objektiven Indizien als Schutzbehauptung (Urteil S. 4 f.). Die exakten Parameter, die zur Berechnung der Überholstrecke notwendig wären, liessen sich im Nachhinein nicht rekonstruieren. Die Gefährlichkeit des Überholmanövers ergebe sich aus den Aussagen der LKW-Fahrer (Urteil S. 6).  
 
2.3. Das rechtliche Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) schützt den Anspruch, sich zur Sache zu äussern, rechtserhebliche Beweise abzunehmen, an der Beweiserhebung mitzuwirken oder zumindest zum Beweisergebnis Stellung zu nehmen (BGE 143 III 65 E. 3.2; 143 V 71 E. 4.1; 140 I 99 E. 3.4) sowie den Entscheid zu begründen (BGE 143 III 65 E. 5.2). Dem Grundsatz in dubio pro reo als Beweiswürdigungsmaxime kommt keine über das Willkürverbot hinausgehende Bedeutung zu (BGE 138 V 74 E. 7; 127 I 38 E. 2a; 120 Ia 31 E. 2d).  
Die Beweiswürdigung ist Aufgabe des Sachgerichts (Art. 10 Abs. 2 StPO). Das Bundesgericht greift nur bei Willkür ein (Art. 9 BV; Art. 97 Abs. 1 BGG), namentlich wenn ein Beweismittel offensichtlich verkannt wurde (BGE 140 III 264 E. 2.3) oder der Entscheid schlechterdings unhaltbar erscheint, nicht aber bereits, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar wäre (BGE 141 I 49 E. 3.4, 70 E. 2.2). 
 
2.4. Der Beschwerdeführer behauptet, die Aussagen der Zeugen seien "physikalisch unmöglich". Berechnungen sind indessen nur so präzise wie die verwendeten Ausgangsdaten (Urteil 1P.227/2006 vom 30. Juni 2006 E. 4). Die Vorinstanz setzt sich damit im Urteil nicht auseinander. Sie stellt auf die ihrer Beurteilung nach glaubhaften Zeugenaussagen ab (unter Verweisung auf das erstinstanzliche Urteil S. 5-10). Die Erstinstanz berechnete überdies den Überholweg gestützt auf das Urteil 6B_104/2015 vom 20. August 2015 (zu diesem Urteil ANDREAS A. ROTH, Rechtsprechung unter der Lupe, in: Strassenverkehr, 1/2016 S. 32). Sie kam unter Zugrundelegung der Angaben in den Aussagen zum Ergebnis, dass die Bedingungen für ein Überholen im Sinne von Art. 35 Abs. 2 SVG bei weitem nicht gegeben waren, und hielt fest, bestünden nur schon Zweifel an der Möglichkeit des regelkonformen Überholens, sei es zu unterlassen (mit Hinweis auf Urteil 4A_76/2009 vom 6. April 2009 E. 4.3).  
Zeugenaussagen sind vollgültige Beweismittel. Zeuge ist eine an der Begehung einer Straftat nicht beteiligte Person, die der Aufklärung dienende Aussagen machen kann und nicht Auskunftsperson ist (Art. 162 StPO). Die zeugnisfähige Person ist nach Art. 163 Abs. 2 StPO zum wahrheitsgemässen Zeugnis verpflichtet (Art. 307 Abs. 1 StGB). Die Überzeugungskraft beurteilt sich im konkreten Fall aufgrund der "inneren Autorität" der Zeugenaussage (Urteil 6B_457/2016 vom 23. Februar 2017 E. 2.3, zit. ANDREAS DONATSCH, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 13 zu Art. 162 StPO). Es ist Aufgabe des Richters, die Qualität und Validität der konkreten Aussagen zu beurteilen (DONATSCH, a.a.O., N. 16 zu Art. 162 StPO). 
In casu handelt es sich um den alltäglichen Sachverhalt eines Überholmanövers. Es liegen dazu zwei übereinstimmende Zeugenaussagen von Berufschauffeuren aus unmittelbarer, augenscheinlicher Wahrnehmung vor. Es kommt zunächst darauf an, ob die Zeugenaussagen glaubhaft sind. Das ist eine Frage der Beweiswürdigung. Die Vorinstanz bejaht die Frage willkürfrei. Für eine Falschaussage der beiden LKW-Fahrer sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Die Beweiswürdigung erfolgt aufgrund der gesamten Akten. Dass die Vorinstanz indiziell auch die act. 71 und 76 heranzieht, verletzt weder die Unschuldsvermutung noch das Gehörsrecht oder die Verfahrensfairness. Auf die physikalischen Hypothesen ist nicht mehr einzutreten. 
 
2.5. Der Beschwerdeführer macht für den Fall der Urteilsbestätigung im Eventualstandpunkt geltend, die LKW-Fahrer hätten nach ihren Äusserungen nur leicht abbremsen müssen. Ein besonders rücksichtsloses Verhalten könne ihm nicht nachgewiesen werden.  
Gemäss Art. 90 Abs. 2 SVG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt (zur Rechtsprechung Urteile 6B_316/2017 vom 7. Juni 2017 E. 1.2 und 6B_127/2017 vom 23. Juni 2017 E. 3.2). 
Der Beschwerdeführer war "mit einem offenen Cabriolet unterwegs" (Beschwerde S. 5) und überholte einen LKW-Anhängerzug in einer Weise, dass der entgegenkommende 5-Achser-Tanklastwagen abbremsen musste, um eine Kollision zu vermeiden. Auch A.________ ging "sofort vom Gaspedal". Nach der Vorinstanz bewirkte der Beschwerdeführer zumindest eine erhöhte abstrakte Gefahr (Urteil S. 7). Er habe seine Fahrt zügig fortsetzen wollen, was der voranfahrende LKW nicht erlaubt habe, da er nach Aufhebung der Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h die Geschwindigkeit nicht wesentlich erhöht habe. Das Überholmanöver sei als rücksichtslos zu werten (Urteil S. 7). Die Beurteilung verletzt kein Bundesrecht. 
 
3.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Dem Beschwerdeführer sind die Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 20. September 2017 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Jacquemoud-Rossari 
 
Der Gerichtsschreiber: Briw